NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

zurück  
Druckversion

Inland
Die Berliner Mauer - Geschichtsrevisionismus und Siegerjustiz
Zum 50. Jahrestag des Mauerbaus – Teil 1
Von Hans Fricke

Hans Fricke aus Rostock, Autor des im August 2008 im Berliner Verlag am Park erschienenen Buches „Politische Justiz, Sozialabbau, Sicherheitswahn und Krieg" hat zum 50sten Jahrestag des Berliner Mauerbaus einen längeren Beitrag geschrieben, den die NRhZ in den folgenden Ausgaben bis zum Jahrestag am 13. August veröffentlichen wird. Er widerspricht fast allem, was in den nächsten Wochen auf offiziellen "Gedenkveranstaltungen" vorgetragen werden dürfte. Die Kapitel: 1. Die Berliner Mauer; Gründe für ihren Bau und ihre Einordnung in den Kalten Krieg. 2. Das Märchen von der „innerdeutschen“ Grenze und seine Funktion. 3. Die Legende vom "Schießbefehl". 4. Schlussbemerkungen. – Die Redaktion


Konrad Adenauer
NRhZ-Archiv
Kapitel 1. Die Berliner Mauer; Gründe für ihren Bau und ihre Einordnung in den Kalten Krieg
 
Die Behandlung der Staatsgrenze der DDR und das an ihr herrschende Regime - die militärische Sicherung der Grenze am 13. August 1961 eingeschlossen - durch Politiker, Historiker und Medien der BRD widerspiegelt deren Bemühen, Geschichte vom Ende her erklären zu wollen. Diese Art des Umgangs mit deutsch-deutscher Vergangenheit ist verbreitet, verleiht sie doch vielen Menschen ein wenig von dem Gefühl der Gewissheit, alles erklären zu können, ein Gefühl, das derzeit so selten zu haben ist.
 
Würden sie die Geschichte von ihrem Anfang her erklären, wie es jede seriöse Geschichtsschreibung gebietet, dann müssten sie zugeben, dass die drei westlichen Besatzungsmächte mit aktiver Unterstützung westdeutscher Parteien, allen voran der von Jugend an als Separatist bekannte Konrad Adenauer, mit den Schritten: separate Währungsreform, Verkündung des Grundgesetzes und Wahl zum ersten Deutschen Bundestag aus machtpolitischen Gründen die Spaltung Deutschlands vollzogen, die 17 Millionen Bewohner der Ostzone und Ostberlins gegen ihren und den Willen der Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung sowie den Widerstand der Sowjetunion aus dem, wie es damals hieß, „Deutschland als Ganzes“ ausgeschlossen und damit eine große Verantwortung für die Folgen dieser Maßnahmen, zu denen auch die Gründung der DDR und die Staatsgrenze zwischen der DDR und der BRD sowie zwischen der DDR und Berlin (West) gehörten, auf sich geladen haben. Die Gründung der DDR, die zweifelsfrei als Antwort auf die Gründung des westdeutschen Separat-Staates erfolgte, als „Staatsstreich“ zu bezeichnen, wie es die bundesdeutsche Geschichtsschreibung tut, ist eine Verfälschung der Geschichte, wie sie unverfrorener kaum sein kann.
 
Heute erleben wir täglich, dass das schwierige, bisweilen quälende Erinnern als Kontrapunkte zur derzeit so weit verbreiteten Klarheit der Urteile nicht sonderlich beliebt ist. Um die Maßnahmen des 13. August 1961 und die Haltung vieler DDR-Bürger zu ihnen heute verstehen zu können, ist es notwendig, sich an die damalige weltpolitische, aber auch innenpolitische Lage der DDR zu erinnern:
 
Wie es 1955 mit „U-2“-Spionageflügen anfing
 
Der Kalte Krieg war Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre allüberall. Vieles deutete darauf hin, dass die Systemauseinandersetzung auf eine gefährliche Zuspitzung hinsteuerte. Man hatte das Gefühl, als würde die Entwicklung bald außer Kontrolle geraten, mit allen sich daraus ergebenden Gefahren. Von 1955 bis 1959 führten die USA über der Sowjetunion mit ihrer „U-2“ wenigstens fünfzig Spionageflüge durch. Als der US-Pilot Gary Powers in großer Höhe von der sowjetischen Luftabwehr abgeschossen wurde und in Gefangenschaft geriet, waren die Spionageflüge über der UdSSR für die CIA bereits zu einer Routinesache geworden.


US-Pilot Gary Powers
Quelle: u2sabotage.tripod.com/u2_gary_powers
 
Nach diesem ernsten Zwischenfall verstieg Präsident Eisenhower sich zu der ungeheuerlichen Behauptung, die USA hätten das Recht, Flugzeuge über sowjetisches Territorium zu schicken. Unter Eisenhower konnten CIA-Chef Allan Dulles und seine Spezialisten für „verdeckte Aktionen“ praktisch alles tun, was sie wollten. Präsident Carter sprach 1980 in diesem Zusammenhang von jahrelangem Machtmissbrauch der CIA. Anfang 1961 versuchte der amerikanische Geheimdienst eine Invasion Kubas. Ziel war es, die unbequeme Castro-Regierung, die es der US-Administration immer schwerer machte, ihre bisherige Machtpolitik gegenüber den mittel- und südamerikanischen Staaten fortzusetzen, mit militärischen Mitteln zu stürzen.
 
Die Blamage in der Schweinebucht Kubas
 
Die Operation in der Schweinebucht wurde für die USA zu einem Desaster und für die CIA zu einer internationalen Blamage. Daran konnte auch die anschließende wütende Erklärung Kennedys nichts mehr ändern, er würde die CIA am liebsten „in tausend Stücke schlagen und in alle Winde zerstreuen“. Immerhin hatte die CIA bis dahin, entweder auf Weisung, mit Billigung oder stillschweigender Duldung der US-Präsidenten, bereits weltweit eine Vielzahl friedensgefährdender verdeckter Operationen durchgeführt. Dieses militärische Hasardspiel der US-Administration führte zu einer dramatischen Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion. Im Ergebnis der Konsultationen mit der Castro-Regierung entschloss sich die Sowjetunion, auf Kuba Raketen-Abschussrampen zu errichten. Der Krieg stand so dicht bevor, dass im Weißen Haus schon über die Liste derjenigen diskutiert wurde, die in den Atombunker der Regierung mitkommen sollten.
 

Castro in einem Panzer während der Schweinebucht-
Invasion
Quelle: www.el-cubano.de/sites/
Rückblickend ist also einzuschätzen: Diese den Welt- frieden aufs höchste gefährdende Ent- wicklung hatte ihren Ausgangspunkt nicht im Machtstreben der Sowjetunion, sondern in Versuchen der USA, die sozialis-tische Entwicklung Kubas mit Hilfe militärischer Gewalt- akte aufzuhalten. Die damalige weltpoliti- sche Lage, das Scheitern der Pariser Gipfelkonferenz und die immer insta- biler werdende Lage in Berlin waren der Hintergrund für den Beschluss der Staaten des Warschauer Vertrages, die offene Grenze zu Westberlin zu schließen.
 
Es kennzeichnet die "Seriosität“ des 65 Seiten umfassenden „Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer“ des Berliner Senats, dass es seinen Verfassern offenbar an Courage fehlte, wenigstens den Wortlaut der Erklärung der Warschauer Paktstaaten zu den Gründen der militärischen Sicherung der Staatsgrenze der DDR der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
 
Über 80 Zentralen von Geheimdiensten in der "Frontstadt" Westberlin
 
Die Insellage Westberlins, das nicht von Bonn regiert werden durfte und alliiertem Militärstatus unterlag, bot die Voraussetzung, ihm eine dominierende Rolle im Kalten Krieg einzuräumen. So wurde Westberlin zum Tummelplatz all jener Kräfte, die sich zum Kampf gegen die DDR verschworen hatten. Über 80 Zentralen von Geheimdiensten sowie Organen des subversiven Kampfes, einschließlich der psychologischen Kriegsführung und der politisch-ideologischen Diversion, waren dort angesiedelt. Allen voran die Westalliierten Truppenkontingente mit einem umfangreichen Potential von Einheiten und Mitteln der elektronischen Kampfführung, deren Aktionsradius weit über das Territorium der DDR hinaus reichte. Analog verhielt es sich mit den Aktivitäten der westlichen Geheimdienste, die unterstützt von Agenturen in der DDR und anderen Warschauer Vertragsstaaten ein weit verzweigtes Abhörnetz in Westberlin mit Stationen auf dem Teufelsberg, dem Flughafen Tempelhof, dem Fernsehturm im Grunewald sowie Horchposten in Marienfelde, Gatow, Tegel und Spandau betrieben und Westberlin zu einer Spitzelburg gegen Osteuropa ausbauten.
 
Allein 117 militärische Organisationen, die Mehrzahl von ehemaligen faschistischen Wehrmachts- und SS-Offizieren geführt, wie beispielsweise der "Stahlhelm", der "Kyffhäuser-Bund", der "Verband deutscher Soldaten", der "Bund ehemaliger Fallschirmjäger" sowie Vereinigungen der Waffen-SS waren in der "Frontstadt" Westberlin aktiv. Die von dort aus geplanten, organisierten und ausgegangenen Verbrechen und Straftaten gegen die DDR und ihre Verbündeten füllen ganze Archive, insbesondere die von der Bierthler-Behörde verwalteten, eingeschlossen die wohlweißlich unter sicherem Verschluss gehaltenen.
 
„Pfahl im Fleisch der DDR“ – auch Abwerbung von Fachkräften
 
Fazit: Es gab auf der Erde keinen Ort, wo so viele Spionage- und Wühlzentren fremder Staaten konzentriert waren und wo sie sich so ungestraft betätigen konnten wie in der damaligen „Frontstadt“ Westberlin, deren Regierender Bürgermeister Ernst Reuter stolz auf die Rolle seiner Stadt als „Pfahl im Fleisch der DDR“ war.
 
Zur Kennzeichnung der Situation vor der Schließung der Grenze zu Westberlin gehört auch die gezielte Abwerbung von Fachkräften der DDR. Mitte Juli 1961 hatte Adenauer persönlich in Köln mit Mitgliedern der CDU im Europarat über die verstärkte Abwerbung von Arbeitskräften aus der DDR und die Erhöhung der Finanzmittel für die Abwerbeorganisationen beraten. Das Geld sollte mit Hilfe des "Sonderverbindungsausschusses für Flüchtlinge“ und des „Ausschusses für Bevölkerungs- und Flüchtlingsfragen“ des Europarates beschafft werden. Die Bundesregierung hatte bis dahin 4,5 Millionen Dollar und 11,1 Millionen DM erhalten. Adenauer verwies darauf, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie seine Geldmittel für die Abwerbung bedeutend erhöht hatte. Dazu kam ein ganzes „Abwerbungsförderungsprogramm“ mit einer Sonderfinanzierung des Wohnungsbaus, Unterhalts- und Hausratshilfen sowie Existenzaufbau- und Wohungsbaudarlehen aus dem Härtefonds des Lastenausgleichs. Schließlich wurde auch der Flüchtlingsausweis C (politische Zwangslage mit Anerkennung ohne Überprüfung - sonst nur für religiöse Gruppen) verliehen.
 
Das Hilfswerk der evangelischen Kirchen Deutschlands gab einen „Leitfaden für Sowjetzonenflüchtlinge“ heraus. Erhebliche Aktivitäten wurden auch von den verschiedenen Flüchtlingsorganisationen, Landsmannschaften und vielen anderen Verbänden entfaltet. Massive Unterstützung erfuhr dies alles durch die vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen mit dem Bundespresseamt und dem Verteidigungsministerium vereinbarte Verstärkung der „psychologischen Kriegführung“ gegen die DDR. Die Mehrzahl derer, die aus der DDR abwanderten, darunter viele gezielt abgeworbene Bürger, versprach sich vom Wechsel in die BRD bzw. nach Westberlin bessere Lebensverhältnisse oder (aus ihrer Sicht) eine günstigere Entwicklungsperspektive. Das waren somit überwiegend „Wirtschaftsflüchtlinge“ und nicht, wie permanent behauptet, „politische Flüchtlinge“.
 
Zweifellos gab es solche auch. Sie stellten jedoch eine marginale Minderheit dar. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist ein politischer Flüchtling eine Person, die sich „aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oder der politischen Meinung außerhalb des Landes ihrer Nationalität befindet“. Das traf für die Mehrheit der einstigen DDR-Bürger nicht zu. Insofern waren sie keine „Flüchtlinge“. Da diese Bezeichnung aber gut zum politischen Kampfbegriff „Unrechtsstaat“ passt, wird sie im bundesdeutschen Sprachgebrauch für alle, die der DDR aus welchen Gründen auch immer den Rücken kehrten, verwendet. Es kann als gesichert gelten, dass Abwanderung und Abwerbung als Teil des gegen die DDR geführten Wirtschaftskrieges (neben den Embargomaßnahmen) die DDR-Volkswirtschaft am härtesten trafen und ein nicht ausgleichbares Defizit hinterließen. Siegfried Wenzel, ehemaliger Stellvertreter des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission der DDR, stellte dazu fest:
 
Überwiegend Abwerbung von hochqualifizierten Fachkräften
 

"Was war die DDR wert?"
von Siegfried Wenzel
„Für die BRD ist dieser Zufluss von ‚Humankapital’ in Größenordnungen von fast zwei Millionen ein einmaliger Aktivposten, der überhaupt nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Man muss berücksichtigen, dass es sich bei den Übersiedlern aus der DDR in die BRD zu einem großen Teil um gut ausgebildete Facharbeiter sowie um akademisch Ausgebildete, wie Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, gehandelt hat, deren Ausbildung oftmals vom Staat, d.h. der gesamten Gesellschaft der DDR, finanziert worden war. Es gab viele, die ihre Einstellungsverträge von westlichen Firmen bereits während des Studiums erhielten, als sie noch Wohnung, Stipendien und zum Teil großzügige soziale Sicherung in der DDR in Anspruch nahmen. Das trifft vor allem auf die Zeit vor 1961 zu. Die Wirkung der Eingliederung dieses personellen Zuwachses für die Wirtschaftskraft der BRD war natürlich eine ganz andere, als die der etwa 0,5 Millionen ausländischer Gastarbeiter, die bis 1961 aus Spanien, Portugal, der Türkei und Italien in die BRD gekommen waren.
 
Die bis zu 1,5 Millionen Übersiedler aus der DDR sprachen die gleiche Sprache, waren oft in einem mehr oder minder adäquaten Bildungssystem zu hochqualifizerten Fachkräften ausgebildet und entstammten dem gleichen Kulturkreis.“ Wenzel vertritt die Auffassung, dass die Marschallplan-Hilfe und die „Kader“ aus der DDR in der BRD maßgeblich für den Produktivitäts- und Effektivitätsunterschied zwischen BRD und DDR verantwortlich waren.
Doch die Zeiten, wo jeder „Ostflüchtling“, noch dazu, wenn er aus der DDR kam, als politisches Kapital, besonders aber als ökonomischer Zugewinn betrachtet wurde und deshalb auch jegliche Angriffe gegen die Staatsgrenze der DDR hoch im Kurs standen, sind lange schon vorbei. Heute ist Abschottung europäisches Konzept. Niemand in der BRD möchte gern an das Jahr 1986 erinnert werden. Damals hatte die Kohl-Regierung ernsthafte soziale Probleme, und entsprechend hoch schlugen die Wellen der Asylhysterie. Deshalb ersuchte der SPD-Kanzlerkandidat Johannes Rau SED-Generalsekretär Erich Honecker, das „Loch in der Berliner Mauer“, durch das Flüchtlinge nach Westberlin einreisten, dicht zu machen. Welch ein Sündenfall: Gemeinsam mit dem „SED-Regime“ den „Fluchtweg“ über Berlin zu versperren.
 
Zunehmender Frust der Ostberliner
 
Es gehört zum System der Irreführung der Menschen, den Eindruck zu erwecken, als ob generell zwischen der Haltung der Bevölkerung der DDR und den am 13. August 1961 durchgeführten Sicherungsmaßnahmen ein unüberbrückbarer Gegensatz bestanden hätte. Deshalb wird der von Jahr zu Jahr zunehmende Frust der Ostberliner und ihrer Besucher aus den Bezirken der DDR bewusst verschwiegen, die erleben mussten, wie Ostberliner Friseur-Salons voller Westberliner Frauen waren, die sich für ein Butterbrot frisieren ließen, wie Westberliner und ihre Gäste aus der BRD für Pfennige ihrer Währung generös in Ostberliner Gaststätten speisten, für ihre Trinkgelder in Gaststätten, Theatern und anderswo die besten Plätze erhielten, wogegen die hart arbeitenden Ostberliner und Bürger aus den Bezirken vor den Türen standen; wie Westberliner Schieberringe für wenig Westgeld wertvolle optische Geräte und andere hochwertige Bedarfsartikel in Ost-Berlin einkauften, um diese Dinge mit hohen Profitraten in Westberlin oder Westdeutschland zu verhökern.
 
Das Gefühl, im eigenen Land zweitklassiger Bürger zu sein, dessen Geld gegenüber der D-Mark kaum eine Chance hatte, und das Bewusstsein der enormen Schädigung der DDR-Volkswirtschaft durch Währungsspekulanten nahm von Monat zu Monat zu. „Endlich“, so hörte man damals im Hinblick auf den Mauerbau vielerorts, „hat man den Tausenden Schmarotzern und Währungsspekulanten den Hahn zugedreht". Viele Ostberliner und Bürger aus den angrenzenden Gebieten der DDR, vor allem aus dem Raum Potsdam, arbeiteten in Westberlin. Ihren Lohn in D-Mark tauschten sie in einer der unzähligen Westberliner Wechselstuben zu einem hohen Kurs in Mark der DDR um. Der Regelkurs lag bei 1 : 4. Im Durchschnitt verdiente 1960 ein DDR-Bürger 580 Mark der DDR. Jene, die zu ihrem Arbeitsplatz bei angenommenem gleichen Lohn nach Siemensstadt in Westberlin fuhren, tauschten ihren D-Mark-Verdienst und triumphierten so gegenüber ihren Wohnnachbarn mit 2320 Mark der DDR. Und es waren nicht nur die „Grenzgänger“. Auch alle in die DDR Einreisenden konnten sich von deren Warendecke profitabel bedienen, zumal die Regierung der DDR zur Herbeiführung eines höheren Lebensstandards etliche Preissenkungen beschloss.
 
Abgesehen davon, dass es besonders die Bevölkerung der Hauptstadt der DDR überdrüssig war, gegen Vorlage des Personalausweises einkaufen zu müssen, um den Abkäufen durch Westberliner, die vom Schwindelkurs profitierten und die die Dienstleistungen zum Nachteil der Ostberliner in Anspruch nahmen, entgegenzuwirken, von den „Grenzgängern“ ganz zu schweigen, erkannte sie andererseits zunehmend den immensen volkswirtschaftlichen Schaden, der durch Abwanderung und Abwerbung von Fachkräften entstand. Und immer mehr Bürger waren sich auch der Gefahren bewusst, welche durch subversive Angriffe von Westberliner Seite ausgingen und mit welcher Zielsetzung sie gegen die DDR geführt wurden. So waren große Teile der Bevölkerung - auch der Grenzbevölkerung - von der Notwendigkeit überzeugt, mit ihren Mitteln und Möglichkeiten einen Beitrag zur Sicherung der DDR leisten zu können. So arbeiteten allein im Bereich des Grenzkommandos Mitte (Berlin) 1300 bis 1500 ehrenamtliche Bürger in Grenzsicherheitsaktiven mit. 600 Freiwillige Helfer der Grenztruppen und zirka 3000 Helfer der Deutschen Volkspolizei waren bemüht, die Arbeit der Grenztruppen bzw. der Deutschen Volkspolizei zum Schutz der Staatsgrenze zu unterstützen. Etwa 140.000 Bewohner der Grenzgebiete akzeptierten die hohen Belastungen und Anforderungen, die durch die Nähe der Staatsgrenze für sie entstanden. Großes Verständnis zeigten ganze Wohnbereiche: Sandkrug, Klein-Glienicke, Stolpe-Süd, die sie faktisch selbst sicherten.
 
Stefan Heym mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker einig

 


DieEntwicklung vor dem 13. August 1961, auf die sowohl im „Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer“ als auch in den Gedenkreden bundes-deutscher und Westberliner Politiker aus durchsichtigen Gründen nicht eingegangen wird, veranlassten den lange Zeit auch in der BRD hochge-schätzten DDR-kritischen Schriftsteller Stefan Heym, 1996 in „Ein deutsches Bauwerk – Einführende Bemerkungen eines Reiseführers vor einem Reststück der Mauer“ unter anderem zu schreiben: „Die Anfänge der Mauer liegen demnach in jener Nacht im Januar 1933, als auf der Wilhelmstraße in Berlin SA und SS fackeltragend an ihrem Führer vorbeimarschierten und dieser sie vom Fenster der Reichskanzlei herab mit graziös erhobener Rechten zurückgrüßte. Trumans Bomben auf Hiroshima dann vermittelten den Beteiligten die Botschaft, dass Amerika die im Krieg errungene Überlegenheit für den Rest des 20. Jahrhunderts zu erhalten gedachte, und zum Teufel mit den Ansprüchen anderer; worauf Josef Wissarionowitsch Stalin beschloss, das Vorfeld, das ihm seine Armee erkämpft hatte und das vom Flusse Bug bis zur Elbe reichte - erinnern Sie sich, meine Damen und Herren, an die rote Fahne auf dem Reichstag - fest in der Hand zu behalten.“
 
So, wie Stefan Heym als imaginärer Reiseführer hatte auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1983 in einer Rede im Berliner Reichstagsgebäude ausdrücklich auf die historischen Zusammenhänge hingewiesen, als er erklärte: „Am 30. Januar 1933 brach die Weimarer Republik zusammen. In allernächster Nähe von diesem Platz, an dem wir versammelt sind, leuchtete am Abend des 30. Januar ein Fackelzug den Beginn der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft ein(...) Sie hat unsägliches Leid über viele Millionen unschuldiger Menschen mit sich geführt(...) Sie hat den Gang der Geschichte verändert(...) Wie ein mahnendes Monument steht dieser Reichstag an der Mauer, die bis auf den heutigen Tag Berlin, Deutschland und Europa teilt. Aber es gäbe diese Mauer nicht ohne den 30. Januar 1933!“
 
Und mit Blick auf die vielfältigen Maßnahmen des Westens zur Destabilisierung der DDR meinte „Reiseführer“ Stefan Heym: „Sie sehen also, meine Damen und Herren, dass die Mauer, wie ich Ihnen zum Anfang bereits darlegte, aus der Not geboren war und nicht aus irgendwelcher bösartigen Willkür; sie diente dazu, den real existierenden Sozialismus in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vor dem Zusammenbruch zu bewahren; einen Zusammenbruch, der hier an der Nahtstelle zwischen den beiden Machtblöcken jener von Atomraketen geprägten Zeit mit großer Wahrscheinlichkeit zu kriegerischen Verwicklungen geführt hätte.“ Seine Einschätzung, wonach der Bau der Mauer dazu diente, ein Ausbluten der DDR und damit ihren Zusammenbruch zu verhindern, was zur damaligen Zeit „mit großer Wahrscheinlichkeit zu kriegerischen Verwicklungen geführt“ hätte, wird auch von anderen kompetenten Leuten geteilt. Im Klartext heißt das: Die Alternative zum Mauerbau wäre entweder das militärische Eingreifen der Sowjetunion, ähnlich der bewaffneten Intervention in der CSSR, oder gar ein Krieg gewesen. (PK)

Von Hans Fricke finden Sie in dieser Ausgabe einen weiteren Beitrag zum Thema "Folter - made in USA". 
Bilder und Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.


Online-Flyer Nr. 308  vom 29.06.2011

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE