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Kultur und Wissen
Der Fern-Seher - Folge 17
Dass Fernseh bled macht...
von Ekkes Frank

... hat Mathias Richling behauptet, schon 1983. Ich war die ganze Zeit lebhaft geneigt, dieser These irgendwie zuzustimmen. Seit letztem Freitag ist das anders. Einer Einladung von Freunden folgend habe ich nach längerer Pause mal wieder einen Fernseh-Abend erlebt, von 18 Uhr bis was weiß ich wann. Aber seither weiß ich zumindest das mit Sicherheit: Richling hat nicht Recht, im Gegenteil! Ich muss zugeben, dass Fernseh g´scheit macht. Echt!

Es ging an diesem Freitag, 9. Juni 2006, natürlich, wie mehrere Milliarden Menschen wissen, um die dämlichste Hauptsache der Welt, Fußball also. Schon vor dem Anpfiff "der Begegnung" (wie ich neuerdings in korrektem Sportreporterdeutsch sage) zwischen Deutschland und Costa Rica erfuhr ich, dass ich vollkommen ahnungsloser Dödel zu meinem Glück das ZDF eingeschaltet hatte. Johannes B. Kerner, der Talk-Papst, sowie zwei "ZDF-Experten" (die Frage, was das wohl sein soll, weise ich als dummfrech zurück!!) schmetterten mir die Infos in meine Bildungslücken, dass ich kaum noch zum Luftholen, geschweige denn zum genussvollen Weißweintrinken kam.

Fern-SeherDer Mainzer Fußballtrainer Kopp oder Flopp oder Hopp oder so ähnlich erläuterte die einzig richtige Taktik des kommenden Spiels und erklärte auch geschmerzt grinsend, warum die Taktik von Klinsi, dem deutschen Kaiser, Müntefering und weiteren 60 Millionen deutscher Fußballfachidioten einfach falsch, weil unmodern und ineffektiv, war. Ich erfuhr sodann auch, was ein "Traum-Tor" ist (nein! Das ist nicht z.B. der schlafende Stoiber!), und warum der Schütze desselben, ein Männlein mit dem kontraproduktiven Sportlernamen Lahm ein solches Goal erzielen musste, obwohl er 14 Tage vorher noch nicht einmal im Traum daran gedacht hatte.

In den zahllosen Werbspots dieses Abends wurde mir klar, dass nicht nur alles mit allem zusammenhängt, sondern vor allem alles mit Fußball. Beim Fußpilz und der diesen erfolgreich bekämpfenden Salbe leuchtete mir das gleich ein. Aber auch Autos, Kreditkarten, Speiseeis, Klopapier, Monatsbinden, Sonnenbrillen, Kinderschokolade und Prostata-Bonbons - nichts von alledem hat keinen Bezug zu jenem Spiel, bei welchem angeblich das Eckige ins Runde muss oder vielmehr umgekehrt.

Ich wurde mitgenommen zu den herrlichsten Schauplätzen in Berlin und München, und ich weiß wirklich nicht, wie ich die vier mal 45 Minuten zwischendurch überstanden hätte (es wurde ja auch noch Polen gegen Ecuador übertragen), ohne die sachkundigen Erläuterungen davor, während und danach, mit grafischen Spitzen-Animationen zum Beweis, dass es sich in der 37einhalbten Minute vielleicht um Abseits gehandelt hatte, vielleicht aber auch nicht, dass der Schiedsrichter das pfeifen konnte, aber nicht musste, beziehungsweise hätte pfeifen müssen, es aber nicht können durfte.

Erfüllt und erschlagen kehrte ich gegen Mitternacht in mein ödes, weil Fernseher-loses Heim zurück. Nicht nur, dass ich in diesen paar Stunden mehr als je zuvor über die Welt und was sie im Innersten zusammenhält erfahren habe; ich weiß vor allem, dass ich seit diesem Freitag bis mindestens zum Endspiel - wahrscheinlich aber noch Wochen hinterher - Tag für Tag der Lebenshilfe entraten muss, welche die wirklich wissenden und gebildeten Deutschen (sonst würden sie doch niemals die Millionen kriegen, die sie verdienen) absondern, die Beckmänner und Netzers, die Waldis und Dellings, die Schellings und Hegels für Arme, welche wir andern alle sind ohne sie, weshalb auch ich jetzt, wie gesagt, voll Ehrfurcht lauthals und überzeugt in den Chor einstöhne mit dem Text: Dass Fernseh g´scheit macht.
Aber hallo!!


Unser Fern-Seher
Unser Fern-Seher
Foto: NRhZ-Archiv


Online-Flyer Nr. 48  vom 14.06.2006

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