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Lokales
Der Artikel war seit 2009 im Netz und nun ist er weg. Und warum ist er weg?
Keine Holzhammermethoden in der Kölner ARGE
Von Jochen Lubig

Es war einmal ein KEA-Redakteur (1), der es für nötig hielt, darüber zu berichten, was sich in der Kölner ARGE zugetragen haben sollte. Es ging um eine Sanktion von 100 Prozent für drei Monate für einen jungen Familienvater. Die Sanktion war rechtswidrig und musste nach drei Monaten zurückgezogen werden. Aber da hatte eine Familie mit neugeborenem Kind schon drei Monate Sippenhaft hinter sich, denn es ist klar, wenn einer Person das Geld gestrichen wird, lässt man sie in der Familie nicht verhungern und somit müssen alle den „Gürtel enger schnallen“.
 

Erst Kölner ARGE- und nun
Jobcenter-Boß Müller-Starmann
NRhZ-Archiv
Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Die unrechtmäßige Sanktion wurde für den Mann ausgesprochen. Die Folgen der unrechtmäßigen Sanktion hatten aber natürlich auch seine Frau und das gerade erst geborene Kind zu ertragen. Der Begriff „Sippenhaft“ scheint dafür durchaus angemessen und alle in der ARGE, die solche Sanktionen aussprechen, wissen ganz genau, was sie tun!
 
Der KEA-Redakteur hatte mehrere Gespräche mit dem Betroffenen und seiner Ehefrau geführt, hatte ein Interview aufgezeichnet und er begleitete sogar das Paar zur ARGE, um dafür zu sorgen, dass die rechtswidrige Sanktion zurückgenommen wurde. Kurzum: Er kannte den Fall recht gut und schrieb einen Artikel dazu.
 
Die Entschuldigung
 
Die ARGE schrieb daraufhin sofort einen Brief an die KEAs und entschuldigte sich darin öffentlich für die rechtswidrige Sanktion, für die lange Bearbeitungsdauer des Widerspruchs, für die menschenunwürdige Lage der betroffenen Familie und dafür, dass die verantwortlichen Mitarbeiter immer noch nicht… Aber nein - wir wollen ja kein Märchen erzählen. Also bleiben wir bei der Wahrheit:
 
Der Angriff auf die Pressefreiheit
 
Der Anwalt der ARGE schrieb daraufhin sofort einen Brief an die KEAs. Er verlangte im Auftrag der ARGE, entweder den Namen des Betroffenen zu nennen, oder den Artikel in allen wesentlichen Passagen zu "schwärzen". Zusätzlich sollten über 2.000 Euro gezahlt werden, denn Briefe zu schreiben ist ja mühevoll und die Anwälte der ARGE sollten schon mehr verdienen als „Hartz-IV-er“. Um es kurz zu machen: Selbstverständlich gaben die KEAs ihren Informanten nicht preis, selbstverständlich nahmen sie den Artikel nicht aus dem Netz und selbstverständlich zahlten sie auch keine 2.000 Euro für den gegnerischen Anwalt.
 
Die Klage
 
Die ARGE klagte vor dem Landgericht Köln und bezifferte den Streitwert auf 20.000 Euro. Dies war sicher angemessen, denn die Erfahrung zeigt, dass mit solch hohen Streitwerten der „durchschnittliche“ Prozessgegner oft zum Einlenken gezwungen werden kann. Dummerweise sind die KEAs keine durchschnittlichen Gegner und ließen es darauf ankommen. Hätten sie es nicht getan, wäre es für die ARGE klar gewesen: Jeder missliebige Artikel wäre schon allein durch eine Klageandrohung zu „beseitigen“ gewesen. Ein paradiesischer Zustand für die ARGE!
 
Der Prozess
 
Die ARGE legte im Prozess nur wenige Beweise für ihre Darstellungen vor. Im Kern hieß es lediglich, „unsere Leute machen so etwas nicht“ und ansonsten zitierte sie aus der Sozialakte des Betroffenen, wobei aber wichtige Stellen weggelassen wurden. So wurde z.B. der Widerspruch des Betroffenen nicht erwähnt. Vielleicht weil die Widerspruchsbegründung die Angaben im Artikel bestätigte? Stattdessen wurden Zeugen der ARGE gehört, die den Betroffenen teilweise gar nicht kannten und ihre Aussagen lediglich auf Grundlage der Angaben in der Akte machen konnten.
 
Die Hauptzeugin der ARGE wurde seltsamerweise erst sehr spät eingeführt. Angeblich wusste man nicht, wer die Sachbearbeiterin war. Man kannte zwar angeblich den Fall genau, man kannte die Vorgesetzten, aber nicht die Sachbearbeiterin. Wollte man die eigentliche Zeugin aus dem Prozess heraus halten? War man sich ihrer nicht sicher? Hatte man Angst vor ihrer Aussage?
 
Wie auch immer, irgendwann musste sie dennoch benannt werden und sagte bei der Verhandlung auch aus. Das heißt, sie sagte weniger aus, zitierte viel mehr aus der Sozialakte. Aber diese Akte war wohl nicht ihre einzige Quelle. Auf Nachfrage der vorsitzenden Richterin musste sie zugeben, „etwas gelesen zu haben“. Dieses Etwas, so schien die Vorsitzende zu vermuten, waren möglicherweise Informationen, die nur beim Gericht und bei den beiden Parteien vorhanden waren.
 
Es gibt drei Akten. Eine Prozessakte beim Gericht und je eine anwaltliche Akte bei den Vertretern der Parteien. Das Gericht gibt selbstverständlich keine Teile aus der Akte an Zeugen weiter. Der Anwalt der ARGE tut dies auch nicht, denn sonst hätte er es nicht so energisch bestritten. Also hat wohl der Anwalt der KEAs seine Akte an die Zeugin der ARGE weitergegeben. Ob die KEAs sich einen neuen Anwalt suchen sollen?
 
Trotz aller Widersprüche im Prozess, trotz aller formaler Bedenken bezüglich der Klagefähigkeit der ARGE, trotz aller Beweise der KEAs: Das Landgericht Köln gab der ARGE zu 80 Prozent Recht. Das bedeutete, dass die KEAs 80 Prozent der Kosten zu tragen gehabt hätten und der Artikel weitgehend „geschwärzt“ werden müsste.
 
Die Berufung
 
Die KEAs legten Berufung ein. Nun beschäftigte sich das Oberlandesgericht Köln mit dem Fall, las anscheinend die Akten, die Gesetzbücher und die einschlägigen Grundsatzurteile und kam zu dem Schluss, dass mindestens zwei Gründe vom Landgericht nicht beachtet worden waren und inzwischen noch ein weiterer Grund dazu gekommen war:
 
1. Unbestimmtheit des Antrags
Der gegnerische Anwalt formulierte seinen Antrag zu unklar. (Hier geht es ein wenig ins juristische Eingemachte, nur soviel: Es war nicht genau klar, was die KEAs nun schreiben durften und was nicht. Das hätte er besser machen sollen!)
 
2. Fehlende Aktivlegitimation (I)
Die ARGE hatte gar kein Recht zu klagen. Es hätte entweder die Stadt Köln oder die Arbeitsagentur Köln (das sind die Träger der ARGE) klagen müssen. Wer von Beiden, wäre noch zu klären gewesen.
 
3. Fehlende Aktivlegitimation (II)
Die ARGE Köln gibt es seit dem 1.1.2011 nicht mehr. Zwar besteht kein Grund, deshalb eine Gedenkminute einzulegen, denn das Jobcenter hat nun die Rechtsnachfolge angetreten. Aber es besteht Grund, genauer hinzusehen. Rechtsnachfolgen können sich nur auf materielle Rechte und Pflichten beziehen und nicht auf alles, was in Richtung Ehrenschutz geht. Unterlassungsansprüche bezüglich Artikeln, bei denen man sich „auf den Schlips getreten fühlt“ (Originalton des vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht) gehen genau in diese Richtung. Zwar versuchte der ein wenig glücklose gegnerische Anwalt, etwas in der Art „es gehe nicht um Ehrenschutz, sondern um die Funktionsfähigkeit der Behörde, welche durch den Artikel beeinträchtigt ist“ zu konstruieren, aber niemand ging darauf ein.
 
Die Ehre der ARGE...
 
... war natürlich angeknackst. Da berichteten die KEAs über eine Sanktion, die nach ihren Erkenntnissen in einer so menschenverachtenden Weise zustande kam, dass man es kaum fassen kann. Wenn das so zutrifft (was die ARGE bestreitet), dann wäre der bei den Erwerbslosen wie bei den Trägern gleich beliebte Geschäftsführer der damaligen ARGE und des heutigen Jobcenters im Grunde nur noch zu entlassen, zumindest dann, wenn seine einzige Reaktion darin besteht, die Kritiker mundtot zu machen, anstatt die Missstände zu beseitigen. Doch der Geschäftsführer.wurde nicht entlassen und ist noch im Amt.
 
Der Prozess ging so aus:
 
1. Die KEAs nehmen den Artikel aus ihrem Internetauftritt heraus. Wer ihn lesen wollte, hatte allerdings seit 2009 Gelegenheit dazu. Nun kann man ihn bei den KEAs nicht mehr lesen, denn die KEAs werden ihn nicht mehr herausgeben (Anfragen zwecklos!).
2. Das Jobcenter übernimmt die Gerichtskosten und stellt keine weiteren Ansprüche an die KEAs.
3. Alles bleibt ansonsten, wie es ist. Das Jobcenter wendet das Sozialgesetzbuch weiter äußerst korrekt an, die Leistungsberechtigten sind mit ihrem Jobcenter fast so zufrieden wie die Fahrgäste mit der KVB, die Leitung des Jobcenters regiert milde und weise, und Stadt und Arbeitsagentur wissen von nichts und waschen ihre Hände in Unschuld.
Und wenn sie nicht gestorben sind...(PK)
 
(1) Die KEAs e.V = Kölner Erwerbslose in Aktion - http://www.die-keas.org
 
Jochen Lubig ist KEA-Mitglied und als Redakteur für die Online-Ausgabe des Kölner Erwerbslosen-Anzeiger verantwortlich  


Online-Flyer Nr. 305  vom 08.06.2011

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