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Inland
Ziel des jüngsten Besuchs von Merkel, Ministern und Unternehmern in Asien:
Offensiven gegen China vorbereiten
Von Hans Georg

Mit ihrer vom 31. Mai bis Anfang Juni dauernden Südostasien-Reise und  deutsch-indischen Regierungskonsultationen wollte Angela Merkel den Aufbau eines Bündnissystems gegen das aufsteigende China voran treiben. Das Treffen solle die schon bestehende "strategische Partnerschaft" zwischen Deutschland und Indien stärken, wurde der deutsche Botschafter in New Delhi zitiert. Regierungskonsultationen führte Berlin bislang nur mit europäischen Staaten und Israel. Bei den aktuellen Gesprächen stand der Ausbau von Wirtschafts- und militärischen Beziehungen im Vordergrund. Geschäfte in Indien verhießen rekordträchtige Gewinne, warben die zuständigen Organisationen der Berliner Außenwirtschaftspolitik. Tatsächlich sollen Konzernaktivitäten die Einflussarbeit Berlins in vor allem in Indien unterfüttern. Hintergrund ist aber auch die Absicht, dort die traditionellen indisch-chinesischen Rivalitäten zu nutzen, um den Aufstieg Chinas mit Hilfe einer Gegenmacht aus Asien zu bremsen.


Angela Merkel bei ihrem ersten Indienbesuch 2007 - noch ganz nah beim Volk
Quelle: www.bundeskanzlerin.de/ Foto: Kugler
 
Zu diesem Zweck treibt die Bundesregierung auch die Aufrüstung Indiens voran: In New Delhi warb die deutsche Kanzlerin für den Verkauf von Kampffliegern vom Typ Eurofighter. Indien soll mehr als 120 Stück für zwölf Milliarden US-Dollar erwerben. Die deutschen Kooperationspläne werden von der EU unterstützt, die bald ein Freihandelsabkommen mit Indien abschließen will - und zuletzt eine Erklärung über gemeinsame Marineaktivitäten im Indischen Ozean unterzeichnet hat.
 
Ein Meilenstein
 
An Regierungskonsultationen nahmen - neben der trotz Flugproblemen über der Türkei rechtzeitig angekommenen Bundeskanzlerin - die Bundesminister für Verteidigung, für Inneres, für Verkehr sowie für Bildung teil. Bereits einen Tag vorher war der deutsche Außenminister zu vorbereitenden Gesprächen in New Delhi eingetroffen. Der deutsche Botschafter in Indien stufte die neuen Regierungskonsultationen als einen "Meilenstein in der Zusammenarbeit der beiden Länder" ein.[1] In der deutschen Delegation, die laut Berichten 175 Personen umfasste, waren zahlreiche Unternehmer vertreten. So behauptet etwa der Hauptgeschäftsführer der zuständigen Außenhandelskammer: "Deutsche Investoren sind so überzeugt wie nie zuvor, dass Indien sich weiter auf einem nachhaltigen und schnellen Wachstumspfad befindet".[2] In der Tat ist die indische Wirtschaft zur Zeit von einem starken Aufschwung geprägt; auch der deutsch-indische Handel steigt rapide an. Im nächsten Jahr soll er laut den Plänen der Bundesregierung ein Volumen von 20 Milliarden Euro erreichen. Weitere deutsche Direktinvestitionen in Indien werden ebenfalls angestrebt.
 
Zwei zu acht
 
Dem aktuellen Anstieg des deutschen Indien-Geschäfts gingen langjährige politische Bemühungen voraus. Noch im Jahr 2003 belief sich der bilaterale Warentausch auf ein Volumen von gerade fünf Milliarden Euro. Indienreisen zahlreicher Minister aus Bundes- und Landesregierungen, die darauf angelegt waren, den Handel in Gang zu bringen, erzielten nur mäßigen Erfolg. Erst in jüngster Zeit gelang der Durchbruch; vergangenes Jahr überstieg der deutsch-indische Außenhandel erstmals 15 Milliarden Euro. Damit liegt er aber immer noch weit hinter dem Austausch zwischen Deutschland und dem viel kleineren Südkorea und bleibt uneinholbar hinter dem eigentlichen asiatischen Rivalen zurück: Der Handel zwischen Deutschland und China belief sich 2010 auf mehr als 130 Milliarden Euro - bei weiter rapide steigender Tendenz. Das Verhältnis entspricht dem Unterschied zwischen der ökonomischen Entwicklung Indiens und Chinas. Während die Volksrepublik seit den 1980er Jahren "ungefähr eine Verachtfachung der Pro-Kopf-Einkommen" verzeichnen könne, "gab es in Indien kaum mehr als eine Verdoppelung", resümiert ein Experte. Indien stelle darüber hinaus "höchstens 10 Millionen Arbeitsplätze in exportorientierten Industrien zur Verfügung" - in China "sind es ungefähr 100 Millionen mehr".[3] Mit symbolischem Unterton erklärt der Wirtschaftswissenschaftler: "Indiens Autobahnen sind meist in der Planung, in China rollt darauf der Verkehr."
 
Vom Rivalen zum Feind
 
Der Rückstand Indiens läuft deutschen Interessen zuwider, weil Berlin das Land als asiatische Gegenmacht zum weiterhin aufsteigenden China zu nutzen sucht. Indien und China sind traditionell Rivalen im Kampf um Einfluss in Asien. Territorialkonflikte zwischen den beiden Ländern um das Gebiet Arunachal Pradesh, die 1962 sogar in einen Krieg mündeten, sind bis heute nicht endgültig beigelegt. Die Entspannung zwischen New Delhi und Beijing, die sich in den vergangenen Jahren abzeichnete, scheint mittlerweile neuen Rivalitäten zu weichen. Während China aus einer Position der Stärke um wirtschaftliche Zusammenarbeit wirbt, kollidieren die Interessen der beiden Staaten unter anderem im Indischen Ozean. Dort sichert sich Beijing zur Absicherung seines Handels eine Kette von Hafenstützpunkten ("Strategie der Perlenkette" [4]), was New Delhi als Einmischung in sein angestammtes Hegemonialgebiet ansieht. Die indischen Eliten begriffen den Aufstieg Chinas als Bedrohung, heißt es in Berichten: "Immer mehr indische Politiker und Militärs sprechen (…) nicht mehr von China als Rivalen, sondern als Feind."[5]
 
Im Indischen Ozean
 
Berlin und die EU nutzen die Spannungen zwischen den beiden asiatischen Mächten, um Indien gegen China in Stellung zu bringen. Die Bundesregierung hat New Delhi zu ihrem "strategischen Partner" ernannt und mit einer Reihe von Kooperationserklärungen die beiderseitigen Beziehungen zu stärken versucht (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Diese Linie wird nun fortgesetzt. Auch die EU führt New Delhi als "strategischen Partner". Um die Wirtschaftsbeziehungen zu stärken, verhandelt sie seit mehreren Jahren über ein Freihandelsabkommen, das noch im laufenden Jahr verabschiedet werden und den beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen einen massiven Aufschwung verschaffen soll. Im Dezember 2010 haben die EU und Indien darüber hinaus auf ihrem regelmäßig abgehaltenen Gipfeltreffen verschiedene Erklärungen unterzeichnet, die ebenfalls die Kooperation intensivieren sollen, darunter auch eine Erklärung über die Zusammenarbeit bei der sogenannten Terrorismusbekämpfung. Damit werden umfassendere Beziehungen zwischen den Repressionsapparaten beider Seiten angebahnt. Zudem enthält die gemeinsame Abschlusserklärung des europäisch-indischen Gipfeltreffens die Zusage, "Dialog und Kooperation" im Bereich "Sicherheit und Verteidigung" voranzutreiben. Das beziehe sich, heißt es, nicht zuletzt auf gemeinsame "Marineoperationen zur Bekämpfung von Piraterie".[7] Wie die EU-Botschafterin in Indien bestätigt, beschränkt sich dies keinesfalls auf abgestimmte Aktivitäten am Horn von Afrika. Die künftige Kooperation betreffe vielmehr "die Bekämpfung der Seeräuberei im Indischen Ozean, über die somalischen Gewässer hinaus."[8]
 
Eurofighter
 
Die geplante Marinekooperation zwischen der EU und Indien ergänzt den Ausbau der Militär- und der Rüstungskooperation, den Berlin schon seit geraumer Zeit vorantreibt. Bereits im September 2006 hatten die Verteidigungsminister Deutschlands und Indiens vereinbart, einen "strategischen Dialog" zu initiieren und zu diesem Zweck einen jährlich zu militärpolitischen Themen tagenden Ausschuss einzurichten. Zuletzt hatte der deutsche Verteidigungsminister im Februar New Delhi besucht und dort mit seinem indischen Amtskollegen konferiert. Gegenstand der Gespräche war unter anderem das deutsche Ansinnen, Indien solle 126 Eurofighter im Wert von ungefähr zwölf Milliarden Euro kaufen. Dafür setzte sich auch die deutsche Kanzlerin in New Delhi ein. Konkurrent ist der französische Rüstungskonzern Dassault mit seinem Kampfflugzeug Rafale. Die Bundesrepublik hat die Ausfuhr von Kriegsgerät nach Indien, das in den letzten fünf Jahren der bedeutendste Käufer von Kriegsgerät auf dem Weltmarkt war, allerdings schon in den vergangenen Jahren deutlich gesteigert. Das Volumen der deutschen Rüstungsexporte nach Indien belief sich offiziellen Angaben zufolge zuletzt gewöhnlich auf Jahreswerte von rund 100 Millionen Euro. Das Kriegsgerät kommt dem traditionellen Rivalen Chinas, des Hauptgegners der westlichen Welt, zugute - nicht trotz, sondern wegen der zunehmenden Spannungen zwischen New Delhi und Beijing.
 
Mit neuen "Rohstoffpartnerschaften" sucht sich Berlin den privilegierten Zugriff auf die Ressourcen Zentralasiens zu sichern. Erstes Ziel ist Kasachstan, mit dessen Führung die Bundesregierung bereits eine entsprechende Vereinbarung auf den Weg gebracht hat. Kasachstan verfügt über umfangreiche Ressourcen, darunter Seltene Erden, die für die Herstellung vieler Hightech-Produkte unverzichtbar sind. Die "Rohstoffpartnerschaft" soll helfen, deutschen Unternehmen beim Zugriff darauf Vorteile gegenüber der Konkurrenz auch aus China zu sichern. Chinas ökonomisches und politisches Gewicht in Kasachstan hat in der Zeit der Wirtschaftskrise deutlich zugenommen - und Konzerne aus der Volksrepublik sind ebenfalls an kasachischen Rohstoffen interessiert. Wie es in Berlin heißt, denke man darüber nach, "Rohstoffpartnerschaften" auch mit weiteren Ressourcenstaaten zu etablieren, darunter etwa die Mongolei. Auch hier stehen deutsche Unternehmen in Konkurrenz zu chinesischen Firmen.
 
Gäste der Deutschen Bank
 
Wie das Wirtschaftsministerium berichtet, haben Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler und der kasachische Industrieminister im Mai ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, das in die genannte "Rohstoffpartnerschaft" münden soll. Intensive Vorarbeit hatten der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft geleistet. Zuletzt war Mitte April eine Delegation aus Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums und Unternehmensvertretern in die kasachische Hauptstadt Astana gereist und hatte dort ausführliche Gespräche geführt. Dabei standen die sogenannten Seltenen Erden und die Elemente Wolfram und Tantal im Mittelpunkt, die für die Herstellung zahlreicher Hightech-Produkte benötigt werden. Kasachstan verfügt über große Vorräte. Die Gespräche wurden auf einem Wirtschaftsforum in der Berliner Zentrale der Deutschen Bank fortgesetzt; zu Gast waren auch die beiden Minister, die das Memorandum of Understanding unterzeichneten. Die Deutsche Bank entsendet Vertreter in die Gremien mehrerer kasachischer Wirtschaftsinstitutionen, darunter die staatliche Development Bank of Kazakhstan.
 
Entwicklungshilfe
 
Den exklusiven Zugriff auf die kasachischen Ressourcen sichert sich Berlin mit ebenso exklusiven Zugeständnissen an Astana. Dabei geht es vor allem um einen umfangreichen Technologietransfer. Man strebe den "Aufbau von Industrieclustern einschließlich der Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten" an, heißt es im Bundeswirtschaftsministerium.[9] In Astana ist präzisierend zu hören: "Dazu ist die deutsche Industrie anders als die Amerikaner und Franzosen bereit".[10] Die Zugeständnisse ergänzen bisherige Fördermaßnahmen, die ebenfalls exklusive Beziehungen in das kasachische Establishment sichern sollen, insbesondere das "Managerfortbildungsprogramm", mit dem das Referat EB6 des Bundeswirtschaftsministeriums bis Ende 2010 beinahe 300 Manager aus Kasachstan kontaktförderlich ausgebildet hat. Koordiniert wird das Programm von der staatlichen Entwicklungsagentur GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit). Außerdem sind in Kasachstan diverse Experten des Centrums für Internationale Migration und Entwicklung (CIM) tätig, die dort vor allem mit der "Wirtschaftsreform" befasst sind. "Eine Zusammenarbeit mit der deutschen Wirtschaft im Rahmen von Public Private Partnerships", schreibt das CIM über seine Arbeit, "gewinnt hierbei zunehmend an Bedeutung."[11]
 
Öl und Gas
 
Neben den Seltenen Erden und weiteren wichtigen Elementen hat Berlin in Kasachstan vor allem Energierohstoffe im Visier. Kasachstan verfügt insbesondere über Erdöl; es besitzt die achtgrößten Erdölreserven weltweit. Inzwischen ist es zum viertgrößten Öllieferanten der Bundesrepublik nach Russland, Großbritannien und Norwegen aufgestiegen und wird weiter an Bedeutung gewinnen: Zumindest die britischen Reserven sind bald aufgebraucht, die norwegischen dürften mittelfristig ebenfalls zur Neige gehen. Zudem liegen umfangreiche Erdgasvorräte in Kasachstan. Der deutsche RWE-Konzern hat im September 2008 eine "Energiepartnerschaft" mit Astana vereinbart, die unter anderem Erdgasprojekte beinhaltet.[12] Auch die BASF-Tochter Wintershall ist in Kasachstan aktiv. Überlegungen, die geplante Nabucco-Pipeline, die Erdgas aus Zentralasien nach Europa leiten soll, auch mit kasachischem Erdgas zu befüllen, werden seit Jahren immer wieder diskutiert. Nabucco soll helfen, die Abhängigkeit Berlins und der EU von russischem und von via Russland geliefertem Erdgas zu verringern. An dem Projekt ist RWE beteiligt.[13]
 
Chinas Durchbruch
 
Beobachter weisen allerdings schon seit Jahren darauf hin, dass vor allem China seine Stellung in Kasachstan stärkt. Während Berlin und der Westen seit Jahren mit großem Getöse über "Nabucco" verhandeln, hat die Volksrepublik schon längst den Bau einer Erdöl- sowie einer Erdgaspipeline initiiert, die jeweils kasachische Ressourcen ins westchinesische Xinjiang leiten. Bereits im Jahr 2007 kontrollierten chinesische Konzerne rund 16,8 Prozent des in Kasachstan geförderten Erdöls. 2008 stieg der Betrag auf 18,6 Prozent. Nach dem Kauf des Konzerns MangystauMunaiGaz durch die chinesische China National Petroleum Corporation (CNPC) befanden sich Ende 2009 rund 27 Prozent des geförderten kasachischen Öls unter chinesischer Kontrolle. Der Durchbruch sei China während der Wirtschaftskrise gelungen, urteilen Beobachter. "In der Führung des Landes" habe "lange Zeit das inoffizielle Übereinkommen" bestanden, "unter verschiedenen Vorwänden das chinesische Eindringen in strategisch wichtige Sektoren der kasachischen Wirtschaft, vor allem in den Energiesektor, aufzuhalten."[14] Während der Krise sei das nicht länger möglich gewesen. Die chinesische Position in der kasachischen Rohstoffbranche habe sich daher deutlich verstärkt.
 
Führer der Nation
 
Um die eigene Stellung in Kasachstan gegenüber China zu behaupten, ist Berlin keineswegs nur zu technologischen Zugeständnissen im Rahmen der angestrebten "Rohstoffpartnerschaft" bereit. Dass Kasachstan im Jahr 2010 den Vorsitz in der OSZE übernehmen konnte, verdankt es maßgeblich der Bundesrepublik. Noch 2009 galt der bevorstehende kasachische OSZE-Vorsitz weltweit als höchst umstritten - wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Organe Kasachstans und wegen eklatanter Verstöße gegen die Regeln der parlamentarischen Demokratie. Gegen erheblichen Widerstand etwa aus Washington und London gelang es Berlin, Kasachstans OSZE-Präsidentschaft durchzusetzen. Staatspräsident Nursultan Nasarbajew quittierte dies damit, dass er sich noch 2010 zum nicht abwählbaren "Führer der Nation" erklären ließ; damit erhielt er lebenslänglich Immunität gegenüber jeglicher strafrechtlichen Verfolgung. Anfang April 2011 wurde er mit über 95 Prozent der abgegebenen Stimmen im Präsidentenamt bestätigt.
 
Gegen China
 
Kritiker erinnert die Unterstützung, die Nasarbajew aus Deutschland erhält, an die Berliner Beihilfe für den Staatspräsidenten Usbekistans, die die Bundesregierung in den vergangenen Jahren ebenfalls gegen entschiedenen Widerstand aus anderen westlichen Staaten leistete (german-foreign-policy.com berichtete [15]). Hintergrund ist auch in diesen beiden Fällen das deutsche Bestreben, sich in Zentralasien festzusetzen und die Kontrolle über die Region sowie den Zugriff auf ihre Ressourcen für sich und den Westen zu reklamieren - gegen China.
 
Stützpunkt in Südostasien
 
Auch mit Hilfe des kleinen Stadtstaates Singapur sucht Berlin seinen Einfluss in den südostasiatischen Nachbarländern Chinas zu stärken. Wie es anlässlich des aktuellen Besuchs der Bundeskanzlerin hieß, sollen nicht nur die Geschäftsbeziehungen deutscher Unternehmen nach Singapur weiter ausgebaut werden. Man wolle künftig auch mit den anderen Ländern des südostasiatischen Staatenbündnisses ASEAN enger kooperieren. Dabei soll Singapur, dessen Eliten ihren Wohlstand der Zusammenarbeit mit westlichen Konzernen und Regierungen verdanken, helfen. Der Stadtstaat verhandelt seit 2010 mit der EU über ein Freihandelsabkommen und dient sich Brüssel damit als Einfallstor auch in schwächere ASEAN-Länder an.
 
Der Stadtstaat Singapur ist zwar das mit erheblichem Abstand kleinste Land des südostasiatischen Staatenbündnisses ASEAN.[16] Dennoch kommt ihm aus westlicher Sicht eine herausragende Rolle zu. Singapur, im Jahr 1819 als britischer Handelsstützpunkt gegründet, fungiert noch heute als Drehscheibe westlicher Firmen für die Geschäfte in Südostasien. So wurde etwa im Jahr 2010 beinahe die Hälfte der ausländischen Direktinvestitionen innerhalb ASEANs in Singapur getätigt. Die Direktinvestitionen in Singapur wiederum stammten zu weit über 80 Prozent aus Nicht-ASEAN-Staaten. Vom Gesamtbestand an ausländischen Direktinvestitionen in Singapur stellten 2008 allein niederländische, britische und US-amerikanische Firmen jeweils etwas über zehn Prozent. Ähnlich gestaltet sich der Außenhandel - auch hier sind die Vereinigten Staaten und die EU stark vertreten. Deutsche Unternehmen machen keine Ausnahme: Sie haben bislang rund acht Milliarden Euro in Singapur investiert - doppelt so viel wie im riesigen Indien -, sind mit rund 1.200 Niederlassungen dort vertreten und haben den bilateralen Außenhandel auf mehr als zehn Milliarden Euro gesteigert. Auch aus Sicht Berlins ist Singapur damit unter den ASEAN-Staaten mit klarem Abstand der Kooperationspartner Nummer eins.
 
Großinvestitionen
 
Aus Anlass des Besuches der deutschen Kanzlerin wurden entsprechend mehrere neue Großinvestitionen deutscher Konzerne in Singapur bekannt. So unterzeichnete der Vorstandsvorsitzende des Chemiekonzerns Lanxess aus Leverkusen einen Vertrag zum Bau einer neuen Kautschukfabrik in Singapur. Der Wert des Vorhabens beläuft sich auf rund 200 Millionen Euro. Schon 2010 hatte Lanxess den Grundstein für ein weiteres Kautschukwerk in Singapur gelegt; dessen Wert beläuft sich auf 400 Millionen Euro. Wie es heißt, will der deutsche Halbleiterhersteller Infineon ebenfalls in den nächsten Jahren etwa 200 Millionen Euro investieren; damit sollen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten aufgebaut werden. Singapur will in großem Maßstab Forschung und Entwicklung fördern; an den entsprechenden Fördervorhaben können auch ausländische Unternehmen partizipieren. Bereits jetzt sind deutsche Forschungseinrichtungen, aber auch Forschungsabteilungen von Konzernen in Singapur gut vertreten.
 
Freihandel
 
In der Kooperation zwischen der EU und ASEAN gebe es "noch ein großes Potenzial zu entwickeln", erklärte die Bundeskanzlerin bei ihrem Aufenthalt in Singapur.[17] Die Äußerung bezieht sich unter anderem auf das Vorhaben, durch ein EU-ASEAN-Freihandelsabkommen die südostasiatischen Märkte umfassend für die Produkte europäischer Unternehmen zu öffnen. Brüssel hatte im Jahr 2007 Verhandlungen über ein solches Abkommen eingeleitet, musste sie jedoch bereits 2009 beenden - ASEAN befürchtete nachteilige Auswirkungen auf die eigene Wirtschaft und verweigerte sich dem europäischen Vorhaben. Wenig später beschloss Brüssel, es mit der Spaltung des südostasiatischen Staatenbündnisses zu versuchen und Freihandelsgespräche mit einzelnen Staaten aufzunehmen. Der Plan hatte Erfolg: Anfang 2010 konnten entsprechende Verhandlungen zwischen der EU und Singapur aufgenommen werden. Man sei in Berlin "optimistisch, dass die Verhandlungen rasch abgeschlossen werden können", ließ sich der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsminister, Hans-Joachim Otto, zitieren: "Das Ergebnis wird eine positive Signalwirkung für die gesamte Region entfalten." Hinter Ottos Formulierung verbirgt sich die Tatsache, dass der EU via Singapur ein Einbruch in die ASEAN-Wirtschaft gelingt, der die ökonomischen Schutzmechanismen anderer ASEAN-Staaten zum Einsturz bringen und tatsächlich ein EU-ASEAN-Freihandelsabkommen erzwingen kann.
 
An der Seite des Westens
 
Die ASEAN-Staaten sind für die Bundesrepublik nicht nur ökonomisch interessant - als Standort für Auslandsinvestitionen und als Handelspartner -, sondern auch von geostrategischer Bedeutung. Sie bilden das unmittelbare südöstliche Umfeld der Volksrepublik China, deren ökonomischer Einfluss dort seit Jahren kontinuierlich wächst. China hat 2010 ein Freihandelsabkommen mit ASEAN geschlossen, das die ökonomische Kooperation weiter vertiefen soll. Auch hier dringt Berlin schon seit Jahren darauf, umfassend aktiv zu werden, um die chinesische Stellung zu schwächen und eine eigene Position im unmittelbaren Umfeld des großen Rivalen aufzubauen. So warnte die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) etwa im Jahr 2005, zumindest einige Staaten Südostasiens drohten zu "Chinas Hoflieferanten" herabzusinken.[18] Zwei Jahre später lieferte der Außenminister Singapurs bei einer Rede vor Wirtschaftsvertretern in Hamburg ein Echo: Die europäischen Staaten, forderte er, müssten in den ASEAN-Ländern größere Aktivitäten entfalten, um sie gegen den schnell wachsenden chinesischen Einfluss zu stützen.[19] Während es in einigen ASEAN-Staaten als günstig betrachtet wird, sich an China anzulehnen - so vor allem in Myanmar -, stehen die Eliten Singapurs fest an der Seite des Westens. Sie fahren gut damit: Während die Armut im Land insgesamt deutlich zunimmt, verfügen 15,5 Prozent der Bevölkerung über ein Vermögen von mindestens einer Million US-Dollar - mehr als in jedem anderen Staat der Welt.
 
Marineschiffe und Panzer
 
Dass Singapur in den Konzeptionen Berlins nicht nur als ökonomischer, sondern auch als politisch-militärischer Stützpunkt in Südostasien fungiert, zeigt die Tatsache, dass Rüstungskonzerne aus der Bundesrepublik den Stadtstaat systematisch bewaffnen. Dass die größeren Schiffe der Kriegsmarine gewöhnlich deutscher Bauart sind - sie wurden entweder in der Bundesrepublik oder in Singapur in Lizenz gefertigt -, mag man noch damit erklären, dass Singapur an einer der wichtigsten, aber auch stark durch Piraterie gefährdeten Seehandelsstraße liegt, an der Straße von Malakka. Dass Singapur aber rund 100 deutsche Panzer Leopard 2A4 benötigen soll - es hat sie inklusive Einweisung durch die Bundeswehr erhalten [20] -, leuchtet aufgrund der geringen Größe des Stadtstaates weniger ein.
 
Inzwischen hat außerdem der deutsche Leopard-Hersteller Kraus-Maffei Wegmann eine Filiale in Singapur etabliert. Die deutschen Rüstungsausfuhren nach Singapur erreichten 2005 und 2007 je einen Wert von mehr als 120 Millionen Euro, sprangen 2008 auf 350 Millionen und betrugen 2009 immer noch 165 Millionen. Die Bundesrepublik und Singapur seien nicht nur "treibende Kräfte" in ihren jeweiligen Bündnissen (EU, ASEAN), sondern auch "natürliche Partner" für die "Sicherheit im militärischen Bereich", hatte der deutsche Verteidigungsminister im Jahr 2007 erklärt.[21] Dem ist heute mit Blick auf die singapurischen Eliten nichts hinzuzufügen, die von ihrer Kooperation mit dem Westen bei gleichzeitiger Frontstellung gegenüber China erheblich profitieren. (PK)
 
[1], [2] Indien wird Chefsache; www.handelsblatt.com 29.05.2011
[3] Erich Weede: Es ist die Demographie, Dummkopf! www.faz.net 23.05.2011
[4] s. dazu Am Indischen Ozean
[5] Ernüchterung nach Wens Besuch in Indien; www.nzz.ch 18.12.2010
[6] s. dazu Chinas Gegenspieler
[7] EU-India Summit Joint Statement. Brussels, 10 December 2010
[8] EU - Indien: Freihandelsabkommen in Sicht; www.arte.tv 13.04.2011
[9] Rösler: "Rohstoffversorgung langfristig sichern"; www.bmwi.de 24.05.2011
[10] Kasachstan wird Rohstoffpartner; Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.05.2011
[11] Kasachstan; www.cimonline.de
[12] s. dazu Südlicher Korridor
[13] s. dazu Unzuverlässige Verbündete (II) und Diktator für Deutschland
[14] Adil Kaukenow: Fortschritte in Zeiten der Krise, Zentralasien-Analysen 22/2009, 30.10.2009
[15] s. dazu Prioritäten der EU, Unzuverlässige Verbündete (II) und Diktator für Deutschland 
[16] ASEAN ("Association of Southeast Asian Nations") gehören Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam an.
[17] Pressestatement von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich ihres Besuchs in der Republik Singapur; 01.06.2011
[18] s. dazu "Chinas Hoflieferanten"
[19] Speech by George Yeo, Minister for Foreign Affairs, at the OAV Liebesmahl Dinner at 10pm on 13 March 2007 in Hamburg
[20], [21] s. dazu Treibende Kraft
 
Diesen Artikel haben wir aus einer aktuellen Serie von www.german-foreign-policy.com zusammengestellt. 


Online-Flyer Nr. 305  vom 08.06.2011

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