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Atom-Merkel zum Jagen getragen - Ausstieg aber trotzdem erst bis 2022 geplant
Proteste in Bonn und 20 weiteren Städten
Von Hans-Dieter Hey

Manche Menschen muss man eben zum Jagen tragen. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist wohl ein solcher Fall. Am Samstag machten bundesweit 160.000 Atomkraftgegner deutlich, wie sie sich den Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland vorstellen. Hinter ihnen stehen 52 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger. 8.000 kamen auch zum Protest nach Bonn. Doch nun soll der Ausstieg erst bis 2022 kommen, bestimmte die schwarz-gelbe Bundesregierung an diesem Wochenende. Fotos aus Bonn von Herbert Sauerwein und Manfred Bauer.
 

Auftakt vor dem Umweltministerium in Bonn (HS)

Atom-Eiertanz
 
Seit dem Reaktorunfall in Fukushima am 11. März war Merkels beliebtes Abtauchen bei wichtigen Fragen politisch nicht mehr hilfreich. Im Herbst 2010 hatte die schwarz-gelbe Koalition die Verlängerung der Laufzeiten von Atommeilern bis zum Jahr 2036 noch tapfer gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchgesetzt. Und noch im Februar 2011 widersprach sie Umweltminister Norbert Röttgen, der „fest“ von einem Atomausstieg immerhin bis zum Jahr 2030 ausging.


Aufforderung an das Umweltministerium (MB)

Durch derlei Hin und Her war das Vertrauen in der Bevölkerung arg strapaziert worden. Zuletzt, vergangenen Freitag, hielten nach dem ZDF-Politbarometer selbst 40 Prozent der CDU/CSU-Anhänger den Atomausstieg der Koalition nicht für glaubwürdig. Insgesamt bezweifeln dies 61 Prozent. Auch während des G8-Treffens hätte es Angela Merkel gut zu Gesicht gestanden, für den deutschen Atomausstieg ordentlich die Werbetrommel zu rühren. Doch „Bundeskanzlerin Merkel hält sich mit Werbung für den Ausstieg zurück“, titelte die „Mittelbayrische“ am 26. Mai.


Vor dem Umweltministerium (MB)

Zweifel am schnellen Ausstieg kamen auch von manchen Länderchefs. Wie Spiegel-online am 28. Mai berichtete, argumentieren die Ministerpräsidentin der rot-grünen Landesregierung in NRW, Hannelore Kraft, und Ministerpräsident Volker Bouffier aus Hessen ähnlich wie die FDP gegen einen schnellen Ausstieg. "Unsere Politik darf nicht so daherkommen, als hätten wir jetzt endlich auch eingesehen, was die Grünen schon immer wollten“, so Bouffier.

Demonstrationszug zur Kennedy-Brücke (HS)


Demonstrationszug zur Kennedy-Brücke (HS)

Zum Jagen getragen wurde Merkel allerdings auch ein bißchen durch die „Ethik-Kommission“ unter dem ehemaligen Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit(!) in der von Bundeskanzler Helmut Kohl geführten Bundesregierung, die einen Ausstieg bis 2021/2022“, also früher als Röttgen, für machbar hielt. Und schließlich musste auch CSU-Chef Horst Seehofer mit ins Ausstiegsboot steigen, um nicht mit der FDP in den politischen Abgrund gezogen zu werden, die – wie er selbst – den schnellen Atomausstieg immer abgelehnt hatte. Es scheint so, als wären jetzt alle Parteien "grün“ und "links“. Doch man konnte daran fühlen, dass es Merkel wohl in erster Linie nicht um einen Ausstieg, sondern um die Verzögerung ihres politischen Abstiegs ging.
 
Ausstieg bis 2014 möglich
 
Das der Ausstieg für die Energiegiganten eine Bedrohung ihrer Profite darstellt, kann nicht von der Hand gewiesen werden. Und selbstverständlich machen sich auch die Beschäftigten der AKWs Sorgen um ihren Arbeitsplatz bei – wie sie in einem offenen Brief an Angela Merkel schrieben – einem „übereilten Ausstieg“. Immerhin gibt es in der Atomenergie mehr als 30.000 Arbeitsplätze. Doch geht es beim Atomausstieg natürlich um das Abschalten einer Technik, deren immer wieder bekundete Sicherheit durch Reaktorunfälle und technische Störungen regelmäßig in Frage gestellt wird.


Blockade der Kennedybrücke (HS)

Die Linke im Deutschen Bundestag sieht trotz des nun absehbaren Ausstiegs eine längere Auseinandersetzung mit der Energielobby. „Deshalb“ – so die Parteivorsitzende Gesine Lötsch am 29. März – „muss die Macht des Stromkartells gebrochen werden.“ Die Linke im Deutschen Bundestag hatte ein Ausstiegszsenario bis zum Jahr 2014 entwickelt, die „Grünen“ bis zum Jahr 2017.
 
In der Öffentlichkeit melden sich auch Unberufene zum Ausstiegsszenario mit der bekannten Leier. So äußerte Daimler-Chef Dieter Zetsche gegenüber BILD: „Es gibt einige Risiken für den Industriestandort Deutschland. Die Abkehr von einer bezahlbaren Energieversorgung ist klar ein Risiko.“ Und RWE will sich den Ausstieg auch nicht gefallen lassen und überprüft eine Klage. Die Drohung könnte allerdings manche Verbraucher dazu veranlassen, sich einen anderen Anbieter auszusuchen.
 

Blockade der Kennedy-Brücke (HS)

Vielen reicht Merkels Ausstiegsszenario nicht
 
Ob den Atomstrom-Gegnern der Ausstieg bis 2022 reicht, dürfte zweifelhaft sein. Greanpeace wirft Angela Merkel bereits Wortbruch vor. Sie habe aus Fukushima nichts gelernt und setze „Millionen von Menschenleben noch elf Jahre unnötigerweise einer hohen Gefahr aus", erklärte die Umweltschutzorganisation im Stern am 30. Mai. Die Grünen im Deutschen Bundestag meldeten Kritik an der "Standby-Nummer“, drei Kraftwerke als "Reserve" für Energiesicherheit zu halten, das gehe technisch nicht.

Und was nicht übersehen werden darf: Bei dem jetzt verhandelten Ausstieg führt die vorgesehene Kombination von Strommengen und Betriebsjahren immerhin zu einer Laufzeit von 32 Jahren, so Umweltminister Röttgen. „Atomausstieg ligth“, titelte die Frankfurter Rundschau deshalb am Montag. Das sei weniger, als die rot-grüne Regierung bereits im Jahr 2000 festgelegt hatte, weniger als Die LINKE entwickelt hatte und weniger als die Ethik-Kommission nun vorschlug. Und dieser Form des Ausstiegs richtet sich nicht zuletzt gegen die bekannten Sicherheitsbedenken. Die Proteste könnten also weitergehen. (PK)

 Kennedy-Brücke (HS)


Kennedy-Brücke (HS)


Kennedy-Brücke HS)


Kennedy-Brücke MB)


Auf zum Münsterplatz (HS)


Ob sie schon weiß, worum es geht? (HS)


Abschlusskundgebung auf dem Münsterplatz mit HopStopBanda (HS)


Besuch aus der Anti-Atom-Bewegung Japan:
Tomoyuki Takada (MB)


Helga Schweitzer, IG-Metall (HS)


Alexis Passadakis, attac (HS)


... und Heinrich Pachl (HS)

Fotos von Herbert Sauerwein (HS) und Martin Bauer (MB).
Unser Startfoto stammt von Martin Bauer


Online-Flyer Nr. 304  vom 01.06.2011

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