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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Inland
Versammlungs- und Meinungsfreiheit für NeoNazis
Verfassungsgericht missachtet Grundgesetz
Von Peter Kleinert

Versammlungs- und Meinungsfreiheit gelten nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auch für die NPD. Deshalb mussten am Samstag etwa 5000 Menschen - aufgerufen von LinksPartei, WASG und Antifa-Initiativen - gegen etwa 200 NeoNazis demonstrieren, die - anlässlich der Fußball-WM und dank des BVerfG-Urteils - ihre rassistische Fremdenfeindlichkeit beim Marsch durch Gelsenkirchen öffentlich kundtun durften.

Eine schriftliche Begründung der Entscheidung sei erst in der kommenden Woche zu erwarten, teilte BVerfG-Sprecherin Dietlind Weinland auf Anfrage mit. Man darf sie mit einiger Spannung erwarten. Denn die Verfassungsrichter widersprachen mit ihrem Urteil nicht nur einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster, das in einem Eilverfahren ein Verbot des NPD-Aufmarschs durch die Stadt Gelsenkirchen bestätigt hatte. Sie wandten sich zugleich - wie der Sprecher der Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) Ulrich Sander auf einer Anti-NPD-Demo in Düsseldorf am Samstag zuvor vorausgeahnt hatte - gegen "das Verfassungsprinzip im Artikel 139 Grundgesetz, das die 1945/46 geschaffenen Bestimmungen zur Zerschlagung von NS-Organisationen auch für das Heute verbindlich regelt". 

Wörtlich steht im Grundgesetz seit 1949 nämlich: "Die zur "Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus" erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt." Das heißt: Versammlungs- und Meinungsfreiheit, gelten für NeoNazis im Gegensatz zur Entscheidung der Verfassungsrichter nicht. Weder in Gelsenkirchen noch in anderen WM-Städten. Heute so wenig wie 1949.

NeoNazi-Vorbilder in Polen
NeoNazi-Vorbilder in Polen
Zeichnung: Siebert - Sammlung Gerhard Schneider



Warum aber entschieden die obersten Verfassungsschützer trotzdem für die NPD und gegen GG-Artikel 139? Auch auf diese Frage wusste VVN/BdA-Sprecher Sander schon eine Woche vor dem BVerfG-Urteil eine Antwort: "Sie sind nützlich für die, die ihre Privilegien verteidigen wollen. Es sind die Nazis, die die unterschiedlichen Chancen in unserer Gesellschaft zum Naturgesetz erklären. Dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer - das ist im Weltbild der Nazis Ergebnis des Kampfes Jeder gegen Jeden, bei dem sich der Stärkere durchsetzt. Die Ungerechtigkeit der Verteilung von Einkommen und Reichtum gilt den Nazis als die natürliche Ordnung. Die soziale und demokratische Gleichheit von Menschen ist den Nazis fremd. Damit sind sie Teil der neoliberalen Ideologie, ihr Stoßtrupp."

Einig fühlen konnte Ulrich Sander sich heute, fast 60 Jahre später, in dieser Auffassung mit dem ersten Ministerpräsidenten des Landes NRW, dem CDU-Politiker Rudolf Amelunxen. Dieser hatte auf der Gründungskonferenz der VVN wörtlich erklärt: "Unduldsamkeit; Verhetzung und Hass haben Völker und Staaten vernichtet. In der Ausübung der Toleranz darf und muss nur eine einzige Ausnahme gemacht werden, nämlich die, dass es keine Freiheit gibt für die Mörder der Freiheit. Wir kennen diese und werden alles tun, um sie nicht noch einmal zum Zuge kommen zu lassen."

Dass die Verfassungsrichter von heute anderer Meinung sind als die Grundgesetz-Väter und -Mütter von damals, haben sie schon beim NPD-Verbotsantrag vor fünf Jahren bewiesen. Und Worte wie die seines Parteifreundes Amelunxen kamen dem wohl wegen der WM-Publicity ausnahmsweise mal zu einer Antifa-Demo geeilten CDU-Bundestagspräsidenten Norbert Lammert keineswegs von den Lippen. Er beließ es dabei, die NPD als "kleines Häuflein verlotterter Rechtsextremisten" zu verharmlosen und äußerte natürlich Verständnis für das Urteil des BVerfG.



Online-Flyer Nr. 48  vom 14.06.2006

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