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Arbeit und Soziales
Das große Gesundheitsversprechen und seine große Täuschung
Die eCard
Von Elke Steven

Mitte des Jahres 2007 soll mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eCard) begonnen werden. Die eCard gehört zu dem 1999 gestarteten Reformprogramm "Moderner Staat - Moderne Verwaltung" der Bundesregierung. Kaum jemand ahnt, was das für ihn/sie bedeutet.

Elektronische Gesundheitskarte, Digitaler Personalausweis, JobCard-Verfahren und Elektronische Steuererklärung sollen eng aufeinander abgestimmt werden. Die Bundesministerin für Gesundheit wird dabei von der gematik - Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH unterstützt. Diese wurde im Januar 2005 von den 15 Spitzenorganisationen des deutschen Gesundheitswesens gegründet. Mit der wissenschaftlichen und technischen Begleitung wurde ein Industriekonsortium (bIT4health) unter Leitung der IBM Deutschland beauftragt. Alle Beteiligten sehen ihre Aufgabe darin, für die eCard zu werben. "Akzeptanzmanagement" nennt sich dies.

Auch sicherheitspolitisch nutzbar

In einem ersten Schritt soll die eCard Versicherungsdaten, eine lebenslang geltende Krankenversicherungsnummer und ein Passbild enthalten. Dadurch wird sie zu einer allgemeinen Kennkarte, die auch sicherheitspolitisch nutzbar wäre. Die Karte zeichnet sich des weiteren weniger durch die eingebaute Speicherkapazität als durch den enthaltenen Prozessor aus. Mit diesem kann auf ein Computernetzwerk zugegriffen werden. Dort sollen alle gesundheitlichen Daten der Bürger und Bürgerinnen zentral gespeichert werden. Auf diese Daten können Angehörige der Heilberufe und PatientInnen nur zurückgreifen, wenn die elektronischen Kartenschlüssel beider Gruppen gemeinsam den Zugang eröffnen.

Die Ziele, die der Chipschlüssel eCard erschließen soll, sind in ihrer Vielfalt fast phantastisch zu nennen. "Mehr Wirtschaftlichkeit und Effizienz im Gesundheitswesen, Verringerung von Missbrauchspotentialen, Erhöhung der Eigenverantwortung der Patienten, mehr Leistungstransparenz" werden versprochen. Die Patientenrechte sollen gestärkt und die Patientensouveränität  erhöht werden. Wenn wir nur auf die naturwissenschaftlich?technischen und pharmakologischen Innovationen vertrauen und uns auf die Informations? und Kommunikationstechnologie verlassen würden, dann entstände also eine schöne neue Welt...

Konkreter wird für den medizinischen Alltag versprochen:
- Dank der kleinen Karte würden weniger Menschen sterben, weil unverträgliche Medikamente unverzüglich entdeckt würden. 
- Nur so verfügten Ärzte im Notfall sofort über die Informationen, die das Leben retten könnten.
- Die wuchernden Kosten des Gesundheitssystems sänken.

Diese Versprechen sind falsch. Selbst die einfacheren Ziele könnten auf anderem Weg besser erreicht werden. Dagegen sind mit dem Gebrauch der eCard große Gefahren verbunden.

Der "vergessene" Datenschutz

eCardDie Gesundheitsdaten möglichst aller PatientInnen sollen auf zentralen Servern gespeichert werden. Sie werden zwar verschlüsselt und pseudonymisiert, können aber entschlüsselt und auf die einzelnen PatientInnen rückbezogen werden. Welche legalen Möglichkeiten der Datenauswertung werden jetzt und in Zukunft zugelassen werden? Von den Pharmaindustriellen bis hin zu sicherheitspolitischen Interessen gibt es Begehrlichkeiten. Können ein zentrales Datenspeichersystem und seine Sicherungssysteme vor illegalen Zugriffen geschützt werden? Wie sollen die BürgerPatientInnen in die Lage versetzt werden, den Umgang mit ihren persönlichen Daten zu kontrollieren? Zudem ist unklar, wer die Server betreiben wird - nach EU-Recht werden dies gewinnorientierte Unternehmen sein müssen. Normative Einschränkungen des Datenzugangs und ihrer Auswertung - dies erweist sich immer wieder - können jederzeit aufgehoben werden.

Wie sollen die BürgerInnen als PatientInnen den Umgang mit ihren Daten kontrollieren? Was wird aus der ärztlichen Schweigepflicht? Im Labyrinth des von mächtigen Institutionen gebildeten Gesundheitssystems wird der Schutz der Daten zu einer unlösbaren Aufgabe. Nicht die BürgerPatientInnen kontrollieren. Sie werden kontrolliert.

Die eCard schadet selbstbestimmter Gesundheit!

Ulla Schmidt"Patientenautonomie" und "Freiwilligkeit" werden vorgegaukelt. Wirtschaftlich-technologische Expansion, politisch?ökonomische Steuerung und Kostenkontrolle können nur dann erfolgreich sein, wenn alle mitmachen. Alle sollen die eCard immer und überall verwenden. Alle sollen zustimmen, dass die Daten gespeichert und von vielen, formell zuständigen Institutionen gebraucht werden können. Alle sollen dafür sorgen, dass die Informationen ständig erneuert werden.

Krankheiten müssen EDV?tauglich werden. Komplexe, nicht vollständig verstandene Krankheitsbilder werden auf eine ICD?Nummer verkürzt. Die Sicht einer medizinischen Disziplin und der in ihr herrschenden Ansichten dominiert. So entsteht die Illusion, diagnostische Befunde und therapeutisch?präventive Behandlungsarten seien eindeutig. Die PatientInnen müssen nicht mehr gefragt werden. Individuelle Unterschiede können in diesem allgemeinen und riesigen Informationssystem nicht berücksichtigt werden.

Unklar ist, wie die BürgerInnen selbst ihre Krankheits? und Behandlungsdaten ansehen, verstehen, korrigieren und kontrollieren können. Die hoch gehängte "Patientenautonomie" wird zur (arglistigen) Täuschung. Wie sollen die BürgerPatientInnen instand gesetzt werden, die abgehobenen, im medizinischen Jargon verschlüsselten Daten zu verstehen und den Prozess der Gesundheitsfür? und vorsorge umfassend mitzubestimmen? Mit Hilfe der eCard soll das Gegenteil erreicht werden. Der BürgerPatient als Chipkartenbesitzer gibt sich vollends in ein undurchsichtiges System.

Nur negative Folgen

Die in Diagnose und Therapie ermittelten Daten sollen ? mit oder ohne das Wissen der PatientInnen ? der Forschung im Auftrag der Pharmaindustrie überlassen werden.

Der schon gegenwärtig schwierige und ungleiche Umgang zwischen den PatientInnen und den Angehörigen der Heilberufe wird vollends ausgehöhlt. Darauf, ihn zu verbessern, käme es aber gesundheitsentscheidend an. Stattdessen zählen die Daten der eCard. Die Muster, die im Computer gefertigt werden, geben den Ausschlag für Prophylaxe, Diagnose und Therapien.

Die Kosten der eCard tragen die PatientInnen!

Die Kosten für die technische Ausstattung sind immens. Ebenso die erwartbaren bürokratisch? technischen Irrtümer. Diese fallen nicht nur einmalig, sie fallen fortlaufend an. Die Geräte und ihre Software sind jeweils auf dem neuesten Stand zu halten. Die Versicherten müssen die doppelten Kosten tragen: die der Irrtümer und die des immensen Geldaufwands.

(Diese Argumente sind genauer ausgeführt in: Das große Gesundheitsversprechen ? und seine große Täuschung. Informationen an alle Bürgerinnen und Bürger, beruflich weiß oder alltäglich gekleidet, über die elektronische Gesundheitskarte; Hrsg.: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7 ?11, 50670 Köln, Tel.: 0221 ?97269 ?30; Fax: ?31, info@grundrechtekomitee.de, www.grundrechtekomitee.de)

Elke Steven arbeitet beim Komitee für Grundrechte und Demokratie

Online-Flyer Nr. 48  vom 14.06.2006

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