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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Inland
Warum Alt-Nazis unter Adenauer Kernforschung betreiben sollten - Teil 1
Zerbrecht die Plutonium-Tritium-Diktatur!
Von Dietrich Schulze

Der nach Fukushima anschwellende Protest gegen die Atomenergie wird von der herrschenden Politik und der etablierten Wissenschaft mit hinhaltendem Widerstand beantwortet. In den diesjährigen Ostermärschen gegen Atomkraft und Atomwaffen wurde hingegen der doppelte Zusammenhang zwischen Energiepolitik und Frieden herausgestellt. Eine Umstellung auf ausschließlich erneuerbare Energieträger untergräbt objektiv die Kriegspolitik zur Beherrschung fremder Ressourcen.


Bundesminister für Atomfragen Franz Josef Strauß unterschreibt am 19. Juli 1956 in Karlsruhe die Gründungsurkunde der Kernreaktor Bau- und Betriebsgesellschaft mbH
Quelle: www.institut-wv.de/2473.html
 
Lybien verfügt bekanntlich über Öl und Uran. Und die "friedliche Nutzung“ der Atomkraft schafft die intellektuellen und technischen Kapazitäten für das ultimative Machtmittel Atombombe, nicht nur im Iran. Ein Rückblick in die verdrängte Gründungseschichte der bundesdeutschen Atomforschung kann hierzu ziemlich unerwünschte Einsichten vermitteln. Das soll am Beispiel Karlsruhe etwas genauer untersucht werden. Wie zu Beginn des Atomzeitalters wird in der Forschungspolitik auch heute offiziell in weltmachtpolitischen Kategorien gedacht und gehandelt, aber auch eine über die traditionelle Friedensbewegung hinausgehende Bewegung für eine Zivilorientierung und gegen die Militarisierung der Hochschulen wird sichtbar.
 
Ex-Nazis bestimmten Atomforschung mit
 
Robert Jungk schreibt in seinem Buch "Der Atomstaat“ (1975), dass Anfang der 1950er Jahre von Adenauer und Strauß Kommandostellen wie Atomkommission und Vorstände der Kernforschungszentren, hauptsächlich in Karlsruhe und Jülich, mit Ex-Nazis und Wehrmacht-Rüstungswissenschaftlern besetzt worden sind. Der von ihm befragte jüdische Physiker Dr. Dr. Leon Grünbaum aus Frankreich sagt zu den Motiven:
 

Physiker Dr. Dr. Leon Grünbaum
Quelle: Dietrich Schulze
„Ich meine, es ist doch wohl kein Zufall, dass diese Männer sich gerade so sehr für die Atomindustrie interessiert haben. Sie müssen sich schon zu einem frühen Zeitpunkt gesagt haben, dass hier eine Schlüsselindustrie entsteht, die einmal alle anderen an Machtfülle und Einfluss überflügeln würde. Doch dann kommt vielleicht noch ein anderes Motiv dazu: der Wunsch der Deutschen, auch einmal Atombomben zu haben - oder zumindest die Verfügung über industrielle Kapazitäten, die eine Herstellung der ihnen verbotenen Waffengattung bei Bedarf ermöglichen.“
 
In den THTR-Rundbriefen (THTR Jülicher Projekt Hochtemperaturreaktor), in denen die Atompolitik seit Jahrzehnten kritisch durchleuchtet wird, kann man den Beginn genauer studieren. Nur ein Kurzporträt: Dr. Walther Schnurr, ab 1960 wissenschaftlicher Geschäftsführer der Gesellschaft für Kernforschung Karlsruhe (GfK, später Kernforschungszentrum, dann Forschungszentrum, heute Karlsruher Institut für Technologie KIT Campus Nord).
 

Walther Schnurr startet 1961 den
ersten deutschen Kernreaktor
War Chemiker bei IG Farben und Hitlers Sprengstoffexperte. Nach 1945 über die "nukleare Rattenlinie“ nach Argentinien gelangt. Dort unter Peron an Entwicklungen für Atombomben und Raketen beteiligt. Von F.J. Strauß für höhere Aufgaben zurückgeholt. Bis 1970 in dieser Schlüsselposition für die "friedliche Nutzung“ der Atomenergie und für die enge, offiziell geleugnete Kooperation mit der argentinischen Diktatur bestimmend.
 
Proteste, Entwicklungsbrüche, Nachwirkungen
 
Der Göttinger Appell gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr und später das Scheitern des Kalten Krieges änderte zwar die Außenpolitik, aber nicht die Ambitionen, die mit dieser Schlüsseltechnologie verbunden sind. Bleiben wir bei Karlsruhe. Erst viel später kamen dort entwickelte bombenträchtige Technologien zu Fall, wie das Trenndüsenverfahren zur Urananreicherung und der Schnelle Brutreaktor, der eine gigantisch destruktive Plutonium-Gesellschaft zur Folge gehabt hätte. Die Kooperationen im Zusammenhang mit der "Trenndüse" des Prof. Erwin Willy Becker mit den damaligen Diktaturen in Südafrika und Brasilien wurden ebenso fleißig vertuscht, wie von Prof. Wolf Häfele mit einer an religiösen Wahn grenzenden Inbrunst die Segnungen seiner unerschöpflichen Schnellbrüter-Energiequelle propagiert wurden. Systematisch und in verantwortungsloser Weise wurde auch von der herrschenden Wissenschaft die Problematik der Beseitigung des Atommülls herunter gespielt. An abenteuerlichen Konzepten zur Müllumwandlung (Transmutation) wird bis heute gearbeitet.
 
Aufbauend auf dem Göttinger Appell hatte sich als Gegenpol allerdings eine kritische Wissenschaft entwickelt. Neben heute noch tätigen Gruppen wie der "NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit“ (NatWiss), VDW, IPPNW, IALANA, INES usw. war Anfang der 1970er Jahre der „Verband der Wissenschaftler an Forschungsinstituten“ (VWF) aktiv. Er setzte sich mit den hierarchischen Strukturen auseinander, die in den Universitäten gerade von der 68er-Bewegung aufgebrochen worden waren. Dabei spielte die unterdrückte Kritik am Schnellen Brüter eine wichtige Rolle.
 
In diesem Kontext gab es einen bezeichnenden Vorfall in Karlsruhe. Der zitierte jüdische Physiker Grünbaum war mit einem Zeitvertrag im Schnellbrüter-Projekt beschäftigt. Trotz hervorragender Leistungen wurde die damals übliche Übernahme in ein ordentliches Beschäftigungsverhältnis verhindert - auf Betreiben des administrativen Geschäftsführers Dr. Rudolf Greifeld, in dieser Funktion seit Gründung 1956 (!!!). Dessen antisemitische Äußerungen veranlassten Grünbaum zu einer Recherche im französischen Außenministerium. Ergebnis: Greifeld war Hitlers oberster SS-Führer in der Wehrmachtverwaltung von Groß-Paris, u.a. für Drancy (das Durchgangslager für die Deportationen nach Auschwitz) zuständig.
 

Rudolf Greifeld, Herrmann Giesler, Albert Speer, Adolf Hitler und Arno Breker am 28. Juni 1940 in Paris (v.l.n.r.)
 Quelle: www.juedische-allgemeine.de
 
Nachdem 400 französische WissenschaftlerInnen dessen Entlassung aus dem Aufsichtsrat des deutsch-französischen Forschungszentrums Laue-Langevin (ILL) in Grenoble gefordert hatten, musste er 1975 von Forschungsminister Hans Matthöfer in den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden. Alle Vorgängerregierungen kannten Greifelds Vergangenheit oder sie war ihnen verheimlicht worden. Unter Greifeld war eine Waffen-SS-Mitgliedschaft für die Berufung in verantwortliche Funktionen, wie z.B. für die Leitung der Personalabteilung oder der Lehrlingsausbildung, kein Hinderungs- sondern ein Bevorzugungsgrund.
 
Greifeld hat wie alle anderen Ex-Nazis in der Atomforschung eine breite und tiefe Furche an Diskriminierungen und wissenschaftsfeindlichem Obrigkeitsdenken hinterlassen. Leon Grünbaum litt trotz aktiver Auseinandersetzung mit dieser furchtbaren rassistischen Diskriminierung sehr schwer darunter, seine berufliche Arbeit nicht fortführen zu können. Er wandte sich der Technikgeschichte zu und promovierte Anfang der 1980er Jahre zum zweiten Mal. Das Dissertationsthema an der Sorbonne “Die Genese der Plutoniumgesellschaft - politische Konspirationen und Geschäfte" handelt von den geheimen Ursprüngen und Verbreitungswegen von Atomwissen und –waffenmaterial mitsamt der Rolle der genannten Nazi-Größen und vielem mehr. Die Arbeit ist nirgendwo zu finden. Zufall? Sie sollte veröffentlicht werden. Dem Autor liegt das 450-seitige Manuskript (französisch) vor. Kapitel 3 „Deutsches Zwischenspiel – die Affaire Greifeld“(1).
 
Wissenschaftliche Mitbestimmung, Tschernobyl, Zivilklausel
 
Spätestens nach dem Scheitern des Kalten Kriegs wurde in den Atomforschungseinrichtungen anderes Führungspersonal gebraucht, das mit dieser Vergangenheit nichts zu tun haben wollte, neue Forschungsthemen als Ersatz für die teilweise abgearbeitete Kernforschung förderte und auf Leistung setzte. Und auch die kritischen Beschäftigten und ihre Gewerkschaften waren nicht faul. Sie nutzten die wissenschaftliche Mitbestimmung, die Anfang der 1970er Jahren aus den Universitäten wegen "mehr Demokratie wagen“ übertragen wurde, und die Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz, um die betriebliche Demokratie zu stärken.
 
Beispiel Tschernobyl. Die offizielle Reaktion: „Kommunistischer Murks, kann bei uns nicht passieren.“ (O-Ton Regierungsvertreter als Reaktion auf die erste Rundfunkmeldung bei der Rückreise von einer externen Aufsichtsratssitzung des Kernforschungszentrums Karlsruhe in Creys-Malville beim französischen Schnellbrüter Superphénix - der Autor war Ohrenzeuge). Aber: Der innerbetriebliche Religionsersatz Kernenergie konnte vom Sockel gestoßen werden. Zusammen mit der Evangelischen Akademie und Pfarrer Dr. Ulrich Lochmann gelang es, eine Podiumsdiskussion zum Thema "Chancen und Risiken der Kernenergie“ durchzuführen. Zuvor gab es nichts als Chancen. Die beiden Kontrahenten: Prof. Klaus Traube, Atom-Aussteiger, Ex-Chef des Siemens/Interatom-Schnellbrüterprogramms (Intimfeind aller Atomfetischisten, hatte Robert Jungk als Nr. 1 abgelöst) und Dr. Willy Marth, Chef des Karlsruher Schnellbrüter-Forschungsprogramms.
 
Auch der unermüdlichen Arbeit der Betriebsräte der später so genannten Großforschungseinrichtungen und gewählten Wissenschaftsgremien an der betrieblichen Demokratie ist es zu verdanken, dass eine andere heute in den Universitäten hochaktuelle Grundsatzfrage im Bewusstsein geblieben ist: die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaften für eine Zivilorientierung.
 
Der völkerrechtliche Preis für den Eintritt in die Atomforschung war der deutsche Verzicht auf Atomwaffenforschung. Das musste in den Atomforschungszentren mit der Zivilklausel „Die Gesellschaft verfolgt nur friedliche Zwecke.“ per Satzung festgelegt werden. Für Adenauer, Strauß und ihre Getreuen wie die auf rasche Expansion bedachte Wirtschaft war das nichts weiter als ein momentanes Zugeständnis, das bei nächstbester Gelegenheit gebrochen worden wäre. Es kam aber alles ganz anders. Die drei Diktaturen Argentinien, Brasilien und Südafrika wurden gestürzt und deren Atomwaffen beerdigt. Trenndüse, THTR, Wiederaufarbeitung und Schnellbrüter scheiterten. Gegen heftigen Widerstand aus den Reihen der Union trat die Bundesrepublik 1974 dem Atomwaffen-Sperrvertrag bei, was die Politik nicht daran hinderte immer wieder zu versuchen, die Zivilklausel abzuschaffen oder aufzuweichen. Mindestens drei Versuche (1984 Teilnahme an SDI-Forschung / Laserabwehr gegen Atomraketen von der Regierung initiiert, 1994 Einführung einer zivilmilitärischen dual-use-Klausel aus CDU-Kreisen betrieben, 2001 Abwehrforschung gegen terroristische Biowaffenangriffe im Gefolge von 9/11 von Großforschungsführung beabsichtigt) konnten durch energischen Widerstand von Unten abgewehrt werden.
 
Die strikte Zivilorientierung war dadurch zu einer gelebten Realität geworden. Als ab 2007 die Pläne zur Zusammenlegung des Forschungszentrums mit der Universität zum Karlsruhe Institute of Technology KIT reiften, war die Zivilklausel zum ansehnlichen Exportartikel für das gesamte KIT herangewachsen. Inzwischen spricht selbst die konservative Presse mit einem Unterton der Anerkennung von einer stetig wachsenden Zivilklauselbewegung an den Universitäten(2).
 
Keine "gefrorenen Posthorntöne“
 
Können die beschriebenen Warnungen betreffend Ausrichtung der Atomforschung heute nach Fukushima als "gefrorene Posthorntöne“ (Robert Jungk) abgehakt werden? Keineswegs. Die Bundesregierung übt sich in Ausstiegs-Rhetorik, spielt aber in Wirklichkeit auf Zeit. Die Energiewirtschaft droht mit Versorgungsengpässen und Arbeitsplatzverlusten. Die etablierte Wissenschaft lockt mit Schimären und betreibt großen Aufwand für den Kompetenzerhalt. Alle projizieren wie eh und je einen weltweit unablässig wachsenden Energiehunger und setzen auf die bekanntlich kurze Halbwertszeit des Angstzerfalls. Tatsächlich wachsen derweil Kosten und Atommüll mit ungeklärter Entsorgung weiter.
Ja, das eingangs beschriebene Führungspersonal hat sich geändert und kann nicht in einen Topf mit den benannten atomaren Gründungs(v)tätern geworfen werden. Aber technokratisch autoritäres Denken verbunden mit technizistischem Machbarkeits- wahn ist weiter ungebrochen vorherrschend. Wie anders kann Rede und Handlung der heutigen Führungsleute in der Atomforschung eingestuft werden? KIT Präsident Prof. Horst Hippler war einer der beiden Hochschulunterzeichner des Appells zur Laufzeitverlängerung. Zwei Tage vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg teilte der andere Präsident Prof. Eberhard Umbach mit: „Das vor kurzem verkündete Moratorium bezüglich der Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke ist allein der aktuellen Panik und Hysterie geschuldet. Aber Angst ist kein guter Ratgeber.“ Einen Tag nach der Wahl teilte er mit, dass er - „wie die neue Landesregierung - für den Ausbau regenerativer Energien" sei. Hier habe das KIT zahlreiche neue Entwicklungen und Ideen anzubieten. "Der Weg dorthin ist allerdings ohne die weitere vorübergehende Nutzung der Kernkraft nur schwierig zu erreichen." Dies werde das KIT durch entsprechende Expertisen in die Diskussion einbringen.
 
Wie diese Expertise aussieht, wie sie beurteilt wird und welche Schlüsse daraus gezogen werden können, erfahren Sie im Teil 2 am 18. Mai. (PK)
 
(1) www.stattweb.de/files/civil/Doku20110508.pdf
(2) Mehr dazu in der Webdokumentation der Initiative gegen Militärforschung an Universitäten unter www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf.

Dr.-Ing. Dietrich Schulze, dietrich.schulze@gmx.de
Beiratsmitglied NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit, www.natwiss.de
Initiative gegen Militärforschung an Universitäten, www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf
tel +49721 385403 hy +49160 9911 3131

Dieser Beitrag für die "Marxistischen Blätter“ erscheint in der zweiten Maihälfte 2011 in Heft 3 Nr. 11
www.marxistische-blaetter.de




Online-Flyer Nr. 300  vom 04.05.2011

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