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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Literatur
Ich habe nachgedacht und so einen Zettel geschrieben
"Wir werden vom Staat getötet"
Gedicht einer Schülerin aus Fukushima

Hilf mir,
ich bin eine Schülerin
aus Minami-Soma in Fukushima.

 
Durch den Tsunami habe ich Freunde verloren,
meine Freunde haben ihre Eltern verloren,
meine beste Freundin steckt in Minami-Soma,
weil sie ohne Benzin nicht fliehen kann.
 
Nur mit Telefon und Email
kann ich sie ermuntern.
 
Ich kämpfe jetzt mit der Furcht
vor der Radioaktivität. 
Ich bin aber resigniert.
 
Mit sechzehn
Bin ich bereit für den Tod;
Ich fühle den herannahenden Tod.
 
Wäre ich auch gerettet,
so müßte ich ständig mit der Furcht vor der
Radioaktivität leben.
 
Die Politiker, der Staat,
die Massenmedien, die Experten,
die Bosse des AKW,
sie alle sind Feinde.
Sie alle sind Lügner.
 
Das Fernsehen berichtet immer weniger
über das AKW,
immer dieselbe Szene des Tsunami,
herzlose Interviews durch die Medien,
Beileidsbekundung nur als Lippenbekenntnis
der Politiker, die den AKW-GAU als
"Naturkatastrophe“ bezeichnen.
 
Politiker, helfen Sie uns mit Ihrem Gehalt und
Ihren Ersparnissen!
 
Hören Sie auf mit dem Luxus und
helfen Sie den Opfern zu überleben!
 
Nicht nur Befehle erteilen,
nicht nur von sicheren Orten zuschauen,
sondern bitte vor Ort uns helfen!
 
Wir sind vernachlässigt,
wahrscheinlich wird Fukushima isoliert.
 
Wir werden vernachlässigt,
wir werden vom Staat getötet.
 
Wir Katastrophenopfer werden dem Staat,
der uns vernachlässigt hat, nie verzeihen,
wir werden ihn immer hassen.
 
Ich möchte demjenigen, der diesen Zettel
gelesen hat, mitteilen:
 
Sie wissen nicht, wann ein für Sie wertvoller
Mensch plötzlich verschwindet.
Stellen Sie sich vor, dass derjenige, der jetzt
nebenan lacht, plötzlich verschwindet.
 
Gehen Sie bitte mit ihm behutsamer um.
Unsere Schule, in der wir unsere Jugend
verbringen, ist zur Leichenhalle geworden.
In der Turnhalle, in der wir Sport
und Clubaktivitäten treiben,
liegen nun die reglosen Toten.
 
Wie kann ich die Wahrheit möglichst vielen
mitteilen?
Wenn auch nur einer diesen Zettel liest,
wäre ich glücklich.
Ich habe nachgedacht und so einen Zettel
geschrieben.
Ich entschuldige mich
und ich bedanke mich.
 
Die Autorin - eine 16-jährigen Schülerin - wohnt nah am havarierten AKW Fukushima und hat ihr Gedicht am 30.03.2011 unter http://ameblo.jp/tsukiji14/entry-10844839979.html veröffentlicht. Herr Kojo Mochizuki, der in der Nachbarschaft der Lutherkirche in Köln wohnt, hat das Gedicht auf der japanischen Webseite der 16-jährigen Schülerin aus Fukushima entdeckt und ins Deutsche übersetzt. (PK)


Online-Flyer Nr. 297  vom 13.04.2011

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