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Lokales
Kölner Uraufführung eines Films über Benjamin Katz
"Der Photograph"
Von Carola Willbrand

Der 1950 in Recklinghausen geborene und in Köln lebende und arbeitende Filmemacher Jürgen Heiter hat den 1939 in Antwerpen geborenen Photographen Benjamin Katz porträtiert. Uraufführung war vergangene Woche zeitgleich im Kölner Kunstverein und im Kino 813.

Der Filmemacher porträtiert elektronisch (DV) einen Photographen, der analog Bildermacher porträtiert. Gleich zu Anfang des Films sieht man die Hände des Photographen, aus einem himmelblauen Hemd herauslugend, auf einem roten Tischteppich den Film in einen schwarzen Photoapparat einlegen. Wir wissen nun, worum es geht: um das Handwerk der Porträtisten, des Photographen, des Filmemachers.

Mit Diskretion und Anteilnahme porträtiert Katz "seine" Künstler(-Männer), mit denen er schon lange befreundet ist. Baselitz z. B. (Georg Baselitz * 1938 als Hans Georg Kern in Deutsch-Baselitz, "der mit den Bildern verkehrt herum!"). Wir sehen beide in Italien, Imperia, Ligurien, Villa Faravelli. Dort wurden beide zusammen 2005 mit einer Ausstellung geehrt.
Jürgen Heiter porträtiert Benjamin Katz mit "Katz´schen" Mitteln des aufmerksamen Nichtvorhandenseins. Katz scheint nur am Rande in Erscheinung zu treten. Jonathan Meese z. B. (*1970 in Tokio, lebt in Berlin) erscheint mehrmals inmitten einer seiner wagnerianischen Bilderflut-Installationen - kurz sieht man die fotografierenden Hände von Katz wieder.  Während Meese "teutsche" Mythen-Texte deklamiert, hebt er die Hand zum Hitlergruß. Im Hintergrund erscheint Katz und macht auch grinsend den Hitlergruß.

Benjamin Katz - mit Diskretion und Anteilnahme
Benjamin Katz - mit Diskretion und Anteilnahme
Foto: Jürgen Heiter


Aber man sieht Katz auch durch Brüssel fahrend im Auto, als Beifahrer begleitet von der Handkamera. Und Katz zeigt, wo Marcel Broodthaers (*1924 in Brüssel, + 1976 in Köln) wohnte, den er in den 60ern in seiner Berliner Galerie ausstellte. Bei dieser Brüsselfahrt erzählt er auch, daß seine jüdischen Eltern nach Brüssel emigrierten, dass der Vater in einem französischen Gefangenenlager starb, und wie er mit seiner Mutter durch die Hilfe liebevoller Menschen in Brüssel überlebte.

Der Film ist in 20 Teile gegliedert, die sich nebeneinander fügen - ohne dramatische Zuspitzung. Die unterschiedlichen Verfahrensweisen der Kamera, feste Einstellungen und extreme Handkamera, schaffen ein sehr situatives Bild, dem Film-Moment entsprechend.
Sehr ruhige intensive Augenblicke, statische Aufnahmen in einem Atelier: Lüpertz (Markus *1941 in Reichenberg, heute Liberec, Tschechische Republik), weißbärtig räsonierend über seine Bekanntschaft mit Katz, sitzt an einem Katzentischchen, weit über seinem Kopf schwebt eine helle Fensteröffnung über der Dunkelheit des Raums.

Katz´ s/w-Porträts können sehr leicht und heiter, humorvoll sein. Komplizenhaft. Eine solche Atmosphäre baut eine wunderbare Situation im Film auf: Zwei Gestalten, gekleidet in weiße nichtssagende Frotteebademäntel, trinken gemeinsam Rotwein. Dieses Vergnügen wird stark behindert durch Masken, die die beiden vor ihren Gesichtern tragen. Die Foto-Masken tragen die Gesichtszüge von Rosemarie Trockel und Benjamin Katz, die hinter den Masken, die sie vertauscht haben, versteckt sind. Frau Trockel trägt die Gesichtszüge von Herrn Katz (die Maske Katz), Herr Katz trägt die Gesichtszüge von Frau Trockel (die Maske Trockel).
Das ganze aussichtslose Unterfangen des Rotweintrinkens (es existieren einfach keine Münder in den Masken) wird durch eine kolossale Rot(wein)kleckerei auf den langweiligen Bademänteln begleitet. Die Masken machte Rosemarie Trockel (* 1952 in Schwerte). Die einzige weltbekannte Künstlerin in dem Film - neben all den berühmten Künstler-Männern - verschwindet hinter einer Maske.

Rosemarie Trockel und Benjamin Katz - hinter vertauschten Masken
Rosemarie Trockel und Benjamin Katz - hinter vertauschten Masken
Foto: Jürgen Heiter


Cony Theis, eine ambitionierte in Köln lebende Künstlerin, sieht man von hinten, da darf sie mit dem großen Baselitz über die großen Irrtümer der Kunst reden - nämlich Baselitz` Irrtum, daß es nicht notwendig sei, nach der Natur zeichnen zu können, während Benjamin Katz lieb darauf hinweist, dass Cony Theis sehr schnell eindrücklich Menschen porträtieren kann. Vor diesem Bildeindruck sah man Cony Theis einen klitzekleinen Tanz auf einer Veranda tanzen. Benjamin Katz liegt im weißen Oberhemd im Bett unter einer dümmlich hellbunten Bettwäsche und spielt an einem Weltempfänger herum.

Benjamin Katz hält den entscheidenden flüchtigen Augenblick fest, der den Künstler uns, dem Betrachter, näher bringt. Jürgen Heiter reiht viele - 20 nämlich - Momente farbig aneinander, die Benjamin Katz uns näher bringen (sollen). Die Kapitel haben Titel, die ich vergessen habe. Ab und zu schreibt Benjamin Katz einen Satz auf ein Blatt Papier, in ein Heft, pro Seite einen Satz mit einem dicken fetten schwarzen Filzstift: "Kaum hatte ich die Grenze überschritten, kamen Gespenster mir entgegen."

Blank, ein jazziges Männertrio (Rüdiger Carl, Oliver Augst, Christoph Korn), bearbeiten ihre elektronisch verstärkten Plattenspieler. Anna Blume verdeckt nagelnd einen Schriftzug mit Pappe, während Bernhard J. Blume, ihr Mann, den Sinn der frühen (fliegenden) Vasen-Arbeiten erläutert. (Beide geboren 1937 in Westfalen, sie arbeiten als Künstlerpaar seit Jahrzehnten zusammen.)

Der Filmemacher Werner Nekes (*1944 in Erfurt) erläutert die Vorzüge und Eigenheiten der Lochkamera in einem Raum gleich einer Riesenlochkamera. Der legendäre Berliner Galerist Rudolf Springer (*1909) erzählt aus den Begegnungen der frühen Galeristenjahre. Den porträtierenden, fotografierenden Benjamin Katz sieht man nur als Schatten am Rande. Doch er erscheint in seiner zurückhaltenden Art immer anwesend, gestaltet seine Porträts zart aber zwingend und zwingt so auch den Film seiner Form gemäß in einen poetisch-sinnlichen, erzählenden Essay.


Kamera Ulrike Pfeiffer, Dramaturgie Helmut Banz,
Montage Jürgen Heiter, Mitarbeit am Buch Cony Theis,
Redaktion Reinhard Wulf, Länge 135 Minuten, 2006.

DV mit anschließendem Transfer auf DigiBeta und DVD, eine Coproduktion der Heiter Filmproduktion mit WDR/3sat in Zusammenarbeit mit ZKM/Karlsruhe, gefördert durch die Hessische Filmförderung

Online-Flyer Nr. 47  vom 06.06.2006

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