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Lokales
Drogenpolitik muß auf den Prüfstand
Erfolge mit Heroin auf Rezept
Von Klaus Jünschke

Als die Kölner Polizei in diesem Frühjahr ihre Statistik mit den 2005 gestellten Anzeigen veröffentlichte, berichtete die Lokalpresse erleichtert: "Kriminalität in Köln ist deutlich gesunken". Die Zahl der Tötungsdelikte sank tatsächlich von 36 im Jahr 2004 auf 20 im vergangenen Jahr - ein Rückgang um fast 50%. Gegenläufig war aber die Entwicklung bei den sogenannten "Rauschgifttoten".

Im Jahr 2004 hatte man noch 32 registriert, aber 2005 "starben 59 Menschen an den Folgen ihrer Sucht." (Kölnische Rundschau vom 7.3.2006) Das wurde eher beiläufig gemeldet, mit Bedauern zwar, aber es war keine Schlagzeile wert. Dabei könnte man gerade in Köln eine andere Perspektive und einen sensibleren Umgang mit dieser Entwicklung erwarten. Denn Köln gehört mit Bonn, Frankfurt, Hamburg, Hannover und Karlsruhe zu den sechs Städten in der Bundesrepublik, die seit Februar 2002 das "Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger" durchführen. Und dessen positive Bilanz ist durch Zwischenberichte seit über einem Jahr bekannt. So ist von den 50 langjährigen Heroinabhängigen, die in Köln seit 2002 mit Heroin behandelt wurden, kein einziger "an den Folgen seiner Sucht" gestorben.

Kölner "Heroin-Ambulanz"

Wenn aber Heroinsüchtige nicht zwangsläufig infolge des Konsums dieser Droge sterben, dann stellt sich die Frage der Verantwortlichkeit in aller Deutlichkeit neu. Dann sind die "Rauschgifttoten" nicht länger nur "Folge ihrer Sucht". Dann muss die Drogenpolitik auf den Prüfstand und es muss die Verantwortung der Politikerinnen und Politiker, die sie umsetzen - zum Beispiel in Gestalt des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG)0- öffentlich benannt werden.
Wie notwendig die Aufklärung auf diesem Gebiet ist, zeigte sich einmal mehr am 16. Mai anlässlich einer Besichtigung der Kölner "Heroin-Ambulanz" durch RichterInnen der Strafvollstreckungskammer, leitende BeamtInnen der Justizvollzugsanstalt (JVA) und Mitgliedern des Beirates der JVA. Alle TeilnehmerInnen versicherten am Ende des zweistündigen Besuchs, dass sie viel Neues erfahren und gelernt hatten. Aber wenn selbst Menschen, die von Berufs wegen täglich mit Drogensüchtigen zu tun haben, zugeben müssen, wie ignorant und vorurteilsbehaftet sie teilweise waren, liegt auf der Hand, dass die Aufklärung der Bevölkerung erst noch bevorsteht. Ganz zu schweigen von den Bundestagsabgeordneten, die aufgefordert sind, im Herbst das Betäubungsmittelgesetz neu zu beschließen.

Zuallererst muss zur Kenntnis genommen werden, was schon Paracelsus lehrte: nicht die Substanz als solche, sondern die Dosis macht das Gift. Oder in den Worten eines Arztes der Heroin-Ambulanz: mit dem täglichen Konsum von Heroin kann man 100 Jahre alt werden. Die Nebenwirkungen fallen nicht ins Gewicht und sind auf jeden Fall geringer als beim regelmässigen Konsum von Nikotin und Alkohol. Voraussetzung ist, dass das Heroin sauber ist und in einer verträglichen Dosis genommen wird.

In der Heroin-Ambulanz nahe beim Kölner Gesundheitsamt ist für beides gesorgt. Das reine Heroin wird von einer Schweizer Firma geliefert und die Höhe der Dosis ist ärztlich kontrolliert. Eine Krankenschwester zieht die Spritzen für die Patienten auf, die zwei- oder dreimal täglich kommen, und diese setzen sich dann selbst ihren Schuss, so wie sie es zu Beginn ihrer "Suchtkarriere" auf der Strasse gelernt hatten. Mit gewichtigen Unterschieden: die Spritzen sind immer sauber, es entfällt die Gefahr der Weiterverbreitung von AIDS, Hepatitis oder anderen Krankheiten, und das Heroin ist immer rein, frei von den krankmachenden Streckmitteln, die sich im Straßenheroin finden. Und da die Menge des Stoffes ärztlich angepasst ist, kann es auch nicht zur tödlichen Überdosierung kommen. Zwischenfälle gab es kaum. Und wenn es zu allergischen Reaktionen kam, zu Atemreaktionen oder Krampfanfällen, konnte durch die anwesenden Ärzte und Krankenschwestern gut reagiert werden. Draußen können solche Reaktionen tödlich sein.

Altbewährt: Heroin auf Rezept
Altbewährt: Heroin auf Rezept
Foto: NRhZ-Archiv



Teilnahme-Bedingungen

Als das Projekt 2002 startete, wurden folgende Teilnahme-Bedingungen festgelegt: Die Patienten mußten mindestens 23 Jahre alt, seit wenigstens fünf Jahren süchtig sein, gesundheitlich nicht in bester Verfassung und schon ein paar erfolglose Therapieversuche hinter sich haben. Wer sich seine Dosis abholt, muß einen Alkoholtest machen - wer über 0,3 Promille hat, kriegt zu diesem Termin nichts. Wer zu einer Freiheitsstrafe von über vier Wochen verurteilt wird, ist draußen.

Wer denkt, dass die auf ca. 8.000 geschätzten Heroinabhängigen in Köln Schlange standen, als bekannt wurde, dass es gutes Heroin umsonst gibt, irrt sich. Es war nicht leicht für die Studie, 50 TeilnehmerInnen zu finden. Es galt, die Skepsis der Süchtigen zu überwinden. Eine Sozialpädagogin berichtete, wie sie nächtelang auf dem Straßenstrich unterwegs war, um abhängige Frauen von der Sinnhaftigkeit der Teilnahme zu überzeugen. Für die Süchtigen selbst und ihre Familien und Freunde war dann sehr schnell, schon innerhalb der ersten acht Wochen an der Verbesserung des Gesundheitszustandes sichtbar geworden, dass sich die Teilnahme lohnte.

Was die Behandlung mit Heroin leisten kann, wird besonders an den Menschen deutlich, die von allen aufgegeben worden waren. Ein Fünfzigjähriger, der seit 30 Jahren auf Drogen war, geht seit zwei Jahren einer Arbeit nach, hat geheiratet und ist Vater geworden. Seine Familie nicht, seine Ärzte nicht, er selbst nicht - niemand hatte das noch für möglich gehalten. Zum weiteren Erfolg zählte, dass der illegale Konsum zurückging, dass sich Patienten von der Drogenszene lösen konnten, und natürlich nahmen die Delikte der sogenannten Beschaffungskriminalität ab.

Da die Teilnehmer eine intensive psychosoziale Betreuung erhielten, lernten die Mitarbeiterinnen der Drogenambulanz die Lebensgeschichten ihrer Patienten immer besser kennen und verstehen. Je genauer sie hinsahen, desto deutlicher wurde, dass es keinen einheitlichen "Suchtcharakter" gibt. Aber bei nahezu allen war es in der Kindheit zu schweren traumatischen Misshandlungen gekommen. Zwei Drittel der Teilnehmer sind Männer ein Drittel sind Frauen. Das entspricht dem Anteil draußen. Teilnehmer mit Migrationshintergrund gibt es nur drei.

Auch Junkies kann geholfen werden

Den MitarbeiterInnen der Drogenambulanz war es sehr wichtig, zu betonen, dass es ihnen nicht darum geht, die Heroinbehandlung gegen die Methadonbehandlung auszuspielen. Erfolge gibt es mit beiden Behandlungen. Aber durch die vierjährige Studie ist nun bewiesen, dass auch der Gruppe der an einer Behandlung interessierten Junkies, die mit Methadon nicht erreichbar bzw. nicht in der Therapie zu halten ist, geholfen werden kann. Mit der heroingestützten Behandlung können mehr Opiatabhängige therapeutisch erreicht werden. Und für diese Gruppe der sogenannten Schwerstabhängigen erweist sich die Heroinbehandlung der Methadonsubstitution als überlegen.

Worum es jetzt geht, ist die Zulassung von Heroin als Arzneimittel und die Überführung der Modellprojekte zu einer Regelversorgung. Da der Bundestag sich vor der Sommerpause nicht mehr mit den dafür nötigen Anträgen zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) befassen konnte, sind die sechs Modellprojekte in der Bundesrepublik bis zum Jahresende 2006 verlängert worden.

Alle, die die Heroinstudie gelesen haben und die Heroinambulanzen kennen, sind optimistisch und glauben, dass es zu den entsprechenden Gesetzesänderungen kommt. Aber wer die Geschichte der Illegalisierung der Drogen kennt, weiß, dass es dabei am wenigsten um die Nöte und Bedürfnisse der Süchtigen ging. Und das immerhin kann ab jetzt - wissenschaftlich belegt - gegen die Gegner einer Reform des BtMG gewendet werden: die Drogentoten sind nicht mehr selber schuld.

Die Heroin-Studie und weitere Informationen zu den Modellversuchen stehen unter www.heroinstudie.de

Online-Flyer Nr. 47  vom 06.06.2006

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