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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 25
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Er wartete die Antwort nicht ab, ließ sie auf der Kautsch zurück. Hermann fummelte seinen Rekorder zurecht. Martin strich mit der Hand über den braunen Kordbezug - nette Leute, wie? Hermann hatte keine Klagen. Hauptsache er kann erzählen! Als der BergmannSpross reintapste, barfuß, im Schlafanzug, seine Holzeisenbahn auf den Kautschtisch knallte, gab er den guten Onkel, schaltete den Rekorder ein, kurze Mikrofonprobe: Wie heißtu kleiner Mann? Philipp. Aha, lustiger Name. Und wie alt bistu? Als der Junge zwei Finger zeigte, mussten sie lachen. Martin fragte: Wo ist deine Nase? Wieder zeigte er nur mit dem Finger. Noch bisschen mikrofonscheu der Kleine. Hermann spielte ihm das Kurzinterview vor, und sie hatten ihren Spaß an den runden Kinderaugen, lachten noch, als Frau Bergmann die Gläser auf den Tisch stellte, den Spössling - Ab ins Bett! holte und Hans Bergmann das HannenAlt eingoss.
Bin gespannt wie Hermann ihn zum Reden bringt. Vielleicht muss man erst zwei drei Bier trinken. Oder Politik reden, Witze erzählen, was Allgemeines. Obs Regeln gibt, wie man ein Interview anfängt? Mit jemand den man einmal flüchtig gesehn hat? Inner MIGVersammlung hater kaum ein Wort gesagt. Arbeiter brauchen lang bis sie reden. Anpacken geht schneller. Obwohl - erzählen was man gemacht hat, Sachen die geklappt ham, das schaffich auch, wenn mich einer richtig fragt.
Bergmann schaute sie an, freundlich, erwartungsvoll.
Tja, dann erst mal Prost, sagte Hermann.
Drei erste Schlucke, kühl, prickelnd in der Kehle, drei tief aus der Brust antwortende Aah! Hermann leckte sich den Schaum von den Lippen. Mann tut dat gut! Er drückte die beiden Knöpfe am Rekorder: Ich darf doch? Ja also - wir wüssten gern was Genaueres, wie ihr das eigentlich angefangen habt, damals, mit der Mieterinitiative. Damit wir die Entwicklung bis heut, nichwahr, damit wir die zeigen könn verstehstu? Also den Fortschritt meinich.
Na ja Fortschritt. Bergmann kratzte sich am Kopf - anfangs war wirklich mehr los. Hat sich alles bisschen müde gelaufen. Das zermürbt, son jahrelanger Kleinkrieg. Aber einiges haben wir schon erreicht.
Der Anfang Hans, wie kommt sone Sache in die Gänge?
Der Volker, der ist zuerst aktiv geworden. Rumgemosert haben viele, klar, so von Nachbar zu Nachbar. Besonders die Frauen. Die saßen zu Hause, hatten den Dreck in den Wohnungen, den ganzen Tag dazu den Lärm von Baumaschinen und Elkawes. Als wir einzogen standen erst die drei Häuser hier vorn. Das ging mit den Kinderwagen quer durch den Matsch. Und die Autos - jeden Morgen Schicht Zement auf dem Lack! Von den Kindern ganz zu schweigen - Schlammschlachten! Aber Zäune um die Baugruben sparte die Schmitz KG. Gehwege sowieso, wir mussten Bretter hinschmeißen. Der Hammer, der das Fass vollmachte, war die Sache mit den Kontainern. Hatten die SchmitzLeute hingestellt für den Bauschutt, irgendwer hatte alte Möbel und Matratzen dazugeschmissen. und der Schmitz schickte uns Rechnungen, wir sollten die Kosten für den Kontainer bezahlen, anteilig - so rotzfrech warn die damals.
Später nicht mehr? fragte Hermann.
Heut wissen sie mit wem sie sichs erlauben können. Meine Frau is damals rübergegangen zum Volker, wir wussten schon dasser bei Gericht Referendar war, hat gefragt ob man das wirklich bezahln müsste, die Rechnung. Das war vielleicht die Geburtsstunde unsrer MIG. Abends saßen sie hier auf der Kautsch, wo ihr jetzt sitzt, der Volker, die Helen und meine Frau, haben mir verkündet dass jetzt Zoff gemacht werden sollte. Haben wir Flugblätter verfasst, haben zuner Versammlung im Pfeilers Eck aufgerufen, wo alle Klagen gegen die Baugesellschaft gesammelt werden sollten.
Hermann sagte Stopp maln Moment Hans, muss eben prüfen ob alles drauf ist.
Martin fühlte sich wie zu Hause. Das Bier, die historisch denkwürdige, dennoch angenehm weiche Kautsch, das beleuchtete Aquarium, in dem bunte Tropenfische unaufgeregt umeinander schwammen, die bedächtige Erzählstimme des Kollegen - eine Atmosfäre fast wie vor der eignen Glotze.

Erasmus Schöfers
"Die Kinder des Sisyfos",
Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung",
Bd.2 "Zwielicht" und
Bd.3 "Sonnenflucht",
Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
www.dittrich-verlag.de
Online-Flyer Nr. 46 vom 30.05.2006
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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 25
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Er wartete die Antwort nicht ab, ließ sie auf der Kautsch zurück. Hermann fummelte seinen Rekorder zurecht. Martin strich mit der Hand über den braunen Kordbezug - nette Leute, wie? Hermann hatte keine Klagen. Hauptsache er kann erzählen! Als der BergmannSpross reintapste, barfuß, im Schlafanzug, seine Holzeisenbahn auf den Kautschtisch knallte, gab er den guten Onkel, schaltete den Rekorder ein, kurze Mikrofonprobe: Wie heißtu kleiner Mann? Philipp. Aha, lustiger Name. Und wie alt bistu? Als der Junge zwei Finger zeigte, mussten sie lachen. Martin fragte: Wo ist deine Nase? Wieder zeigte er nur mit dem Finger. Noch bisschen mikrofonscheu der Kleine. Hermann spielte ihm das Kurzinterview vor, und sie hatten ihren Spaß an den runden Kinderaugen, lachten noch, als Frau Bergmann die Gläser auf den Tisch stellte, den Spössling - Ab ins Bett! holte und Hans Bergmann das HannenAlt eingoss.
Bin gespannt wie Hermann ihn zum Reden bringt. Vielleicht muss man erst zwei drei Bier trinken. Oder Politik reden, Witze erzählen, was Allgemeines. Obs Regeln gibt, wie man ein Interview anfängt? Mit jemand den man einmal flüchtig gesehn hat? Inner MIGVersammlung hater kaum ein Wort gesagt. Arbeiter brauchen lang bis sie reden. Anpacken geht schneller. Obwohl - erzählen was man gemacht hat, Sachen die geklappt ham, das schaffich auch, wenn mich einer richtig fragt.
Bergmann schaute sie an, freundlich, erwartungsvoll.
Tja, dann erst mal Prost, sagte Hermann.
Drei erste Schlucke, kühl, prickelnd in der Kehle, drei tief aus der Brust antwortende Aah! Hermann leckte sich den Schaum von den Lippen. Mann tut dat gut! Er drückte die beiden Knöpfe am Rekorder: Ich darf doch? Ja also - wir wüssten gern was Genaueres, wie ihr das eigentlich angefangen habt, damals, mit der Mieterinitiative. Damit wir die Entwicklung bis heut, nichwahr, damit wir die zeigen könn verstehstu? Also den Fortschritt meinich.
Na ja Fortschritt. Bergmann kratzte sich am Kopf - anfangs war wirklich mehr los. Hat sich alles bisschen müde gelaufen. Das zermürbt, son jahrelanger Kleinkrieg. Aber einiges haben wir schon erreicht.
Der Anfang Hans, wie kommt sone Sache in die Gänge?
Der Volker, der ist zuerst aktiv geworden. Rumgemosert haben viele, klar, so von Nachbar zu Nachbar. Besonders die Frauen. Die saßen zu Hause, hatten den Dreck in den Wohnungen, den ganzen Tag dazu den Lärm von Baumaschinen und Elkawes. Als wir einzogen standen erst die drei Häuser hier vorn. Das ging mit den Kinderwagen quer durch den Matsch. Und die Autos - jeden Morgen Schicht Zement auf dem Lack! Von den Kindern ganz zu schweigen - Schlammschlachten! Aber Zäune um die Baugruben sparte die Schmitz KG. Gehwege sowieso, wir mussten Bretter hinschmeißen. Der Hammer, der das Fass vollmachte, war die Sache mit den Kontainern. Hatten die SchmitzLeute hingestellt für den Bauschutt, irgendwer hatte alte Möbel und Matratzen dazugeschmissen. und der Schmitz schickte uns Rechnungen, wir sollten die Kosten für den Kontainer bezahlen, anteilig - so rotzfrech warn die damals.
Später nicht mehr? fragte Hermann.
Heut wissen sie mit wem sie sichs erlauben können. Meine Frau is damals rübergegangen zum Volker, wir wussten schon dasser bei Gericht Referendar war, hat gefragt ob man das wirklich bezahln müsste, die Rechnung. Das war vielleicht die Geburtsstunde unsrer MIG. Abends saßen sie hier auf der Kautsch, wo ihr jetzt sitzt, der Volker, die Helen und meine Frau, haben mir verkündet dass jetzt Zoff gemacht werden sollte. Haben wir Flugblätter verfasst, haben zuner Versammlung im Pfeilers Eck aufgerufen, wo alle Klagen gegen die Baugesellschaft gesammelt werden sollten.
Hermann sagte Stopp maln Moment Hans, muss eben prüfen ob alles drauf ist.
Martin fühlte sich wie zu Hause. Das Bier, die historisch denkwürdige, dennoch angenehm weiche Kautsch, das beleuchtete Aquarium, in dem bunte Tropenfische unaufgeregt umeinander schwammen, die bedächtige Erzählstimme des Kollegen - eine Atmosfäre fast wie vor der eignen Glotze.

Erasmus Schöfers
"Die Kinder des Sisyfos",
Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung",
Bd.2 "Zwielicht" und
Bd.3 "Sonnenflucht",
Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
www.dittrich-verlag.de
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