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Globales
"Epochaler Wandel" in der Arabischen Welt!
Etwa wie im Ostblock und in Südafrika?
Von Andreas Schlüter

„Epochaler Wandel“ - dieses Etikett wird zusehends öfter von den Medien im Zusammenhang mit den machtvollen Demonstrationen gegen autoritäre Willkür und brutale Gewalt der (vielfach vom Westen gestützten) Regime in der arabischen Welt verteilt. Und in der Tat, die durchgängige Berichterstattung des Fernsehens – soweit es einen ernsthaften Anspruch erhebt – deutet zusätzlich auf die wirklich überwältigende Bedeutung der Vorgänge hin.


"In Freiheit und Würde leben!"
Foto: Khalisa
 
Man könnte nun meinen, dieses sei ein Ausdruck solidarischer Anteilnahme. Hinzu kommt der – nicht unberechtigte Verweis auf die Ähnlichkeit in der Bedeutung gegenüber dem Umbruch im damaligen „Ostblock“ vor rund zwanzig Jahren. Und daran ist Einiges, auch, wenn es damals um das Ende der „bipolaren Welt“ ging. Und auch damals war die Berichterstattung von vermeintlicher Anteilnahme mit dem unzweifelhaften Freiheitswillen der sich auflehnenden Menschen durchsetzt.
 
Keine Frage, Freiheitswillen verdient immer Solidarität. Er verdient aber in dieser Solidarität auch einen besorgten und misstrauischen Blick auf die angeblichen Verbündeten dieser Bestrebungen, die sich eilig einfinden, um ihn vorgeblich zu unterstützen. Und da ist die Lehre aus den Vorgängen vor zwei Jahrzehnten außerordentlich nützlich!


Erstes Silvester nach dem Mauerfall
Quelle: www.bundesregierung.de
 
Die Menschen des Ostblocks waren damals vom Bestreben geleitet, nicht nur die Repression abzuschütteln, sondern in Freiheit und Demokratie die Früchte des „Volkseigentums“ zu genießen und an der Verwaltung und Gestaltung desselben teilzunehmen. Was ist daraus geworden? In Nullkommanichts waren sie ihr Volkseigentum los und durften unter (teils auch weiterhin stark eingeschränkten) „demokratischen“ Bedingungen zuschauen, wie die nun neuen „Eigentümer“ die Früchte ihres (des Volkes) ehemaligen Eigentums „verjuxen“. Kaum irgendwo ist dieser perfide Prozess so gut beschrieben, wie in Naomi Kleins erhellendem Buch „Die Schock-Strategie“ (Originaltitel „The Shock Strategie“). Dort wird ebenso eindringlich beschrieben, wie die Südafrikaner um die Früchte ihrer längst anstehenden Revolution geprellt wurden.
 

Zehnter Jahrestag der Demonstration vom
4.11.1989 auf dem Berliner Alexanderplatz.
NRhZ-Archiv
Nun, gerne wird neben der aktuellen „anteilnehmenden“ Berichterstattung der westlichen Medien auf „Gefahren“ der islamistischen Unterwanderung der Freiheitsbestrebungen verwiesen, die ganz offenbar so groß gar nicht ist. Peinlich verschwiegen wird selbst-verständlich, wie man die Erhebungen eben im Ostblock und in Südafrika seitens des Westens umgebogen und pervertiert hat. Gleichzeitig schwingt die perfide Hoffnung mit, dass die Jugend der arabischen Welt doch nun bitte ganz in „Facebook“ und „Twitter“ aufgehen möchte und der virtuellen Welt verfallen möge, wie dies teils im Westen passiert. Und man schaut natürlich, wen es denn nun speziell zu unterstützen gilt, um eine neue Andockstelle für ungebremste Einflussnahme zu gewinnen. Viele Diskussionen sind seitens der westlichen Gesprächsteilnehmer von einer ekelerregenden Kolonialmentalität geprägt.
 
Natürlich, eine gewisse Immunisierung gegen allzu leichte „Okkupation“ der recht jugendlichen Demokratiebewegung besteht in der (für nicht wenige hier höchst ärgerlichen) Tatsache, dass diese Gesellschaften ganz oder im Falle Ägyptens überwiegend islamisch sind. Aber die Früchte, die zu solchen Bestrebungen des Westens locken, sind gerade im Falle Ägyptens rund und prall! Da ist die Tatsache, dass Ägypten nach Südafrika das am stärksten industrialisierte Land des Kontinents ist. Da gibt es Erdgasvorkommen, den Suez-Kanal, eine gewaltige Tourismusindustrie usw.
 
Bisher hat man Mubarak erlaubt, sich für die brave Rolle, die er für den Westen gespielt hat, die Summe der ägyptischen Auslandsverschuldung in die Taschen zu stecken, ein Spiel, das Jean Ziegler („Das Imperium der Schande“) als das gängige Muster im Verhalten der Vasallen des Westens erkennt. Ägypten wurde unter Sadat und Mubarak von einer damals unter Nasser moderat sozialistischen (und progressiv nationalistischen) Militär-Diktatur in eine komplett vom Westen dominierte Feudal-Kleptokratie verwandelt, mit der Konsequenz, dass der Stadthalter teuer wurde und damit auch die Investition Ägyptens in seine eigenen Ausbeutungsmechanismen – soweit sie dem Westen nützen – erschwert wurde. Nun sieht der Westen vielleicht auch die Chance, die Kontrolle billiger ausüben zu können, wenn die Privatisierung zugunsten westlicher Unternehmen weitergetrieben werden kann.
 
Und last not least: vielleicht kann man zwar der westlichen Politik unterstellen, dass sie „a bisserl“ Mäßigung der israelischen Palästinenser-Politik nicht ungern sehen würde (selbst die Kanzlerin erklärte dem grimmig schauenden Netanjahu, dass die Siedlungspolitik ein ernstes Hindernis sei), aber einen Bruch mit der (dazu wohl nicht wirklich fähigen) hardcore-zionistisch geprägten „politischen Klasse“ Israels will man sicher nicht riskieren und setzt weiter in der Nahost-Politik auf sie. Und keine Frage, die Regierung Israels befindet sich im Würgegriff der Siedlerbewegung, die zum Staat im Staate geworden ist.
 
Und da kommen die Ängste eben der politischen Klasse Israels und ihrer Schutzpatrone ins Spiel: Gegen bewaffneten Kampf der Palästinenser konnte man die geneigte „Weltöffentlichkeit“ relativ leicht mobilisieren, so berechtigt dieser völkerrechtlich ist. Vor Friedensinitiativen aus der arabischen Welt (wie dem Plan vom Saudischen Kronprinzen) hatte man eine „Heidenangst“, diffamierte solche als hinterlistige „Falle“, und hat nicht selten bei „Friedensgefahr“ irgendwo im Umfeld ein „Krieglein“ vom Zaune gebrochen, aber was macht man nun, wenn die jungen Palästinenser so agieren wie die jungen Tunesier und Ägypter?! Es wird spannend!
 
Klar, die Menschen Tunesiens und Ägyptens wollen zuerst einmal eines: in ihrem eigenen Lande in Freiheit und Würde leben, wie auch immer dies zu bewerkstelligen sei. Aber gerade die inspirierende Wirkung der von Tunesien aus angestoßenen Prozesse lässt das Ganze als durchaus zumindest arabisch-internationalistisch erscheinen. Für den Nahen Osten deutet schon viel auf Inspirationswirkung hin. Ob die Entwicklung für den übrigen afrikanischen Kontinent als Inspiration wirken könnte (neben Venezuela und Bolivien als mögliche überseeische Inspirationen), hängt wesentlich davon ab, ob das ägyptische Volk in der Lage ist, sich selbst auch die sozialen und wirtschaftlichen Früchte seiner tapferen Erhebung zu sichern. (PK)
 
Andreas Schlüter, geboren 1947 in Hamburg, nach dem Abitur Soziologiestudium und "Integration in die Afrikanische Community". Langjährige Tätigkeit in der Erwachsenenbildung. Nach überwundener Leukämieerkrankung seit 1998 Erwerbsunfähigkeitsrenter und Nachhilfelehrer.
Seit kurzem Website/Blog http://linkslang.wordpress.com


Online-Flyer Nr. 288  vom 09.02.2011

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