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Aktueller Online-Flyer vom 14. Dezember 2024  

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Inland
Bundesamt für Verfassungsschutz wegen vier Jahrzehnten Rechtsbruchs verurteilt
Großer Erfolg für Menschenrechtler Rolf Gössner
Von Peter Kleinert

Gestern, Donnerstag, den 3. Februar, hat - wie bereits gemeldet - das Verwaltungsgericht Köln ein sensationelles Urteil in einem fünf Jahre andauernden Verfahren des Vizepräsidenten der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rechtsanwalts und Publizisten, Dr. Rolf Gössner - der seit 2005 auch in der NRhZ veröffentlicht - gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Bundesrepublik Deutschland verkündet. Das Gericht bescheinigte dem Verfassungsschutz mit dessen fast 40jähriger geheimdienstlicher Beobachtung Gössners einen beispiellosen Dauerrechtsbruch, der nicht ohne politische Konsequenzen bleiben dürfte.
 

Die Kölner Richter kamen nach zwei Wochen Beratung seit dem letzten Prozesstermin vom 20. Januar zu folgendem Urteil: „Es wird festgestellt, dass

Rolf Gössner
die Beobachtung des Klägers bis zum 13.11.2008 einschließlich der während dieses Zeitraumes erfolgten Erhebung und –Speicherung von Daten zu seiner Person rechtswidrig gewesen ist. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.“ Die Begründung des Urteils lag am Donnerstag noch nicht vor.
 
Rolf Gössner stand seit 1970 ununterbrochen unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) - als Jurastudent, später als Gerichtsreferendar, als Publizist, Rechtsanwalt und parlamentarischer Berater, später auch als Präsident/Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und als Mitherausgeber des alljährlich erscheinenden Grundrechte-Reports und der Zeitschrift Ossietzky, als gewähltes (parteiloses) Mitglied der Innendeputation der Bremer Bürgerschaft und sogar noch als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen. Erst am 13. November 2008, unmittelbar vor der ersten mündlichen Verhandlung nach seiner Klage, wurde die Beobachtung überraschend eingestellt. Es dürfte die längste Dauerbeobachtung eines unabhängigen Menschen in Deutschland durch den Geheimdienst gewesen sein, die bislang bekannt wurde - ohne dass dieser jemals selbst als "Extremist“ oder "Verfassungsfeind“ eingestuft wurde.
 
Verwaltungsgericht Köln im Dunkeln gelassen
Quelle: www.vg-koeln.nrw.de

Die 20. Kammer des Verwaltungsgerichts hatte in diesem Verfahren die schwierige Aufgabe, trotz der vom BfV aus Geheimhaltungsgründen wie "Quellenschutz, Ausforschungsgefahr, Staatswohl" - nur unvollständig vorgelegten 2.000seitigen Personenakte entscheiden zu müssen. Außerdem prallten in dem Verfahren "zwei Denkwelten“ aufeinander, wie der Vorsitzende Richter feststellte. Das Gericht problematisierte dabei auch, dass durch die einseitige Auswahl des erfassten Materials durch das BfV Beklagte "zwangsläufig ein falsches Bild" vom Kläger und von dessen beruflichen und politischen Aktivitäten entstehen müsse. Schon deshalb habe Rolf Gössner ein berechtigtes "Rehabilitierungsinteresse", dem das heutige Urteil in vollem Umfang entspreche.
 
"Dieser mühsame Kampf war nun mal notwendig"
 
Rolf Gössner drückte bereits vor Gericht sein Bedauern darüber aus, dass er durch diese unsinnige, geradezu absurde Überwachungsgeschichte viel Lebenszeit und -kraft verloren habe, dass zwei Gerichte - aktuell das Verwaltungsgericht Köln und zuvor bereits das Bundesverwaltungsgericht - mit aufwändigen Verfahren belästigt werden mussten. „Aber dieser mühsame Kampf war nun mal notwendig, um wenigstens zu versuchen, ein wenig Licht ins Dunkel geheimdienstlicher Machenschaften zu bringen und solch ausufernde Geheimdiensttätigkeit künftig zu bändigen.“

„Mir war immer klar" so Gössner, dass mit mir gewissermaßen eine ganze Generation von engagierten Menschen mitklagte, die sich seit den späten 60er Jahren in unterschiedlichen Aktivitäten und Berufen linkspolitisch betätigten oder weiterbetätigen, und dabei möglicherweise ebenfalls mehr oder weniger lang ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sind. Vielleicht habe ich deshalb so viel Zuspruch und Solidarität empfangen, für die ich mich herzlich bedanken möchte, weil ich mich in gewisser Weise auch stellvertretend zur Wehr gesetzt und geklagt habe.“
 
"Über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung"
 
Diese Überwachungsgeschichte und das Gerichtsverfahren zeigten in aller Deutlichkeit, so die Liga, „welche Gefahren für Persönlichkeitsrechte, für Informationelle Selbstbestimmung, Meinungs- und Pressefreiheit, Mandatsgeheimnis und Informantenschutz mit Geheimdiensten und ihren klandestinen Aktivitäten verbunden sind.“ Das Urteil hat nach Auffassung der Liga "über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, denn es geht um ein brisantes Problem, das auch andere Publizisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtler betrifft: Welche Grenzen sind den kaum kontrollierbaren Nachrichtendiensten und ihren geheimen Aktivitäten gezogen - gerade im Umgang mit Berufsgeheimnisträgern und im Rahmen unabhängiger Menschenrechtsarbeit von Nichtregierungsorganisationen?" Klar sei, dass diese Langzeitüberwachung nicht ohne drastische politische Konsequenzen bleiben weil es sich dabei nicht um einen Einzelfall gehandelt habe. "Dieser Verfassungsschutz schützt nicht die Verfassung, sondern ist offenbar selbst eine Gefahr für den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat.“ Und: "Diese aufwändige Überwachungsgeschichte ist auch ein ganz dringlicher Fall für den Bundesrechnungshof - wegen Verschwendung öffentlicher Gelder.“
 
"Ein Meilenstein"
 
Gössners Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß nennt die die Entscheidung einen "Meilenstein", denn: "Dem Schutz der BürgerInnen vor staatlicher Überwachung wurde nach 5jährigem Rechtstreit zumindest rückwirkend Geltung verschafft. Die im Prozess vom Bundesamt für Verfassungsschutz für sich in Anspruch genommene Deutungshoheit über das, was in diesem Staat zulässiger Weise gesagt und geschrieben werden darf, ist diesem Geheimdienst entzogen worden. Eine schallende Ohrfeige mit hoffentlich nachhaltiger Wirkung für die Erfassungspraxis nicht nur des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sondern aller bundesdeutschen Geheimdienste. Das Amt wird seine Beobachtungs- und Erfassungspraxis gründlich ändern müssen.“

Hinweis der Redaktion:
In der nächsten NRhZ-Ausgabe 288 können unsere LeserInnen den Fernsehfilm "Ein Staat sieht Rot" anschauen, bei dem Rolf Gössner als Co-Autor mitgearbeitet hat.
 
Hintergrundinformationen
 
Die Internationale Liga für Menschenrechte hat uns die folgenden Hintergrundinformationen zur Geschichte der Überwachnung von Rolf Gössner und zum Verfahrensverlauf zur Verfügung gestellt:

Rolf Gössner bei der Verleihung der der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2006 an Bundeswehrmajor Florian Pfaff und Rechtsanwalt Bernhard Docke (rechts)   NRhZ-Archiv


I. Zur Last gelegt wurden dem Kläger Rolf Gössner berufliche und ehrenamtliche Kontakte zu angeblich "linksextremistischen“ und "linksextremistisch beeinflussten“ Gruppen und Veranstaltern – wie etwa DKP, Rote Hilfe oder die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), aber auch zu Presseorganen wie Demokratie und Recht, Blätter für deutsche und internationale Politik, Geheim oder Neues Deutschland, in denen er - neben vielen anderen Medien - veröffentlichte, denen er Interviews gab oder in denen über seine Aktivitäten berichtet wurde. Mit seinen Kontakten, publizistischen Beiträgen, Vorträgen und Diskussionen habe er diese
Gruppen und Organe "nachhaltig unterstützt“, so der Vorwurf des BfV an den parteilosen Bürgerrechtler.
 
„Hier wurde aus vollkommen legalen und legitimen Berufskontakten eine verfassungswidrige 'Kontaktschuld' Gössners konstruiert“, so die Liga, „die schließlich als waghalsige Begründung für seine jahrzehntelange geheimdienstliche Beobachtung herhalten muss. Dies ist ein ungeheuerlicher Vorgang.“
 
Das BfV begnügte sich nicht allein mit den Kontakten Gössners, sondern machte sich inzwischen auch an die Interpretation seiner öffentlichen Äußerungen, maßt sich damit eine Deutungshoheit über seine Texte an und übt sie in geradezu inquisitorischer Weise aus. Diese ideologisch gesättigten Textinterpretationen „führen uns in die tiefsten 1960er und 70er Jahre des Kalten Krieges“ (so Anwalt Udo Kauß): Da wird schon zum "Verfassungsfeind“, wer das KPD-Verbotsurteil kritisiert oder den Begriff "Berufsverbote“ verwendet, die es in der Bundesrepublik angeblich nie gegeben habe. Da diffamiert die Bundesrepublik und ihre Staatsorgane, wer - wie der Geheimdienstkritiker Gössner - den Verfassungsschutz in Frage stellt und wird mit Verfassungsschutzbeobachtung nicht unter vier Jahrzehnten bestraft.
 
Nur rund 15 Prozent der BfV-Akten offen und vollständig lesbar
 
II. Nachdem Rolf Gössner bereits im Frühjahr 2006 gegen die Bundesrepublik
Deutschland Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln wegen dieser ununterbrochenen und rekordverdächtigen Geheimdienst-Beobachtung eingereicht hatte, kam es Ende 2008 zur ersten mündlichen Verhandlung. Wenige Tage davor teilte das BfV dem Gericht überraschend mit, dass die Beobachtung nach 39 Jahren eingestellt worden sei und alle erfassten Daten löschungsreif seien.
 
Die Liga hält die Einstellung der Beobachtung Ende 2008 für einen ersten großen Erfolg in diesem Verfahren, der ohne Klage wohl nie zustande gekommen wäre. Der Kläger, der ansonsten wohl immer noch und bis ins hohe Rentenalter unter Bewachung stünde, wurde in diesem Verfahren von ver.di - Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union und vom Verband Deutscher Schriftsteller unterstützt. Zuvor hatten zahlreiche Bürgerrechtsorganisationen, Gewerkschaften, Juristenvereinigungen und Schriftsteller - unter ihnen Günter Grass, Dieter Hildebrandt, Horst-Eberhard Richter - gegen seine Überwachung protestiert. 2008 ist Rolf Gössner als einem der Mitherausgeber des jährlich erscheinenden "Grundrechte-Report - Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland" die Theodor-Heuss-Medaille der Theodor-Heuss-Stiftung verliehen worden - für "vorbildliches demokratisches Verhalten, bemerkenswerte Zivilcourage und beispielhaften Einsatz für das Allgemeinwohl".
 
Rolf Gössners Klage war auf vollständige Auskunft des BfV über alle zu seiner Person gespeicherten Daten gerichtet. Außerdem sollte die Rechtmäßigkeit der Gesinnungsschnüffelei und Datenerfassung gerichtlich überprüft werden. Inzwischen verpflichtete das Gericht das BfV dazu, Gössners gesamte Personenakte vorzulegen. Dies ist auch geschehen - allerdings zum größten Teil mit entnommenen Seiten und geschwärzten Textstellen: Von allen über 2.000 vorgelegten Aktenseiten sind etwa 85 Prozent ganz oder teilweise unleserlich oder manipuliert oder gar nicht vorgelegt worden; nur rund 15 Prozent sind offen und vollständig lesbar.
 
Die Verheimlichung ganzer Aktenteile geht auf umfangreiche Sperrerklärungen des Bundesinnenministeriums (BMI) als oberster Aufsichtsbehörde des BfV zurück. Begründung: Würde ihr Inhalt bekannt, könnte dies dem „Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten“; die Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes (VS) würde beeinträchtigt, wenn verdeckte Arbeitsweise und operative Interessen bekannt werden ("Ausforschungsgefahr“). Die Geheimhaltung diene aber in erster Linie dem Schutz der Informationsquellen, deren Identität nicht enttarnt werden dürfe ("Quellenschutz“), weil ansonsten eine "Gefährdung von Leben, Gesundheit oder Freiheit“ von V-Leuten, Hinweisgebern und VS-Bediensteten zu befürchten sei.
 
Höchstrichterlich gebilligte Beweismittelverweigerung
 
III. Gegen diese Aktenverweigerung klagte Rolf Gössner parallel vor dem hierfür zuständigen Bundesverwaltungsgericht, um Sperrerklärungen und Geheimhaltung in einem so genannten In-camera-Verfahren überprüfen zu lassen. Dabei handelt es sich um ein rechtsstaatlich hoch problematisches Geheimverfahren ohne Mitwirkungsmöglichkeit des Klägers. Nach ihrer Auswertung der gesperrten Aktenteile in geheimer Sitzung kamen die höchsten Verwaltungsrichter zu dem von BMI und BfV geforderten Ergebnis, dass die entsprechenden Aktenteile weiterhin aus Gründen des Quellenschutzes, der Ausforschungsgefahr und des Staatswohls geheim gehalten werden müssten. Damit konnte das Verwaltungsgericht Köln nur auf solch eingeschränkter Informationsbasis seine Entscheidung über Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit dieser Dauerbeobachtung treffen.
 
Trotz dieser höchstrichterlich gebilligten Beweismittelverweigerung im staatlichen Geheimhaltungsinteresse ist die verbleibende Dokumentensammlung (Personenakte) dennoch recht aufschlussreich: So erstaunt etwa, wie viele Behörden, andere Stellen und Personen sich in diesem Fall als denunziatorische Zuträger für den Verfassungsschutz betätigt haben und wie viele Spitzelberichte über Gössners Vorträge und sonstige Aktivitäten angefertigt worden sein müssen.
 
IV. Dieses Verfahren hat nach Auffassung der Liga über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, denn es geht um ein brisantes Problem, das auch andere Publizisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtler betrifft: Welche Grenzen sind den kaum kontrollierbaren Nachrichtendiensten und ihren geheimen Aktivitäten gezogen - gerade im Umgang mit Berufsgeheimnisträgern und im Rahmen unabhängiger Menschenrechtsarbeit von Nichtregierungsorganisationen?
 
Dazu RA Kauß: "Die geheimdienstliche Langzeitüberwachung eines Anwalts, Publizisten und Menschenrechtlers verletzt Persönlichkeitsrechte, Informantenschutz, Mandatsgeheimnis und die ausforschungsfreie Sphäre, die für regierungsunabhängige Menschenrechtsgruppen unabdingbar ist“. Dazu zählten eben auch berufliche Kontakte zu "inkriminierten“ Gruppen und Personen, die der Verfassungsschutz für beobachtenswert hält. "Kritischer Dialog und offene politische Auseinandersetzung dürfen nicht unter geheimdienstliche Beobachtung und Kuratel gestellt werden“, ergänzt Liga-Vizepräsident Rolf Gössner: „Das würde keine freiheitliche Demokratie auf Dauer aushalten." (PK) 
 
 


Online-Flyer Nr. 287  vom 04.02.2011

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