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Kultur und Wissen
"Branntwein, Bibeln und Bananen - Der deutsche Kolonialismus in Afrika"
Nachruf auf Heiko Möhle
Von Peter Langlo und Christoph Schmitt

"Branntwein, Bibeln und Bananen - Der deutsche Kolonialismus in Afrika", das Standardwerk zur Geschichte des deutschen Kolonialismus kommt endlich wieder mit einer Neuauflage beim Verlag Assoziation a heraus. Das Nachwort von Peter Langlo und Christoph Schmitt erinnert an den verstorbenen Herausgeber Heiko Möhle. – Die Redaktion
 

Heiko Möhle
Der Herausgeber dieses Buches, Heiko Möhle, ist im August 2010 verstorben. Seinen großen Wunsch einer grundlegend überarbeiteten Neuauflage dieses Buches konnte er aufgrund einer schweren Erkrankung leider nicht mehr realisieren. Als "Branntwein, Bibeln und Bananen" 1999 das erste Mal erschien, war noch nicht absehbar, wie sehr sich das Nachdenken über die deutsche Kolonialgeschichte in den kommenden Jahren von einem Thema weniger Eingeweihter zu einem viel beachteten Diskussionsgegenstand entwickeln würde.
 
Für Heiko Möhle hingegen bedeutete das Buch "Branntwein, Bibeln und Bananen" einen Höhepunkt einer langjährigen Entwicklung, die biografisch früh und tief angelegt war. Bereits während seines Zivildienstes und seines Studiums beschäftigte er sich intensiv mit Fragen der Kolonialgeschichte und der Migrationspolitik. 1995 beschloss er sein Studium der Geografie, Geschichte, Soziologie und Pädagogik mit einer Diplomarbeit zum Thema "Koloniale Großplantagenwirtschaft und sozioökonomischer Wandel in Kamerun". Die hier thematisierten zerstörerischen Folgen der deutschen Kolonialexpansion am dicht besiedelten Kamerunberg und die Flüchtlingsschicksale in der sich weltoffen nur gebenden Großstadt Hamburg waren für ihn zwei Seiten einer Medaille, nur scheinbar durch ein knappes Jahrhundert Geschichte getrennt.


 

"Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist noch nicht einmal vergangen" – dieser Leitspruch könnte für das Buch stehen, das hier in vierter, durch einen Index und ein Literaturverzeichnis erweiterter Auflage erscheint, genauso aber auch für das Werk Heiko Möhles insgesamt. Das Besondere an seinem Wirken ist, dass es die Gegenwärtigkeit des Vergangenen nicht nur analytisch erfasst, sondern sie auch sinnlich erfahrbar gemacht hat. Dies gelang Heiko Möhle immer wieder durch die intensive Beschäftigung mit einzelnen Räumen, Orten und Regionen, durch das geschulte Abtasten von Häuserfassaden, Speicherplätzen und Schiffsbäuchen. Hinter oder manchmal sogar in ihrer Fassade offenbaren diese Erinnerungsorte das Geheimnis ihrer Vergangenheit und Gegenwart, und Heiko Möhle ging es darum, solche Geheimnisse zu lüften.
 
Dafür ist Hamburg, das "Tor zur Welt", mit seiner Kolonialgeschichte ein günstiger Ort, denn "wie die von Heiko Möhle herausgegebene, reich illustrierte Anthologie eindrucksvoll zeigt, zeichnet sich Hamburg durch besonders markante Erinnerungsorte aus" (Andreas Eckert, in: Frankfurter Rundschau, 27.3.2001).
 
Heiko Möhle arbeitete stets am Schnittpunkt von erfahrbarer Geschichte und kritisch beleuchteter Gegenwart, von sinnlichem Ortsbezug und internationaler Bedeutung, von wissenschaftlicher Fundierung und allgemein verständlicher Darstellung. Sein Handeln war auf Verständlichkeit, Kommunikation und Eingreifen angelegt und somit in grundlegendem Sinne aufklärerisch.
 
Dies zieht sich durch von der ersten Stadtrundfahrt "Hamburg-Dritte Welt" 1989, noch im universitären Kontext, bis zu den vielen gut besuchten kolonialhistorischen Stadtrundgängen, die er bis kurz vor seinen Tod durchgeführt hat. Titel wie "Sklaven, Schnaps und Schokolade", "Zwischen Völkerschau und Tropeninstitut" oder "Branntwein, Bibeln und Bananen" (so der Titel des kolonialhistorischen Stadtrundgangs von der Börse zur Speicherstadt im Hafen) sind vielen Hamburgern im Ohr. Genauso die Hafenrundfahrten, zu denen Heiko Möhle maßgeblich beigetragen hat: "Hoffnung Hafen", "Von Schatzkisten und Pfeffersäcken", "Tor zum Weltreich" oder "Meer-Bananen-Republiken". Hier geht es in unterschiedlichen Facetten um Welthandel, Migration und Kolonialgeschichte, an wechselnden Orten und mit wechselnden Medien, auch mit Musik und Literatur.
 
In diesen Zusammenhang passen auch die Ausstellungen, die Heiko Möhle – zum Teil gemeinsam mit anderen – entwickelt hat: Die Erste hat diesem Buch ihren Titel vererbt und reiste ab den frühen 1990er Jahren durch die Republik. Weitere Ausstellungen waren "Welthandel und Kontor" (als Dauerausstellung im Museum der Arbeit) oder zuletzt mitten in St. Pauli eine Schaufensterausstellung mit dem Titel "Zwischen Völkerschau und Kolonialinstitut – AfrikanerInnen im kolonialen Hamburg".
 
Einige der LeserInnen dieses Buches, vor allem, wenn sie aus Hamburg kommen, werden Heiko Möhle auf seinen Rundgängen und -fahrten, auf Veranstaltungen und Seminaren oder auf seinen vielen Bildungsreisen kennengelernt und erlebt haben.
 
Die freiberufliche Erwachsenenbildungsarbeit begann Heiko Möhle Ende der 1980er Jahre. Er hat sie stets und bis zuletzt weitergeführt, auch in den Zeiten unterschiedlicher angestellter beruflicher Tätigkeiten: als EU-Projektkoordinator für das Projekt "Migration und Rassismus in europäischen Hafenstädten" (daraus ist natürlich eine Hafenrundfahrt geworden!), als Bildungs- und Öffentlichkeitsreferent des Bundeskongresses entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO), als geschäftsführender Koordinator im Sonderforschungsbereich "Umbrüche in afrikanischen Gesellschaften" an der Universität Hamburg und, seit Januar 2005, als Geschäftsführer des Eine-Welt-Netzwerks Hamburg e.V.
 
Hier zeigte sich Heiko Möhles Talent, Menschen für sein Anliegen zu gewinnen und sie zu konkret eingreifendem Handeln zu ermuntern. Er selbst konnte, bei aller freundschaftlichen Haltung, durchaus unbequem werden, wenn er inhaltliche und moralische Qualitätsstandards bedroht sah. So scheute er sich z.B. nicht, in vielen Sitzungen eine klare Position zur Neugestaltung des sog. Tansania-Parks in Hamburg-Jenfeld einzunehmen, um zu verhindern, dass Relikte des Kolonialismus wie das sog. Askari-Relief in den Kontext eines beliebigen deutsch-tansanischen Freundschaftsparks gestellt und so enthistorisiert und um die Dimension ihres Schreckens, den sie in Wahrheit verkörpern, gebracht werden. Ein Engagement gegen ein "Gedenken, um zu vergessen".
 
Heiko Möhle hat in vielen unterschiedlichen Gruppen politisch gearbeitet: Er war aktiv bei der Initiative "Kein Mensch ist illegal", beim BUKO-Arbeitsschwerpunkt Antirassismus oder bei der Hafengruppe Hamburg-Dritte Welt. Viele Jahre hat er dort Hafenrundfahrten durchgeführt, Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit organisiert.
 
Ein anderer Teil seines Engagements galt der wissenschaftlichen Arbeit. Daraus ist nicht nur dieses Buch entstanden, sondern eine lange Liste von Veröffentlichungen im wissenschaftlich-akademischen Umfeld, aber auch im Umfeld kritischer Öffentlichkeit. Kennzeichnend ist auch hier das Ineinanderspiegeln von Theorie und Praxis, z.B. in dem Aufsatz "Kolonialismus und Erinnerungspolitik. Die Debatte um die Hamburger Askari-Reliefs" . In seinen letzten beiden Lebensjahren hat Heiko Möhle an der Berliner Humboldt-Universität sein Dissertationsprojekt "Kolonialwirtschaft und Eingeborenenpolitik am Kamerunberg 1884–1940" fertigzustellen begonnen. Hier schließt sich ein Kreis, auch wenn er die Dissertation nicht mehr abschließen konnte. (PK)
 
Peter Langlo gehört zur "Hafengruppe Hamburg", die, mit der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg, dem Theater am Strom und der Buchhandlung "Seitenweise" kooperiert.
Christoph Schmitt hat im Rahmen des Arbeitsschwerpunktes "Antirassismus" der Bundeskoordination Internationalismus an dem Buch "Kolonialismus im kollektiven Gedächtnis Afrikas und Europas" mitgearbeitet.
 
Heiko Möhle: "Branntwein, Bibeln und Bananen - Der deutsche Kolonialismus in Afrika - eine Spurensuche", 4., neu bearbeitete Auflage
ISBN 978-3-86241-404-8
180 Seiten, zahlreiche Fotos und Abbildungen, 14.80 € / 25.50 sF
http://www.assoziation-a.de/neu/Branntwein_Bibeln_und_Bananen.htm


Online-Flyer Nr. 288  vom 09.02.2011

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