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Lokales
Interview mit Professor Dr. Herbert Schui
Schwarz-Roter "Reformprovinzialismus"
Von Hans-Dieter Hey

Professor Dr. Herbert Schui war Wirtschaftsprofessor an der Uni Hamburg und 1975 Mitbegründer der "Memorandum-Gruppe Alternative Wirtschaftspolitik". 2004 war er Mitbegründer der WASG und sitzt seit 2005 für die Linke.PDS im Bundestag. Der bekannte Kritiker von Globalisierung und Neoliberalismus war kürzlich in Köln, um in einer Veranstaltung die Vorstellungen der Memorandum-Gruppe deutlich zu machen.

Hey: Herr Professor Schui, die Memorandum-Gruppe gibt es seit 30 Jahren fast zeitgleich mit der Entwicklung von Globalisierung und unserer Form des neoliberalen Marktradikalismus mit Erosionen in der Sozialpolitik. War dies für Sie vorhersehbar und deshalb auch ein Gründungsgrund?

Schui: Na klar war das erkennbar. Als damals der Bericht zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Lage heraus kam war uns klar, dass es in eine falsche Richtung gehen musste, auch mit den vorgeschlagenen Kürzungen im sozialen Bereich unter der Regierung von Helmut Schmidt. Natürlich war diese Entwicklung auch Anlass für unsere Gründung und unsere berechtigte Kritik und ich habe dabei bescheiden mitgewirkt.

H: Was wollen Sie mit der Memorandum-Gruppe?

S: Wir haben heute eine Situation, in der Bundesregierung und Wirtschaftsverbände besonders autoritär auftreten und uns den Eindruck vermitteln, dass es zu ihrer Wirtschaftspolitik keine Alternativen gäbe. Das ist aber falsch. Sie bedienen damit ausschließlich die Gewinninteressen des Kapitals und vernachlässigen die Binnenwirtschaft. Wir sehen aber immer deutlicher, dass dies nicht funktionieren kann. Und natürlich gibt es Alternativen, nur die werden in der medialen Öffentlichkeit kaum vorgestellt.

H: Es gibt einen Witz. Ein Politiker bemerkte in einer Rede: "Gestern standen wir noch vor einem Abgrund, aber heute sind wir schon einen Schritt weiter." Wird dadurch die bittere Erkenntnis deutlich, dass unsere Politiker realitätsresistent mit den unwirksamen Methoden des "mehr vom Alten" die Probleme lösen wollen?

Professor Schui: 'Natürlich gibt es Alternativen'
Professor Schui: "Natürlich gibt es Alternativen"
Foto: Hans-Dieter Hey



S.: Das verstehe ich auch nicht. Durch die Realität wird doch bewiesen, dass die eingeschlagenen Wege in eine falsche Richtung führen. Haben wir denn nennenswertes Wirtschaftswachstum oder eine Abnahme der Arbeitslosenzahlen? Nein! Ich verstehe auch nicht, warum so viele Politiker die Wirklichkeit nicht sehen können oder wollen. Offensichtlich sind sie vereinnahmt worden durch den neoliberalen Mainstream, der z.B. durch wirtschaftsnahe Organisationen wie die INSM, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hier in Köln, angetrieben wird. Anders kann man das nicht sehen. Vor allem auch unverständlich, wie sich die SPD verhält, der das kritische Bewusstsein wohl völlig abhanden gekommen ist. Peter Glotz meinte einmal dazu, dass die SPD nur noch aus Gerhard Schröder besteht, der Rest wurde weggesteuert.

H: Der Chef der Drogeriemarktkette, Götz Werner, hat kürzlich Hartz IV als offenen Strafvollzug bezeichnet, aber erneut findet eine Hetzkampagne in den Medien gegen Erwerbslose statt, um weitere Kürzungen in die Armut durchzusetzen. Was ist für Sie sinnvolle Arbeitsmarktpolitik gegen diesen Irrsinn? Z.B. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder Kombilöhne?

S.: Nein. Bei diesen Dingen bin ich sehr vorsichtig, weil sie letztendlich keine dauerhaften Arbeitsplätze bringen und zudem Druck auf reguläre Arbeitsplätze ausüben. Ich bin für eine deutliche Ausweitung des öffentlichen Sektors mit richtigen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Denn Arbeit gibt es bei uns in diesen Bereichen wahrlich genug. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wie in den 1970ern oder jetzt die Diskussion um Kombilöhne sind ungeeignet, die Probleme zu lösen. Ich bin für tarifvertraglich vereinbarte Löhne, die starke Gewerkschaften durchsetzen müssen. Nur dann haben wir eine Chance für binnenwirtschaftliches Wachstum. Außerdem brauchen wir eine armutsfeste Grundsicherung von mindestens 940 Euro im Monat. Weitere Kürzungen bei Arbeitslosen sind ein Skandal und die Arbeitsmarktpolitik ist ein Trümmerfeld, denn Hartz I-IV sind ein Flop. Das bringt uns auf keinen Fall weiter. Hier muss dringend und schnell umgesteuert werden. 2005 hatten wir die höchste Arbeitslosigkeit seit 50 Jahren, es fehlen uns rund 8 Millionen Arbeitsplätze.

H: Die Verfechter des Neoliberalismus predigen seit Jahren Lohnzurückhaltung, damit Arbeitsplätze geschaffen werden.

S.: Seit Ende der 1970er Jahre hat sich der Trend einer fallenden Lohnquote verfestigt. Allein im letzten Jahr sank sie um 1,4 Prozent, seit 2000 ist sie gar um 5 Prozent abgestürzt. Diese sinkende Lohnquote bremst uns in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung enorm ab. Sie ist das Kernproblem. Ohne Steigerung der Arbeitseinkommen und Sozialeinkommen wird es keine Aussichten für mehr Wachstum und Beschäftigung geben. Lohnzurückhaltung, wie es derzeit mit Tarifkämpfen "nach unten" geschieht, ist der völlig falsche Weg. Weil der Verfall der Arbeitseinkommen wesentlich mit der Schwäche unserer wirtschaftlichen Entwicklung zu tun hat, muss man auch mit einem gesetzlichen Mindestlohn von ca. 9 Euro die Stunde für ein erträgliches Leben entgegen wirken. Wirtschaftsminister Michael Glos wollte noch beim Antritt die Wirtschaft mit höheren Löhnen ankurbeln, hat das aber schnell wieder vergessen. Wahrscheinlich reiner Populismus!

H: Aber diese Lohnzurückhaltung führt doch dazu, dass wir wieder Exportweltmeister sind?

S.: Nein. Auch das ist eine falsche Sicht. Wir profitieren vor allem durch ein hohes Wirtschaftswachstum infolge der Industrialisierung in Asien und der guten Konjunktur in den USA. Das weltwirtschaftliche Wachstum liegt immerhin im Schnitt bei 4 Prozent. Solange dies anhält, profitieren wir davon. Wenn das weltwirtschaftliche Wachstum nachlässt, fragt keiner nach unseren Löhnen. Wichtig für diese Frage ist nach wie vor die Produktivität einer Arbeitsstunde, und hier liegen wir im internationalen Vergleich mit an der Spitze.

H: Sie haben dieser Regierung diesbezüglich "Reformprovinzialismus" vorgeworfen.

S.: Richtig! Aber es kommt noch etwas anders hinzu, was wichtig ist. Wenn wir künftig bei unserem Exportniveau bleiben wollen, müssen wir auch mehr importieren, damit diese Länder wiederum mehr Geld haben, bei uns zu kaufen. Das funktioniert aber nicht, wenn die Regierung den Menschen hier das Geld aus der Tasche zieht und die Löhne drückt. Globalisierung heißt eben gegenseitige Abhängigkeit. Das scheint man in Berlin nicht verstanden zu haben.   

H: Der Finanzminister hat mitgeteilt, dass er weniger ausgeben will, um den Haushalt zu konsolidieren. Trotzdem wird ein Investitionsprogramm von 25 Millarden Euro aufgelegt, um die Wirtschaft anzukurbeln.

S.: Richtig, z.B. durch weitere Kürzungen im sozialen Bereich und durch die Umsatzsteuererhöhung auf 19 Prozent. Doch 25 Mrd. Euro ist bei weitem zu wenig, um die Wirtschaft anzukurbeln. Wir bräuchten 75 Mrd. Und mehr als 25 Mrd. ist wohl nicht drin, wenn man gleichzeitig die Unternehmensbesteuerung generell auf 25 Prozent senken will. Mit der Umsatzsteuererhöhung und den Ausgabenkürzungen im sozialen Bereich wird es keine positiven Wirkungen bei Wirtschaftswachstum und Beschäftigung bringen. Sehen sie: es handelt sich um einen Verteilungskampf, bei dem der Staat wieder seine Handlungsfähigkeit in die richtige Richtung herstellen muss. Dafür gibt es allerdings derzeit keine Anzeichen. Wie will man denn Wachstumsimpulse setzen, wenn der Staat mehr und mehr auf diese Einnahmen verzichtet? Man muss doch nur auf die skandinavischen Länder schauen, die eine sehr viel höhere Unternehmensbesteuerung haben. Und die haben trotzdem keine Probleme am internationalen Markt. Auch wir müssen dazu kommen, die Unternehmen weitaus stärker zu besteuern. Bei einer stärkeren Besteuerung der Gewinne und der besseren Verfolgung von Steuersündern hätten wir gut und gern 100 Mrd. Euro mehr für notwendige staatliche Aufgaben.       

H: Wie könnte das aussehen?

S.: Durch Neu- und Ersatzinvestitionen. Der Bund hat seine Finanzlage durch die Steuergesetzgebung derart verschlechtert, dass auch die Finanzsituation der Gemeinden zunehmend verschlechtert wird. Es unterbleiben notwendige Investitionen im Bereich des Straßenbaus, bei öffentlichen Einrichtungen, in Krankenhäusern, der sozialen Fürsorge usw. - eine lange Liste. Nur dadurch können Arbeitsplätze geschaffen werden, auch hier in Köln. Aber auch die Firmen, die heute genug Geld haben, investieren nicht genügend in Ersatzinvestitionen. Wie will man denn künftig am Markt bestehen, wenn nicht in die Zukunft investiert wird?  

H: Wenn man eine alternative Politik will - also die Durchsetzung gesamtwirtschaftlicher Vorstellungen mit ausreichendem sozialen Ausgleich - funktioniert das wohl kaum unter  Beibehaltung der Aufrechterhaltung der Herrschaft über das Kapital. Muss hierzu nicht die Macht der Banken und Versicherungen, der Lobbyisten und Konzerne neu geordnet werden?

S.: Sicher brauchen wir einen starken Staat, um ordnungspolitische Alternativen zum gegenwärtigen neoliberalen Modell durchzusetzen. Mit einem geschwächten Staat geht das jedenfalls nicht. Dies funktioniert aber nicht auf Zuruf...

H: ...und deshalb äußerten Sie wohl vor einiger Zeit, die Politik der Konzerne könne nicht mit moralischen und patriotischen Appellen beeinflusst werden, sondern nur durch massiven politischen Druck? Brauchen wir dazu nicht andere Bündnispartner?

S.: Das ist es ja, was zur Zeit mit einer neuen Linken versucht wird. Es müssen sich dort auch alle alternativen Kräfte, wie z.B. attac, Sozialforum usw. zusammenfinden. Nur so kann ein entsprechender Druck aufgebaut werden, der schließlich die Verhältnisse in Richtung einer alternativen Wirtschaftspolitik ändern kann.




Online-Flyer Nr. 46  vom 30.05.2006

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