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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Inland
Neujahrsansprache 2011 unserer Bundeskanzlerin - hier und da ergänzt
"Wir haben erfahren, was möglich ist."
Von Angela Merkel und Peter Kleinert

"Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

lassen Sie mich ganz offen sein: Als ich vor einem Jahr genau hier saß und zu Ihnen sprach, da habe ich bei aller Zuversicht durchaus auch mit gemischten Gefühlen in die Zukunft geschaut, denn unser Land steckte tief in der Finanz- und Wirtschaftskrise. Es war die schwerste Krise seit über 60 Jahren.


Quelle: NRhZ-Archiv

Doch trotz aller berechtigten Sorgen - es wurde ein gutes Jahr für Deutschland.Schließlich wurden Parteifreunde, denen das Land viel zu verdanken hat, wie Roland Koch, Vorstandschef des Baukonzerns Bilfinger Berger, oder Friedrich Merz in den Verwaltungsrat der Privatbank HSBC Trinkaus berufen, wo er demnächst die Rolle des verstorbenen Bundeswirtschaftsministers und berühmt gewordenen Steuerhinterziehers Otto Graf Lambsdorff als Generalbevollmächtigter einnehmen soll. (1)

Und über eines vor allem können wir uns freuen: Noch nie hatten im geeinten Deutschland mehr Menschen Arbeit als heute. Die Zahl der Arbeitslosen ist die Niedrigste seit fast 20 Jahren: So hatten wir im November 2010 4.719.454 Empfänger von Arbeitslosengeld, und im November 2005 waren es 4.088.955.

Deutschland hat die Krise wie kaum ein anderes Land gemeistert. Was wir uns vorgenommen hatten, das haben wir auch geschafft: Wir sind sogar gestärkt aus der Krise herausgekommen. Und das ist vor allem Ihr Verdienst, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, vor allem der befristet Beschäftigten, Teilzeitarbeiter und Aufstocker, die von der Arbeitsagentur Geld bekommen, damit sie überleben können. 

Flaschensammler arbeiten bis spät in die Nacht. Man sieht sie nicht
Cartoon: Ursula Behr
 
Deutschland ist so erfolgreich, weil Sie Tag für Tag Ihre Arbeit machen - als Leiharbeiter ohne Murren und Billiglöhner.Sie sind früh morgens auf den Beinen. Sie arbeiten im Schichtdienst, an Sonn- und Feiertagen. Sie kümmern sich um Aufträge und um Ihre Mitarbeiter und vor allem um Gewinne, die sich bei RWE, Eon und EnBW allein 2009 zusammen auf 23 Milliarden Euro beliefen. Und ab Januar gibt es erneut eine schöne Strompreis-erhöhung. Sie meistern Ihren Alltag, wie schwer er oft auch sein mag.
Gemeinsam haben wir Enormes geleistet. Wir haben erfahren, was möglich ist. Das ist wichtig, denn wir Deutschen sind uns unserer Stärken selbst nicht immer bewusst. Unsere Fußball-Nationalmannschaft hat in Südafrika ganz wunderbar genau die Tugenden gezeigt, die uns stark machen: Fleiß und Disziplin, Ideenreichtum und Technik auf höchstem Niveau.
Nur ein Wort noch zum Fußball: Wenn nächstes Jahr die Frauen-WM in Deutschland stattfindet, dann will unsere Mannschaft zum dritten Mal den Titel holen. Mit unserer Unterstützung kann sie - ähh kann er, ähh können sie, ähh wer denn nun? - es wirklich schaffen, ich jedenfalls freue mich schon auf das Eröffnungsspiel in Berlin. Aber bei aller Zuversicht: Unsere Stärken werden wir auch in Zukunft beweisen müssen - und zwar nicht nur im Fußball.
Europa steht in diesen Monaten inmitten einer großen Bewährungsprobe. Wir müssen den Euro stärken. Dabei geht es nicht allein um unser Geld. Der Euro ist ja weit mehr als eine Währung. Er bietet die Möglichkeit, dass Deutschland diesmal auch ohne Krieg in Europa das Sagen hat.

Wir Europäer - wir sind zu unserem Glück vereint. Das vereinte Europa ist der Garant für unseren Frieden und Freiheit. Der Euro ist die Grundlage unseres Wohlstands auch wenn die Iren das anders sehen mögen, weil auch dort vor allem deutsche Banken und Investmentbanker die Profiteure der Finanzkrise sind. Mit Forderungen von 138 Milliarden Dollar sind sie unter den Anleihegläubigern der irischen Banken die zweitgrößte Gruppe – nach britischen Banken mit 149 Milliarden Dollar.

Deutschland braucht Europa und unsere gemeinsame Währung. Für unser eigenes Wohlergehen wie auch, um weltweit große Aufgaben zu bewältigen, z. B. dafür zu sorgen, dass wir nicht nur wieder Exportweltmeister werden, sondern so viel Erdöl und Erdgas wie wir brauchen, so billig wie möglich importieren können.

Wir Deutsche nehmen unsere Verantwortung wahr - auch wenn sie manchmal sehr schwer ist.

Cartoon: Ursula Behr
 
Unsere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan mussten in diesem Jahr den Tod von neun Kameraden verkraften, damit die Rohstoffversorgung unserer Energie- und Automobilkonzerne auch weiter gesichert bleibt. Denn irgendwann werden wir ja unsere umweltschonenden AKWs tatsächlich schließen müssen, weil deren Kritiker bei Ihnen leider immer mehr Unterstützung finden. Auch wenn kein Wort von mir das Leid der Familien und Freunde der Gefallenen tatsächlich mildern kann, will ich von Herzen sagen: Ich vergesse sie nicht. Auch die körperlich und seelisch Verwundeten vergesse ich nicht. Ich hoffe so sehr, dass sie rasch wieder gesund werden können. Und ich danke so wackeren Waffenproduzenten wie Heckler & Koch, dass sie nach wie vor zuverlässsige Gewehre wie das G26 bauen, wenn davon auch schon mal einige nicht bei unseren Soldatinnen und Soldaten, sondern leider bei der Drogenmafia in Mexiko landen, anstatt gegen die Taliban eingesetzt zu werden. Auch die körperlich und seelisch Verwundeten vergesse ich nicht. Ich hoffe so sehr, dass sie rasch wieder gesund werden können.
Die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan haben mir erzählt, dass viele Menschen, auch ganz unbekannte, ihnen zu Weihnachten Briefe und Päckchen geschickt haben. Sie haben mich ausdrücklich darum gebeten, Ihnen dafür zu danken. Das tue ich hiermit sehr, sehr gerne.

Des Weiteren möchte ich Ihnen dafür danken, daß Sie die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge und der Rente ab 67 so tapfer hingenommen haben, ohne auf so schädliche Ideen wie Generalstreik zu kommen. Ebenfalls danken möchte ich den Menschen, die sich bei der Debatte um Stuttgart21 von meinem Parteifreund Heiner Geißler zu Stuttgart21plus haben überzeugen lassen.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

so wie wir mit Hoffnung in die Zukunft blicken, so tun das auch die Menschen in anderen Teilen der Welt. Auch sie haben Vorstellungen davon, wie sich ihr Land entwickeln soll. Damit fordern sie auch uns Deutsche heraus, nicht stehen zu bleiben.
Die christlich-liberale Bundesregierung setzt deshalb alles daran, im kommenden Jahr wichtige Etappenziele zu erreichen. Wichtig war zum Beispiel die erfolgreiche aber in den Medien kaum wahrgenommene Unterstützung des Militärputsches gegen José Manuel Zelaya in Honduras durch die Friedrich Naumann-Stiftung unserer Freunde von der FDP. Denn wir müssen verhindern; dass weitere Regierungen in Lateinamerika wie die von Chavez, Morales und anderen dem Beispiel der Kubaner folgen und als ALBA-Mitglieder weiter Konzerne verstaatlichen, damit die Indigenen mehr Unterstützung bekommen.

Das wohl wichtigste: Noch mehr Menschen sollen Arbeit bekommen können, die weiter erfolgreich gering entlohnt sollte wie in den vergangenen 10 Jahren, für die wir eine Lohnsenkung um 4,5 Prozent vorweisen können, während es von den USA bis Norwegen inflationsbereinigte Lohnsteigerungen von 2,2 bis 25,1 Prozent gab. Drum auch die von Erwerbsloseninitiativen, die diese notwendige Gerechtigkeit einfach nicht verstehen wollen, als mager bezeichnete Regelsatzanhebung bei Hartz IV um fünf auf 364 Euro.

Auch werden wir unsere Finanzen weiter in Ordnung bringen und die Steuern vereinfachen, indem wir nicht nur Mövenpick, sondern auch größeren Unternehmen durch Steuererleichterungen zu mehr Investitionen Anreize bieten werden.

Wir wollen den Zusammenhalt in unserem Land stärken, gerade zwischen denen, deren Familien immer schon hier gelebt haben, und denen, die sich als Zuwanderer integrieren.
Wir nehmen den Begriff von der Bildungsrepublik Deutschland ernst: So schaffen wir viele neue Studienplätze. Für den doppelten Abiturjahrgang 2013 werden die zwar nicht ausreichen, aber auf der Hörsaaltreppe zu sitzen hat schließlich noch keinem geschadet. Für Kinder, die bisher zu oft am Rande standen, führen wir Bildungsgutscheine ein. Natürlich wäre dieses Geld besser in zusätzlichen und kostenlosen KiTas, verbesserten Übermittagbetreuungen und Hausaufgabenhilfen, mehr Jugendzentren und bezahlbaren Freizeitangeboten angelegt. Aber bedenken Sie bitte, dass an Entwicklung und Herstellung der Chipkarte unsere Hochtechnologiefirmen gut verdienen können.

Wir gehen den Weg zur modernsten Energieversorgung der Welt, die Klima und Umwelt schont und bezahlbar ist. Dass wir dafür natürlich die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängern müssen, wird leider - wie manche anderen Entscheidungen unserer Regierung - von vielen Menschen noch nicht verstanden, wie die bedauerlicherweise zunehmenden Protestkundge-bungen zeigen.
 
Wir vollenden den Wandel der Bundeswehr zu kleineren und flexiblen Streitkräften, indem wir die Wehrpflicht durch einen freiwilligen Wehrdienst ersetzen. So werden unsere Soldatinnen und Soldaten zum Beispiel sehr viel besser als schnelle Eingreiftruppen gegen somalische Piraten funktionieren, die die Transportflotten unserer Schiffahrtsgesellschaften bedrohen. Dem Zivildienst wird ein Freiwilligendienst folgen. Das alles ist ein Einschnitt, ich weiß. Aber es ist auch eine Chance für unser Land, denn wir brauchen die Solidarität von allen - von Mensch zu Mensch.
Sie kann nie allein vom Staat geleistet werden. Ich danke den vielen Menschen in unserem Land, jungen wie alten, die wie selbstverständlich und oft unbemerkt anderen Menschen helfen. Gemeint sind allerdings damit nicht solche wie die Mitglieder der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim in Köln (SSM), die in der Vergangenheit von den Verantwortlichen unserer Partei in Stadtrat und Verwaltung leider nicht ausgebremst werden konnten.


Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
das alles ist Deutschland, unser Deutschland im 21. Jahrhundert. Das alles trägt zu Zusammenhalt und Wohlergehen bei. Denn Wohlergehen und Wohlstand - das heißt nicht nur "mehr haben", sondern auch "besser leben" - natürlich, damit es keine Missverständnisse gibt: vor allem für diejenigen, die aufgrund ihrer Herkunft die entsprechenden Voraussetzungen dafür bereits vom lieben Gott in die Wiege gelegt bekommen haben.

Dafür brauchen wir Sie: die Menschen, die etwas besser machen wollen, die sagen: Geht nicht, gibt's nicht, die eine Idee haben und den Mut, sie auch umzusetzen.
Der Philosoph Karl Popper hat gesagt: "Die Zukunft ist weit offen. Sie hängt von uns ab, von uns allen." Was Sie vielleicht nicht wissen: Popper war - schon als Student mir durchaus nicht unähnlich - als junger Mann in der Organisation des "Roten Wien" so aktiv wie ich einst in der FDJ und für kurze Zeit sogar Kommunist. Er wurde dann aber einer der konsequen-testen Kritiker des Marxismus und erwarb sich als Professor an der Universität London später den Spitznamen "totalitärer Liberaler".

Lassen Sie uns in diesem Sinne mit Ideen, mit Neugier, mit Leidenschaft und mit dem Blick für den Nächsten die Lösung neuer Aufgaben anpacken.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien für 2011 Gesundheit, Kraft, Zufriedenheit und Gottes Segen."


(1) Diese und andere kursiv geschriebene Ergänzungen habe ich in den sonst wörtlich von der Tagesschau http://www.tagesschau.de/inland/merkelrede104.html übernommenen Text der Kanzlerin vom 31.12.2010 18:05 Uhr eingefügt, weil sie die wohl vergessen hatte. (PK)


Online-Flyer Nr. 283  vom 02.01.2011

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