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Lokales
"Einer von Euch, unter Euch mit Euch"
Kippenberger - Der Film
Von Carola Willbrand

"Dieses Leben kann nicht die Ausrede für das nächste sein." - Diesen Untertitel, dieses Zitat sollte man beim Betrachten des Films nicht vergessen. Denn genau darum ging es Martin Kippenberger: Jetzt in diesem Leben alles für die Kunst tun - und zu wagen, was nur möglich ist. Eben deshalb war er rastlos umtriebig unterwegs als sein eigener Promotor.

Das aber löst der Film nicht ein, Kippenberger selbst kommt nicht zu Wort - nur in sehr kurzen Filmausschnitten mal ein Satz. Sein charismatisches Auftreten aber, seine ungeheure Redegewandtheit, seinen direkten Zugang zum Publikum, auch seine gnadenlosen Attacken auf das Kunstestablishment - all das hört und sieht man leider nicht.

Sicher standen sein Auftreten, seine Person oft vor seinem Werk, das sich dann die attackierte Kunstwelt nicht mehr angucken wollte. Aber auch das Werk wird in diesem Film nur am Rande sichtbar - in verschwommenen alten Aufnahmen. Das wäre weiter nicht schlimm, denn historische Filmfeatures, die der Filmemacher Jörg Kobel, Jahrgang 66, in den Sendeanstalten recherchierte, sind nun mal von anderer Qualität als man sie heute in einem Film erwartet.

Schlimm ist aber, dass diese außerordentliche Kunstpersönlichkeit nicht sichtbar wird. Auch die in die Filmfeatures eingeflochtenen Statements der Kippenberger Familie, der Sammler-Familie Grässlin, der Galeristin Gisela Capitain reizen nur am Rande ein Bild aus der Erinnerung heraus. Eine Anekdote. Was ist wichtig, um eine künstlerische Arbeit, eine Künstlerpersönlichkeit zu sehen? Was sollte man wissen? Um eine Arbeit einschätzen zu können, muss man die Zeit kennen, ihre Bedingungen, ihre Verflechtungen, ihre Musik.

Das mit der Musik macht der Film richtig, indem er das 75-minütige Porträt mit einem Blick auf Kippenbergers Club SO 36, einem verrauchten Keller der Berliner Punk-Rock-Ära beginnt. Kippenberger, der selbst in einer Punkband spielte, tanzt ausgelassen zwischen den Musikern - gekleidet im Anzug, einer absolut unpassenden Kleidung in jener Zeit. Auch hier gebärdet er sich nonkonformistisch - wie in allem. Der Anzug, ein biederer, meist grauer Herrenanzug, war seine gängige Arbeitskleidung.

Weitere frühe Filmfeatures (seine Filmauftritte aber kommen überhaupt nicht vor) zeigen z. B. Kippenberger jovial hinter seinem Schreibtisch sitzend im Berliner Büro Kippenberger, das deutsche Pendant zu Andy Warhols Factory , das er zusammen mit Gisela Capitain betrieb. (Was hat das mit Kunst zu tun, Herr Kippenberger? Nichts!); oder die Kamera fährt durch "Miete, Strom Gas" 1986 im Museum Darmstadt. Kubistisch anmutende Styropor-Skulpturen in Pappregalen - ein Loch im Bauch als Gedenken an die Hungernden der Welt.

Bemerkenswert sind immer die sonoren, nüchtern bemühten Kommentare der Journalisten in diesen Film-Kultur-Features. Denn die Presse war Kippenberger überhaupt nicht wohl gesonnen, und die deutsche Museumslandschaft schon gar nicht. Darauf weist der Poppapst Diedrich Diederichsen in einem der eingeflochtenen Kommentare hin. Denn: wie angefeindet Kippenberger von der Kunstwelt wurde, vergisst man heute angesichts seines Ruhms!
Hauptsächlich kommt in den Kommentaren zwischen den historischen Filmfeatures Gisela Capitain zu Wort. Die heute erfolgreiche Galeristin, mit der Kippenberger Ende der 70er Jahre in Berlin lebte, verwaltet seinen Nachlaß. Sie stellt emphatisch Kippenberger als den unentwegt Arbeitenden in den Vordergrund. Fast zart erwähnt sie allerdings irgendwann so nebenbei, dass sie auch einen ganz anderen "Kippi" kannte als den ewig Zoten reissenden Macho.

Kippenberger auf Syros
Kippenberger auf Syros
Foto: RealFiction Filmverleih


Die Sammlerfamilie Grässlin erzählt liebevoll kleine Anekdoten in ihrem St. Georgen im Schwarzwald. Dort eröffnete Kippenberger 1992 sein Atelier. Der "junge" Herr Grässlin führt stolz einen Ford Capri der frühen 70er vor, den Kippenberger in widerlichem Kackbraun bemalte, und den der Künstlerfreund Albert Oehlen mit Haferflocken beschmiss - signiert von beiden. Albert Oehlen sieht man kurz in einem frühen Filmfeature. Aber heute kommt er nicht zu Wort genau wie andere Künstlerkollegen, Künstlerfreunde auch nicht gefragt werden.
Dabei waren doch die unterstützenden Männerbünde so wichtig, so hilfreich.

Mit Albert Oehlen und Werner Büttner z. B. gründete Kippenberger den Geheimbund der "Lord Jim Loge". Kaspar König weist in seinem Interview Karneval 2004 im Sträflingsanzug darauf hin, dass Kippenberger, als er am "Städel" der Kunsthochschule in Frankfurt unterrichtete, auch seinen Studenten Clubjacken mit dem Lord-Jim-Loge-Emblem anzog, die er selber finanzierte. Diese Uniform wurde zum Problem, als einer der Studenten sie ablehnte und daraufhin Kippenberger nicht mehr zum Unterricht erschien. König, seit 2000 Chef des Museums Ludwig in Köln, betont, nie zum Kippenberger-Fan-Club gehört zu haben, aber die Bedeutung einer weltweit einmaligen Künstlerpersönlichkeit zu sehen. Die Kamera fährt über eine schier endlose Reihe von Kippenberger-Büchern im Rücken von König. Zu jeder Aktion, zu jeder Ausstellung machte Kippenberger Flyer, Einladungen, Plakate, Broschüren, Bücher.

Kippenberger in Los Angeles
Kippenberger in Los Angeles
Foto: RealFiction Filmverleih


Das tat schon sein Vater, der Bergbauingenieur, der so gerne Künstler geworden wäre. Dieser Vater zeichnete, schrieb - erzählen die Schwestern Kippenberger - fotografierte, machte aus allem Collagen, Heftchen aus den Familienbriefen. Er vermittelte Martin Kippenberger die Vorstellung, dass der ganze Alltag so interessant war, das man aus allem was machen kann. Auch inszenierte der Vater seine Kinder für Fotos. Im Gegensatz zu seinen Schwestern liebte Martin Kippenberger diese Inszenierungen, und genau das konnte er ja auch so unglaublich gut: eine Pose einnehmen. Sobald ein Fotograf in der Nähe war, fiel ihm eine Pose ein.

Das taucht in dem Film nur in den späten Fotos von Elfie Semotan auf, selbst eine erfolgreiche, berühmte, österreichische (Mode-)Fotografin, mit der er die letzten Jahre zusammenlebte, und die er ein Jahr vor seinem Tod heiratete. Kippenberger wollte immer nach Venedig, ob zu seiner Hochzeit oder zur Biennale. Die Hochzeit schaffte er vor seinem Tod, und Elfie Semotan fotografierte ihn auf dem Markusplatz umgeben von den Tauben, selber flatternd wie eine Taube. Auf die Biennale schaffte er es erst nach seinem Tod 1997 - mit seinem globalen U-Bahn-Netzwerk, dem Einstieg von Italien aus. Elfie Semotan machte auch die anrührenden Fotos, die letzten, die sie in dem Film zeigt, für seine letzte Litho-Serie: das Floß der Medusa, in dem Kippenberger sich selbst - zerfressen in seinem aufgedunsenen Körper - präsentiert und porträtiert.

Nicht nur die Biennale Venedig kam nach seinem Tod, auch das Van Abbe Museum Eindhoven, Tate Modern London und jetzt K21 in Düsseldorf. Zu dieser Ausstellung "The Happy End of Franz Kafka´s Amerika" soll der Film gezeigt werden. Dieses Meisterwerk von 1994, dessen Titel auch der Ausstellungstitel fürs K21 wurde, 1994 bereits in Rotterdam gezeigt, kann man in seiner Erarbeitung im Film sehen.

Es ist schön, Kippenberger inmitten dieser Arbeit noch lebend zu sehen, aber macht es Sinn, ihn in diesem Film hier zu sehen, um das Gesamtwerk zu verstehen? Die 80er Jahre mit ihrem Begriff vom autonomen Kunstwerk waren eine komische Zeit, und Martin Kippenberger hatte einen deutlichen Begriff vom Dagegen. Dabei war nicht nur der Kunstbetrieb der Feind, das waren für ihn auch die Medien, das Fernsehen, die Zeitungen, eigentlich alles. Dieses Alles hat ihn heute eingeholt und adaptiert.

Trotzdem oder gerade deswegen ist das Wichtigste, seine Arbeit live zu sehen. Denn er hat die Zeit gesehen und den Sensor für das gehabt, was zu tun ist in der Zeit: sein globales U-Bahn-Netzwerk beispielsweise. Überall in der Welt markieren (künstliche, unbenutzbare) U-Bahnschacht-Einstiege die globale Vernetzung. Das fing auf einer griechischen Kykladeninsel an und endete auf der Biennale Venedig. D´rum auf  in den U-Bahn-Schacht und ab zu Kippi! Martin Kippenberger im  K21 vom 10. Juni bis zum 10. September 2006. "Einer von Euch, unter Euch mit Euch" schrieb Martin Kippenberger 1979auf eines seiner Selbstporträts.

Unsere Autorin ist selbst Künstlerin und kannte Kippi. Die Redaktion.

Kippenberger - Der Film
Deutschland/Österreich 2005, 75 min.
Kinostart: 15. Juni
Mit Diedrich Diederichsen, Kaspar König, Christoph Schlingensief, Michel Würthle, Gisela Capitain, Elfie Semotan, Familie Grässlin u. a.
Buch, Regie: Jörg Kobel
Schnitt: Babette Rosenbaum
Kamera: Ralf M. Mendle, Vita Spieß
Musik: Dürbeck & Dohmen
Produktion: Barbaraossafilm Köln
Verleih: RealFiction Filmverleih


Online-Flyer Nr. 45  vom 23.05.2006

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