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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Globales
Israelischer Ex-General - Raus aus der Uniform, rein in die Auseinandersetzung
"Wir haben den Konflikt arafatisiert"
Von Akiva Eldar

Nach 28 Jahren Dienst in der Armee, davon sieben Jahre in der Westbank, hat der israelische Brigadegeneral Ilan Paz, auch als "Pitzi" bekannt, vor einigen Wochen eine Kehrtwende gemacht. An einem Samstagvormittag verließ er sein Haus in Kerem Maharal und machte sich auf zu einem Treffen mit Palästinensern im Hotel Ambassador in Sheikh Jarrah in Ostjerusalem.

Seit er vor neun Monaten einen seiner Entlassung vorausgehenden Urlaub angetreten hatte, hat Ilan Paz regelmäßig an Treffen teilgenommen, die das "Israel Palestine Center for Research and Information" (www.ipcri.org) bei seinen fast verzweifelten Versuchen, den Israel-Palästina-Konflikt zu lösen und den Kontakt zwischen den beiden Seiten aufrecht zu erhalten, organisiert hatte. Die ersten Treffen verbrachte er meist damit, schweigend den Klagen palästinensischer Aktivisten zu lauschen, und wenn sich einer der Israelis für den Rückzug oder den "convergence plan"[1] (Annäherungs-Plan) aussprach, beschränkte er sich meist auf einen verhaltenen Kommentar. Jetzt, da ihn die Khakiuniform nicht mehr zurückhält, muss sich der Mann, der jahrelang der Zivilverwaltung in den Besetzten Gebieten vorgestanden und davor in Jenin und Ramallah als Brigadegeneral gedient hat, nicht mehr bremsen, sondern kann sich offen äußern:

Eine Rückkehr der Fatah? Lächerlich!

"Der `convergence plan´ wird auch in zwanzig Jahren noch nicht umgesetzt sein", sagt der schlanke Offizier, einst stellvertretender Kommandant der Marinekommandos. "Die gefährliche Kombination aus humanitärer Krise, Chaos im Inneren, Massakern und Qassams wird Israel dazu zwingen, wieder in die Westbank und vielleicht auch in Gaza einzurücken. Dies bedeutet Krieg und damit die Einberufung der Reservisten, Verluste von Menschenleben und enorme wirtschaftliche Kosten."

Entsprechend dem Abkommen von Oslo trage Israel die gesamte Verantwortung für die Besetzten Gebiete, sagt der Ex-General: "Wenn die palästinensische Autonomiebehörde zusammenbricht, werden wir nicht einfach ruhig zuschauen können. Bereits jetzt sind etwa drei Millionen Menschen dem Hungertod nahe, überall herrschen Anarchie und Gewalt."

Erstes Interview nach der Entlassung aus der Armee

Zwei Tage später, in einem ersten Interview nach seiner Entlassung aus der Armee sagt Paz, nach einer Schätzung des Büros des Koordinators der IDF-Aktivitäten in den Besetzten Gebieten vor zwei Jahren würde die Wiedereinführung der Militärverwaltung 12 Milliarden Schekel jährlich kosten. Er könne nicht verstehen, welches Interesse Israel daran habe, die Palästinensische Autonomiebehörde zu Fall zu bringen. Um die Fatah wieder an die Macht zu bringen? Diesen Gedanken findet er lächerlich.

"Die Erfahrung zeigt, dass Krisen im Inneren eines Landes und Mangel eine leidende Bevölkerung nicht dazu anregen, mit eben jenem Feind Gespräche aufzunehmen, den sie als Ursache für eben jenes Leid ansieht; sie wird nur ihren Kampf gegen diesen Feind intensivieren", sagt Paz. "Wenn es kein Geld für das Schulsystem der Palästinensischen Autonomiebehörde gibt, in dem wir einen gewissen Erfolg dabei erzielt haben, provokatives Material aus dem Lehrplan herauszufiltern, dann werden die Schüler in das Schulsystem der Hamas wechseln, das aus islamischen Quellen auch weiterhin Spenden erhält." Wenn zudem Experten behauptet hätten, Abu Mazen und Fatah seien unfähig gewesen, die Hamas zu bekämpfen, während sie an der Macht waren, wie sollten letztere dann dazu in der Lage sein, wenn Hamas an der Macht und Fatah zersplittert ist?

Dialog mit der Hamas notwendig

Auch wenn dies einen Kompromiss mit einer ablehnenden Politik erfordere, müsse Israel in Angelegenheiten des täglichen Lebens in einen Dialog mit Hamas eintreten und die Hudna (den Waffenstillstand) erhalten. Jedoch selbst der Erhalt eines Status Quo mit Hamas werde die Erfolgsaussichten eines unilateralen "Annährungs-Plans" nicht erhöhen. "Wenn wir die Gebiete nicht an eine Gruppe übergeben, die unser Interesse am Erreichen einer Zwei-Staaten-Lösung teilt, wird die Situation außer Kontrolle geraten. Wer kann uns versprechen, dass keine Qassam-Raketen auf Kfar Saba fallen? Keine Mauer wird die Palästinenser aus der Westbank oder gar aus dem Gazastreifen auf die andere Seite des Planeten versetzen. Selbst ein 80 Meter hoher Zaun kann eine Missile mit hoher Flugbahn nicht aufhalten", fährt er fort.

Paz ist mit den Siedlern in der Westbank und deren Stärke vertraut. Er war Gegenstand des Hasses ihrer politischen Anführer und der Fanatiker unter ihnen. "Die Evakuierung von Orten wie Kiryat Arba, Eloh Moreh, Shilo und Eli würden in keiner Weise so verlaufen wie die von Gush Katif", sagt er. "Man kann die religiöse und historische Verbindung zu Judäa und Samaria nicht mit der der Siedler zu Gaza vergleichen. Die Räumung dieser ideologisch aufgeladenen Siedlungen würde uns an den Rand eines Bürgerkriegs bringen."

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


Das Problem, so erklärt er, sei nicht die Fähigkeit, einen solchen Auftrag durchzuführen. Er zweifelt nicht daran, dass Armee und Polizei, wenn sie einen solchen Befehl erhielten, sich dieser Aufgabe stellen würden: "Aber wir müssen uns fragen, ob es die Sache wert ist, einen tiefen sozialen Riss zu riskieren und einen kolossalen wirtschaftlichen Preis zu zahlen, und das alles, ohne die Sicherheitslage zu verbessern bzw. sie vielleicht sogar zu verschlechtern, ohne internationale Unterstützung und ohne die Chancen für eine Einigung mit den Palästinensern zu verbessern."

"Mit wem würden Sie reden? Da gibt es schließlich keinen Partner, keinen, mit dem man reden kann."

"Es ist an der Zeit, die Behauptung, Abu Mazen sei ein schwacher Führer und daher kein Partner, zu überprüfen. Wir selbst haben bei der Erzeugung dieses Bildes eine Schlüsselrolle gespielt. Ich kann den früheren Stabschef zitieren, der es tief bedauert hat, dass wir keine Gesten gemacht haben, die ihn hätten stärken können. Wir hatten die Möglichkeit, ihn zu stärken, hätten wir ihm nur die Schlüssel für Gaza gegeben, statt sie auf die Straße zu werfen, oder wenn wir ihm wenigstens die Zivilkontrolle über die Gebiete übergeben hätten, die wir im nördlichen Samaria geräumt haben."

Zum Tango gehören zwei

"Auf diese Art hätten wir die palästinensische Öffentlichkeit daran gehindert, den Rückzug als Erfolg der Hamas aufzufassen, und die Ergebnisse bei den Wahlen in den Besetzten Gebieten wären vielleicht anders ausgefallen. Zum Tango gehören zwei. So lange wir weiterhin sagen, dass Abu Mazen und die Fatah keine Partner sind, welchen guten Grund sollte die palästinensische Öffentlichkeit dann haben, für sie zu stimmen? Würden wir ihn als unseren Partner aufbauen, würde ihn das in den Augen seiner Leute stärken, deren große Mehrheit an einem Ende des Konflikts interessiert sind."

Paz erzählt, dass ihm, nach Abu Mazens Wahl zum Premierminister, ein altgedientes Mitglied seines Büros gesagt habe, einer der größten Erfolge, die Abu Mazen für sich beansprucht habe, sei die Öffnung des Surda-Checkpoints bei Ramallah. "Sie können sich nicht vorstellen, wie groß ihn das in den Augen der Öffentlichkeit gemacht hat", sagte er. "Ich sage nicht, wir brauchen keine Kontrollpunkte oder zu gewissen Zeiten auch Absperrungen, aber diese Aktivitäten sollten ausgewogen sein und auch die kulturellen und psychologischen Aspekte der anderen Seite in Betracht ziehen. Es kommt nichts Gutes dabei heraus, wenn man ein Nachbarvolk erniedrigt. Es stimmt, dass Abu Mazen kein charismatischer Führer ist und dass er zögert, sich in die internen Kämpfe zu mischen. Wir wollten, dass er Hamas bekämpft, aber er war sich der Grenzen seiner Macht bewusst. Er hatte begriffen, dass bei einem offenen Kampf nichts Gutes herauskommen würde, und zog es vor, mit anderen Mitteln Ruhe zu erreichen. Wir mögen die Hudna unaktzeptabel gefunden haben, aber es ist mehr als ein Jahr her, dass sich Hamas an terroristischen Anschlägen beteiligt hat."

"Hat Fatah nicht den Preis für ihre Korruption bezahlt?"

"Ich ignoriere die Tatsache nicht, dass beim Sturz der Fatah auch Korruption eine Rolle gespielt hat, aber der eigentliche Grund war ihre Unfähigkeit, eine Vereinbarung mit Israel zu erreichen. Die Erfahrung im diplomatischen Prozess ist das Einzige, was sie den rivalisierenden Parteien voraushat. Fatah hätte sich mehr anstrengen können, Ordnung durchzusetzen, aber ich kann Ihnen sagen, dass die Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde in den letzten Jahren ohne unsere Hilfe und Zustimmung praktisch keinen einzigen Schritt tun konnten. Das gilt häufig auch für die A-Gebiete, die angeblich unter ihrer vollen Kontrolle stehen. Wir gestatten dem System nicht zu arbeiten, und während eines viel zu langen Zeitraums haben wir es bewaffneten palästinensischen Polizisten nicht gestattet, Gerichte, Gefängnisse oder Banken zu bewachen, nicht einmal bei Familienfehden in Dörfer einzurücken."

"Halten Sie es noch für möglich in absehbarer Zukunft eine abschließende Vereinbarung zu erreichen?"

"Es gibt einen palästinensischen Partner für eine Vereinbarung, die für eine Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit akzeptabel sein könnte, ohne die Durchsetzung des Rückkehrrechts, aber auch ohne die Durchsetzung des gesamten Plans für die Siedlungsblöcke, der z.B. E-1 Gebiet einschließt. Jahrelang haben wir den Konflikt "arafatisiert", aber heute ist Arafat tot und die Probleme sind immer noch da. Schließlich müssen wir zu einer Lösung kommen und diese wird mehr oder weniger mit dem Konzept von Clinton und den Genfer Vereinbarungen übereinstimmen. Die Frage ist, wie viel Blut bis dahin vergossen sein wird. Und falls wir, nachdem wir einen ernsthaften Versuch gemacht haben, mit Abu Mazen zu verhandeln, feststellen, dass er seine Versprechen nicht halten kann, dann können wir uns hinter verteidigbare Grenzen zurückziehen. Aber bevor irgendein unilateraler Schritt gemacht wird, schulden wir es uns selbst, einen echten Versuch zu machen, den Konflikt zu beenden."

Als Paz die Siedler im Fernsehen sah, wie sie sich im Shapira-Haus in Hebron verbarrikadierten, erinnerte ihn dies an einen Besuch dort von Generalbundesanwalt Menachem Mazuz:

"Wir haben ihn auf alle möglichen Probleme aufmerksam gemacht, wie das der Kinder, die nicht bereit sind, sich auszuweisen oder sich Fingerabdrücke abnehmen zu lassen. Aber es ist nicht akzeptabel, dass ein Jahr später immer noch keine Lösung für die Unterschlüpfe dieser Leute gefunden wurde, in denen sie tun können, was sie wollen. Ich glaube, es gibt keine andere Wahl als die Siedler da zu räumen, aber was macht man morgen früh? Anderthalb Jahre lang haben die Siedler auf der Maon Farm den Kindern von Umm Tuba nicht erlaubt, zur Schule zu gehen, und greifen sie sogar an, wenn sie von Armee-Eskorten begleitet werden. Wie viele Leute wohnen auf der Maon Farm? Kann man sie nicht aufhalten?"

Aus der Zeitung Ha´aretz, Übersetzung für die NRhZ von Endy Hagen, im Original hier nachzulesen.

[1] Olmerts "convergence plan" zufolge sollen bis 2010 die endgültigen Grenzen Israels festgelegt sein. Dazu sollen eine Vielzahl kleinerer oder abseits gelegener Siedlungen geräumt, die großen Siedlungsblöcke jedoch annektiert werden.


Online-Flyer Nr. 45  vom 23.05.2006

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