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Lokales
Altes Denken führt nicht weiter
Linke Friedensvisionen
Von Hans-Dieter Hey

Gegenwärtig gibt es 39 Kriege, Pulverfässer, von denen wohl die meisten nicht geläufig sind und über die kaum berichtet wird. Irgendwie scheinen uns die Konflikte in Irak, Iran, Afghanistan und Palästina – jedenfalls medial – doch präsenter zu sein. Kölner Friedensorganisationen haben eingeladen, um vergangenen Dienstag über brennende Fragen zu diesen Konflikten und unserer eigenen Verantwortung darin zu diskutieren. Mögliche Lösungen wurden zuversichtlich bis zweifelhaft eingeschätzt.



Friedensdemonstration 2007
Foto: NRhZ-Archiv

Ungefähr 80 Interessierte fanden sich am Abend ein, um mit der Publizistin und Querdenkerin Evelyn Hecht-Galinski und dem Politikwissenschaftler Prof. em. Dr. Mohssen Massarat als Experten auf dem Podium die Chancen der Konfliktlösung auszuloten und zu bewerten. Moderator Dr. Peter Bathke von der Rosa-Luxemburg-Stiftung provozierte gleich die Runde: „Es ist doch ein Widerspruch. Die US-Amerikanischen Präsidenten übten sich in Optimismus. Bush wollte bis Ende 2008 in Nahost den Frieden einführen. Nun würde Barak Obama bis Mitte 2011 einen Frieden einführen“. Offenbar bewege sich nichts.
 
Die USA wollen keinen Frieden in Nahost
 
Evelyn Hecht-Galinski konterte: „Es bewegt sich sehr viel, indem die USA Israel mit einem Bonuspaket locken, dass 90 Tage Baustopp für das Westjordanland bedeutet, was ein Witz ist“. Dafür bekäme Israel zusätzlich 20 F-35-Bomber für 3 Mrd. Dollar und die Zusicherung, dass der von Israel entfachten Gaza-Krieg unter Missachtung des Goldstone-Berichts nicht untersucht wird. „Da frage ich sie: Wie sollen Fortschritte erzielt werden, wenn die USA nicht als Vermittler, sondern als reiner Israel-Unterstützer dient. Ich sehe da wenig Aussichten.“
 
Ob es in Israel eine Zweistaatenlösung nach dem Teilungsbeschluss der UNO von 1947 oder eine Einstaatenlösung, vielleicht mit demokratischen

Dr. Peter Bathke, Rosa-
Luxemburg-Stiftung
Zügen, geben wird, steht für die Teilnehmer offenbar nur in den Sternen. Evelyn Hecht-Galinski: „Da muss ich mit Richard Falk, dem UNO-Sonderbeauftragten sprechen: Die Zweistaatenlösung ist eine Illusion.“ Israel habe sich dermaßen durch die Palästinensergebiete gearbeitet, die ihre Wohngebiete letztlich zerstückelt hätten. Sie sieht daher auch keine Einstaatenlösung, denn „Israel will alles, nur keinen Frieden.“ Mohssen Massarat ergänzt, dass auch die USA nicht gewillt seien, einen Frieden in der Region zuzulassen. Aber nicht nur dort, sondern auch in anderen Regionen, „weil die USA nach wie vor eine Hegemonialpolitik betreiben, wo die Frage der Ölkontrolle und Beherrschung in dieser Region ein sehr wichtiger Hebel ist. Und Israel ist in dieser Hinsicht ein wichtiger Brückenkopf.“
 
Evelyn Hecht-Galinski spricht sich deshalb eindeutig für einen Boykott gegenüber Israel aus: „Boykott heißt für mich, dass ich keine israelischen Produkte kaufe, weil ich niemals weiß: Kommen diese Produkte aus dem Kernland Israel oder aus den Siedlungsgebieten.“ Inzwischen hätte man auch in Europa gemerkt, dass Produkte falsch gekennzeichnet seien. Israel betreibe zudem Staatsterrorismus, und da sei die EU gefragt.
 
112 Milliarden Rüstungs-Dollar gegen den Frieden
 
Die Frage ist auch, ob die vom „Nahostquartett“ – bestehend aus den USA, Russland, der EU und den Vereinigten Nationen – ausgearbeitete Road-Map zum friedlichen Zusammenleben bisher erfolgreich war. Offenbar ist man aber auch nicht nicht weiter gekommen. Evelyn Hecht-Galinsky: „Deutschland spielt in meinen Augen eine schlimme Rolle. Gerade wegen unserer Geschichte sollten wir eine viel aktivere Rolle in dem Prozess spielen.“ Frau Merkel achte immer auf die Menschenrechte, aber diese gelten auch für Israel und seine Menschenrechtsverletzungen. Ein Skandal sei, dass Angela Merkel die Israelische Sicherheitspolitik zur deutschen Staatsräson erhebe. Doch „ich will nicht Staatsräson mit einem Staat haben, der alle Menschenrechte mit Füßen tritt, der alle Uno-Beschlüsse missachtet, der die Palästinenser unterdrückt und Gaza blockiert hält.“
 
Mohssen Massarat sieht einen Zusammenhang darin, dass sich die Europäer geistig noch im Kalten Krieg befänden. Sie könnten im

Prof. em. Dr. Mohssen Massarat
Gegensatz zu den US-Amerikanern kein Interesse an einem Krieg im Nahen Osten haben, doch es gäbe keine erfolgreichen Aktivitäten. Anders als die Europäer lebten die USA militärisch von den Konflikten. In den letzten zwei Jahren seien Rüstungsprogramme von 112 Milliarden Dollar beschlossen worden, die Hälfte nach Israel, die andere Hälfte nach Saudi-Arabien. Die Europäer hätten dagegen eher ein friedliches Handelsinteresse, das Interesse an sicherer Energie und der Abkehr vom Terror. „Alle diese Interessen vernachlässigen die Europäer, weil sie nicht in der Lage sind, souverän zu denken.“ Sie glaubten immer noch, ein Anhängsel der USA zu sein.
 
Die Teilnehmer bewegte die Frage, warum die deutschen Medien hierüber nicht wirklichkeitsgetreu berichteten. Offenbar stecken mächtige Interessen dahinter. Evelyn Hecht-Galinski: „Die Redakteure wissen es alle. Aber sobald ein Redakteur etwas schreibt, was nicht genehm ist, und ich weiß es genau, dann ist er am nächsten Tag kein Redakteur mehr. Genauso geht es Politikern, wenn sie sich zu weit hinaus wagen.“ Schnell käme der Vorwurf aus Israel, es handele sich um Antisemitismus. Israel würde innerhalb der EU in allen nur möglichen Gremien außerordentlich Druck ausüben.
 
USA zehn Jahre zurück im Denken
 
Ein anderer Krisenherd ist Irak. Einer der Gründe ist die Terrorismusbekämpfung gewesen. Doch erst nach dem Krieg seien – so Mohssen Massarat – vielleicht zehntausende Menschen dieses inner-irakischen Konflikts Opfer des Terrorismus geworden, weil die Abschaffung eines Diktators durch einen Krieg niemals zu besseren Verhältnissen oder einer Demokratie führe. Und weiter: „Die Lage ist äußerst prekär und die Spaltung des Irak ist noch nicht überwunden. Die Regierung Maleki ist nicht stabil genug.“ Die USA hätten ohnehin keine Demokratieentwicklung im Sinn, sondern wollten ein wichtiges Ölland unter Kontrolle bekommen, „weil die Regierung von Bush eine absurde, abenteuerliche Energiepolitik verfolgt hat“. Doch die USA spielten längst nicht mehr die große Rolle und lägen „mindestens zehn Jahre mit ihrer Analyse der Weltpolitik daneben.“ Sie müssten endlich einsehen, dass sie nicht mehr, wie in den letzten 30 Jahren, mit Gewalt- und Hegemonialpolitik die Situation der US-Amerikaner verbessern würden. „Das ist vorbei, das müssen sie endlich begreifen.“ Inzwischen trete China als wichtiger Handelspartner direkt mit den Ölländern in Verhandlung – ohne Krieg.
 
Der Afghanistan-Krieg sei inzwischen mit neun Jahren der längste Krieg der USA, moderiert Peter Bathke an. Inzwischen seien 100.000 Zivilisten umgekommen, die Truppen würden aufgestockt und 40.000 Söldner stünden im Land. Wie solle es also weiter gehen? Mohssen Massarat:

Querdenkerin Evelyn Hecht-
Galinski | Fotos: H.-D. Hey
„Auch hier stecken die USA aufgrund ihrer veralteten Strategieanalysen in einer Sackgasse.“ In Afghanistan sollten die Pipelines für Gas und Erdöl von Zentralasien zum Indischen Ozean gehen, damit die USA weiterhin soviel Energie verbrauchen können. Doch „die Amerikaner werden niemals in der Lage sein, Afghanistan als ein Land für ihre Energieversorgung zu nutzen.“ Sie glaubten sogar, dass ihre militärische Präsenz in Afghanistan und in Irak die Verhältnisse in Iran beeinflussen könnten. Der Atomstreit sei für diese Politik ein Vehikel, diese Staaten in Instabilität zu halten. „Auch hier stecken die Amerikaner in den Ausläufern einer absurden Politik.“ Es gäbe zwar Konzepte einer innerafghanischen Lösung mit Beteiligung der Taliban, aber dazu müsste eine amerikanische Regierung erst bereit sein.

Israels Atomwaffen als Herausforderung für Iran

Ein weiterer Krisenherd ist der Iran und die damit verbundene Frage, ob die Welt Geisel der amerikanisch-israelischen Politik ist. Für Evelyn Hecht-Galinski wird „der Israel-Iran-Konflikt als Ablenkungsmanöver benutzt, zumal der Verteidigungsminister Barak selbst gesagt hat, der Iran sei für Israel absolut keine Bedrohung. Das Problem wird aber immer wieder psychologisch hochgespielt um abzulenken vom Palästinenserproblem.“ Mohssen Massarat ergänzt: “Völkerrechtlich ist die Atomfrage klar. Jedes Land, das Mitglied im Nicht-Weiterverbreitungsvertrag ist, hat das Recht auf friedliche Nutzung der Atomenergie, einschließlich des gesamten atomaren Kreislaufs.“ Inzwischen seien sich die meisten über diese veraltete Technologie einig.
 
Hier spiele aber eine Sicherheitsfrage eine Rolle. Durch Druck des Westens solle Iran auf dieses Recht verzichten. „Aus meiner Sicht braucht Iran keine Atomkraftwerke. „Die künftige iranische Energieversorgung kann mit eigenen Gas- und Ölvorkommen die nächsten 20, 30 Jahre sicher gestellt werden um dann auf Sonnenenergie überzugehen.“ Das eigentliche Problem sei eben ein Sicherheitsdilemma, weil Israel in dieser Region als einziges Land über Atomwaffen verfüge. Dadurch fühlten sich die umliegenden Länder bedroht. Barak Obama habe versucht, Israel zum Beitritt zum Atomwaffen-Sperrvertrag zu bewegen. Die Israel-Lobby in den USA habe aber dafür gesorgt, dass Barak Obama mit seiner Gesundheitsreform Schwierigkeiten bekommen hat, weil die Atomfrage von den Konservativen sofort daran gekoppelt wurde. Allerdings „verletzen alle Atomstaaten das Völkerrecht und den Atomwaffen-Sperrvertrag, vor allem aber die USA.“ Ein atomares Wettrüsten für die Region sei allerdings eine Katastrophe und „das Ende einer kulturpolitischen Entwicklung für die nächste 50 Jahre“, so Massarat.
 
Linke Friedensvisionen
 
Peter Bathke fragte nach, wie das us-amerikanische Konzept des Greater Middle-East vereitelt werden könne, wie die atomare Aufrüstung beendet und wie kann man zu einer friedlichen Lösung für die Region kommen könne. Mohssen Massarat schwebt dabei ein europäisches Bild vor. Europa sei zwar keine reine Friedensmacht, vor allem weil Neokonservative, CDU und CSU meist noch in alten hegemonialen Denkstrukturen steckten. Leider habe sich auch die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder erstmals nach dem 2. Weltkrieg, nach dem Zusammenbruch der Ostblockstaaten, an einem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien beteiligt. Die Bürgerinnen und Bürger seien aber, wie oft erklärt wird, nicht nur die Opfer einer solchen Politik. Sie seien auch Täter dadurch, dass sie die Politik durch Wahl zu einer solchen Politik ermächtigt hätten.
 
Wichtig für die Zukunft sei aber vielmehr die friedliebende Seite Europas, die ihre Feindschaft der Vergangenheit untereinander überwunden habe. Dieses Beispiel könne auch zu einer anderen Politik gegenüber den Nachbarregionen und dem Mittleren und Nahen Osten führen. „Ich glaube, dass das Potential stark genug ist. Es kommt darauf an, ob eine linke Kultur sich durchsetzen kann in Europa und eine Friedenspolitik ernsthaft betreibt.“ (HDH)


Online-Flyer Nr. 276  vom 17.11.2010

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