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Lokales
“Alaaf und Heil Hitler - Karneval im Dritten Reich“
Die braune Tradition im Kölner Karneval
Von Jürgen Schön

Am 11.11. beginnt die neue Karnevals-Session. Ein Buch untersucht, wie die Nazis das närrische Treiben instrumentalisierten und was davon bis heute überdauert hat.


Antisemitischer Mottowagen aus dem Kölner Rosenmontagszug 1934
Quelle: NS-Dokumentationszentrum Köln
 
Wenn Anfang des kommenden Jahres wieder Kölns feine Gesellschaft im Gürzenich die Proklamation des närrischen Trifoliums – Prinz, Jungfrau, Bauer – feiert, dürften die wenigsten wissen (wollen), dass diese Tradition von den Nazis begründet wurde. Gleiches gilt für die feierliche Eröffnung des Straßenkarnevals an Weiberfastnacht. Nicht die einzigen Übernahmen hier und in anderen Städten aus der Zeit des Faschismus. “Die Lachende KölnArena“ etwa, eine mehrfach ausverkaufte volksnahe Massensitzung, ist ein Nachkomme des “KdF-Bordfestes“ in den Rheinlandhallen. Rückgängig gemacht haben die Kölner Narren zwar die Verordnung, dass die Jungfrau durch eine Frau dargestellt werden muss – heute ist es wieder ein Mann. Umso lieber aber haben sie übernommen, dass das bis 1935 männliche Tanzmariechen ein “lecker Mädche“ sein muss.


Quelle: NS-Dokumentationszentrum Köln

Das alles ist nichts Unbekanntes, doch die beiden Historiker Marcus Leifeld und Carl Dietmar stellen in ihrer detailreichen Untersuchung “Alaaf und Heil Hitler“ erstmals dar, welche Funktion der Karneval in der „Unterhaltungsideologie“ der Nationalsozialisten hatte. Untersucht haben sie die Karnevalshochburgen Mainz, München, Freiburg und Köln,wo die Quellenlage am besten war. Aber auch Beispiele aus anderen Städten wie Nürnberg, Wien oder Chemnitz finden sich. Es ist eine umfangreiche Arbeit geworden, mit historischen Fotos und vielen Beispielen aus Büttenreden, Briefen und offiziellen Verlautbarungen. Ein gut lesbares Standardwerk, von dem die beiden Autoren aber selber zugeben, dass es aufgrund fehlender, im Krieg zerstörter Quellen noch viele Lücken gibt.

TV-Zensur an Antifaschisten nach dem Krieg
 
Ihr Fazit: Die Karnevalisten waren meist mehr als nur angepasste Mitläufer. Widerstand gegen das Regime war die rare Ausnahme. Es gab ihn in der Person des Düsseldorfers Leo Statz, dort Präsident der Karnevalsvereine und Zentrums-Mitglied. Die Gestapo beobachtete ihn, 1943 wurde er vom Berliner Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet. Er war denunziert worden, weil er im Suff am Endsieg gezweifelt hatte. In Mainz, wo die politische Büttenrede Tradition hatte, wagten Seppel Glückert und Martin Mundo kritische Worte. In Köln war es Karl Küpper, der mit erhobenem rechten Arm das Publikum begrüßte und es auf Kölsch fragte: „Regnet es?“. Wegen „Verächtlichmachung des Deutschen Grußes“ erhielt er lebenslanges Redeverbot (Dazu mehr in seiner Biografie von Fritz Bilz in dieser Ausgabe). Nach 1945 versteckte sich der offizielle Kölner Karneval hinter dem „unangepassten Narren“ als Beispiel für den „breiten Widerstand“. Als er sich in den 50er Jahren weigerte, seine Texte vor den Liveübertragungungen im Fernsehen vorzulegen, durfte er dort nicht mehr auftreten.
 
Verwicklung in die Nazi-Politik - ein Tabu-Thema

Lange war die Verwicklung des Brauchtums in die Nazi-Politik für die Karnevalisten ein Tabu-Thema. Erleichtert wurde dies durch die vielfachen personalen Kontinuitäten. Ein Beispiel: der Kölner Thomas Liessem, Anfang der 30er Jahre Präsident der Karnevalsgesellschaft „Prinzengarde“, nach 1945 u.a. Präsident des Bundes Deutscher Karneval und des Festkomitees Kölner Karneval. Nach dem Krieg ließ er sich für seine „Narrenrevolte“ feiern: 1935 hatte er erfolgreich verhindert, dass der Kölner Karneval von “Kraft durch Freude“-Funktionären übernommen, der NS-Organisation, die das Freizeitverhalten der Deutschen regelte. Doch war das weniger ein politisch begründeter Widerstand, als vielmehr die Verteidigung der traditionellen Karnevals-Organisation. Denn ideologisch stand der SA-Mann durchaus auf Seiten der Nazis. So wetterte er in einem Buch über den Heimat-Dichter Willy Ostermann gegen „jüdische Schreiberlinge“, in der Neuauflage von 1951 wurden daraus „irgendwelche Schreiberlinge“. Als sich 1973 der Brauchtumsexperte Max-Leo Schwering als einer der ersten mit Karneval und NS-Zeit beschäftigte, riet ihm Liessem: „Lassen Sie die Finger davon!“. Erst eine junge Generation von Karnevalsfunktionären steht den Forschungen aufgeschlossen gegenüber. In Köln öffnen selbst große Karnevalsgesellschaften ihre Archive – sofern sie nicht klammheimlich froh sind, dass die Dokumente im Krieg vernichtet wurden.

Propagierung der Volksgemeinschaft
 
Als die Nazis an die Macht kamen, fanden sie beim Karneval Strukturen vor, die sie gut für ihre Zwecke weiterentwickeln und nutzen konnten. In den 20er Jahren hatte man vor allem in Köln Karneval als touristische Attraktion und wichtige Einnahmequelle entdeckt. Republikweit wurde für einen Besuch des Rosenmontagszugs geworben. Auf diesen Zug sprangen die Nationalsozialisten auf: Der Karneval eignete sich zur Propagierung der Volksgemeinschaft, die KdF sorgte für billige Eintritts- und Fahrkarten an den Rhein. Doch nicht jeder Berliner konnte etwas mit dem rheinischen Frohsinn anfangen, und der Versuch, diesen etwa nach Hamburg zu exportieren, scheiterte nicht nur am Dialekt. Auch Freiburg hatte Mitte der 30er Jahre die bis dahin eher den Einheimischen vorbehaltene alemannische Fasenacht zu einem touristischen Ereignis umgestaltet. Sie wurde mit einheitlichen Kostümen inszeniert und selbst untypische wie Cowboy fanden Eingang.
Ab 1935 von Mitgliedern Arier-Nachweis verlangt
 
Die Nutzung des Karnevals als Transmissionsriemen für faschistische Inhalte erfolgte nicht sofort. Zunächst mussten die Karnevalsgesellschaften gleichgeschaltet werden. Dies ging nicht überall glatt über die Bühne, in Frankfurt konnte es über zwei Jahre verhindert werden. Dabei ging es bei den Auseinandersetzungen zwischen Karnevalisten und Parteifunktionären meist nicht um Inhalte, sondern eher um organisatorische Fragen. Juden wurden langsam aus den Vereinen gedrängt, erst ab 1935 wurde von den Mitgliedern der Arier-Nachweis verlangt. Mit der Gründung des „Reichsbund Karneval“ war die Gleichschaltung 1937 erfolgreich vollzogen.
 
Dass die Nazis den Karneval bald auch zur Propagierung ihrer Ziele einsetzten, liegt nahe. Einfluss gewannen sie z.B. dadurch, dass NS-Behörden bei der Organisation der Rosenmontagszüge halfen – dies auch in Städten, wo Karneval bis dahin unbekannt war. Bekannt ist Judenhetze auf Kölner Rosenmontagswagen. Doch scheint es, dass im Karneval auch kontrolliert “Dampf abgelassen“ werden konnte z.B. gegen Nazi-Bonzen. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass das deutsche Kabarett Kaiser Wilhelm II. als Geburtshelfer hat. Um allerdings spontane systemgefährdende Ausfälle zu vermeiden, sollte nach Möglichkeit das Zeigen von NS-Fahnen vermieden werden (Fotos von Umzügen zeigen, dass dies nicht überall der Fall war), in Kneipen sollten NS-Symbole und Hitlerbilder abgehängt werden.

Der “offizielle“ Karneval passte sich, so Dietmar und Leifeld, freiwillig an die Nazi-Ideologie an. So seien zum Beispiel die „Schwellköppe“ – überdimensionale Köpfe aus Pappmachée, die während des Rosenmontagszugs getragen wurden – mit antisemitischen Zügen nicht von oben verordnet worden, sondern als “Tribut an den Zeitgeist“ zu verstehen. Wie weit die Nazi-Ideologie von den nicht-organisierten Narren übernommen wurde, müsse noch erforscht werden. Ihnen liege zum Beispiel ein Privatfoto vor, das ein Pärchen als Gendarm und Jude verkleidet zeige. (PK)
 
Carl Dietmar/Marcus Leifeld: „Alaaf und Heil Hitler. Karneval im 
Dritten Reich“ – Herbig Verlag, München 2010, 224 Seiten, 24,95 Euro


Online-Flyer Nr. 275  vom 10.11.2010

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