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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Lokales
Ein Blick in die Kölner Bürgerseele
"Oooh, Chef..."
Von Claus Ludwig

"... das haben Sie mal wieder toll gemacht" wäre die richtige Überschrift für den Kommentar von Franz Sommerfeld im Kölner Stadtanzeiger vom 11. Mai gewesen. Der Chefredakteur schreibt über die Analyse seines Kaviarbrötchengebers: "Kaum ein Beitrag der zurückliegenden Jahre hat in dieser Zeitung eine solch starke öffentliche Resonanz ausgelöst wie der von Alfred Neven DuMont zur Lage Kölns."

Er - oder ein von so viel Unterwürfigkeit peinlich berührter Korrektor - entschied sich aber für die Überschrift "Die Bürger sind Kölns Stärke". Auch diese Formulierung sollte man ernst und wörtlich nehmen. Mit "Bürger" sind hier nicht die Durschnittskölnerinnen und -kölner gemeint, sondern die Bürgerlichen, die Wohlhabenden, Reichen, die Kölns Geschicke bestimmen wollen und dies zumeist tun.

Diese sind zur Zeit not amused. Nicht, dass es ernsthafte Probleme gäbe. Das Flaggschiff des Kölner Kapitals, das Bankhaus Sal. Oppenheim, hat gerade ein Rekordergebnis eingefahren, der Profit ist um 86% auf 283 Millionen Euro vor Steuern gestiegen. Auf den Konten der Bank sind jetzt 123 Milliarden Euro geparkt. Alle zentralen Projekte im Investoren-Interesse werden umgesetzt. Das Barmer Viertel wird geplättet, irgendwas Gewinnbringendes wird man dort schon hinstellen können. Der Messe-Skandal wird ausgesessen. Die Gewerbesteuer bleibt auf dem Stand von 1987, Gebühren und Beiträge werden erhöht, Studierende und Wochenendpendler werden per Zweitwohnungssteuer zur Kasse gebeten.

Aber zur Glücksseligkeit gehört für die Reichen und zumeist nicht so Schönen auch, dass das Tüpfelchen richtig auf dem i sitzt. Manch schöne Stunden werden nur zu perfekten Erlebnissen, wenn das Arrangement stimmt. Die Bebauung des Rennbahn-Geländes ist nicht entscheidend für die Gewinnsituation der in den Startlöchern stehenden Investoren, aber es ärgert schon, wenn nicht alle Politiker sofort springen, wenn man "hopp" sagt.

Claus Ludwig
Claus Ludwig
Foto: NRhZ-Archiv



Die Kommentare von Neven Dumont und Sommerfeld sagen wenig über die wirklichen Probleme Kölns, aber viel über den geistigen Zustand der herrschenden Klasse dieser Stadt. In einer Zeit, in der über 100.000 Menschen auf Hartz IV angewiesen sind, in der Lebensstandard und -qualität für viele sinken, in der ganze Stadtteile vom sozialen Niedergang bedroht sind, eine ganze Generation um Lehrstellen und die Zukunft bangen muss, beschäftigen sich die Sprecher des Kölner Kapitals mit der Busspur am Rheinufer und den Müllmenschen vor dem Dom und erzählen sich gegenseitig, wie wichtig ihnen das ist. Sie sind beleidigt, weil sich die im Prinzip gehorsamen Grünen und Sozialdemokraten, die nie und nimmer gegen die finanziellen Interessen der Kölner High Society handeln würden, den Luxus erlauben, nicht bis ins letzte Detail die Anweisungen aus dem Hause Dumont, der IHK, dem Bankhaus Oppenheim und den angeschlossenen Anstalten zu erfüllen.

In Abwandlung von Marie Antoinette - "Wenn das Volk kein Brot hat, soll es Kuchen essen"  - könnte das Motto von Neven Dumont und Sommerfeld lauten: "Wenn der Pöbel keine Jobs und keine Zukunft hat, soll er sich doch an der Rennbahn erfreuen oder anspruchsvolle Kunst delektieren."

Das Kölner Sozialforum hat bei den Protesten gegen die Haushaltskürzungen 2003 die Frage aufgeworfen "Wem gehört die Stadt?". Neven Dumont und sein Cheflohnschreiber beantworten die gerade heraus: "Na klar, den Reichen." Die Ignoranz und Verachtung, welche diese Kreise gegenüber der Bevölkerung empfinden, wird auf sie selbst zurück fallen.

Unzufriedenheit und Wut köcheln unter der Oberfläche. Viele Menschen sind damit beschäftigt, erst einmal selbst über die Runden zu kommen, lesen gar nicht, was Politiker und Honoratioren verkünden. Viele fühlen sich mit der Nase in den Dreck gedrückt, sehen keine Möglichkeit, sich zu wehren. Aber wenn sie die sehen, dann wehren sie sich, das zeigen die KollegInnen an der Uniklinik mit ihrem langen Streik, das zeigen die Studierenden, die dem Rektor wegen der Gebühren auf die Bude gerückt sind. Und ein Blick in das Land Marie-Antoinettes zeigt, dass der Pöbel den Herrschenden auch ganz andere Beschwerden verschaffen kann als die Pflege kleiner Beleidigheiten.

Claus Ludwig ist Ratsmitglied für das linke Bündnis "Gemeinsam gegen Sozialraub" und stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE.KÖLN im Stadtrat. Weil diese - im Gegensatz zu den anderen Fraktionen im Stadtrat von Alfred Nevens Kölner Stadt-Anzeiger-Redaktion nicht um eine Stellungnahme zu dessen "Analyse" der Kölner Politik gebeten wurde, hat die NRhZ das getan.



Online-Flyer Nr. 44  vom 16.05.2006

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