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Lokales
50.000 Menschen im Müngersdorfer Fußball-Stadion und nix in den Medien
Kurdisches Kulturfestival in Köln
Von Claus Hübner

Am 18.9.2010 fand in Köln das 18. Internationale Kurdische Kulturfestival im und am Fußball-Stadion in Müngersdorf. Die üblichen Medien hatten an dieser Veranstaltung mit bis zu 50.000 Besuchern aus ganz Europa aber offensichtlich kein Interesse, stellt unser Autor in dem folgenden Artikel fest. – Die Redaktion

Ursprünglich sollte das Festival eigentlich am 11.9. in Dinslaken stattfinden, wurde aber abgesagt, weil die örtliche Verwaltung wohl plötzlich auf Grund der Vorfälle bei der diesjährigen Loveparade in Duisburg kalte Füße bekam. Kalte Füße scheint man aber auch in Köln bekommen zu haben. Weder in der lokalen Monopolpresse gab es online im Internet Hinweise, noch auf der Homepage der Kölner Sportstätten.
 
Bis 2 Tage vor der eigentlichen Veranstaltung wurde dort z.B. lediglich nüchtern bemerkt, dass auf Grund einer „Großveranstaltung“ die routinemäßige Stadionführung ausfallen müsse. Erst kurz vor dem 18.9. traute man sich endlich darauf hinzuweisen, was wochenlang vorher verschämt lediglich als „Großveranstaltung“ angekündigt wurde. Sogar die ansonsten in solchen Dingen aufmerksame „Kölner Stadtrevue“ wies in ihrem recht ausführlichen Veranstaltungskalender online nirgendwo auf das kurdische Fest hin.
 
Bei Google wurde das Festival im Vorfeld durch die „Rheinische Post“  lediglich am Rande erwähnt, weil dort von Auseinandersetzungen in Duisburg zwischen Kurden (die auf dem Weg nach Köln seien) und Türken berichtet wurde. Bisher findet man als Nachbetrachtung lediglich einen Bericht der „Rote Fahne -News“. http://www.rf-news.de/2010/kw37/ich-klage-die-bundesregierung-an-wegen-des-verbots-der-pkk-stefan-engel-auf-kurdischem-festival-in-koeln.
 
Da sind bis zu 50.000 Besucher aus ganz Europa zu einer großen Feier nach Köln gekommen und fast niemand in Deutschland berichtet darüber? Ist das kalkulierte Absicht oder plattes Desinteresse? Oder nur ein weiterer Beleg für den Niedergang der demokratischen Presselandschaft, indem man solche Veranstaltungen einfach totschweigt?
 
Aus meiner Sicht tut man den Kurden insgesamt und den politisch Interessierten in Deutschland Unrecht, indem man nicht die Chance nutzt, von diesem Ereignis zu berichten. Aber das hat in Sachen der „Kurdenfrage“ in Deutschland leider Tradition. Völlig undifferenziert und einseitig wird von Kurden meistens nur im Zusammenhang mit PKK und Terrorismus berichtet. Dabei ist dies eine grobe Simplifizierung des Konfliktes in der Osttürkei. Nicht dass ich es bestreiten und rechtfertigen will, dass die PKK auch terroristische Methoden einsetzt! Ich halte den bewaffneten Kampf der Kurden für aussichtslos und lehne ihn ab.
 
Allerdings empfinde ich das bisherige Vorgehen des türkischen Militärs und der Behörden gegenüber der kurdischen Bevölkerung als feige, menschenverachtend und als andauernden Verstoß gegen die Menschenrechte. Dieses Verhalten gegen die Kurden ist seit 1923, der Gründung der türkischen Republik leider schon Brauch. Mit Gründung der Republik durch Atatürk wurde dem Land ein „Türkentum“ übergestülpt, das die verschiedenen ethnischen Minderheiten mit ihren eigenen Kulturen und Sprachen absolut ignorierte. Dabei litten besonders die Griechen, Armenier, Kurden und Aleviten unter den neuen rigiden Bestimmungen enorm. Das relativ freie Leben der verschiedenen Ethnien im eher despotischen Osmanischen Reich wurde paradoxerweise in der Republik Türkei plötzlich nicht mehr möglich.
 
In einem Land, in dem für uns Mitteleuropäer ein kaum nachvollziehbares Verständnis von Stolz, Ehre und Familiensinn herrscht, in dem noch Reste von nomadischem Clanverhalten praktiziert werden, ist es für die betroffenen Kurden unverständlich, schmerzhaft und erniedrigend, wenn die eigene Sprache und die Kultur plötzlich verboten wird. Die kurdischen Schüler mußten plötzlich in der Schule türkisch lernen und heute noch z.B. jeden Morgen schwören, „ meine Nation mehr zu lieben als mich selbst.“ Oder auch „Meine Existenz sei der Existenz des Türkentums gewidmet“ Und „wie glücklich sind die, die sagen: Ich bin Türke!“
 
Während die Aleviten z.B. in der Form diskriminiert werden, indem man sie schenkelklopfend „als ihre eigene Kinder schändend“ belacht, existierten die Kurden im offiziellen Sprachgebrauch der Türken bis in die 80er Jahre hinein noch nicht einmal! Es gab einfach kein kurdisches Volk und keine kurdische Sprache! Türkische Freunde von mir bezeichneten in dieser Zeit sogar in Deutschland die Kurden als „Bergtürken“ und heute oft schlicht nur als „Terroristen“.

Als das Militär als selbsternannter Hüter der Atatürk-Doktrinen 1980 mal wieder putschte, wurde die schon schwierige Situation der Kurden noch schwerer. In Diyarbakir, einer kurdischen Hochburg, wurden im Gefängnis zeitweise bis zu 5000 Gefangene gehalten. Nicht nur, dass in 40 Mann-Zellen manchmal bis zu 400 Personen untergebracht wurden, es wurde auch gefoltert und getötet. Darüber gibt es unzählige Dokumentationen und Publikationen, z.B. durch den Schriftsteller und Politiker Orhan Miro?lu, die man ohne Probleme sogar in der Türkei kaufen kann.

Auch die kurdische Bevölkerung wurde auf übelste Weise drangsaliert und misshandelt. Zehntausende von kurdischen Dörfern wurden vom türkischen Militär niedergemacht und die Bevölkerung vertrieben, weil man den Zusammenhalt der Kurden brechen wollte. Menschen wurden ins Gefängnis gesteckt und sind nie wieder aufgetaucht. Frauen und Mädchen wurden auf schmutzigste Art und Weise missbraucht und misshandelt. Das alles führte mit dazu, daß die PKK massenhaft Zulauf bekam und der bewaffnete Kampf durch die PKK aufgenommen wurde.

Um sich die Verzweiflung und Ohnmacht der Bevölkerung vorzustellen, sollte man wissen, daß ungewöhnlich viele Frauen sich der PKK anschlossen und immer noch anschließen. In einer patriarchisch moslemisch geprägten Männerwelt ist das ein großer Tabubruch!

Wenn PKK-Männer nicht getötet, sondern nur gefangen werden, müssen sie meist schwere Misshandlungen und Folter ertragen. Das weiß jeder vor Ort! Wenn PKK-Frauen gefangen werden, müssen sie ebenfalls mit schweren Misshandlungen und Folter rechnen. Darüber hinaus aber noch mit schwerer sexueller Gewalt durch Aufseher und Militär. Wenn also die Frauen, die sich ansonsten meist traditionell und z.B. mit Kopftuch in der Öffentlichkeit bewegen, sogar die wissentlich drohenden sexuellen Misshandlungen riskieren, wie groß muss ihre Not und Verzweiflung sein, dass sie ihr Leben und ihre „Ehre“ so aufs Spiel setzen??

Die Türkei hat die zweitgrößte Armee in der Nato und ist der größte Abnehmer der deutschen Rüstungsgüter. Die deutsche Wirtschaft erfreut sich also über boomende Umsätze durch die türkische Armee und will natürlich – nach den Gesetzen der Ökonomie – diese Gewinne nicht aufs Spiel setzen. Ist man ein Nestbeschmutzer, wenn man die Willfährigkeit und Inaktivität der meisten deutschen Politiker in der „Kurdenfrage“ unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet? Aus meiner Sicht ist die einzige Partei in Deutschland, die sich aktiv und nicht nur mit Lippenbekenntnissen um eine Vermittlerrolle zur Beilegung des Konfliktes bemüht, die „Linke“.

So hielt deren Europaabgeordneter Klute einen Rednerbeitrag zum Thema, indem er forderte, das die PKK den einseitig erklärten Waffenstillstand verlängert, damit „Die Linke“ mit den türkischen Stellen weiter Gespräche führen können. Klute und seine Kollegin Remmers waren in Diyarbakir, und er berichtete von dem Besuch dort. Er forderte dabei ein Ende dieses schmutzigen Krieges, weil auch die türkische Bevölkerung es mittlerweile leid sei, dass ihre Kinder so sinnlos sterben. Dafür bekam er anhaltenden Beifall des Publikums.

Die amtierende Bundeskanzlerin „mahnt“ auch hin und wieder mal die friedliche Lösung des Kurdenproblems an, aber weitere Aktivitäten zur Lösung dieses Konfliktes sind nicht zu erkennen. Im Gegenteil, mit der Weigerung, die Türkei als EU-Mitglied aufzunehmen, stärkt sie die reaktionären Kräfte in der Türkei, die gar nicht in die EU wollen und sorgt damit indirekt mit für einen weiterschwelenden türkischen Konflikt mit den Kurden. Ein EU-Land, das Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt, kann sich wohl niemand so richtig vorstellen.

Zurzeit wächst in der türkischen Bevölkerung immer mehr die Bereitschaft, den Konflikt mit den Kurden friedlich zu beenden. Ironischer- oder tragischerweise auch durch das nicht gerade saubere und „ehrenvolle“ Vorgehen der PKK-Aktivisten gegen das türkische Militär oder durch Bomben gegen die türkische Bevölkerung.

Es wird durch die PKK-Hardliner immer wieder betont, dass z.B. kein Mensch in der Welt oder in Europa über die schwierige Situation der Kurden reden würde, wenn sie nicht selber Gewalt gegen Türken anwenden würden. Und wenn sie nicht aktiv kämpfen würden, hätten die türkischen Bombenflugzeuge Kurdistan schon längst in Schutt und Asche gelegt. Ich fürchte, wahrscheinlich haben sie damit leider sogar Recht. Das macht die Situation aber für alle Beteiligten im Moment auch nicht besser.

Wer das 18. Internationale Kurdische Kulturfestival in Köln besuchte, konnte sich relativ leicht selber über die aktuelle Situation und die damit verbundenen Schwierigkeiten in der Türkei informieren. Während im Innern des Kölner Stadions kurdische Musik- und Tanzdarbietungen vorgeführt wurden, unterbrochen von Reden und Grußbotschaften sowie von Videoeinblendungen, waren außerhalb rund ums Stadion unzählige Informationsstände, Imbissbuden, Stände mit kurdischer Musik und natürlich jede Menge Devotionalien wie kurdische Symbole, also Flaggen, Portraits von Abdullah Öcalan oder anderen vermeintlichen „Helden“ zu sehen. Es gab Bücherstände und jede Menge Informationen, natürlich auch vieles davon, was unter die Rubrik Heldenverehrung und Propaganda fällt. Aber auch sachlichere Publikationen in verschiedensten Sprachen konnten erworben oder kostenlos mitgenommen werden. Mich persönlich stieß der wohl übliche Personenkult um Öcalan und Kameraden etwas ab.

Aber man sah auch viele Menschen, die sich einfach freuten, z.B. darüber, Bekannte aus anderen Orten oder Länder wieder zu treffen und mit ihnen zu reden und einen Tee oder ein Ayran zu trinken. Sehr viele Jugendliche und Kinder waren mit ihrer Familie dabei. Es waren Stände und Menschen aus ganz Mitteleuropa zu bestaunen.

Für mich als Deutschen war es erstaunlich leicht, Kontakt aufzunehmen und Fragen zu stellen! Man freute sich über mein Interesse und war mir gegenüber sehr freundlich und mitteilsam, trotz meiner nicht verborgenen Skepsis gegenüber vielen Dingen, die mir erzählt wurden. Insgesamt fand ich eine friedliche und entspannte Atmosphäre vor und ich spürte einmal mehr, wie sehr man diesen Menschen Unrecht tut, indem man sie schlicht als Terroristen abtut. Terroristen habe ich keine gesehen, aber sehr viele Menschen, die um ihre Kultur, ihre Heimat und ihre Identität bangen und sich nichts sehnlicher wünschen, als ein schnelles, aber gerechtes Ende des gegenseitigen Mordens.

Dies wurde besonders noch einmal am Ende der Veranstaltung deutlich, als der Sänger Ferhat Tunç seinen Abschlussauftritt hatte. Leider waren gegen 19.30 Uhr schon viele Menschen auf dem Heimweg, viele mussten mit den Bussen bis zu 1000 km Fahrt hinter sich bringen. So verpassten sie einen brillianten Sänger und klugen Kopf. Brilliant, weil er mit seiner außergewöhnlichen Stimme auf Englisch singend schon längt ein Superstar in Europa wäre. Und ein kluger Kopf, weil auch er sich durch intelligente Äußerungen, z.B. den Wahnsinn und das Töten endlich zu beenden, den Beifall der letzten Besucher im Stadionrund sicherte. Wie man mir sagte, sind manche Hardliner innerhalb der PKK wegen seiner differenzierten Betrachtungsweise nicht unbedingt seine besten Freunde.

Aber es ist doch schön zu erleben, dass der Wunsch nach einem friedvollen aber gerechten Zusammenleben mit den Türken innerhalb der kurdischen Diaspora immer größer wird. Jedoch machen wir uns nichts vor: das bedeutet noch viel Arbeit, Geduld und Abbau auf allen Seiten von dummen und fürchterlichen Vorurteilen über die jeweils anderen.

Und wahrscheinlich werden bis dahin leider noch viele Menschen sterben. In der Zwischenzeit wäre es hilfreich, wenn in Deutschland die Öffentlichkeit und die Presse in dieser Angelegenheit etwas differenzierter und genauer als bisher hinschauen und z.B. beim nächsten kurdischen Kulturfestival in Deutschland einfach mal hingehen, sich einbringen und darüber auch berichten würde. (PK)
 

Online-Flyer Nr. 269  vom 29.09.2010

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