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Aktueller Online-Flyer vom 21. Mai 2024  

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Kultur und Wissen
Bergisch-Pepita und braune Schatten / Moore-Skulptur als Funkenmariechen
In Wuppertal geht die Kunst baden
Von Karl Schem

Wenn schon Muslima in deutschen Landen bekleidet schwimmen gehen dürfen, warum sollte nicht auch die „Gewandfigur“ von Henry Moore baden gehen? Wuppertal macht‘s möglich. Die Odyssee der Skulptur scheint nach Jahrzehnten jetzt ihr vorläufiges Ende gefunden zu haben: In einer Art Seitenkammer des schönsten kommunalen Hallenbades. Das heißt im Volksmund „Schwimmoper“.
 

Henry Moores "Große Sitzende"
KAOS-Archiv
Und warum soll sich nicht auch so ein „Opernhaus“ mit einem Kunstwerk von Henry Moore schmücken? Eine Bronze, deren Replik 1998 bei Christie‘s in London 570.000 Pfund erzielte, etwa 700.000 Euro damals. Der Wuppertaler Erstguss hatte einst nur 50.000 DM gekostet. Ein Spottpreis. Der Künstler war vom vorgesehenen Standort begeistert und zu einem Rabatt von 25.000 Mark verführt worden vom städtischen Beigeordneten Friedrich Hetzelt, einem Architekten mit Nazikarriere. Der britische Bildhauer konnte das nicht wissen. Er konnte auch nicht ahnen, dass die Kleinbürger von der Wupper seine Großzügigkeit schlecht lohnen und die abstrakte Plastik bis heute schmählich behandeln würden. Ein Friedrich Engels-Denkmal von Alfred Hridlicka, Moores österreichischem Kollegen, hat ähnliche Bekanntschaft mit dem bergischen Pepita gemacht.


Alfred Hridlickas „Starke Linke“
Quelle: wikipedia
 
Als Hridlicka seine Engels-Skulptur schuf, ging ein erster weißer Marmorblock aus Carrara entzwei. Die knauserigen Wuppertaler wollten einen zweiten Block nicht mehr bezahlen, bekamen dann aber trotzdem ein Kunstwerk, das ebenso wie der Moore heute ein Mehrfaches wert ist. Doch welch ein Eiertanz um den Namen: Alfred Hridlicka hatte die Arbeit entsprechend seiner politischen Einstellung „Die starke Linke“ genannt. Nach possenhaftem Hickhack hieß die 1981 aufgestellte Skulptur „Denkmal im Engelsgarten“. Sie musste monatelang von der Polizei bewacht werden aus Angst vor Schmierereien. Weniger wegen der mächtigen Penisse der Figur, sondern wegen der politischen Aussage(kraft). Und weil sie vielleicht zu modern war. Denn in Wuppertal gab es einschlägige Erfahrungen mit einem anderen zeitgenössischen Kunstwerk, das bis heute für Aufsehen sorgt. Immerhin steht Hridlickas Denkmal für Friedrich Engels, der an der Wupper geboren ist, großzügig im Freien. Anders dagegen sollte es der Arbeit von Henry Moore ergehen.
 
Als Bonn noch Bundeshauptstadt war, behauptete ein Bonmot, dass diese Kommune noch toter sei als der Zentralfriedhof von Chicago. Inzwischen gibt es eine Steigerung. Es ist der öde Vorplatz des Schauspielhauses in Wuppertal. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Dass mit dem bereits vor Jahren erfolgten Abtransport der „Großen Sitzenden“ der Anfang vom Ende des traditionsreichen Theaters geplant war? Jedenfalls musste die dort aufgestellte Bronzeskulptur des weltberühmten Bildhauers, dessen Kunst einst auch das Bundeskanzleramt in Bonn schmückte, heimlich still und leise umziehen.              
                                                                                                                  
Museumspferch                                                                                                                   
 
Ohne die Theaterintendanz gefragt zu haben, pferchte die damalige Museumsdirektorin Fehlemann die imposante Figur für einige Jahre im „Forum“ des von der Heydt-Museums ein. Früher, vor dem Schauspielhaus, hatte der Moore den notwendig großzügigen Raum, ähnlich wie sein Pendant auf dem Campus der Hebrew University in Jerusalem. Wenigstens die Museumschefin hätte das notwendige Feingefühl für den Umgang mit einer großen Skulptur im öffentlichen Raum haben müssen.                                                                                                                
 
Dr. Sabine Fehlemann - die sich auch gern für den aus Wuppertal stammenden Hitler-Lieblingsbildhauer Arno Breker eingesetzt hat - ist inzwischen gestorben und „Die große Sitzende“ von Henry Moore erneut verpflanzt. Im neuen Standort ist sie zwar von außen sichtbar, doch die Glasbox, in die die Skulptur verbannt wurde, wird dem eindrucksvollen Kunstwerk kaum gerecht. Dabei hätte es vor der Schwimmoper genügend Freifläche gegeben.
                                                                                                                                            Henry Moore, der Bewunderer der Schwimmoper-Architektur, hat sicherlich nicht damit rechnen können, dass sein Werk mehrfach weggesperrt werden würde. Er durfte nach seinem Besuch der Schwebebahnstadt davon ausgehen, dass die „Große sitzende Frauenfigur“ von einer Anhöhe vor dem Hallenbad auf Elberfeld blicken würde.  
                                                                                                                        
Wir aber blicken noch einmal zurück: Zuständig für die kommunalen Bäder sind die Stadtwerke. Die hatten den Moore erworben. Doch weil das geplante fünfstufige Skulpturenpodest vor der Schwimmoper schon damals umstritten war, wurde die Bronze am 11. Oktober 1958 zum ersten Mal öffentlich ganz woanders präsentiert: Im Stadtteil Barmen zur Wiedereröffnung der ehemaligen „Ruhmeshalle“, auch „Haus der Kunst“ genannt. „Verschönt“ mit einem Denkmal für den Antisemiten Bismarck. Hoch zu Ross. Das passt zu Moore wie Feuer zu Wasser. Immerhin steht der eiserne Kanzler vor dem Bau, während die „Sitzende“ ins Foyer verbannt wurde.                          
                                                                                                     
Nach einem halben Jahr wechselte die Skulptur erneut den Standort. Jedoch erfuhr sie jetzt die Würdigung, die bis heute in Wuppertal konterkariert wird: Die „Sitzende“ ging im Sommer 1959 nach Kassel. Als Leihgabe auf die „documenta II“. Im Katalog stand die Bezeichnung: „Auf Stufen 1957/58, Bronze 155 x 160, Stadt Wuppertal“. Der Stempel der französischen Gießerei Susse Fondeur müßte die Wuppertaler noch immer stolz machen: „Moore 1“.
 
Hetze mit Leserbriefen
 
Am 20. November 1959 kehrte die Nummer 1 zurück und wurde jetzt, scheinbar endgültig und wie Moore zugesagt, vor der Schwimmoper aufgestellt. Die Einweihung erfolgte am 24. November feierlich. Nur reagierten die meisten Bürger alles andere als erfreut. Mehrheitlich am Kunstverständnis der Nazis orientiert, schrieben sie Pamphlet-artige Leserbriefe. Die wurden genussvoll im „General-Anzeiger“ veröffentlicht. Der Lokalchef und stellvertretende Chefredakteur der Gesamtausgabe „Westdeutsche Zeitung“, Dr. Heinz Wolff, war einmal einer der ranghöchsten Nazijournalisten im Reich und Gaupropagandaleiter in Österreich. Dafür hat er sich nie entschuldigt, vielmehr ungerührt weitergemacht, als sei nichts geschehen. Seine Zeitung heizte die Stimmung mächtig an.
 
Die Flut der Leserbriefe dürfte Auslöser einer Aktion gewesen sein, die an Zeiten der Verfolgung „entarteter Kunst“ erinnert: In der Nacht vom 5. zum 6. Dezember 1959 wurde die Schöne geteert und gefedert. In einem Bekennerschreiben bedauerten die Kunstbanausen, dass aus der „Sitzengebliebenen“ keine 100 Bratpfannen gemacht worden seien. Im Karneval, der in Wuppertal kaum diesen Namen verdient, wurde die Sitzende 1960 als „Moore-Leiche“ verhöhnt. Selbst Baudezernent Friedrich Hetzelt soll nicht amüsiert gewesen sein.
 
Ende 1963 wurde Die Sitzende von den Wuppertaler Stadtwerken dem Kunst- und Museumsverein unter der Bedingung geschenkt, ihr einen neuen, angemessenen Standort zu geben. Per Beschluss wurde der Platz vor dem neu errichteten Schauspielhaus an der Bundesallee in Elberfeld bestimmt. In einer Befragung lehnten 50 Prozent der General-Anzeiger-Leser das Kunstwerk ab. Noch im Rosensonntagszug 1966 wurde die Skulptur als „Funkenmariechen“ persifliert, der Wuppertaler (Wappen-)Löwe zog als „der Liegende“ durchs Tal. Dennoch fand – wie man hoffte – der endgütige Umzug der Plastik im September 1966 statt, rechtzeitig vor der Eröffnung des Schauspielhauses am 24. September.
 
Buhrufe für Heinrich Böll
 
Aber Wuppertal wäre nicht Wuppertal, wenn die unendliche Geschichte des merkwürdigen Umgangs mit der Kunst damit ein Happy End gehabt hätte: Zur Eröffnung des Schauspielhauses am 24. September 1966 war Bundespräsident Heinrich Lübke angesagt, dem Jahre später vorgeworfen werden sollte, KZ-Baracken entworfen zu haben. In vorauseilendem Gehorsam setzten die verantwortlichen Wuppertaler Kommunalpolitiker die Premiere des Schauspiels „Die Wupper“ ab – jene bittersüße, sozialkritische Hymne, die Else Lasker-Schüler einst ihrer Geburtsstadt gewidmet hatte. Heinrich Böll, ein Bewunderer der jüdischen Exilantin, hielt im neuen Theater eine noch heute lesenswerte Rede über die Freiheit der Kunst. Er erntete Buhrufe und entfachte im „General-Anzeiger“ eine Debatte, die an Heftigkeit und Kleinkariertheit der Auseinandersetzung um den Moore um nichts nachstand.                                                                                                                                                       
 
Womit wir wieder bei der Großen Sitzenden von Henry Moore angelangt wären. Die Arbeiten des Briten sind meist überdimensionale Abstraktionen des menschlichen Körpers, oft als „Mutter und Kind“ oder „ruhende Figur“. Von einer kurzen Zeitspanne in den 1950er Jahren abgesehen, in der Moore Familiengruppen schuf, stellte der Bildhauer überwiegend Frauenfiguren dar. Er selbst nannte die als „Sitzende“, „Die große Sitzende“ oder „Große sitzende Gewandfigur“ in die Kunstgeschichte eingeführte Bronzeskulptur „Draped seated woman“.
 
Von Albert Speer protegiert                                                                       
 
Ein Privatmann hatte nach der Umsiedlung der Figur ins von der Heydt-Museum Erbarmen mit der Trostlosigkeit des leeren Theaterplatzes. Er ließ eine schmale Eisenplastik von Horst Antes aufstellen. Die einstige Jahresgabe des Kunstvereins Düsseldorf wirkte so verloren, dass sie ganz schnell wieder entfernt wurde. Der Antes hat eine Auflage von 1.000 Stück, nicht gerechnet die Variationen vor dem ZDF-Hauptquartier in Mainz. Den Moore gibt es weltweit nur mit fünf Abgüssen. Unwichtig, dass der britische Künstler den Wuppertalern ursprünglich zugesichert hatte, lediglich zwei Repliken gießen und außerhalb Deutschlands aufstellen zu lassen. Das war am 31. März 1957. Er hatte Wuppertal besucht und sich begeistert gezeigt vom kühnen Schwimmoper-Entwurf des städtischen Baudezernenten Friedrich Hetzelt, dass er den bereits erwähnten Preisnachlass gewährte. Es gab auch keinen Anlass, sich nach der Vergangenheit des städtischen Baubeamten zu erkundigen.


Hitler verleiht Albert Speer die Auszeichnung der Nazi-Organisation Todt
Quelle: Wikimedia
 
Wahrscheinlich blieb auch keine Zeit für einen Besuch im Haus des Architekten.                                                                                                                                Dort hätte Moore nämlich drei Originalgemälde von Emil Nolde besichtigen können. Der norddeutsche Maler war anfangs ein Bewunderer der Nationalsozialisten, bis die ihn als „entarteten Künstler“ verfolgten. Verfolgt, pardon, nicht bestraft wurde Friedrich Hetzelt, obwohl er zum engsten Kreis derjenigen gehörte, die als Fachleute auf den Gebieten der Medizin, des Rechtswesens, der Verwaltung oder eben des Städtebaus das Schweinesystem erst möglich gemacht haben. Kein Geringerer als Berthold Konrad Hermann Albert Speer, Generalbauinspektor für die Neugestaltung der Reichshauptstadt Berlin, holte den Oberregierungs- und Baurat aus der Hochbauabteilung des Preussischen Finanzministeriums in seinen Stab. 1942, nach dem Umbau der alten und dem Neubau der italienischen Botschaft im Tiergarten, erhielt Friedrich Hetzelt den Professorentitel. Die Verbindung mit dem Chefplaner jener Monumentalbauten, mit denen NS-Größenwahnsinn seinen Herrschaftsanspruch sichtbar machte, dürfte auch sonst nützlich gewesen sein. Denn 1942 wurde auch für den Hetzelt-Förderer Speer Höhepunkt einer beispiellosen Karriere: Hitler ernannte Albert Speer zum Reichsminister für Bewaffnung und Munition. In dieser Funktion leitete er bis zur Befreiung 1945 die Kriegswirtschaft des Deutschen Reichs. In seinem Windschatten – Friedrich Hetzelt.
 
Von „Arisierung“ profitiert?                                                                                                
 
Im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg gehörte Kriegsminister Speer zu den 24 Hauptangeklagten. Während viele von ihnen zum Tode verurteilt wurden, kam Speer mit einer Haftstrafe von 20 Jahren glimpflich davon. Er hat seine Umwelt auch weiterhin geblendet – bis hin zu Hitler-Biograf Joachim Fest, der auf die Lügen des Herrn Speer voll abgefahren ist. Speers Autobiografie ist als Weißwaschbuch ein Lehrbeispiel für Kaschieren und Taktieren. Anders ausgedrückt: Seine Apologetik macht ihn bis heute zu einer der schillerndsten und umstrittensten Figuren der Nazidiktatur.
 
Sein Protegé Friedrich Hetzelt soll dem Hörensagen nach im Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer eingestuft worden sein. In der beginnenden Zeit des Kalten Krieges wurde nicht lange gefragt, was jemand zwischen 1933 und 1945 getan hat; bestes Beispiel ist Adenauers Staatssekretär Hans Globke, der Kommentator der Nürnberger „Rassengesetze“.
Dass sich die „Herrenrasse“ gütlich tat am arisierten Besitz jüdischer Bürger sollte im 21. Jahrhundert zum Allgemeinwissen gehören: Villen, Grundstücke, Fabriken, Kunst und Antiquitäten für die oberen Zehntausend, Schuhe und gebrauchte Möbel für den Pöbel. Juristisch mag es unanfechtbar sein, wie etwa der aus Wuppertal stammende Schweizer Nazibankier Eduard von der Heydt seine Bildersammlung gekauft hat, die er später dem Wuppertaler Museum schenkte. Fragt sich, mit welchem Geld. Höchstwahrscheinlich mit den Provisionen der Geldwaschgeschäfte für das „Dritte Reich“. Weil die Juden in ihrer Todesnot wertvolle Kunstwerke weit unter Preis verkaufen mussten, gab es für skrupellose Sammler manch Schnäppchen.
 
Zwei Nolde-Gemälde - Blumen und eine Landschaft - sind nach 1986, dem Todesjahr des Wuppertaler Baudezernenten Hetzelt, aus dessen Besitz bei einer Auktion im Kölner Kunsthaus Lempertz versteigert worden. Beim einem dritten Bild handelt es sich um das Porträt einer Frau mit flammend rotem Haar. Die Schöne, angeblich Noldes Ehefrau, wurde von der Witwe Anna Hetzelt dem von-der-Heydt-Museum in Wuppertal gestiftet. Eine späte „Wiedergutmachung“?
 
In Wuppertal ist das nie hinterfragt worden. Auch nicht die späte Rückgabe einer Serie weltberühmter abstrakter Bilder, die eine der reichsten Familien der Stadt angeblich aus Sicherheitsgründen in Obhut genommen hatte – oder sollte man besser „Verwahrung“ sagen? Denn die Rückgabe erfolgte erst Jahrzehnte nach 1945. Möglicherweise nicht ganz uneigennützig, nämlich aus Furcht, dass da ein Kamel gelaufen kommen könnte, um das darüber gewachsene Gras wegzufressen und damit den Hintergrund bekannt zu machen. Aber da diese Superreichen auch zu den Wohltätern in der Stadt gehören, gab es weder Kläger noch Richter…
 
Kunstbanausen?
                                                                                                                       
Bei Wikipedia findet sich folgende Definition: „Die Bezeichnung Banause wurde von der im antiken Griechenland üblichen Bezeichnung bánausos abgeleitet, mit der diejenigen abwertend benannt wurden, die nicht frei geboren waren und ihren Lebensunterhalt durch körperliche Arbeit verdienen mussten. Heute ist Banause eine abwertende Bezeichnung, mit der einem Menschen Mangel an Intellekt, Feingefühl oder Bildung vorgeworfen wird. Besonders ist Kunstbanause oder Kulturbanause, ein Vorwurf von fehlendem Kunstverständnis.“ - Doch vielleicht wächst ja eine neue Generation von kunstsinnigen Wuppertalern heran, die erkennt, dass die Große Sitzende großen Freiraum braucht. Platz ist
vor der Schwimmoper reichlich vorhanden. (PK)


Online-Flyer Nr. 267  vom 15.09.2010

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