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Aktueller Online-Flyer vom 10. Mai 2024  

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Inland
Vom gläsernen Bürger zum Überwachungsstaat?
Die Verglasung der Bürger
Von Dr. Sabine Schiffer

Während Google-Streetview ein Top-Medienthema ist, schleichen sich noch viel umfassendere Überwachungsmaßnahmen langsam aber sicher in unseren Alltag ein. Beginnend mit der freiwilligen Datenabgabe über Kundenkarten und die sozialen Netzwerke im Internet – aber auch Serviceangebote reizen, die eigenen Koordinaten preis zu geben. Schüler werden sogar in der Grundschule schon dazu verführt, ihre Daten in das sogenannte Leseförderprogramm Antolin einzugeben und unkritisch mit den neuen Medien umzugehen.

Aber nicht nur Kinder, auch Erwachsene gehen zu oft zu unbedarft mit ihren Daten um, nach der naiven Vorstellung, man habe ja nichts zu verbergen. Als

Mit Clownsarmee 2008 in Köln...
wäre Datenschutz eine Art Kriminellenschutz und nicht ein Garant für bürgerliche Freiheiten und demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten, wie es Dr. Alexander Dix vom Berliner Datenschutz bei einem Vortrag im Rahmen einer Menschenrechtsvorlesungsreihe an der Uni Erlangen erläuterte. Ilja Trojanow und Julie Zeh beschreiben die aktuellen Entwicklungen in ihrem Buch “Angriffauf die Freiheit“ und auch, wie weit diese schon fortgeschritten sind. Wie auch die Liga für Menschenrechte wundern sie sich über die stille Hinnahme und auch die oft fehlende Selbstreflexion in Deutschland: Während man die Demokratie in die Welt hinaustragen möchte, übersieht man leicht die Gefahren für dieselbe im eigenen System. Bisher habe sich das Bundesverfassungsgericht als Fels in der Brandung erwiesen. Aber einige Politiker scheine das wenig zu beeindrucken. Ist ein Gesetzentwurf erst abgelehnt, komme umformuliert der nächste – notfalls über die EU, so dass die eigentlich Verantwortlichen die Verantwortung im fernen Brüssel behaupten können.

Nüchtern stellen Zeh und Trojanow fest: Man benötigt keine Diktatur für die Etablierung eines Überwachungsstaates. Dies dürfte auf Grund des beliebten Ossi-Bashings, wie kürzlich auch das SZ-Magazin konstatierte, aber noch eine Weile unbemerkt fortschreiten, weil berechtigte Ängste so einfach auf die DDR projiziert werden können. Auch die Nazi-Zeit oder die Situation in anderen Staaten sind als Projektionsflächen beliebt. Ob der Apell der Autoren, die schleichende Entdemokratisierung im Hier und Jetzt zu erkennen, ankommt, scheint darum unsicher. Ein aufschlussreiches Interview zum Thema findet sich auf Chaosradio.

Dabei gibt es genug Hinweise auf ein Netz von Kontrollmöglichkeiten, weit über die Gewöhnung an den Internetexhibitionismus hinaus. Was, wenn einer meiner Bekannten das Angebot von Facebook annimmt und sein gesamtes Adressbuch hochlädt, um Kontakte leichter zu finden? Dann kann Facebook über all die Daten verfügen, auch eventuell über meine oder Ihre, auch ohne jegliche Zustimmung. Immer wieder erschrecken neue Nachrichtenfetzen, wie zum Beispiel das sogenannte Swiftabkommen oder die Datenübermittlung bei Auslandsflügen. Nicht nur Google kann also der Datensammelwut bezichtigt werden, wie bei Heise zu lesen war.

In den Reigen gehören mindestens noch der Nacktscanner, die sogenannte

...gegen den Überwachungsstaat
Gesundheitskarte, der elektronische Personalausweis und last not least die Steueridentifikationsnummer. Gerade letztere, mit der Geburt bereits vergeben, könnte der zentrale Datensammelpunkt eines jeden Menschen in Deutschland – und darüber hinaus? – werden. Da schreckt der Zensus 2011 vermutlich nur noch wenige. Wenn er schreckt, dann aber richtig – weil eine Auskunftsverweigerung mal eben läppische 5.000 Euro kosten soll. Ob hier noch von „informationeller Selbstbestimmung“ die Rede sein kann?! Welche Daten-Crossovers heute schon möglich sind, lassen den Sachkundigen jetzt schon erschauern – und das Netz wird enger.

Auch Micropaymentsysteme wie Flattr und Kachingle sind zwar gut im Ansatz, weil damit erstmals eine Wertschöpfung in digitalen Systemen stattfindet und die User selbst entscheiden, was ihnen ein gelesener Artikel wert ist. Die andere Seite der Medaille aber ist, dass die Nutzer sich voll identifizieren müssen gegenüber einem Bezahlsystem wie etwa Paypal, über die die Buchung abgewickelt wird. In der analogen Welt käme dieser Vorgang dem Sachverhalt nahe, dass bei einem Zeitungskauf der Personalausweis vorgelegt werden muss. Die Daten des Nutzers werden bei Flattr und Paypal gesammelt, so dass Institutionen, die nichts mit den Inhalten des Artikels zu tun haben, relativ detaillierte Informationen über Internetnutzer erhalten. Über die Verfahrensfrage, wie mit den Daten der Nutzer umgegangen wird, gibt es keine oder nur sehr vage Aussagen. Klar ist, dass recht umfangreiche Profile über Micropayment-Kunden angelegt werden können. Die Frage weiterhin, ab welcher Größenordnung diese Daten – zum Beispiel – für Behörden interessant werden.



Keine Diktatur für den Überwachungsstaat notwendig
Fotos: H.-D. Hey - gesichter zei(ch/g)en

Im Vergleich zu den genannten Diktaturen, ist das Überwachungspotential heute allein durch die Technik bereits viel größer als es je war, so Zeh und Trojanow. Und es beginnt vor der eigenen Haustür – mit Kameras an der nächsten Ampelkreuzung, die angeblich nur akustisch den Verkehr überwachen und dem Verkehrsfluss dienen sollen. Warum dann aber mit auf die Fahrer gerichteten Bildaufnahmegeräten?

Die Demokratie setzt Freiheit voraus. Darum schließen sich ein Überwachungsstaat und ein demokratisches Gemeinweisen aus – auch wenn er vorgibt, dass dieses zum Schutze „seiner Bürgerlein” geschehe. Und Freiheit bedeutet nicht, alles von sich preis zu geben. Bürgerfreiheit und Bürgerverantwortung für das Gemeinwesen gehören eng zusammen und sind die Garanten der Freiheit. Die informationelle Selbstbestimmung ist damit die wichtigste Voraussetzung, dass Bürger sich gemäß dem Verfassungsgedanken in das Gemeinwesen einbringen können. Und was google anbelangt, sollte man sich genau überlegen, ob man das Einspruchs-Formular ausfüllt und seine Adressdaten den Straßenaufnahmen hinzufügt. Sie würden dann zwar nicht veröffentlicht, aber google hätte sie. (HDH)

 
Dr. Sabine Schiffer ist Gründerin und Leiterin des “Instituts für Medienverantwortung" in Erlangen.



Online-Flyer Nr. 265  vom 01.09.2010

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