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Globales
Wie die USA die Wiedergeburt des Faschismus in Italien sicherten
Schon im August 1945
Von Gerhard Feldbauer

Als der Mediendiktator Berlusconi, in den 70er Jahren Mitglied des Dreierdirektoriums der faschistischen Putschloge P2, seine Gesinnungsfreunde der Mussolini-Nachfolgerpartei Movimento Sociale Italiano (MSI) und die Rassisten der Lega Nord 1994 das erste Mal in seine Regierung aufnahm, ging eine Saat auf, welche die USA 1945 gelegt hatten. Bereits knapp vier Monate nach der militärischen Niederlage, am 8. August 1945, ließ der Allied Military Government der USA die Bildung einer faschistischen Sammlungsbewegung Uomo Qualunque (Jedermann) zu, aus der im Dezember 1946 besagte Sozialbewegung (MSI) hervorging, die sich offen zu Erbe und Tradition Mussolinis bekannte.
 

Uomo Qualunque-Gründer Giannini
Guglielmo spielte zunächst den Demokra-
ten.
Uomo Qualunque ging aus einer schon im Herbst 1944 in Neapel unter der US- amerikanischen Besatzungs - obhut von dem frühe- ren Liberalen und Komödien-schreiber Giannini Guglielmo gegründeten gleichnamigen Zeitschrift hervor. Als Bewegung des einfachen Bürgers agierend machte sich Uomo Qualunque zunächst zunutze, das sein Gründer einige Vorbehalte gegenüber der Mussolini-Diktatur geäußert hatte. Um die Jedermann-Bewegung nicht offen mit der Mussolinivergangenheit zu kompromittieren, traten die aktiven „Duce“-Anhänger in ihr zunächst nicht in Erscheinung. Uomo Qualunque stellte sich als Anti-Partei und unpolitische Organisation vor, wandte sich gegen „Parteienherrschaft“ und „Parteienaristokratie“, rief zum Kampf gegen die Verwaltungsbürokratie sowie das bürgerlich-parlamentarische System und seine Institutionen auf, denen es Unfähigkeit und Korruption vorwarf, und trat für die Monarchie ein.
 

Vorbild Benito Mussolini
Die Stoßrichtung wurde aber sehr schnell sichtbar. Während Uomo Qualunqe demagogisch erklärte, gegen „links und rechts“ zu sein, bekämpfte es offen die linken Parteien, diffamierte Antifaschisten als „Vaterlandsverräter“ und schürte einen aggressiven Revanchismus und Antikommunismus. Die Bewegung gab eine gleichnamige Tageszeitung mit über 100.000 Exemplaren sowie eine Wochenzeitschrift „La Rivolta ideale“ heraus, verbreitete massenweise Flugblätter und Broschüren und erregte mit spektakulären Aktionen Aufsehen. Dazu gehörte die Entführung des Leichnams Mussolinis vom Mailänder Friedhof am 23. April 1946, kurz vor dem ersten Jahrestag seiner Hinrichtung sowie ein Überfall auf den römischen Rundfunksender Monte Mario, von dem die faschistische Hymne „Giovinezza“ ausgestrahlt wurde.
 
Den Hintergrund bildete der Einfluss der Linken. Die IKP ging aus der Resistenza (Widerstand) als politisch einflussreiche Kraft hervor. Sie wuchs auf zwei Millionen Mitglieder an und wurde eine Massenpartei, die unter der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung Norditaliens großes Ansehen genoss. Mit der Sozialistischen Partei war sie durch ein Aktionseinheitsabkommen verbunden, in dem verkündet wurde, man wolle Faschismus und Kapitalismus beseitigen und eine sozialistische Gesellschaft errichten. Die Kommunalwahlen im März und die zur Verfassungsgebenden Versammlung im Juni 1946 zeigten, dass IKP und ISP über eine Massenbasis verfügten. Sie erreichten beide Male rund 40 Prozent der Stimmen. Im Juni 1945 wurde der Aktionist Ferrucio Parri Ministerpräsident der bereits 1944 gebildeten antifaschistischen Einheitsregierung.
 
Unter Uomo Qualunque blieb der italienische Nachkriegsfaschismus, trotz des Verlustes seiner Funktion als staatsbeherrschende Partei, eine politische Kraft, die beträchtliche Bevölkerungsschichten und dadurch die Nachkriegsentwicklung beeinflusste. Das zeigte sich bei den Wahlen zur Verfassungebenden Versammlung am 11. Juni 1946. Obwohl die Jedermann-Bewegung ihren faschistischen Charakter kaum noch verhüllte, konnte sie ungehindert kandidieren, 5,3 Prozent Wählerstimmen erreichen und mit 30 Abgeordneten in die Costituente einziehen. Zusammen mit den Monarchisten, die 6,8 Prozent erzielten und anderen reaktionären Gruppen wurde sie im Parlament zu einem wichtigen Bundesgenossen der Rechtskräfte der Democrazia Cristiana und anderer bürgerlicher Parteien bei der Verteidigung der Interessen des Großkapitals.
 
Diese Entwicklung wurde aktiv durch die US-amerikanische Besatzungsmacht gefördert, die im Bündnis mit den Kräften der inneren Reaktion eine Säuberung des Staatsapparates und des politischen Lebens von Faschisten verhinderte. In Norditalien wurden die Verwaltungen des Befreiungskomitees als Organe der Regierung größtenteils durch die alte faschistische Administration ersetzt und der gesamte exekutive Machtapparat mit vorwiegend alten Beamten aus der Zeit des Faschismus restauriert. Die Militärregierung ordnete die Auflösung der Partisanenarmee an. Für den Aufbau der bewaffneten Kräfte der Italienischen Republik (Armee, Polizei, Geheimdienste) wurden größtenteils hohe Offiziere aus der Zeit des Faschismus verwendet. Während der Pariser Friedensverhandlungen, die zum Abschluss der Verträge vom 10. Februar 1947 führten, lehnten die USA für Italien die von der UdSSR geforderte Klausel ab, niemals wieder faschistische Organisationen zu erlauben und Kriegsverbrechen nicht ungesühnt zu lassen.
 
Im Juni 1945 wurde das „Hohe Kommissariat zur Verfolgung von Regimeverbrechen“ aufgelöst. Die meisten der aktiven Faschisten, die in der eingeleiteten - aber bald abgebrochenen - Phase der Entfaschisierung vor Gericht gestellt worden waren, wurden freigesprochen bzw. die Urteile aufgehoben oder die Betroffenen amnestiert. Das betraf den Großteil von 11.800 führenden Faschisten, darunter der Chef der berüchtigten Decima Maas, der zur Partisanenbekämpfung eingesetzten 10. italienischen Torpedoboot-Flottille, Fürst Valerio Borghese, der wegen wenigstens 800-fachen Mordes verurteilt worden war. Aus der Haft entlassen wurde auch fast der gesamte Stab der letzten Mussolini-Regierung. 
 
Ebenso wie die politische blieb auch die ökonomische Macht des Großkapitals, die über 20 Jahre die Basis des Faschismus gebildet hatte, unangetastet. Die Militärregierung unterband alle Versuche, ihre Macht einzuschränken. Sie ließ die vom CLN (Komitee für nationale Befreiung) in Norditalienin vielen Unternehmen gebildeten Fabrikräte auflösen und setzte die Eigentümer wieder ein.
 
Die IKP unterschätzte die vor sich gehende Sammlung des militärisch gerade geschlagenen Faschismus und trat ihm nicht mit entschiedenen revolutionären Aktionen entgegen. Sie setzte für antifaschistisch-demokratische Veränderungen auf den parlamentarischen Weg und darauf, das in der Resistenza geschlossene Bündnis mit der Democrazia Cristiana fortzusetzen, was sich als eine gefährliche Illusion erwies. Dafür machte sie weitreichende, in der Partei oft heftig umstrittene Zugeständnisse. Sie nahm die Auflösung der Partisanenverbände (eine halbe Million Kämpfer) und der örtlichen Verwaltungen des CLN hin. Palmiro Togliatti fügte sich als Justizminister der Einstellung der Verfolgung der Regimeverbrecher. Luigi Longo, seit 1946 Stellvertreter Togliattis, forderte wiederholt, die Massen gegen die reaktionären Machenschaften zu mobilisieren. Togliatti räumte im Oktober 1946 ein, dass die nach dem Sieg der Resistenza vorhandene günstige Ausgangssituation „im Grunde genommen nicht genutzt“ wurde. Pietro Secchia und Filippo Frassati schrieben in ihrer “Geschichte der Resistenza” (Rom 1965) von einer „fehlenden Revolution“ und dem „Kontrast zwischen den Idealen der Resistenza und den verfolgten demokratischen Zielen“. Heute wird in Italien gefragt, ob nicht bereits hier die Wurzeln des derzeitigen Elends der Linken liegen, ihres in den 70er Jahren einsetzenden Weges von Niederlage zu Niederlage?
 
Bleibt anzumerken, dass das derzeitige Zerwürfnis zwischen Berlusconi und dem Faschistenführer Fini kaum etwas an der Rolle des neuzeitlichen Faschismus als wichtigem  Verbündeten der reaktionärsten Kräfte in Italien wie auch anderswo ändern wird. Vertrat  doch der damalige Chefredakteur von „Kapital“, Johannes Groß, schon Anfang der 1990er Jahre die Meinung: „Nach dem Scheitern des Kommunismus und der anscheinend wachsenden Funktionsschwäche der traditionellen Demokratien bleibt der Faschismus eine der Möglichkeiten der Politik.“(PK) 
 
Ausführlich zur Thematik das Buch des Autors: „Von Mussolini bis Fini. Die extreme Rechte in Italien“, Berlin 1996.


Online-Flyer Nr. 261  vom 04.08.2010

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