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Jerusalem – The East Side Story
Von Gernot Steinweg
Der Film beginnt mit einer schnellen Montage aus dem alltäglichen Leben dieser pulsierenden und faszinierenden Stadt zwischen Orient und Okzident. Fast könnte man meinen, hier wohnten Moslems, Juden und Christen friedlich miteinander, wenn es nicht die Bildschnipsel von Durchsuchungen, Protesten und Militär gäbe, die auf eine andere Seite hindeuten.
Das erste Kapitel widmet sich der Entstehungsgeschichte Israels. In wenigen Filmminuten fasst ein Kommentar, unterlegt mit historischen Filmaufnahmen, eine komplexe und vielschichtige Entwicklung zusammen. Auch wenn dabei zwangsläufig wesentliche Teile unter den Tisch fallen – wie z.B. der nicht erwähnte Aufstand der Palästinenser gegen die britische Besatzungsmacht in den 30er Jahren – so lohnt es sich doch, sich noch einmal mit den Eckdaten vertraut zu machen.
1917 versprach die britische Regierung in der so genannten „Balfour Erklärung“ eine Heimstatt für Juden in Palästina zu unterstützen. Hinzuzufügen wäre: dies geschah nach Verhandlungen mit der damals noch jungen, und relativ unbedeutenden Zionistischen Bewegung und mitten im ersten Weltkrieg, als der Nahe Osten noch von den Osmanen beherrscht wurde und die Briten nach Bündnispartnern für ihren Eroberungskrieg suchten. 1923 fiel Palästina unter britisches Mandat und der Zuwanderungsstrom, vor allem von europäischen Juden, verstärkte sich. In der Folge kam es immer wieder zu Spannungen und Gewaltausbrüchen zwischen den „Ureinwohnern“(den Palästinensern) und den jüdischen Einwanderern. „Die Briten hatten ein Schlamassel angerichtet“, heißt es im Film lapidar, mit dem sie nicht mehr fertig wurden und es der frisch gegründeten UNO überließen, eine Lösung zu finden. Im November 1947 beschloss diese – mit den Stimmen der USA und der Sowjetunion - Palästina in zwei Staaten zu teilen, einen jüdischen und einen arabischen. Jerusalem und Bethlehem wurden zu internationalen Gebieten erklärt und direkt der UNO unterstellt.
Während die Juden in den Straßen vor Freude tanzten, fühlten sich die Palästinenser verraten und waren schockiert. Nach dem Teilungsplan sollten sie - die große Mehrheit der Einwohner - mehr als die Hälfte ihres Gebietes verlieren. Es kam zu Demonstrationen und Aufständen. Im Mai 1948 wurde der Staat Israel proklamiert und kurz darauf kam es zum ersten Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. Die Araber verloren und Israel eroberte 78% des palästinensischen Gebietes, inklusive West-Jerusalem. General Moshe Dajan (später israelischer Ministerpräsident) zeichnete beim Waffenstillstandsabkommen mit Jordanien die neue Grenze zur Westbank mit einem grünen Stift ein und schuf damit den Begriff „Die Grüne Linie“.
Jerusalem wurde zur geteilten Stadt. Die beiden Hälften wurden durch einen Stacheldrahtzaun, der von Scharfschützen bewacht wurde, getrennt. „Ein langes und leidvolles Kapitel in der Geschichte des jüdischen Volkes wurde abgeschlossen. Und ein langes leidvolles Kapitel in der Geschichte der Palästinenser fing gerade an.“ Mit diesem zentralen Satz im Film macht der Regisseur, Mohammed Alatar, seine Grundhaltung deutlich und benennt den Ausgangspunkt der heutigen Tragödie. Mich wundert es allerdings, dass an dieser Stelle des Films der Holocaust - ohne den es vermutlich gar nicht zu der israelischen Staatsgründung gekommen wäre - nicht explizit erwähnt wird. Der mehr als außergewöhnliche Beschluss der UNO, sowie die nach dem zweiten Weltkrieg einsetzende heftige und lang andauernde Einwanderungswelle von Juden nach Palästina und die Aufwertung der Zionistischen Ideologie innerhalb des Judentums, ist nur mit dem Schock bzw. der Scham zu erklären, den der Holocaust verursacht hat. Dieses Trauma bestimmt bis heute die Politik der westlichen Welt gegenüber Israel.
Ohne näher auf die tatsächlichen Abläufe der Staatsgründung einzugehen, die der israelische Historiker Ilan Pappe in seinem Buch „Die Ethnische Säuberung Palästinas“ eingehend geschildert hat, stellt der Film trocken fest: „Der Krieg von 1948 schuf ein Flüchtlingsproblem“. 2000 Juden mussten Ostjerusalem verlassen und konnten 19 Jahre später zurückkehren. Anders bei den Palästinensern: Hunderttausende (etwa 750.000) wurden vertrieben und flohen. Sie durften bis heute nicht zurückkehren und viele von ihnen wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land.
Als ersten Augenzeugen lässt Alatar den ehemaligen stellvertretenden Bürgermeister (1971-78), Meron Benvenisti, zu Wort kommen. Er ließ 1967 eine Erhebung in Jerusalem durchführen, und stellte fest, dass 10.000 Palästinenser, also jeder fünfte Bewohner Ostjerusalems im Westteil der Stadt aufgewachsen und demnach Vertriebener innerhalb seiner eigenen Stadt war. Ihm ist klar, dass damit enorme emotionale Spannungen verbunden sein mussten.
Dem geht der Film nach und begleitet eine Palästinenserin, die sich ihr ehemaliges Familienhaus von außen anschaut. Als die Familie 1947 floh, glaubte ihr Vater fest daran, spätestens in zwei Wochen zurück zu kommen. Er - wie übrigens die meisten Palästinenser, die in ihrer langen Geschichte schon viele Herren kommen und gehen sahen - hatte die Dynamik der israelischen Staatsgründung nicht begriffen, die ja gerade darauf abzielte, allen Juden eine Heimstatt zu bieten, dafür Land brauchte und deswegen zwangsläufig die Ureinwohner verdrängen musste. Im Grunde kann die Palästinenserin bis heute nicht fassen, was da passierte und immer noch fortgesetzt wird. Fassungslos schaut sie auf die vorbei schlendernden, neuen Bewohner ihres Viertels. Sie beendet ihren Besuch mit den Worten: „Wir leben in unserer Phantasie und sie im Leugnen. Aber eines Tages müssen wir beide die Realität anerkennen“. Doch die Lösung sollte für beide Seiten „fair“ sein, fügt sie hinzu, „ich verdiene es, in mein Haus zurückzukehren“.
Doch stattdessen folgte als nächstes 1967 der 6-Tage-Krieg, in dem Israel die bis heute besetzten Gebiete eroberte, inklusive Ost-Jerusalem. Israel, damals infiziert vom Siegesrausch und seiner neuen Machtposition in der Region, wollte durchsetzen, dass die Eroberung Jerusalems endgültig ist und ergriff umgehend drastische Maßnahmen. Ein historisches arabisches Stadtviertel wurde abgerissen und die Einwohner wurden vertrieben, um Raum für den neuen Platz vor der Klagemauer (Western Wall) zu schaffen. Benvenisti rechtfertigt: „Sie (die Palästinenser) mussten den Preis dafür zahlen, dass Juden (vor dem 6-Tage-Krieg) nicht zur Klagemauer gehen durften“.
Israel vergrößerte das Jerusalemer Stadtgebiet um mehr als das Zehnfache Richtung Osten, von 6 auf 70 Quadratkilometer und erklärte es als Bestandteil des israelischen Staates. 28 palästinensische Dörfer wurden von ihren Feldern abgeschnitten. Israel wollte das Land, aber nicht seine Bewohner haben. Sobald die grundlegenden Maßnahmen abgeschlossen waren, erklärten die Israelis Jerusalem „zur ewigen Hauptstadt des jüdischen Staates.“
Mit dieser Postulierung schließt Israel alle anderen Bewohner der Stadt aus. Und in der Tat bestand und besteht ein wichtiger Teil der behördlichen Maßnahmen darin, in der Hauptstadt auf Dauer eine jüdische Bevölkerungsmehrheit herzustellen, erklärt Jessica Montell vom Israelischen Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten (B’tselem). Um das zu erreichen, lässt man sich allerhand Tricks einfallen. So z.B. die Austeilung von neuen Personalausweisen an die Bürger der Stadt anlässlich einer „Volkszählung“. Palästinenser konnten die neuen ID-Cards nur bekommen, wenn sie zur Zeit der Zählung persönlich anwesend waren, nachweisen konnten, das sie keine andere Staatsbürgerschaft besaßen, etwas Hebräisch beherrschten und dem Staat Israel die Treue schworen. Da viele Palästinenser diese Bedingungen nicht erfüllen konnten oder wollten, wurden sie quasi zu Ausländern in der eigenen Stadt erklärt. 250.000 Palästinenser, erklärt Dr. Nazmi Ju’ben, ehemaliger palästinensischer Friedensunterhändler, werden in Jerusalem wie „Touristen“ behandelt, die geduldet aber nicht legalisiert sind. Jessica Montell (B’tselem): „Das Gesetz, das die Einwohnerschaft regelt, heißt das Gesetz für die Einreise nach Israel“. Das aber trifft auf die Palästinenser nicht zu. „Sie reisten nicht nach Israel ein, sondern Israel kam zu ihnen und annektierte das Gebiet in dem sie, vielleicht seit Generationen, lebten.“
Israel schafft Fakten und beginnt einen Krieg um die demografische Entwicklung. Vor allem wird Land benötigt, um mehr Juden ansiedeln zu können. Palästinensisches Land zu konfiszieren, die Bewohner auf irgendeine Weise zu vertreiben und neue jüdische Siedlungen zu bauen wird zur alltäglichen Praxis in Jerusalem. Die Bautätigkeit in Jerusalem boomt, aber nicht für die Palästinenser. Wenn sie bauen wollen, müssen sie eine langwierige und teure Prozedur durchlaufen, die 10 Jahre oder länger dauern kann. Wer trotzdem baut, handelt illegal. Solche Häuser werden, für die Bewohner oftmals völlig überraschend, unter Polizeischutz abgerissen und die Abrisskosten den Bewohnern aufgebürdet. So kommt es immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstößen der Polizei mit der palästinensischen Bevölkerung. Fast täglich werden neue menschliche Tragödien geschaffen. Ein Mädchen berichtet unter Tränen, dass sie morgens ahnungslos zur Schule ging und als sie nachmittags zurückkam, hatten sie und ihre Familie alles verloren. „Hauszerstörungen sind Todesstrafen“, sagt ein Opfer. Diese neue Welle der Vertreibung trifft auch Menschen, die schon einmal vertrieben worden sind.
Die Bilder vom Abriss der Häuser und die Verzweiflung der Betroffenen, die auf den Trümmern ihrer Häuser, wie nach einem Erdbeben nach Resten ihrer Habe suchen, gehen unter die Haut.
Rein statistisch liest sich das so: „Seit 1967 wurden in den besetzten Gebieten etwa 18.000 palästinensische Häuser zerstört, etwa 2.000 davon in Ostjerusalem. 40% der palästinensischen Häuser in Ostjerusalem werden von Israel als illegal betrachtet und erwarten ihre Zerstörung.“ Die Zahlen stammen vom „Israelischen Komitee gegen Hauszerstörungen (ICAHD)“.
Häuserabriss ist fester Bestandteil israelischer Politik und wird vom Innenministerium geleitet. Dieses Ministerium nutzt noch ein weiteres Mittel, um Palästinenser aus Jerusalem zu vertreiben, die so genannte „Familienzusammenführung“. Wenn nicht beide Ehepartner vom Staat anerkannte Bürger von Jerusalem sind, müssen sie einen Antrag stellen, um als Familie zusammen in Jerusalem leben zu dürfen. Das Antragsverfahren dauert oft viele Jahre. Seit zehn Jahren, so berichtet Carmen, eine Frau aus Jerusalem, stellt sie immer wieder den Antrag, mit ihrem in Bethlehem wohnenden Ehemann zusammen leben zu dürfen. Aber sie erhält keinen Bescheid, ihr Status bleibt unklar, und die Eheleute müssen getrennt leben. Inzwischen hat sie in Jerusalem sechs Kinder zur Welt gebracht. Diese wurden zunächst in ihren Personalausweis eingetragen, dann aber wieder daraus gestrichen. Damit haben ihre Kinder keine Papiere und sind keine offiziellen Bürger der Stadt. Zwar leben sie bei ihrer Mutter und gehen auch in Jerusalem zur Schule, aber sie können ihren Vater in Bethlehem nicht besuchen. Falls sie es dennoch tun, riskieren sie, nicht mehr nach Jerusalem einreisen zu dürfen.
Jessica Montell: Ein palästinensisches Ehepaar, bei dem z.B. sie aus Jerusalem und er aus Ramallah (zwei benachbarte Städte) stammen, darf offiziell überhaupt nicht zusammen wohnen, weder in der einen noch in der anderen Stadt. „Das ist nicht akzeptabel“, so der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land, Rev. Mounib Younan, „weil es Teil unserer Menschenrechte ist“.
Ein Vater, dessen Sohn an einer seltenen Krankheit leidet, beklagt, dass er ihn nicht in einer Spezialklinik in Amerika behandeln lassen kann, obwohl dazu alle Vorbereitungen getroffen sind, weil der Sohn keinen Personalausweis besitzt und er deswegen nicht ausreisen darf.
Avraham Burg (ehemaliger Sprecher der Knesset und früherer Leiter der Jewish Agency) fragt, ob wir tolerieren würden, wenn so etwas der jüdischen Minderheit in Belgien oder Amerika zustoßen würde. „Nie im Leben“, antwortet er sich selbst, „aber ich erlaube es 200 Meter von meinem Fenster entfernt. Das ist Korruption“.
Was die israelischen Behörden beruhigend mit „Familienzusammenführung“ bezeichnen, hat sich in das genaue Gegenteil verwandelt. Damit liefert der Film ein Beispiel für die in Israel gängige Praxis der sprachlichen „Schönfärberei“, wie Avraham Burg sie in seinem Buch „Hitler besiegen – Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss“ beschreibt. „Beschönigende, verharmlosende Worte“, so Burg, „ermöglichen es uns, schmutzige Realitäten als sauber wahrzunehmen“. Auch die Nazis waren darin Meister, und so konnte es passieren, dass nach dem zweiten Weltkrieg eine große Mehrheit der Deutschen im Brustton der Überzeugung zur planmäßige Vernichtung der Juden sagen konnte: „Das haben wir nicht gewusst“.
Der Film streift kurz die Lage der Christen in Palästina. 1948 waren 20% der Palästinenser Christen, heute sind es nur noch 2%, mit fallender Tendenz. Die Hauptgründe dafür, so Bischof Younan, sind die unstabile politische Lage, die Besatzung und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die Christen zögen es vor auszuwandern.
Eine der wichtigsten Fragen für die Palästinenser, die traditionell von der Landwirtschaft gelebt haben, ist der Besitz von Ackerland. Aber das steht diametral den Interessen des Staates Israel entgegen, da immer mehr Land für die weitere Ansiedlung von Juden benötigt wird. Somit wird der Kampf um Land zu einem zentralen Bestandteil israelischer Politik. Ackerland wird staatlich konfisziert, Bauern werden durch Straßen, die nur für Juden befahrbar sind, und Checkpoints von ihrem Land abgeschnitten. Ganze Dörfer werden von ihren Ländereien getrennt. Der Film zeichnet am persönlichen Schicksal eines Bauern nach, was das in der Praxis bedeutet. Wenn er sein Land betreten will, muss er durch einen Checkpoint gehen, selbst sein Haus darf nur er persönlich betreten, jedoch nicht seine Familie oder Freunde. Selbst der Bau einer Küche wurde als illegal bezeichnet und er wurde gezwungen, sie wieder abzureißen.
1993 - im selben Jahr als der Osloer Friedensvertrag geschlossen wurde - hat Israel eine Politik der Abriegelung Jerusalems vom Rest der Westbank begonnen, die bis zum heutigen Tage drei Millionen Palästinenser daran hindert Jerusalem zu betreten. Checkpoints, Passkontrollen, Behinderungen, Schikanen. Dieser Teil des Films erinnert mich an Szenen von der Berliner Mauer. Wer damals die Kontrollen persönlich erlebt hat, kann nachvollziehen, was in den Palästinensern vor sich gehen muss, die sich täglich diesen entwürdigenden Durchsuchungen und willkürlichen Behinderungen unterwerfen müssen. Die israelische Mauer ist dreimal so hoch wie die Berliner und ihre Auswirkungen sind um ein vielfaches schlimmer.
Die Isolierung Jerusalems hat verheerende Auswirkungen. So ist z.B. die Gesundheitsversorgung stark eingeschränkt bzw. unterbrochen, da alle Spezialkliniken Palästinas in Ostjerusalem liegen. Patienten können nicht mehr oder nur unter großen Mühen ins Krankenhaus. Kinder, die zur Dialyse nach Jerusalem müssen, dürfen nicht von ihren Eltern begleitet werden. Die tagtäglichen Schikanen sind unerträglich. „Das erzeugt Zorn, weil die Grundlagen des Lebens für die palästinensische Mutter verletzt werden“, so Dr. Tawfiq Nasser, Direktor des Augusta Krankenhauses in Jerusalem. „Wo keine Würde ist, entsteht Zorn, und wo Zorn ist, kann man die politischen Auswirkungen nicht mehr kontrollieren.“
Die Abriegelung von Jerusalem hat auch zur Folge, dass die Moslems keinen freien Zugang mehr zu ihrem Heiligtum, der Al-Aqsa Moschee haben. Der Film schildert in einer sehr gelungenen Montage die Schwierigkeiten der Palästinenser, zum Gebet in diese Moschee zu gelangen. Dabei macht er die ganze Tragweite der vielen Checkpoints, die das Land durchschneiden und für die Palästinenser zu einem unerträglichen Hindernislauf machen, deutlich. Unverständliche Regeln - wie z.B. dass nur Menschen über 45 zum Gebet gehen dürfen - sowie entwürdigende Behinderungen, willkürliche Verhaftungen bis hin zu Schießereien der Armee gehören offenbar zum Alltag der Palästinenser.
Wer diese Bilder sieht, verliert den Glauben an den Willen Israels, wirklich zu einer Aussöhnung mit den Palästinensern kommen zu wollen. Aber für mich vermitteln die Bilder von tausenden betenden Menschen - sei es in der Moschee, am Straßenrand, an den Checkpoints - noch eine andere Botschaft: Sie machen den ungebrochenen Willen der Palästinenser deutlich, trotz aller Hindernisse, beharrlich an ihrer Heimat und an ihrer Kultur festzuhalten.
Nach dem 6-Tage-Krieg von 1967 wurden in Jerusalem 23 neue jüdische Siedlungen, die 35% des Gebietes von Ostjerusalem okkupieren, und 12 Checkpoints errichtet. „Jerusalem ist wirklich die Frontlinie und das Herzstück des palästinensisch-israelischen Konflikts“, konstatiert der Film, und im Zentrum Jerusalems liegt die Altstadt, wo „jeder Zentimeter heilig ist“. 65 Kirchen, 25 Moscheen und 19 Synagogen drängen sich hier auf weniger als einem Quadratkilometer. Nirgendwo sonst auf der Welt, stoßen die drei großen Religionen so eng aufeinander.
Zum Kernpunkt des Konfliktes erklärt der Film den Ort mit den höchsten symbolischen Werten und den schärfsten religiösen Gefühlen, den sowohl Juden als auch Moslems für sich beanspruchen. Die Juden nennen ihn den „Tempelberg“, auf dem der erste und zweite Tempel errichtet wurde und wo, so der Glaube vieler Juden, auch der dritte und endgültige Tempel errichtet werden wird. Die Moslems nennen diesen Berg seit 1500 Jahren „Haram Ascharif“. Hier ist Mohammed zum Himmel aufgestiegen, um Gott zu treffen. Der Berg wird gekrönt von der Al-Aqsa Moschee und dem Felsendom. Der Konflikt scheint unüberbrückbar.
Da es in der dicht bebauten Altstadt keinen Platz für neue Siedlungen gibt, nimmt hier der Kampf um die Ausdehnung jüdischer Besiedlung andere Formen an. „Ateret Cohanim“ ist eine führende Siedler-Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Haus für Haus den Palästinensern abzunehmen und mit Juden zu besetzen. - Fast erübrigt es sich zu erwähnen, das es gleichzeitig den Palästinensern streng untersagt ist, Häuser in jüdischen Vierteln zu erwerben. - Diese Organisation genießt die Unterstützung der israelischen Regierung und finanziert sich mit Geldern christlicher Fundamentalisten aus den USA. Einmal jährlich demonstrieren sie ihre Macht in einer großen Parade, mit der sie die „Vereinigung Jerusalems“ feiern. Ironischerweise zeigt sich die Stadt an diesem Tage so gespalten wie nie: massiver Polizeieinsatz, Ausgangssperre für Palästinenser und völlige Abriegelung der Stadt.
„Es gibt gläserne Wände zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen“, sagt Prof. Menachem Klein, ehemaliger Berater des israelischen Premierministers Barak, Bildungs- und Transportsysteme sind anders organisiert, Sprache und Arbeitsstellen sind unterschiedlich, es gibt für beide Bevölkerungsgruppen separate Stadtzentren, Geschäfte und Dienste „Fast alles ist geteilt“.
„Die demografische Politik Israels hat den Palästinensern nichts als Leid und Verzweiflung gebracht und den Israelis ein Gefühl der Unsicherheit“, heißt es im Kommentar. Und dennoch, selbst nach 40 Jahren Besiedlungspolitik läuft Israel Gefahr, den „demografischen Kampf“ zu verlieren. In der Jerusalemer Altstadt leben 35.000 Menschen, davon sind mehr als 90% Palästinenser. Die hohe Geburtenrate der Palästinenser widersetzt sich allen Unterdrückungsmaßnahmen. Israelische Politiker sprechen offen von einer „biologischen Bombe, Wachstumskrebs und Fruchtbarkeitswaffe“. Welch ein Sarkasmus, welche Menschenverachtung drückt sich in diesen Worten aus!
„Für säkulare Juden ist Jerusalem eine angespannte, intolerante, arme, überreligiöse und geteilte Stadt“, heißt es im Kommentar und Avraham Burg ergänzt: „Wir haben die Stadt schon verlassen. Viele Menschen wählen mit den Füßen. Sie verlassen einfach die Stadt“.
Um der Lage Herr zu werden, hat Israel in Jerusalem eine bis zu acht Meter hohe Mauer errichtet, deren Bau sie mit „Sicherheitsgründen“ rechtfertigt, um sich vor Selbstmordattentätern zu schützen. Aber der tatsächliche Verlauf der Mauer verweist auf ein anderes Ziel: die Stadtviertel werden nach ethnischen und religiösen Gesichtspunkten isoliert und ein Viertel der palästinensischen Bevölkerung aus Jerusalem hinausgedrängt.
Selbst Präsident George W. Busch erklärt, dass die Mauer ein Problem sei. Und Meron Benvenisti, ehemaliger Jerusalemer Bürgermeister, gibt seine Interpretation: „Die Mauer ist ein Weg, den Palästinensern den Rücken zu kehren“. Früher habe Israel gedacht, die Palästinenser seien nicht wichtig, die könne man managen. Das sei jedoch nicht der Fall. Die Mauer sei errichtet worden, um einen Grenzkonflikt daraus zu machen und die Palästinenser auf die andere Seite des Zaunes zu werfen.
„Die israelische Eroberung Ostjerusalems und die israelische Politik, den Status der Stadt zu ändern, ist weltweit von fast allen verurteilt worden. Kein einziges Land erkennt die Besatzung und Annexion Ostjerusalems an. Kein einziges Land hat seine Botschaft in Jerusalem. Und zahllose UN-Resolutionen wurden angenommen, die die israelische Politik und Taktik verurteilen. Keine einzige wurde beachtet oder eingehalten. Da Israel weiterhin internationales Recht missachtet und die internationale Gemeinschaft weiterhin zögert, deutlich etwas zu unternehmen, brodelt und blutet es weiter im Heiligen Land….Eine rassistische, demografische Politik zuzulassen, die den Palästinensern verbietet, in ihren eigenen Häusern zu leben, wird niemanden auf den Weg des Friedens bringen. Das Beenden der illegalen Besatzung kann es.“
Mit diesen Worten entlässt der Film den Zuschauer und gibt, zu Recht, einen Teil der Verantwortung für den unlösbar erscheinenden Konflikt zurück an uns, an die westliche Welt.
Im Film kommen viele Menschen - Israelis, Palästinenser und Ausländer - zu Wort. Ein wenig blass bleiben die Worte des Palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas. Auch wenn der Film nicht alle Fragen beantwortet und nicht auf alle historischen Vorgänge eingeht, so ist er doch ein wichtiges Dokument der Zeitgeschichte, der einen tiefen Einblick in die gegenwärtigen Zustände im „Heiligen Land“ gibt. Damit es nicht wieder heißt: „Das habe ich nicht gewusst“, sollte man sich die beiden von Mohammed Alatar gedrehten Dokumentarfilme „Jerusalem – The East Side Story“ und „Die Eiserne Mauer“ mehrfach anschauen. (PK)
Beide Filme können in deutscher Fassung bzw. mit deutschen Untertiteln über das Internet bezogen werden:
„Jerusalem – The East Side Story“ von Mohammed Alatar, Produktionsjahr: 2008, 57 Minuten, englischer Kommentar, deutsche Untertitel
Gernot Steinweg ist selbst Dokumentarfilmer. Kontakt: E-Mail: gernot.steinweg@web.de
Lesen Sie hierzu die NRhZ-Beiträge zum aktuellen Hungerstreik von Firas Marahgy aus Ost-Jerusalem in Berlin - zu finden unter dem Suchwort Firas.
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