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Inland
Im Zweifel für die Reichen und Mächtigen
Beschädigung von Verfassungsgrundsätzen
Von Wolfgang Neškovic

„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ So steht es im Grundgesetz. Dieser Verfassungssatz ist ein Grundprinzip der rechtsstaatlichen Demokratie. Er gehört zum Kitt der Gesellschaft. Denn nur ein für alle gleiches Recht kann auch von allen gleichermaßen akzeptiert werden. Tatsächlich ist dieses Grundprinzip jedoch massiv gefährdet. Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Es gibt welche, die sind gleicher und andere, die noch viel besser dran sind.

Freispruch für spektakuläres Wirtschaftsstrafverfahren

Dies gilt besonders in einem Rechtsgebiet, in dem die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards wohl so wichtig ist, wie bei keiner anderen Rechtsmaterie: im Strafrecht. Aus dem rechtstaatlichen Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ ist hier zunehmend zu der Devise übergegangen worden: „Im Zweifel für die Reichen und Mächtigen.“


Dazu ein aktuelles Beispiel: Zwei Jahre lang ermittelte die Staatsanwaltschaft in der sogenannten Telekom-Äffäre. Die Telekom hatte Journalisten,

Wolfgang Neškovic
Foto: Katja-Julia Fischer
  Aufsichtsräte und Betriebsräte bespitzelt, um herauszufinden, wer bestimmte Informationen an die Presse gegeben hatte. Der Konzern spionierte dabei nach Erkenntnissen der Staatsanwälte zwischen 2005 und 2006 Telefonverbindungsdaten von mindestens 60 Personen aus. Im Juni 2010 klagte die Staatsanwaltschaft vier der zunächst acht Verdächtigten an. Die beiden Prominentesten ließ sie laufen: den ehemaligen Vorstandschef Kai-Uwe Ricke und den Ex-Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel.


Die Anwälte der Geschädigten, Gerhart Baum (Bundesinnenminister a.D.) und Hertha Däubler-Gmelin (Bundesjustizministerin a.D.), kritisierten die Entscheidung scharf. In einer Pressemitteilung listen sie zahlreiche rechtliche Merkwürdigkeiten und Fehler bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auf. Sie kommen im Ergebnis zu einem zu einem völlig anderen Befund als die Staatsanwaltschaft. Ihrer Meinung nach hätte gegen Zumwinkel und Ricke Anklage erhoben werden müssen.

Diesem Beispiel lassen sich problemlos weitere hinzufügen: Da wäre die VW-Konzern-Affäre und das Verfahren gegen Peter Hartz, der wegen einer Vielzahl von Fällen der Untreue und der Begünstigung eines Betriebsrats verurteilt wurde. Trotz einer Schadenssumme von über 2,5 Millionen Euro verhängte das Gericht lediglich eine Bewährungsstrafe.

Da wäre der Prozess gegen Herrn Ackermann im Zusammenhang mit der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone. Es ging um über 111 Millionen Mark, die unter dem Führungspersonal des Unternehmens verteilt wurden. Das wohl spektakulärstes Wirtschaftsstrafverfahren der Nachkriegszeit endete, nach dem der Bundesgerichtshof eine freisprechendes Urteil kassiert hatte, mit der Auferlegung einer Geldbuße, die Herr Ackermann bei seinem Einkommen aus der Portokasse bezahlen konnte.
 
Und da wäre der Ausgang des Verfahrens wegen Steuerhinterziehung im Fall von – wiederum – Klaus Zumwinkel. Herr Zumwinkel hatte in Liechtenstein eine Stiftung gegründet, deren einziges Ziel es war, die Erträge aus seinem ererbten Vermögen den Steuerbehörden zu verschweigen. Dabei häufte sich eine Steuerschuld von 3,9 Millionen Euro an. Herr Zumwinkel kam ebenfalls mit einer Bewährungsstrafe davon.
 
Deutsches Wirtschaftsstrafrecht? Fehlanzeige!
 
All diese Fälle werfen eine Frage auf, die im Zusammenhang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise ausgerechnet von der Financial Times gestellt und in bemerkenswerter Weise auf den Punkt gebracht wurde. Diese Frage lautet: „Warum sind eigentlich so wenig Banker hinter Gittern?“ Wer eine Antwort auf diese Frage finden will, muss sich zunächst einmal vor Augen führen, dass Banker und Manager nur selten wegen Gewaltdelikten wie Raub und Körperverletzung vor Gericht stehen.

In der Regel geht es um Delikte aus dem Bereich des Wirtschaftsstrafrechts. Mit der Suche nach den einschlägigen Normen dieses Rechtsgebiets beginnt jedoch häufig schon das Problem für die Ermittler. Denn ein eigenes „Wirtschaftsstrafrecht“ gibt es nicht. Die einschlägigen strafrechtlichen Normen sind über zahlreiche Gesetze höchst unübersichtlich verteilt.



Recht im Ungleichgewicht
Foto: Dieter Schütz/pixelio

Diese Paragraphen sind zudem noch extrem kompliziert formuliert. Auch Juristen finden sich in den oftmals auf Verweisungen gegründeten Tatbeständen in entlegenen Spezialvorschriften nur schwer zurecht. Schon die jeweilige Kommentierung zu den Normen zu erhalten, kann da eine folgenreiche Hürde darstellen. Vor allem im Finanzmarkt mit seinen undurchsichtigen Transaktionen zu ermitteln, ist in der Sache ausgesprochen schwierig, zumal den Staatsanwälten im Regelfall das notwendige ökonomische Wissen fehlt. Wenn dann noch juristische Kompliziertheiten hinzukommen, muss man sich nicht wundern, dass Anklagen selten erhoben werden.

Hinzu kommt, dass die Richter und Staatsanwälte häufig der gleichen akademischen Schicht wie die ihnen gegenüberstehenden Angeklagten entstammen. Es deshalb wenig erstaunlich, dass der Verfolgungseifer bei Wirtschaftsdelikten geringer ist als etwa bei Gewaltdelikten. Dieses Phänomen lässt sich schon am Ton ablesen, der im Gerichtssaal herrscht. Der Ton gegenüber einem angeklagten Arbeitslosen, der sich nebenbei etwas Geld dazu verdient hat, ist im besten Fall rauh - im schlechtesten Fall arrogant und herablassend. Mit der Höhe der sozialen Stellung des Angeklagten ändern sich Tonlage und Verhandlungsklima dagegen merklich.

Letztlich entscheidend sind aber weder die juristische Komplexität der Rechtsmaterie noch das ausgeprägte Klassenbewusstsein von Menschen, die einmal eine Hochschule besucht haben. Denn mit ausreichend Zeit zur Vorbereitung ist es auch für nicht spezialisierte Juristen (um solche handelt es sich bei Staatsanwaltschaft und Gericht meistens) dennoch möglich, die Schwierigkeiten des Wirtschaftsstrafrechts zu handhaben. Und nicht alle Juristen finden die Herren Zumwinkel und Ackermann sympathisch, nur weil sie es sich leisten können, im Anzug vor Gericht zu erscheinen.
 
Justiz unzulänglich ausgestattet
 
Ausschlaggebend für die unangemessene Milde, mit der die Justiz Wirtschaftskriminalität im Vergleich zur ganz gewöhnlichen Alltagskriminalität behandelt, ist etwas Anderes. Seit Jahren ist die Justiz personell und sachlich schlecht ausgestattet. Seit Jahren steht sie unter steigendem Erledigungsdruck. Dies wirkt sich jedoch völlig unterschiedlich aus, je nachdem, ob es beispielsweise um einen Bankraub oder Steuerbetrug geht. Bankräuber und Steuerbetrüger sind bereits real ungleich. Ihre materielle Situation unterscheidet sich. Der Erste versucht, durch die Straftat Reichtum zu erlangen, der Zweite möchte durch die Tat seinen Reichtum mehren. Der Bankräuber entzieht sich der sozialen Pflicht, sein Vermögen gesetzestreu zu erlangen. Der Steuerbetrüger stiehlt sich aus seiner sozialen Pflicht, zur Finanzierung von Schulen, Straßen und sozialer Sicherheit beizutragen. Beide Verbrechen sind grob asozial.

Der Ermittlungsaufwand unterscheidet sich jedoch deutlich. Das Verbrechen des Bankräubers kann eine simple Überwachungskamera festhalten. Zur Tataufklärung genügt dann die Vorlage eines Videobandes. Ganz anders sieht es in Steuerstrafsachen aus. Für eine erfolgreiche Aufdeckung trickreich verschleierter Vermögenslagen und intelligent getarnter Geldwege bedarf es aufwändiger Ermittlungen. Aus der Not der Justiz entsteht ihre Neigung, dem Steuerverbrecher einen Handel anzubieten: Für seine Mithilfe bei der Aufklärung der Tat erhält er Strafmilderung - meist in Form einer Bewährungsstrafe - zugesichert. Dieser Deal beinhaltet eine Vereinbarung über einen Leistungsaustausch: Die Leistung des Angeklagten besteht im Verzicht darauf, die personelle Schwäche des Rechtsstaats erkennbar zu machen. Die Gegenleistung des Rechtsstaats besteht im Verzicht auf eine schuldangemessene Strafe. So wird das Strafgesetzbuch zum Handelsgesetzbuch.
 
Es ist paradox: Der wohlhabende Angeklagte sorgt mit der von ihm selbst zu verantwortenden hohen Komplexität der Tat für eine überforderte und genau deshalb milde gestimmte Justiz. Das einfach strukturierte Unterschichtendelikt des Bankraubs hingegen vermag diese Art der Milde niemals auszulösen. Zu seiner Aufklärung reichen die Mittel der Justiz allemal. Den Handel mit der Milde befördert der Umstand, dass Steuerverbrecher von Format wesentlich besser anwaltlich vertreten sind als Bankräuber. Die Zumwinkels dieser Welt leisten sich hochintelligente und bestbezahlte Meister der Strafverteidigung. Sie sind intellektuelle Kampfsportler in der Disziplin der Konfliktverteidigung. Diese Anwälte tragen den höchsten juristischen Dan, und sie signalisieren Verhandlungsbereitschaft. Sie wissen genau, dass man sich lieber vor ihnen verneigt, als mit ihnen zu kämpfen.
 
Doch der Staat darf sich nicht verneigen. Wenn alle Menschen gleichermaßen das Strafrecht zu befolgen haben, so muss dieses Strafrecht den Menschen auch mit gleichen Maßstäben gegenübertreten. Strafe und Milde dürfen nicht zur Verhandlungsmasse werden. Sie stehen nicht zur Disposition weniger Wohlhabender. Es ist der Natur des Strafverfahrens fremd, dass der Angeklagte - nicht zuletzt wegen seiner überlegenen finanziellen Mittel - über den Ablauf und den Ausgang des Strafverfahrens maßgeblich mitbestimmt. Diese Macht gehört allein in die Hände des demokratischen Staates. Es ist deshalb unumgänglich, die Justiz angemessen auszustatten. Nur so lässt sich den Anforderungen des Gleichheitssatzes des Grundgesetzes gerecht werden. (HDH)

Wolfgang Neškovic war Rechtsanwalt und Richter, zuletzt am Bundesgerichtshof. Er ist Mitglied des Deutschen Bundestages für die Partei DIE.LINKE und ihr stellvertretender Vorsitzender im Rechtsausschuss. Neškovic ist Mitglied der "Neuen Richtervereinigung".


Unser Startfoto stammt von GesaD/pixelio.


Online-Flyer Nr. 259  vom 21.07.2010

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