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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 22
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer

Armin Kolenda, Journalist und Autor im "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" berät mit seinem Kollegen JuppIppers, der sich als Pförtner bei Pierburg in Neuss verdingt hat, über den Konflikt, den seine ungeschminkte Erzählung über Probleme im Werkkreis dort ausgelöst hatte.

Der Mann mit der Stirnglatze sah auf, als Kolenda an die Glasscheibe klopfte, lachte gleich, hatte ihn erwartet, zeigte auf die Gittertür, kam heraus, schloss sie auf, zog Armin herein, klar, mit einem Spruch aus seiner Vertreterzeit, die aktuelle Version: je später der Abend je verruchter die Gäste, schloss wieder ab,  bot ihm den Stuhl auf der andern Seite seines Schreibtischs und stellte ohne zu fragen eine Flasche Alt vor ihn, legte den Kapselheber daneben: So. Im Namen der Firma Pierburg und ihres einmaligen Angestellten Josef Ippers - willkommen in meiner armen Hütte! Aber fühl dich bitte hier nicht wie zu Hause - es handelt sich um Feindesland.
   Mensch Jupp, seufzte Kolenda freundlich, deine Sprüche! Wo mir der Arsch auf Eis liegt. Aber das Bier ist mir sehr willkommen, nach einer Stunde Autobahn von Waltrop.
   Meine Sprüche Armin sind mein Fell. Könntest auch ein dickeres brauchen.
   Musste der lachen, bitter: Wo gibst das zu kaufen! Und hier also schreibst du auf Firmenkosten deinen Roman für Bertelsmann, unter den Augen von Herrn Pierburg? Er zeigte auf den Stapel Blätter, an denen Ippers offenbar gearbeitet hatte.
   Für die AutorenEdition Armin. Dir muss ich nicht erzählen, dass die so unabhängig sind von Bertelsmann wie der Werkkreis von Holtzbrink. Mit dem Unterschied, dass sie mir einen anständigen Vorschuss zahlen. Du glaubst nicht, wie mich das beflügelt, mal schreiben zu können ohne das Gefühl im Nacken, jede Seite meinen Kindern zu stehlen.
   Gebongt Jupp. Du weißt, dass ich dir Erfolg gönne, von Herzen. Was ich nicht versteh ist, weshalb einige Leute in unsrer Werkstatt und im Sprecherrat dermaßen allergisch auf meinen Tagebuchbericht in der L 76 reagiert haben. Du hast das Manuskript gelesen, warst mein Gewährsmann, fandst es okay. Hast du nicht richtig gelesen oder spinnen die alle?
   Tut mir leid, dass ich zu der Werkstattsitzung nicht kommen konnte, als Schwank den Streit angezettelt hat. Ich hätt ihm Bescheid gesagt.
   Er hat Kopien von meinem Text verteilt, die andern kannten ihn noch gar nicht. Und gleich mit dem Kommentar, ich hätte das Vertrauen der Werkstatt missbraucht, die Kollegen verunglimpft, hat ein paar Zitate vorgelesen, aus dem Zusammenhang gerissen, er als zweiter Sprecher des Werkkreises müsste sich schützend vor die Kollegen stellen und deshalb meinen Rücktritt als verantwortlicher Rundbriefredakteur fordern und der Sprecherrat müsse prüfen,  ob ich nicht wegen werkkreisschädigenden Verhaltens ausgeschlossen gehöre!
   Kolendas Bitterkeit nährte sich neu an seinem Bericht, aber Ippers kam richtig die Galle hoch: Mein Gott, dem Kerl könnt ich die Nase abbeißen! Wie oft hab ich zu Maria gesagt, der Schwank ist ein Funktionär, der wird nie im Leben ein Schreiber! Hat keine Ahnung von Literatur und will uns kommandiern, wie wir den Klassenkampf darstelln solln! Und du hast ihn noch werweißwieoft in Schutz genommen, diesen Apparatschik. Der hat sich doch in den Werkkreis verlaufen!
   Na ja aber, ich meine Jupp, ohne ein paar Regeln, sagte Kolenda ziemlich kleinlaut, ohne unsre Satzung hätten wir diese Organisation niemals
   Das hast du schon öfter behauptet und die Funktionäre verteidigt. Dabei braucht der Werkkreis viel mehr solche Anarchisten wie mich. Und wie dich Armin!
   Wie mich? Witzbold. Eben hast du mich beschuldigt, ich verteidige die Funktionäre, die den Laden zusammenhalten, jetzt erklärst du mich zum Räuberhauptmann.
   So wie ich dich kenne Armin - ich geb zu: viel über dein Privatleben und deine Vorstrafen weiß ich nicht - also nach meiner Einschätzung willst du Literatur schreiben, genau wie ich.  Nicht nur linke Traktätchen und Journalismus. Dazu gehört eine saftige Portion Anarchismus. Weil nämlich das Leben anarchisch ist. Kaotisch, Armin. Du hast deinen Text für die Zeitschrift eben nicht nach der Werkkreis Richtschnur geschrieben, sondern nach dem Leben in unsrer Werkstatt, so widersprüchlich es ist. Deshalb hat er mir gefalln. Und du hast ihn nicht dem Sprecherrat oder dem Lektorat oder der versammelten Düsseldorfer Werkstatt zur Zensur vorgelegt, weil du dir gesagt hast, ganz anarchistisch: den verantworte ich und sonst niemand. Hab ich recht?
   Haste nochn Fläschken Braunes Jupp? Oder mussich in deinen Armen verdursten?
   So gefällst du mir besser, großer Bruder! Ippers zog eine  Flasche aus dem Kasten unterm Tisch. Ich muss mich in dieser dienstlichen Umgebung  zurückhalten. Bitte sehr - geht auf meinen Deckel.
   Kolenda brauchte einen langen Denkschluck.
   Also ich weiß nicht. Seitdem ich das Fänomen beobachte, ist die Sonne noch nie im Westen aufgegangen. Schon garnicht im Norden. Die hält sich brav an die kosmischen Spielregeln. Und mein Kollege Ipppers kommt auch immer mit der gleichen Frau zur Werkstatt, seit Jahren. Wo ist das Kaos? Eine Gesellschaft ohne Regeln und Gesetze - kennst du die? Selbst der kapitalistische Staat braucht welche. Von der durchorganisierten Natur ganz zu schweigen. Was grinst du so - redich Stuss?
   Du hast ja so recht Armin! Und dann bringt der Zufall, dieser Kaot, einen halbfertigen Pauker mit einer voll ausgereiften Profilneurose in unsre Werkstatt, und der will für Regeldisziplin sorgen und was tut er?  Provoziert ein kleineres Kaos, obwohl er das Gegenteil von dem Anarchisten ist den ich meine. Im Namen der Werkkreis-Satzung stellt er unsre gut funktionierende und produktive Werkstatt aufn Kopp. Und ich schwör dir: es war nicht die erste und es wird nicht die letzte Sitzung gewesen sein, wo er uns mit seinem bürokratischen Fisimatenten die Zeit klaut.
   Stundenlang hat er die Sprecherratsitzung in Marburg damit beschäftigt. Wie besessen.
   Was! Obwohl ich den Brief für die Werkstatt geschrieben habe, dass für uns die Sache erledigt ist und du unser Vertrauen hast?
   Ich sag ja: Wie besessen. Erst hat er mich angegriffen als Rundbriefredakteur, lauter lächerliche, leicht widerlegbare Vorwürfe, die keiner von den andern ernst genommen hat. Kannst du dir vorstellen Jupp, dass ich handgreiflich werde?
   Du? Über dich würde ich schreiben: Der Mann, der keine Fliege umbringen konnte.


erasmus schoefer

Erasmus Schöfers

"Die Kinder des Sisyfos",
Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung",
Bd.2 "Zwielicht" und
Bd.3 "Sonnenflucht",

Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
www.dittrich-verlag.de



Online-Flyer Nr. 43  vom 09.05.2006

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