NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 03. Oktober 2024  

zurück  
Druckversion

Inland
Dresdener Oberstaatsanwalt Christian Avenarius stellt sich einer Diskussion
Rassismus als Einzelfall?
Von Uwe Schnabel

Am 7. Juli 2010 fand im Internationalen Begegnungszentrum in Dresden eine Veranstaltung mit Oberstaatsanwalt Christian Avenarius anlässlich des ersten Jahrestages des Mordes an Marwa El-Sherbini statt. Aus diesem Anlaß entstand eine kontroverse Diskussion verschiedener Ansichten zu diesem Mord im Amtsgericht, in dem die in Dresden als Apothekerin lebende Ägypterin von dem Angeklagten Alex W. erstochen worden war. Dieser hatte sie mit rassistischen Beschimpfungen auf einem Kinderspielplatz öffentlich beleidigt gehabt. Hier der Bericht eines Teilnehmers an der Veranstaltung im Begegnungszentrum.
 

Oberstaatsanwalt Christian Avenarius -
sieht kein übergreifendes Problem
Oberstaatsanwalt Avenarius erklärte, dass ein Polizist deshalb auf den Ehemann von Marwa El-Sherbini geschossen habe, weil dieser während der Messerstecherei des Angeklagten der aktiver Kämpfende gewesen sei. Vorher habe der Polizist erfolglos gefordert, das Messer fallen zu lassen. Einen Warnschuss habe er wegen der Enge des Raumes nicht abgegeben. Sonst wären andere Personen möglicherweise durch den dadurch verursachten Querschläger verletzt worden. Durch den Schuss sei der Täter Alex W. erschrocken und habe überwältigt werden können. Deshalb seien weitere Schüsse nicht erforderlich gewesen. Dass er eine Waffe bei sich hatte, läge daran, dass er zu einer Gruppe von 4 Polizisten gehörte. Da gäbe es eine Vorschrift, dass mindestens einer von ihnen für Notfälle bewaffnet sein müsse.
 
Die anschließende Untersuchung sei nicht von der Behörde des Polizisten durchgeführt worden. Deshalb schloß Herr Avenarius aus, dass die Untersuchung nicht korrekt verlaufen sei. Alle Beteiligten seien vernommen worden. Der Polizist habe sein Recht auf Aussageverweigerung in Anspruch genommen. Weiterhin behauptete Herr Avenarius, dass rassistische Motive bei der Wahl, auf wen geschossen wurde, keine Rolle gespielt hätten. Außerdem sei der Mörder ein Einzeltäter gewesen.
 
Die Behauptung, dieser sei ein Wahnsinniger, musste er nach Kritik zurücknehmen. Der psychologische Gutachter blieb nach Darstellung von Herrn Avenarius auch nach mehrstündiger Vernehmung bei seiner Aussage, der Täter sei geistig voll zurechnungsfähig. Indirekt bestätigte das auch Herr Avenarius. So hatte die Justiz auch nach dem Drohbrief des späteren Mörders den Eindruck, dass er normal sei. Deshalb wurden keine verschärften Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Selbst kurz vor dem Mord sah der Verteidiger im Täter keinerlei Bedrohung.
 
Außerdem behauptete Herr Avenarius, dass ein Großteil der Dresdner Bevölkerung über den Mord geschockt sei. Hinweise, dass sich Dresdner(innen) abfällig über das Gedenken an Marwa El-Sherbini äußerten, ignorierte er. Ein Dresdner Stadtrat und Mitglied des Ausländerbeirats wunderte sich sogar, wieso es so große Aufregung über den Mord an Marwa El-Sherbini gibt. Wenn Christen in anderen Ländern getötet würden, würde dies nicht für so viel Aufregung sorgen. Der Stadtrat gehört zu der in Dresden maßgeblichen Partei, so die Angabe des erzählenden Diskutanten, also offensichtlich zur Union. Außerdem wurde eine Umfrage zitiert, nach der einer Muslimin mit Kopftuch in Dresden gedroht wurde, wenn sie dieses nicht abnehme, erginge es ihr wie Marwa El-Sherbini. All diese Beispiele brachten aber Herrn Avenarius nicht von seiner Meinung ab.
 

Jorge Gomondai starb 1991 nach
einem Überfall
Auch leugnete er Rassismus in Polizei und Justiz. In der Diskussion wurden rassistische Polizeikontrollen z.B. in Kaufhäusern und auf Bahnhöfen genannt. Ein Dunkelhäutiger erzählte, dass er bei einem Gerichtsprozess, bei dem er Dolmetscher war, als Angeklagter angesprochen wurde. Der eigentliche Angeklagte, für den er dolmetschte, war hellhäutig.

In Gesprächen nach dem Veranstaltungsende wurden weitere Beispiele genannt. So berichtete eine Frau, dass ihr Sohn nachts von einem plötzlich bremsenden Polizeiauto mit dem Wort "Passport" aufgehalten wurde. Als er erklärte, dass sein Reisepass zu Hause liege, aber vielleicht auch sein Personalausweis ausreiche, entschuldigten sie sich. Als er aber erklärte, dass sie sich nur entschuldigt haben, weil er Deutscher war, verschwand das Polizeiauto ohne weitere Worte sehr schnell.
 
Ein Diskutant wies darauf hin, dass sein russischer Kollege erklärt habe, dass es in Russland zwar verbreitet Ablehnung von Kaukasiern, insbesondere von Tschetschenen, aber nicht von Muslimen gebe. Zu den Kaukasiern zählten ja auch christliche Armenier und Georgier. Viele Politiker(innen) und Medien bei uns verbreiten dagegen antiislamische Vorurteile. Deshalb habe der Täter seine antiislamische Einstellung sicher von hier. Dies wurde von anderen Personen, insbesondere von Herrn Avenarius, anders gesehen. Sie meinten, sowohl beim Afghanistan-Einsatz der Sowjetarmee als auch bei den Tschetschenienkriegen seien antiislamische Vorurteile geschürt worden. Der russische Kollege erklärte dagegen, der Afghanistan-Einsatz der Sowjetarmee sei mit der Verteidigung der damaligen Regierung begründet worden und der erste Tschetschenienkrieg fand statt, weil Tschetschenien ebensoviel Autonomie haben wollte, wie das (ebenfalls islamisch geprägte) Tatarstan, dies aber den Interessen des damaligen russischen Präsidenten Jelzin widersprach. Das ist seit den 1990er Jahren auch in Russland weitestgehend bekannt.
 
Auf die Rückfrage, was konkret seitens der Justiz getan wird, um die Diskriminierung der Muslime zu bekämpfen, wurde mit dem Verweis auf das allgemeine Strafrecht geantwortet. Dieses gelte auch für Straftaten gegen Muslime. Der Mörder Marwa El-Sherbinis wurde ja zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
 
Ebenfalls wurde bei der Diskussion gefragt, ob es vielleicht einen Zusammenhang dahingehend gibt, dass Polizei und Justiz, z.B. in Dresden, gegen Menschen vorgehen, die sich den Nazis entgegenstellen. Hintergrund ist, dass einige Prominente, die sich am 13.2.2010 den Nazis in Dresden entgegengestellt hatten, mit Strafbefehlen belegt worden waren. Das wurde aber nicht weiter diskutiert.


Teilnehmer der Demonstration gegen den Nazi-Aufmarsch vom 13. Februar
Quelle: http://www.mdr.de/sachsen/
 
Während Herr Avenarius eine verbreitete Islamfeindlichkeit und einen verbreiteten Rassismus, speziell in Dresden, leugnete und den Mörder als Einzeltäter betrachtete, war er in anderen Bereichen eher bereit, auf Kritik einzugehen. Dies betraf z.B. die Frage, warum der Angeklagte in diesem Gericht auf der Türseite, der Staatsanwalt auf der Fensterseite sitzt, während es in anderen Gerichten umgekehrt ist. Er begründete dies damit, dass so das Wachpersonal für den Angeklagten bei einem Schichtwechsel leichter wechseln kann und es Tradition ist. Dies ließe sich aber ändern.
 
Ebenfalls Tradition ist, dass bei Alex W. nicht der volle Name genannt werde. Dies wollte Herr Avenarius beibehalten. Aber als Person der Zeitgeschichte könne auch problemlos sein voller Nachname Wiens genannt werden.
 
Sowohl der Diskussionsleiter als auch weitere Anwesende hatten eine sehr positive Einstellung zu Herrn Avenarius. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass er einiges Lob erhielt und nicht nur Kritik geäußert wurde. Außerdem bezog sich die Diskussion hauptsächlich auf den konkreten Ablauf. Eine grundsätzliche Diskussion über Islamfeindlichkeit und Rassismus wurde ausdrücklich abgelehnt.
 
Es entstand der Eindruck, dass er alle Kritik an Rassismus und Islamfeindlichkeit in Polizei und Justiz als persönlichen Angriff auf die beteiligten Personen wertete. Dabei müssen sie gar keine besonderen Rassisten und Islamfeinde sein. Der alltägliche Rassismus und die alltägliche Islamfeindlichkeit, die auch von großen Teilen der Politik und der Medien gefördert werden, reichen dazu vollkommen aus. Dieser Zusammenhang würde aber seine Behauptung von der Einzeltäterschaft des Mörders in Frage stellen und grundsätzliche Fragen an die Gesellschaft richten. Deshalb ist verständlich, dass Herr Avenarius dies schon im Vorfeld abwehrte. Dies entspricht auch der herrschenden Politik. Wenn Neonazis die herrschende Politik konsequent umsetzen, habe dies angeblich nichts miteinander zu tun. Und Neonazis gelten als unbelehrbar und geistig nicht voll zurechnungsfähig (in diesem Fall wahnsinnig) und nicht als konsequente Durchsetzende der Meinung der Herrschenden. Wer dies anders sieht, wird möglicherweise verfolgt. Herr Avenarius wäre sicher nicht Oberstaatsanwalt geworden, wenn er die herrschende Politik grundsätzlich kritisieren würde.
(PK)
 
Zum Thema auch der Artikel „Ein Trauerspiel geht zu Ende“ in dieser Ausgabe


Online-Flyer Nr. 258  vom 14.07.2010

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FILMCLIP
FOTOGALERIE