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Inland
Nur die Bäume schlagen aus
Vom internationalen Kampftag
Von Hans-Dieter Hey

1 Mai 2006? Ach ja! Infineon wird zerschlagen, die Speicherchip-Sparte wird ausgegliedert. Fast alle Händler müssen jetzt die Einwegflaschen annehmen. Auf der Webseite für Deutsch-Lernende heißt es, dass es ein sehr alter Brauch am 1. Mai ist, einen Maibaum zu schmücken. Dann wird immer gesungen: "Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus."

Samsung will seinen auf Microsofts Origami-Konzept aufbauenden PC Q1 vorstellen. E-Plus führt einen neuen Welttarif für Handy-Gespräche im Ausland ein, mit weltweit nur noch drei Länderzonen. Globalisierung im Minutentakt sozusagen. Dränglern auf der Autobahn drohen vom 1. Mai an deutlich höhere Strafen. Wer zu dicht auffährt, muss mehr zahlen und bekommt vier Punkte in Flensburg. In Frankfurt findet rund um den Henninger das traditionelle Radrennen statt. Die Bonus-Malus-Regelung des neuen Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG) tritt in Kraft. Und Cirrus Airlines nimmt eine zusätzliche Frequenz zwischen Dresden und Zürich auf.

Aber lassen Sie sich bloß nicht das Saisonhighlight in Dresden entgehen! Zu diesem weltweit einmaligen Spektakel starten nämlich die 9 historischen Schaufelraddampfer. Auf der Webseite "Mein Berlin" findet der Weltlachtag statt. Sie haben richtig gelesen: Weltlachtag. Oder Lachtach, hahaha. Lachen darf man dort, wenn beispielsweise das eigene Auto in Flammen steht. In Bonn öffnen extra alle Museen und Bäder. Im nordrhein-westfälischen Silberg finden Kinderrutschauto-Meisterschaften statt. In Köln gibt es nichts Besonderes - die übliche Latsch-Demo. Es werden rote Mützchen und Trillerpfeifchen verteilt. Dann geht's zum Heumarkt. Das ist dort, wo auch immer der Karneval stattfindet. Anschließendes Kampftrinken ist sichergestellt.

Die DDR gibt es nicht mehr. Damals hieß es: "Genossen! Der 1. Mai, der Weltfeiertag der klassenbewussten, arbeitenden Bevölkerung aller Kulturländer, steht bevor und wird von den Arbeitern, welche die Aufgabe der Arbeiterklasse begriffen haben, allerorts in imposanter Weise gefeiert werden." Genießen Sie den Satz mal in sächsisch - genial! Das wäre heute nicht anders, wenn die DDR noch existierte. Dazu hätte es Fahnen, Bratwurst und Bier gegeben - wie heute. Dort hier wird in den Schulen den Kindern inzwischen erklärt, dass es früher ein Kampftag der unterdrückten Massen war. Jetzt sei alles viel schöner, und deshalb ist es nur noch Feiertag.


Plakat: DGB, Puzzle: Hans-Dieter Hey


Die "Arbeitgeber" wollen den 1. Mai mal wieder als Feiertag abschaffen, weil es allemal besser für sie ist, dass die Leute arbeiten, anstatt politisch auf dumme Gedanken zu kommen. Politisches Bewusstsein war für sie schon immer gefährlich. Demnächst dürfen alle Beschäftigten mehr arbeiten, damit auch sie nicht politisch auf dumme Gedanken kommen. Und die "Neue Selbständigkeit" ist stolz darauf, dass sie 24 Stunden mit ihrer Existenz beschäftigt ist, um genug zum Kacken zu haben. Da bleibt überhaupt keine Zeit zum politischen Diskurs. Außerdem ist man was Besseres und darf auf den niederen Klassen herumtrampeln. Die Studenten machen eine Party, weil sie auch nichts begriffen haben. Politisch spätpubertär sozusagen.

2004, als es in Köln dem Sozialforum, attac, den Erwerbslosenverbänden, der Montagsdemo und anderen darum ging, ob wir im Widerstand gegen diese Entwicklung nicht neue Bündnisse brauchten, hieß es im Kölner DGB: "Wir sind doch alle keine Helden". Heute ruft der DGB nicht mehr zum Widerstand gegen die Zerschlagung unserer gemeinsamen Errungenschaften auf. Man hat sich vorher schon in die Hosen gemacht, und deshalb heißt es nicht "Steht auf" sondern politisch unverdächtig und zaghaft: "Deine Würde ist unser Maß". Zitiert wird das Recht auf Menschenwürde, das für immer mehr Menschen nicht erreichbar wird. "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren", heißt es in der Menschenrechtscharta. Na ja, Papier eben.

Die taz berichtet am 28. April, dass in Nordrhein-Westfalen nur noch jeder Dritte von eigener Arbeit existieren kann. In Deutschland gab es im Februar 6,8 Mio. Empfänger von Arbeitslosengeld I und II. Also singen wir doch gleich anstatt "Der Mai ist gekommen..." besser "Eene meene muh...". Demnächst gibt es auch nur noch Gesundheit für Gutverdienende. "Eene meene muh..." In Deutschland ist es für die Rechten wieder Mode geworden, Ausländer "zu klatschen". Man macht ihnen das Lebensrecht streitig. "Eene meene muh...". Rechte waren schon immer zu feige für die politische Auseinandersetzung. Und zu dumm, zu verstehen, dass sie selbst nur benutzt werden. Für solche Köpfe wäre noch eine Hohlraumversiegelung zu schade. Am besten: "Eene meene muh...".  

Für die große Koalition aus so genannten Sozialdemokraten und so genannten Christdemokraten bedeutet heute Menschenrecht das "Optimierungsgesetz", das Erwerbslose noch weiter verarmt, entrechtet, ausgrenzt, entwürdigt, erniedrigt, demütigt. In einer Eingliederungsvereinbarung dürfen Erwerbslose ihrer eigenen Freiheitsberaubung zustimmen. "Eene meene muh..." Menschenwürde 2006 nach dem Diktat der Arbeitgeber. Durchgesetzt durch eine bunte Einheitspartei rückgratgebeugter Aussitzer eines lächerlich-gefährlichen Parlaments. "Eene meene muh"? - Es wird Zeit.


Online-Flyer Nr. 42  vom 02.05.2006

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