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Lokales
Wolfgang Bittners gesellschaftspolitische Orientierung in Publizistik und Literatur
Gründe für den Kölner Karls-Preis 2010
Von Peter Kleinert

Wolfgang Bittner, dem wir - wie in NRhZ 254 angekündigt - am 6. August den Kölner Karls-Preis 2010 verleihen werden, lebt und arbeitet seit 1974 als freiberuflicher Schriftsteller und Publizist. Er begann mit Artikeln, wissenschaftlichen Publikationen, Erzählungen, Feuilletons, Gedichten und Rundfunkarbeiten. 1975 erschien dann sein Buch „Rechts-Sprüche“ mit justizkritischen Texten, 1978 der Debütroman „Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben“ Beide Bücher wurden in der NRhZ veröffentlicht und von der Kritik als gesellschaftspolitische Literatur eingeschätzt. Der Autor hat sich damit naturgemäß beim Publikum und in Fachkreisen nicht nur Freunde gemacht, obwohl die Bücher sehr erfolgreich waren.
 

Wolfgang Bittner
NRhZ-Archiv
Das Gleiche gilt für das 1977 von ihm herausgegebene Buch „Strafjustiz – Ein bundes-deutsches Lesebuch“ mit Beiträgen von Böll bis Zwerenz. Nachdem 1972 der sogenannte Radikalenerlass in Kraft gesetzt wurde, begann sich Wolfgang Bittner mit der Problematik der Berufsverbote auseinander-zusetzen. In Beiträgen für Zeitungen, Zeitschriften und den Rundfunk nahm er dezidiert Stellung zur Verfassungs-widrigkeit dieser Praxis. Außerdem zeigte er am Schicksal der jüdisch-antifaschistischen Familie Gingold auf, wie repressiv die westdeutsche Gesellschaft mit Menschen umging, die schon von den Nazis verfolgt worden waren.
 
Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre hatte Wolfgang Bittner nach Reden auf dem Antikriegstag sowie nach einer von ihm organisierten Veranstaltung gegen Ausländerfeindlichkeit mit äußerst unangenehmen und gefährlichen Repressalien zu tun. Er wurde bedroht, ihm wurden nach einer Aktion, die durch die Medien ging, die Haustür mit einem Stein eingeworfen und über Nacht im Garten seines Hauses die Bäume und Büsche abgesägt; ferner erhielt er Hunderte von Drohbriefen, zahlreiche Drohanrufe, und sein Auto wurde zweimal demoliert.


Während einer Vorlesung an der Breslauer Universität.
Foto: privat
 
Als 1976 in Göttingen ein Brandanschlag auf ein griechisches Restaurant stattfand und Bittner darüber im Rundfunk und einer Zeitung berichtete, bekam er prompt Probleme mit dem Verfassungsschutz, der den Gastwirt nach dessen Bekunden zu Spitzeldiensten hatte anwerben wollen. Bittner hatte letzteres beiläufig erwähnt, worauf beim NDR eine Beschwerde des niedersächsischen Verfassungsschutzpräsidenten einging, die jedoch nach eingehender Prüfung des Sachverhalts zurückgewiesen wurde.
 
Ärger mit der niedersächsischen Landesregierung
 
1980 und 1986 hat Wolfgang Bittner dann zusammen mit dem Journalisten Eckart Spoo im Steidl Verlag zwei politische Bücher herausgegeben: „Sturmfest und erdverwachsen“ und „Vor der Tür gekehrt“. Aufgrund des brisanten Inhalts erregten diese Bücher großes Aufsehen, außerdem ergab sich eine länger dauernde Kontroverse mit der niedersächsischen Landesregierung, insbesondere mit Ministerpräsident Albrecht und Minister Hasselmann. Unter anderem schrieb ihm Hasselmanns Staatssekretär, dass er ein gefährlicher Schriftsteller sei und in Niedersachsen künftig nicht mehr mit Preisen rechnen könne.
 
1994 veröffentlichte Bittner in mehreren Medien, u.a. in der Zeitschrift „Kunst & Kultur“, „Zwanzig Thesen zum heutigen Kulturbetrieb“. Erstaunlich, wenn man das heute wieder liest: alles ist nach wie vor hochaktuell, denn die Verhältnisse haben sich seither noch verschlechtert. Seinerzeit gab es eine große positive Resonanz, vor allem unter Schriftstellern und Künstlern, aber der Autor hatte damit auch viel Ärger; er wurde von Veranstaltungen ausgeladen und einige berufliche Kontakte brachen abrupt ab. (Den Text werden wir in die nächste NRhZ stellen.)


Nach einem Vortrag im Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit in
Gleiwitz.
Foto: privat
 
Seit 1990 beschäftigt sich Wolfgang Bittner intensiv mit dem deutsch-polnischen Verhältnis, wozu er mehrfach Interviews gegeben sowie Bücher, Essays und Artikel publiziert hat. In Polen wurde 2009 eine Doktorarbeit über sein Werk abgeschlossen; er gilt als „eine der führenden Persönlichkeiten in dem anzustrebenden Annäherungsprozess beider Völker … ein entschiedener Verfechter des deutsch-polnischen Dialogs und Fürsprecher der Verständigung“ – so Prof. Dr. Edward Bialek, Wroclaw.
 
“Gestapo-Mann Konsalik“
 
Während seiner Tätigkeit im Bundesvorstand des Verbandes deutscher Schriftsteller von 1997 bis 2001 hat Bittner u.a. dafür gesorgt, dass der damals in Frage gestellte Rechtsschutz für Schriftsteller nicht abgeschafft wurde. Als Angehöriger des WDR-Rundfunkrats von 1996 bis 1998 hat er sich gegen die Förderung von Romanverfilmungen des Autors Heinz G. Konsalik mit vier Millionen aus Steuergeldern ausgesprochen. In einem Interview sagte er, dass er das Werk von Konsalik für faschistoid halte, was ihm eine Klage mit sehr hohem Streitwert einbrachte. Die Sache ist von Konsaliks Anwälten nach langwierigen nervlich belastenden und zeitraubenden Auseinandersetzungen nicht weiterverfolgt worden, nachdem sich im Berlin Document Center, das gerade geöffnet worden war, ein Brief Konsaliks an die Reichsschrifttumskammer fand, wonach er seit 1939 Mitarbeiter der Gestapo war. (Der Journalist Otto Köhler veröffentlichte daraufhin in der ZEIT einen Artikel mit dem Titel „Gestapo-Mann Konsalik“.)

„Beruf: Schriftsteller“
 
Nach Recherchen in den USA hat sich Wolfgang Bittner 1998 in mehreren Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln gegen die Abschaffung der Buchpreisbindung in Deutschland gewandt. Außerdem hat er immer wieder auf problematische Tendenzen im deutschen Verlagswesen hingewiesen. In Vorträgen, Rundfunksendungen, Abhandlungen und Artikeln beschäftigt er sich bis heute mit den Ursachen von Gewalt, Jugendkriminalität und Rassismus. 1985 und 2002 hat er sich in seinen Büchern über den „Beruf: Schriftsteller“ mit der Situation freiberuflicher Autorenschaft auseinandergesetzt (Beltz Verlag und Rowohlt). In diesen Büchern geht es auch um das „Handwerk mit der Phantasie“, um Medien, Buchmarkt und Verlagswesen, Literaturagenten, Print on Demand, die Kritik, Zensur, Leseförderung, Lesekultur, Verbände und Institutionen.
 
Korruption im Kölner Rathaus
 
2000 und 2002 hat sich Bittner – seinerzeit erfolgreich – gegen die Schließung mehrerer Kölner Stadtteilbibliotheken und von etwa zehn Schulbibliotheken gewandt (seinen Aufruf unterschrieben z.B. Günter Wallraff, Dieter Wellershoff, Wolfgang Niedecken, Reinhold Neven DuMont und viele andere Kölner Persönlichkeiten). Bei dieser Gelegenheit wurde er eher zufällig auf die Korruption im Kölner Rathaus aufmerksam. Über den Esch-Fonds, Oberstadtdirektor Ruschmeier usw. berichtete die NRhZ mehrmals (siehe auch Werner Rügemer: „Colonia Corrupta“). Er gab die Informationen an verschiedene Medien, u.a. an MONITOR weiter und schrieb unter dem Titel „Kölner Müll“ dazu am 14.3.2002 einen Kommentar für die „Junge Welt“. Auszug: „Was hier geschieht, ist eine gewissenlose Ausplünderung der Bevölkerung zugunsten einzelner Privatpersonen, eine Umleitung öffentlicher Gelder in private Taschen. Die Ausmaße der Korruption und die Dreistigkeit der Beteiligten sind unglaublich.“

„Ich mische mich ein“
 
2006 erschien in Zusammenarbeit mit dem WDR und dem Horlemann Verlag das von Wolfgang Bittner und dem WDR-Redakteur Mark vom Hofe herausgegebene Buch „Ich mische mich ein“ mit Beiträgen u.a. von Oskar Negt, Günter Wallraff, Dieter Hildebrandt, der Frauenrechtlerin Frigga Haug, Marianne Fritzen (Grüne-Abgeordnete aus dem Wendland), Dieter Süverkrüp, Gerhart Rudolf Baum, Erhard Eppler, Klaus Staeck, Hanns Dieter Hüsch usw. Besonders brisant sind hier die Beiträge von Klaus Förster (er deckte die Flick-Affäre auf), Michael Preute alias Jacques Berndorf (über den Regierungsbunker im Ahrtal), Helmut Prieß (Darmstädter Signal der Bundeswehr), Josef Angenfort (er war als KPD-Funktionär viereinhalb Jahre im Zuchthaus) oder Hans Weide (Polizeihauptkommissar, der in Wyhl den Einsatz verweigerte).
 
„Die Achtundsechziger“
 
2006 und 2007 fiel Wolfgang Bittner auf, dass in einzelnen Massenmedien ständig gegen die sogenannten Achtundsechziger gehetzt wurde. Am 8.3.2007 gab er eine Pressemitteilung heraus, die an zahlreiche Medien ging und womit er vierzig Jahre danach zu einem Revival und zu Diskussionen aufrief. In Köln hat Bittner dann 2008 in Zusammenarbeit mit der Neuen Rheinischen Zeitung, dem Verband deutscher Schriftsteller, der Volkshochschule und der Stadtbibliothek drei Veranstaltungen durchgeführt, in denen die Beweggründe und Ziele der 68er-Revolte diskutiert wurden.
 
2008 erschienen Bittners „Minima Politika“ in Zusammenarbeit mit dem Karikaturisten Kostas Koufogiorgos. Das Buch, das ironisch-scharfe politische Sprüche enthält und ein gutes Beispiel für aktuelle engagierte Literatur ist, wird von den bürgerlichen Medien überwiegend totgeschwiegen.
 
Überwachungsmöglichkeiten
 
Ebenfalls 2008 wies Wolfgang Bittner auf die Gefahr einer Ausweitung der Überwachungsmöglichkeiten durch das Bundeskriminalamt aufgrund des seinerzeit in den Bundestag eingebrachten BKA-Gesetzes hin („Freitag“ 21.11.2009). 2009 beschäftigte er sich in mehreren Zeitungsbeiträgen (u.a. „Handelsblatt“ vom 17.4.2009) mit den aufgrund mehrerer Bestimmungen des BGB und des Aktiengesetzes rechtswidrigen Bonuszahlungen an Manager maroder Unternehmen. 2010 kritisierte er die Überwachung der Partei Die Linke durch den Verfassungsschutz sowie die zunehmende Aufhebung der Trennung von Polizei und Verfassungsschutz, eine vom Grundgesetz gebotene Konsequenz aus den Erfahrungen der Nazi-Zeit („Ossietzky“ vom 3.4.2010).

Mehr als 60 Bücher
 
In der Hauptsache liegt Wolfgang Bittners Tätigkeit seit 1974 im literarischen Bereich. Er hat mehr als 60 Bücher veröffentlicht, darunter 14 Romane, vor allem in großen Verlagen wie Rowohlt, Bertelsmann, Beltz oder Büchergilde Gutenberg; hinzu kommen 12 Herausgaben. Er schätzt aber auch die Zusammenarbeit mit kleinen Verlagen, bei denen die Kontakte und Einflussmöglichkeiten besser sind als bei den großen Verlagshäusern. Die Publizistik, die er eher nebenher betreibt, ist ihm allerdings nach eigenem Bekunden wichtig und immer wieder ein Bedürfnis; ebenso seine Reisen und Aufenthalte in Kanada, Mexiko, Vorderasien, Neuseeland, Polen, Paris, New York oder Amsterdam (Dazu veröffentlichte er auch Reiseberichte).
 
In Bittners Literatur spielt der gesellschaftspolitische Hintergrund der Hauptpersonen fast immer eine Rolle. Zum Beispiel wird in dem Roman „Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben“ die Entwicklung eines Arbeiters zum Akademiker beschrieben; in dem Roman „Niemandsland“ geht es um die Auseinandersetzung mit den Altlasten aus der Nazizeit in Staat und Gesellschaft; das Bilderbuch „Felix, Kemal und der Nikolaus“, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde, wendet sich kindgerecht gegen Rassismus usw.
 
Nach längeren Aufenthalten im kanadischen Norden sind seit 1986 fünf dort angesiedelte Abenteuerromane und ein Gesellschaftsroman entstanden, in denen die Leser im Rahmen spannender Handlungen viel über das Land und die Menschen erfahren, u.a. über die bis heute schwierige Situation der kanadischen Indianer. Nachdem Wolfgang Bittner über mehrere Jahre Kontakt zu Heimkindern hatte, schrieb er 1982 den bis heute viel gelesenen Jugendroman „Weg vom Fenster“. Zu seinem Roman „Tommy und Beule“, der von der Freundschaft zweier Jungs aus extrem unterschiedlichen Milieus handelt, schrieb er 1996 das Drehbuch für einen ZDF-Film.
 
Wolfgang Bittner ist freier Mitarbeiter bei Rundfunkanstalten wie WDR, NDR, Radio Bremen oder Deutschlandfunk, hat in Zeitungen wie Die Zeit, Frankfurter Rundschau, Welt der Arbeit, Vorwärts, Freitag, Neues Deutschland, Berliner Zeitung, Neue Zürcher Zeitung oder Handelsblatt veröffentlicht und in Zeitschriften wie Pardon, Konkret, Kunst & Kultur, Theater heute, Buchreport, Die Horen, Zblizenia (Polen) oder Nebelspalter (Schweiz). Ausführliche Informationen über seine Arbeit finden sich in mehreren Lexika, z.B. im Kritischen Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, oder unter www.wolfgangbittner.de (Dort gibt es auch ein umfangreiches Werkverzeichnis). In einem seiner Gedichte heißt es: „Noch immer übe ich den aufrechten Gang.“ (PK)

Die Redaktion der NRhZ wird - aus Anlass ihres fünfjährigen Bestehens - den “Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik“ am Freitag, dem 6. August, vergeben. Die Preisverleihung findet in dem Kölner Szenelokal “Weißer Holunder“ in der Gladbacher Straße 48 von 18 bis 20 Uhr statt. Die Laudatio auf Wolfgang Bittner wird der langjährige Bundesvorsitzende der Deutschen Journalisten-Union (dju) und Herausgeber der Zeitschrift “Ossietzky“, Eckart Spoo, halten. Für kölsche Unterhaltung sorgt Rolly Brings, dann Übergang in den offenen Kneipenabend mit Essen, Trinken und
Rauchen auch für's Stammpublikum.


Online-Flyer Nr. 255  vom 23.06.2010

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