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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Filmclips
Effort Public
Von Gernot Steinweg



In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelten in Europa und Amerika Choreographen, Videokünstler, Regisseure, Kameraleute und Komponisten - oft in Kooperation - eine neue Kunstform, den „Video Dance“ (Video-Tanz). Losgelöst von der Theaterbühne, der Straße oder anderen konkreten Schauplätzen entwickelt der Tanz eine ganz neue Dynamik. Nicht die Live-Performance sondern das Zusammenspiel von bewegten Bildern und bewegten Körpern macht den besonderen Reiz aus. Die Choreographien werden für das Medium Video bzw. Film entwickelt. Die technischen Möglichkeiten der Kamera und des Film- bzw. Videoschnitts werden herausgefordert. Oftmals wird die Musik erst im Nachhinein zum fertigen Videoschnitt komponiert. Ein Video-Tanz kann nur auf einem Bildschirm oder als Projektion auf einer Leinwand betrachtet werden.

 
Für diese Kunstform war natürlich zunächst das Fernsehen die ideale Präsentationsplattform. Und so entwickelten sich europaweit spezielle Festivals, die Fernsehmacher und Video-Tanz-Künstler zusammenbrachten. Auf diese Weise entdeckten auch Rea Karen und ich, eingefleischte Dokumentarfilmer, dieses Kunstgenre und waren sofort hellauf begeistert. 1988 war in Köln das „unabhängige Fernsehfenster KANAL 4“ gegründet worden, das eine Gruppe von NRW-Dokumentarfilmern bei der Landesregierung im Zusammenhang mit der Zulassung der Privatsender RTL und Sat1 durchgesetzt hatte. Die Kollegen hatten sich auf das kurze Zeit vorher geänderte Landesrundfunkgesetz berufen, laut dem Privatsender nur dann eine Lizenz in NRW erhalten sollten, wenn sie „die Kultur des Landes angemessen darstellen“ würden. Da dies aufgrund aller Erfahrungen in den CDU-regierten Ländern nicht der Fall war, drohten die Dokumentarfilmer der SPD-Regierung Rau mit einer Klage beim Landesverfassungsgericht und setzten so die Genehmigung eines wöchentlichen unzensierten TV-Programms durch.
 
Eine „Video-Tanz-Reihe“ passte da genau ins Konzept. Auf den internationalen Festivals trafen wir Künstler aus Finnland, Portugal, Frankreich, Italien, Slowenien, Tschechien und Kroatien. Später kamen noch Produzenten und Künstler aus anderen Ländern hinzu. Wir alle hatten gute Ideen aber herzlich wenig Geld. Und so entwickelten wir den „European Video Dance“ als europäisches Fernseh-Austauschprojekt. Wir verständigten uns auf Form und Länge, produzierten unsere Videos entsprechend und tauschten dann ohne Geld unsere fertigen Programme einfach untereinander aus. In einigen Fällen kam es zu länderübergreifender Zusammenarbeit bis hin zu Co-Produktionen. Auf diese Weise potenzierten alle Beteiligten ihre finanziellen Kräfte um das Achtfache. Es entstanden wunderbare Video-Tänze mit ganz unterschiedlichen Geschichten und Formen. Viele von ihnen erzielten hohe internationale Auszeichnungen.
 
KANAL 4 hat diese Kunstform bis Mitte der 90er Jahre begleitet und mit vier Sendereihen gewürdigt. Seit Mitte Mai erinnert die NRhZ an den „European Video Dance“ und stellt Videos aus dieser Reihe in Ausschnitten vor.
 
Effort Public
 
Nach einer mehrjährigen Arbeitsphase in Paris kehrte der Tänzer und Choreograph Stefan Schneider Anfang der 90er nach Köln zurück. Er brachte nicht nur Filmideen sondern auch seine ausgezeichneten Beziehungen zum französischen Tanztheater mit. So entstand sein Film “Effort Public“ als eine deutsch-französische Zusammenarbeit, die sich sowohl technisch als auch personell ausdrückte. Drehort war eine leere Halle des ehemaligen Ausbesserungswerkes der Deutschen Bahn in Köln-Nippes. Die Darsteller waren Franzosen und die Postproduktion fand in Paris statt.
 
Um seinem Film vorrangig in Schwarz-Weiß-Tönen halten zu können, ließ Stefan ausschließlich nachts drehen. Es war lausig kalt und für alle Beteiligten eine Herausforderung. Doch der Regisseur ließ sich durch nichts beirren. Er baute zusammen mit Rob de Frij sehr raffinierte Schauplätze – wie z.B. eine Tanzfläche, die sowohl als Wand als auch als Fußboden funktionierte, eine spiegelnde Wasserfläche, eine „Kugelbahn“, usw. Diese ermöglichten es, die Filmbilder vom Realen ins Surreale hinüber wechseln zu lassen.
“Effort Public“ entwickelt sich im Stile des Dadaismus. Alles wird in Frage gestellt, überspitzt, ironisiert. Sprache wird zu einer Aneinanderreihung phonetischer Laute. Es entwickelt sich eine kafkaeske Atmosphäre der Einsamkeit und der Isolation in einer sehr männlichen Welt: sinnentleerte Arbeit, stilisierte und surreale Kämpfe bzw. Tänze unter Männern, hochgestochene Konferenzen und sinnlose Reden.
 
Der Film wurde auf internationalen Festivals ausgezeichnet und dauert 24 Minuten. Produktionsjahr 1992
Buch, Regie und Choreografie: Stefan Schneider in Zusammenarbeit mit Bühnenbildner Rob de Frij
Musik: Christophe Zurfluh
Bild- und Lichtgestaltung: Jean Louis Aichhorn
Kamera: Wulf Eike
Phonetisches Gedicht: Franz Mon
Kostüme: Sophie Woillez
Performance:    Sylvain Espagnol, Isidoro Fernandez, Philippe Madela, Stefan Schneider, Patrice Usseglio
Produktion: Gernot Steinweg und Ex Picturis France in Zusammenarbeit mit ARCANAL, Centre Georges Pompidou, KANAL 4
Gefördert von verschiedenen französischen Institutionen der Kultur, des Theaters und des Tanzes. (PK)
 
 


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Online-Flyer Nr. 252  vom 28. März 2024



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