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Inland
Deutschlandradio Kultur: Eine Diskussion unter Immigranten - Rezension.
Herkunft, Heimat, Tradition, Wurzeln
Von Klaus Spielvogel

Minarettverbot, Kopftuchdebatte, Hartz IV , Schulabschlüsse unter Immigranten: In Deutschland wird die gewünschte Form der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund öffentlich diskutiert. Neben Symbolen der Religiösen sind es auch immer wieder die Bildungsgabschlüsse von Immigranten, die Anlass zu Debatten geben. Deutschlandradio Kultur sendete den Mitschnitt einer Diskussion, in der in Deutschland lebende Immigranten, Schüler der Essener UNESCO Schule, Lehrer und Unternehmer, ihre eigne Sicht auf Herkunft, Heimat, Tradition, Wurzeln darlegen.

„Meine Heimat ist, wo ich gerade bin, zwischen den Menschen, die ich mag." (Applaus). Inzwischen leben Menschen in der dritten Generation nicht deutscher Kultur und Herkunft in Deutschland. Manche Kulturgruppen werden öffentlich als solche wahrgenommen, manche dagegen nicht. Dort, wo Gruppen ausländischer Kultur wahrgenommen werden, sind sie mit Stigmata behaftet und müssen unter den Vorurteilen anderer leben. Probleme im Alltag, insbesondere im Schulalltag kommen hinzu. Sowohl der Bezug von Sozialleistungen als auch der Bau von Moscheen führen aktuell im Alltag und Wahlkampf zu Provokationen und besonderer Aufmerksamkeit gerade der Boulevardpresse.

Deutschlandradio Kultur führte eine Diskussion unter Schülern, Lehrern und Unternehmern - alle ausländischer Herkunft - um zu erkunden, wo Menschen ihre Heimat sehen, wo ihre Wurzeln liegen und in welcher Tradition sie leben. Schnell entwickelte sich das als Diskussion angelegte Gespräch zu einem Dialog, das die Moderatoren Christopher Ricke und Christian Rabhansl einfühlsam auch zu brisanten Fragen zwischen den Teilnehmern führten, zu drei Themenkomplexen und einer grundlegenden Frage.

„Heimat ist da, wo man sich befindet“

Bevor jeder der Teilnehmer des Gesprächs zum ersten Mal sprach, wurden ihm vier Fragen gestellt: Wie heißen Sie, wie alt sind Sie, woher kommen Sie, wie lange leben Sie schon in Deutschland. Zu Beginn wurde die Frage gestellt, wo die Heimat sei. Es wurde unterschieden zwischen einer emotional gefühlten Heimat des Geburtsortes, an dem man auch seine Kindheit verbrachte, und einer pragmatischen Heimat, in Deutschland, deren Sprache man spricht, in der man wirkt, zum Beispiel als Unternehmer. Meist aber wurde von den Schülern die Heimat als eine emotionale angesprochen, als ein Ort, an dem zu leben man sich entschlossen hat, als ein Ort, an dem man lebt und als ein Ort, an dem man zu den Menschen gehören möchte. Heimat ist insofern subjektiv definiert, als sie allein von der sprechenden Person gesehen wird. Heimat ist nicht empfunden als eine Umgebung, in die man hinein geworfen ist, sondern in die man sich selbst agierend einbringen möchte, als ein Lebensort der Toleranz, des Angenommenseins und der Kommunikation untereinander. Heimat ist „da, wo ich gerade bin, bei den Menschen“. „Heimat ist mit mir im Herzen.“ (Applaus des Auditoriums).

Es gibt eine Sprache der Bildung und es gibt eine Sprache der Seele: Alle Teilnehmer, seien es Schüler, Lehrer oder Unternehmer, sprechen ein ausgewähltes Deutsch. Die deutsche Sprache ist Medium ihres Denkens. Auf die jedem Gesprächsteilnehmer gestellten Fragen nach Herkunft oder Geburtsort, folgen ausdifferenzierte Antworten wie: „Ich komme aus Afghanistan, ich bin hier geboren.“ Oder: „Deutsch ist die Sprache meines Vater-Unsers, Polnisch ist die Sprache meiner Bildung“. Der Hörer erfährt, dass die aktive Teilhabe an Gemeinschaft ermöglicht wird durch aktives Sprechen mit allen Menschen. Wer dazu gehören möchte, muß Sprechen, das heißt, er muß gegebenenfalls die Fähigkeit, in der Sprache der Gemeinschaft zu kommunizieren, erlernen. Dann aber ist das Sprechen des Lernenden ein bereichender Spiegel für den Muttersprachler: „Ich komme aus Afghanistan, ich bin hier geboren.“ Die Muttersprache wird erst einmal niemand vergessen. Aber der heimisch werdende Mensch trägt seine Kultur in diejenige Sprachkultur, zu der er gehören will. Wie ein Jazzmusiker vor dem Spiel der Improvisation zu Mitspielern und Publikum noch spricht, daß man sehen werde, was passieren wird, so führt das miteinander Sprechen zu Gemeinschaft und noch nicht erfahrener Erkenntnis.

„Ich komme nicht; ich bin da!“

Jedem der Gesprächsteilnehmer, der hier in Deutschland lebt, wurde die Frage gestellt, woher er komme. Die aus türkischer Kultur stammende, in der Stadt Essen die deutsche Sprache lehrende Beamtin formuliert: „Ich komme nicht; ich bin da!“ Das führt den Hörer unmittelbar auf die Frage, ob er jeden Menschen so annehmen will, wie er ihm gegenüber tritt, oder ob er selbst in seinem eigenem Sprechen und damit eigenem Denken vor sich eine erste Barriere aufbaut, die verhindert, das man überhaupt einander verstehen will. Kommunikation sei von Bedeutung, so vermitteln die Lernenden der deutschen Sprache dem Hörer und wollen hierin in Respekt angenommen sein.

Deutschlandradio Kultur zeigt in seiner Sendung die nicht zu unterschätzende Bedeutung der Bildung für das gelingende Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Eine aus der Türkei stammende Lehrerin, die heute Deutsch unterrichtet, eine Schülerin aus Serbien, die ihre Chancen in Deutschland sieht; Jugendliche, die sich nicht abschotten, sondern ihre Zukunft in Ausbildung und Bildung sehen. Diese Radiosendung wirft die Fragen danach auf, welche Voraussetzungen Schüler einbringen müssen, damit sie erfolgreich lernen. Und sie wirft beim Hörer die Frage nach der Gestaltung des Ausbildungssystems auf, das allen Schülern die Erlangung von Bildung ermöglicht.

Deutschlandradio Kultur setzte an diese Sendung der Reihe „Wortwechsel“ den Maßstab, seinen Hörern Anregungen zum freien Denken zu bieten, hier Aspekte zu den Themenbereichen Heimat, Toleranz und Integration, zu Bildung und respektvollem Zusammenleben. Das öffentlich-rechtliche Radio gewährte dem Hörer eine Möglichkeit seine Beobachtungen auf deutschen Straßen, auf den Straßen seiner Heimat, zu verstehen. „Daß Menschen einander verstehen ...“, das war eins der Schlußworte einer Gesprächsteilnehmerin der ausgestrahlten Gesprächsrunde.

Auf der Internetseite des Deutschlandradios finden sich unter:
http://www.dradio.de/dkultur/programmtipp/portal/1098151/
weitere Information zur Sendung „Wortwechsel“. Die oben rezensierte Sendung „Wortwechsel“ steht als Audiodatei zum Hören bereit unter: http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2010/04/09/drk_20100409_1906_5d480fc8.mp3

Online-Flyer Nr. 248  vom 05.05.2010

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