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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Krieg und Frieden
Verhalten deutscher Generale und politischer Führer zu Afghanistan:
Goebbels’ Bandenbekämpfungsphraseologie
Von Dr. Christian Sigrist

“Der Norden ist sicher.” Das war die Antwort eines alten Freundes und eines jungen Geographen, die ich 2005 auf die Gefährlichkeit ihrer “Missions”-Reisen in das deutsche ISAF-Gebiet im Norden Afghanistans hinwies. An meiner Einschätzung ließ sich die Aussichtslosigkeit des Militärabenteuers in Afghanistan in aller Schärfe beurteilen. Daher umgekehrt die Beratungsresistenz von Experten.

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Spätestens seit dem 19.5.2007 - im Bazar von Kunduz starben drei deutsche Soldaten bei einem Anschlag - war klar, dass die Hoffnung auf eine Konsolidierung getrogen hatte, dass       meine Prognose auch in diesem Fall bestätigt wurde. Das Nord-Mantra war eine Selbsttäuschung. Die Mutter aller Täuschungen auf deutscher Seite ist die Lüge des damaligen Verteidigungsministers Struck, die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt. Mit dieser Lüge sollte Schröders erbärmliche Erklärung “uneingeschränkter Solidarität”, mit der dieser (wohl noch in altem Stamokapduktus) nach dem 11.9.2001 seine Unterordnung unter die US- Strategie erklärt hatte, gerechtfertigt werden.

Das Doppeldesaster vom 2. April diesen Jahres bei Kunduz markiert:
1. eine eindeutige militärische Niederlage der Bundeswehr im Gefecht. Das dumme Gerede vom “feigen” Hinterhalt kopiert Bushs schwachsinnige Charakterisierung der Suizid-Attentäter vom 11.09. 2001 und ist zugleich eine Fortsetzung der deutschen Bandenbekämpfungsphraseologie in den beiden Weltkriegen.
2. ein erneutes friendly fire, dem sechs afghanische Soldaten zum Opfer fallen, bedeutet im Zusammenhang mit dem Massaker vom 4. September 09 einen weiteren Ansehensverlust der Bundeswehr. Der 4. September 2009 wie der 2. April 2010 beweisen, dass die Bundeswehr nicht in der Lage ist, die “neue Strategie” des Oberkommandierenden Mc Chrystal umzusetzen. Die deutsche Einsatzgruppe ist weder gefechtsfähig noch in der Lage, mit den afghanischen “Partnern” zu kooperieren. Die deutsche Generalität wie die politische Führung verharren in Goebbels’ Bandenbekämpfungsphraseologie; während des Krieges gegen die UdSSR hatte er die “Sprachregelung” an die deutsche Presse erlassen, dass nicht von Partisanen, sondern nur von Banden gesprochen werden dürfe.

Karzai überbietet alle

Die verlogenen Zielvorgaben lassen sich im Begriff des Nationbuilding zusammenfassen - ein Modell, das für einen ethnisch fragmentierten Territorialstaat mit dem weitgehend segmentär organisierten größten Volk, den Pashtunen, deren noch größerer Teil in Pakistan lebt, ungeeignet ist. Die Legitimation der von den USA auf dem Bonner Petersberg initiierten Regierung sollte durch Wahlen hergestellt werden. Alle Äußerungen über die Fragwürdigkeit der Wahlen sind nun durch Karzais bizarre Aussagen überboten worden - er macht die Ausländer für die Fälschungen verantwortlich und droht mit einem Bündnis mit den Taliban. Damit entfällt aber auch die Möglichkeit, die verschiedenen Widerstandsgruppen als
“Aufständische” zu bekämpfen. Zu viele von ihnen wehren sich gegen die anhaltende Besetzung mit ihren “Kollateralschäden“.     
    
Die politischen Verantwortlichen haben weder auf einen Guerilla-Experten wie Peter Scholl-Latour noch auf Altkanzler Schmidt hören wollen, die von Anfang an das Scheitern der NATO-Mission vorausgesagt hatten. Die Stiftung “Wissenschaft und Politik” hat jahrelang ihre öffentlichen Aussagen so gehalten, dass sie den deutschen Beitrag zur ISAF rechtfertigen konnten. Es besteht der Verdacht, dass zumindest einige zeitweilige Mitarbeiter der Stiftung ihre richtige Einschätzung nicht kommuniziert haben, um ihre Projektefinanzierung nicht zu gefährden.      

Ex-Staatsminister Gernot Erler                           

Einem erschreckenden Beispiel für Beratungsresistenz begegnete ich 2007 in einer Diskussion in der Freiburger Uni mit dem damaligen Staatsminister im AA Gernot Erler:
obwohl die Co-Diskutanten und ich aus verschiedenen Erfahrungsbereichen seine vorgebrachten Rechtfertigungen des deutschen Afghanistan-Einsatzes Punkt für Punkt widerlegten, wich er nicht von seiner Position ab (mir gestand er immerhin die Richtigkeit meiner These zu, dass die kurzfristigen US-Ultimaten an die Taliban in 2001 den verhandlungsbereiten Strömungen jeden Spielraum genommen haben). Noch wichtiger: ich übergab ihm die von mir betreute Dissertation der damaligen afghanischen Botschafterin Prof. Dr. Maliha Zulfacar; in ihrem Buch werden die Immigrationsbedingungen afghanischer Kriegsflüchtlinge in den USA und in der BRD verglichen. Ich tat dies in der Erwartung, dass bezüglich der ineffektiven, kostspieligen und repressiven deutschen Asyl- und Duldungspraxis Konsequenzen gezogen würden. Erler hielt es nie für nötig, die Botschafterin zu konsultieren.

Berater Conrad Schetter

Zu den besonders problematischen Beratern gehört Conrad Schetter. Obwohl er nur zwei Wochen in Afghanistan verbracht hatte, verfasste er eine voluminöse Dissertation über Ethnizität und ethnische Konflikte in Afghanistan. Das Buch umfasst 640 Seiten und vermittelt eine Fülle von Informationen, die aber nicht auf Landeskenntnis, sondern auf Literaturauswertung beruhen. Ethnohistorisch ist sein Ansatz als falsch zu bezeichnen; der Verwertungseifer führt zu fragwürdigen Urteilen. Ein ungeheuerliches Versehen ist Schetter aber auf S. 460 unterlaufen. Hier behauptet er, dass nach der Einnahme von Khost im April 1991 durch pashtunische Mujaheddin die pashtunischen Garnisonsangehörigen abziehen durften, hingegen Tajiken, Uzbeken und Hazara umgebracht worden seien. Es handelt sich dabei um eine massive Verleumdung der Mujaheddin: exekutiert wurde einzig der Garnisons-Mullah: alle Soldaten durften nach Erledigung der Aufräumarbeiten in ihre Heimatgebiete zurückkehren. Ich konnte mich vor Ort von diesem Sachverhalt überzeugen. Schetter beruft sich auf einen FAZ-Artikel von Dr. Schwittek, der einen Tag nach mir in Khost ankam. In diesem Artikel steht aber die gleiche Information wie in meinem etwas später erschienenen FR-Artikel. Schetter hat sich durch seine oberflächliche Literaturverwertung bar jeder wissenschaftlichen Ethik eines fahrlässigen Vergehens schuldig gemacht.

Schetter ist im Vorstand der AGA (Arbeitsgemeinschaft Afghanistan) und z.Zt. ihr eigentlicher Promotor. Sie hatte ihren Neubeginn-Workshop im Januar 2007 ohne Benachrichtigung der afghanischen Botschaft geplant. Nur durch meine Intervention wurde zur Kenntnis genommen, dass in Berlin Frau Prof. Zulfacar als erste Frau die Islamische Republik Afghanistan vertrat und dass sie ein Grußwort an die Teilnehmer des Workshop richten konnte. Die AGA war immer eine von Deutschen bestimmte Vereinigung gewesen. Sie hat keinen Beitrag zum rechtzeitigen Rückzug aus der militärischen Sackgasse geleistet.

Das PRT (Wiederaufbauteam)-Konzept ist keine deutsche Innovation, sondern ein US-Modell.. Ich erfuhr davon von meinem einstigen Studenten und Freund Hakim Khan Taniwal, der mir als Gouverneur von Khost im Frühjahr 2002 stolz berichtete, die Amerikaner würden im Khoster Becken nicht mehr nur bombardieren, sondern auch Wiederaufbauteams aufstellen. Meine erste Reaktion war der Hinweis auf die Gefahren für die NGOs.                            
Die semantischen Täuschungen haben “verheerende” Konsequenzen: der Militäreinsatz der Bundeswehr wurde als Wiederaufbaumaßnahme verharmlost und das Wort “Krieg” absolut gemieden. Infolge dessen ist die Bundeswehr bis heute nur unzureichend ausgerüstet, von der fehlenden Ausbildung ganz zu schweigen.

Lettow-Vorbeck

Die Bundesregierung ist so bar jeden Geschichtsbewusstseins, dass sie nicht einmal merkt, auf welch dünnem semantischen Eis sie herumeiert. Der so harmlos klingende Ausdruck “Schutztruppe” entstammt einer finsteren Epoche der deutschen Kolonialgeschichte, in der diese Truppe mindestens einen Genozid (im heutigen Namibia) beging. In Deutsch-Ost-
Afrika und “Deutsch-Südwest” waren diese “Truppen” Rekrutierungsgruppen für die späteren Freikorps; Lettow-Vorbecks Khaki-Uniformen waren die Vorlage für die NS-Partei-Uniformen. Aus diesen Kreisen rekrutierten sich auch Teile der Einsatzgruppen, deren Hauptaufgabe die Judenvernichtung seit 1941 war. Das Wort “Einsatz” ist also alles andere als harmlos (vor allem in Frankreich hatte dieses Wort noch viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eine mörderische Konnotation).

Winfried Nachtwei

Nach dem Doppeldesaster vom 2. April 2010 hat sich unser Kriegs-Freiherr immerhin zu der Konzession durchgerungen, dass es sich um Krieg in einem umgangssprachlichen Sinn handle. Inzwischen verlangt ausgerechnet der opportunistische grüne Bellizist Winfried Nachtwei, einer der Hauptverantwortlichen für den nicht-mandatierten Balkan-Einsatz und für die ISAF-Mission: „Wir müssen uns ehrlich machen” (Zeit Dossier, 8.4.2010). Jetzt, da er an keinem Sessel mehr kleben kann, redet er vom „lückenhaften Lagebild vor Ort” und gibt zu, dass es keine „ungeschönte Lageanalyse” gibt.

Recht hat er, wenn er sagt: „Man hat die Chancen der ersten Jahre verpasst”. Das waren die Jahre, in denen Nachtwei als Obmann der Grünen im Verteidigungsausschuss die Mitschuld für die verantwortungslose Politik trug. Inzwischen gibt er sich nach 16 Reisen ins afghanische Kriegsgebiet als Afghanistanexperte aus. Mich bedrückt, dass er die Grundlagen für seine Landeskenntnisse ausgerechnet bei mir seit 1971 erworben hat. Bei mir hatte er auch eine sehr gute Staatsexamensarbeit über “Deutsch-Südwest” geschrieben - er hätte also wissen müssen, welche mörderischen Konnotationen der Begriff “Schutztruppe” hat.    

General Clark: Nicht zu gewinnen

Inzwischen geben auch Hardliner zu, dass der Afghanistan-Konflikt militärisch nicht zu gewinnen ist, aber jetzt kommen neue Durchhalteparolen auf. Im Herbst 2006 hatte der frühere NATO-Oberkommandierende General Clark zugegeben, dass der Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen ist, dass er aber auch nicht verloren werden dürfte, weil dies das Ende der NATO bedeuten würde. Zumindest aus deutscher Sicht ist aber überhaupt nicht einzusehen, warum dies kein gutes Ergebnis des afghanischen Abenteuers sein sollte. Trotz Immanuel Kant bin ich der Ansicht, dass sich der Kritiker fragen lassen muss, was er denn besser machen könnte oder gemacht hat.

Ich war 1966/67 siebenhalb Monate in Afghanistan, meine Feldforschungen habe ich vor allem in den südlichen heutigen Hauptkampfgebieten gemacht. Das war damals schon nicht ganz ungefährlich, aber es gab immerhin keine Minenfelder und Blindgänger. Nach meiner Rückkehr habe ich nicht nur die erste Beschreibung des Pashtunwali in der damaligen Provinz Paktia geschrieben, sondern auch die “Randbemerkungen eines Soziologen zur politischen Situation und zur deutschen Entwicklungshilfe in Afghanistan” an das BMZ geschickt. Ich habe darin prognostiziert, dass es zu einer zweit- bis drittklassigen Volksrepublik in Afghanistan kommen würde, falls nicht eine Veränderung der “Entwicklungshilfe” zustande käme. Ich habe die oppositionellen Afghanen in der BRD davor gewarnt, einen Staatsstreich in der Hauptstadt zu machen. Gegen den  Einmarsch der Sowjetarmee habe ich eine Resolution organisiert, die von Grevemeyer, Negt, Altvater u.a. unterschrieben wurde. Von Anfang an habe ich das Scheitern der sowjetische Intervention angekündigt. 1991 habe ich während des auch nach Abzug der Russen fortdauernden Krieges zwischen dem Kabuler Regime und den Mujaheddin die Provinzen Nangarhar und Paktia bereist. In den 1980ger und 1990ger Jahren habe ich der GTZ vergebens meine (kostenlose) Beratung angeboten und parallel dazu Initiativen von Exilafghanen unterstützt. Noch vor dem Einsatz der Isaf-Truppe habe ich in der Öffentlichkeit vor einer deutschen Teilnahme am Afghanistankrieg gewarnt. (PK)


Dr. Christian Sigrist, Prof. em. für Soziologie, Universität Münster, hat seit 1986 u.a. eine Reihe Texte über Feldforschungen in Afghanistan publiziert. Zur aktuellen Entwicklung vergleiche http://iley.de/Sigrist-Afghanistan

Online-Flyer Nr. 245  vom 14.04.2010

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