NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 27. April 2024  

zurück  
Druckversion

Krieg und Frieden
Interview mit dem Journalisten Marc Thörner über Nordafghanistan
Deutsche bilden Warlord-Polizei aus
Von Hans Georg

Über die Entwicklung in Nordafghanistan sprach german-foreign-policy.com mit Marc Thörner. Thörner ist freier Journalist und berichtet seit den 1990er Jahren überwiegend für ARD-Rundfunkanstalten aus islamisch geprägten Ländern vom Maghreb bis Afghanistan. Zuletzt veröffentlichte er das in dieser NRhZ-Ausgabe vorgestellte Buch Afghanistan-Code. Eine Reportage über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie. 2009 erhielt Marc Thörner den Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus.


Marc Thoerner
Quelle:
www.edition-nautilus.de
german-foreign-policy.com: Ihr neues Buch heißt "Afghanistan-Code". Was verstehen Sie unter diesem "Code"?

Marc Thörner: Ich verstehe darunter ein System, das auf den ersten Blick nicht offensichtlich ist: eine strategische, eine politische Herangehensweise - in diesem Fall die Herangehensweise des Westens an Afghanistan -, die sich erst erschließt, wenn man sie lange analysiert, und zwar auch unter historischen Gesichtspunkten. In meinem Buch geht es zum Beispiel um die französischen Erfahrungen mit der Aufstandsbekämpfung in früheren Kolonien. Nach Aussage von Soldaten, mit denen ich in Afghanistan gesprochen habe, spielen diese Erfahrungen am Hindukusch eine wichtige Rolle. Das liegt für viele, die sich mit dem Thema Afghanistan befassen, überhaupt nicht auf der Hand.

Als Beispiel führen Sie in Ihrem Buch die französische Kolonialherrschaft in Marokko an, speziell die Politik, die General Lyautey zu Beginn des 20. Jahrhunderts dort verfolgte. Worum ging es dabei?

Es ging eigentlich um etwas, was dem sehr ähnlich ist, was man heute in Afghanistan versucht: Es ging darum, die Herzen und Köpfe der Bevölkerung zu gewinnen. Die französischen Truppen hatten die Perspektive, nur vorübergehend im Protektorat Marokko zu bleiben. Um die Herzen und Köpfe der Bevölkerung zu gewinnen, hat General Lyautey versucht, die Traditionen, die in Marokko vorhanden waren, zu stabilisieren oder sie dort, wo sie schon überlagert waren von modernen Elementen, wieder neu aufzubauen. Dazu gehörte es auch, einen archaischen Islam zu stärken und die Zusammenarbeit mit Warlords zu suchen, ganz nach dem Prinzip "Teile und herrsche". Frankreich hat damals in Marokko, wenn man so will, mit ähnlichen Figuren zusammengearbeitet wie die Bundeswehr heute in Nordafghanistan.

Wie würden Sie denn die Kräfte charakterisieren, mit denen die Bundeswehr in Nordafghanistan zusammenarbeitet?

Das sind klassische Warlords. Es gibt vor allem zwei große Akteure, Mohammed Atta und General Dostum. Mohammed Atta ist der Gouverneur der Provinz Balkh, in deren Hauptstadt Mazar-e-Sharif die Bundeswehr ihr größtes Feldlager in Afghanistan unterhält. Atta ist ein Warlord von der ehemaligen Nordallianz, der hauptsächlich vom Drogenhandel lebt und seine verschiedenen Dienste, seine Milizen, seine Geheimpolizei und seine Mitarbeiter durch den Drogenhandel finanziert. Nicht durch Drogenanbau - den Drogenanbau bekämpft er inzwischen klugerweise -; er verdient am Drogenzwischenhandel. General Dostum ist in der Nachbarprovinz von Balkh, Sar-e-Pol, ansässig. Ihm werden schwere Kriegsverbrechen nachgesagt. Das sind die beiden wichtigsten Ansprechpartner der Deutschen - wie gesagt, klassische Warlords.

Warum arbeitet die Bundeswehr gerade mit solchen Kräften zusammen?

Die Bundeswehr hat natürlich zunächst einmal keine andere Wahl. Zumindest Mohammed Atta ist ja außerdem auch als Gouverneur ein Repräsentant der afghanischen Regierung. Er ist von Präsident Karzai offiziell eingesetzt worden. Nun muss man allerdings auch wissen, dass Karzai zu taktieren gezwungen ist, er kann nicht frei agieren - was damit zusammenhängt, dass all die lokalen Machthaber wie etwa Atta von ausländischen Kräften unterstützt werden. So hat Atta sicherlich die Unterstützung der Deutschen, vor allem aber auch der Amerikaner. Und er hat mittlerweile eine sehr große lokale Hausmacht. Karzai ist also durchaus nicht frei, ihn abzusetzen, auch wenn er das wahrscheinlich gerne tun würde, denn Atta hat sich im letzten Wahlkampf ganz vehement gegen ihn positioniert - er war ja ein Verbündeter seines Rivalen Abdullah Abdullah. Atta nimmt mittlerweile nur noch bestimmte Anweisungen aus Kabul an, er setzt die Anweisungen der Zentralregierung nur noch in wenigen Teilen um. Er widersetzt sich zum Beispiel der Besetzung der Polizeikommandeure durch das Innenministerium in Kabul - er installiert seine eigenen Leute in der Polizeiführung. Das heißt: Atta ist dabei, sich ein kleines Fürstentum zu schaffen, und die Polizisten, die in der Provinz Balkh ausgebildet werden, das sind die Polizisten, die Atta dort haben möchte, es sind nicht die Polizisten der Zentralregierung.

Deutschland bildet also quasi die bewaffneten Kräfte eines Warlords aus?

Die deutschen Stellen setzen auf die juristische Argumentation: Man tue nichts anderes, als die offizielle Polizei des Kabuler Innenministeriums zu unterstützen. Das stimmt aber nicht, weil das Innenministerium de facto keine Macht über die Polizisten in Balkh mehr hat. Die Polizei, die von Deutschland in Balkh ausgebildet wird, das ist die Polizei des Fürstentums von Gouverneur Atta, und diese Polizei - das ist durch verschiedenste Berichte und Zeugenaussagen belegt - ist offenbar auch noch dabei, schwerste Menschenrechtsverletzungen zu begehen.

Oft heißt es, man müsse mit Personen wie Atta zusammenarbeiten, um zu verhindern, dass die Taliban wieder an die Macht kommen.

Das scheint mir nicht so. Das Problem mit den Taliban ist im Norden zum großen Teil ein Problem mit der paschtunischen Minderheit. Es gibt ganz verschiedene Gruppierungen innerhalb der Taliban. Es gibt beispielsweise ein Segment von Personen aus Usbekistan, ein anderes Segment von Menschen aus Pakistan, die immer noch vom pakistanischen Geheimdienst unterstützt werden. Es gibt aber auch ein Segment, das aus der paschtunischen Minderheit in Nordafghanistan stammt, und diese Leute unterstützen die Taliban, weil sie sich verfolgt sehen von tadschikischen Warlords, insbesondere von Gouverneur Atta und seinen Milizen und dem Geheimdienst, der ihm untersteht. Das bedeutet: Je enger man mit Gouverneur Atta zusammenarbeitet - etwa in puncto Polizeiausbildung - und je länger man die Menschenrechtsverletzungen seiner Polizei toleriert, umso mehr wird man die lokalen Paschtunen in die Arme der Taliban treiben.

Gibt es denn Aussichten, dass sich unter der Herrschaft der Warlords moderne, demokratische Kräfte wenigstens langsam durchsetzen können?

Ich denke nicht, dass das möglich ist, wenn man sich darauf verlegt, mit den Warlords als Stabilisatoren zusammenzuarbeiten. Die Warlords haben keinerlei Interesse daran, dass solche Kräfte stärker werden. Man konnte das an verschiedenen Beispielen sehen, unter anderem an dem berühmt-berüchtigten Fall Kambaksh. Pervez Kambaksh ist ein Student, gegen den ein Todesurteil verhängt wurde, weil er angeblich den Propheten gelästert haben soll. Man kann an diesem Fall sehen, dass die Warlords, wenn es ihnen dient, sich ganz geschickt auch archaischer religiöser Strukturen bedienen - etwa entsprechender Gerichte -, die im Grunde nichts anderes sind als das, was die Taliban propagieren. Wenn es ihnen dient, bedienen sich die Warlords ganz genau der gleichen Strukturen. Abgesehen davon installieren sie natürlich mit Hilfe ihrer Milizen und ihrer Unterführer ein diktatorisches System, das in keiner Weise etwas mit dem zu tun hat, was wir als internationale Standards betrachten würden. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass die Justiz in vollem Maße diesen Warlords hörig ist. Gouverneur Atta ist auch hierfür ein sehr gutes Beispiel. Die Zusammenarbeit mit den Warlords bedient vielleicht kurzfristige taktische Interessen, aber langfristig geht sie sicherlich nicht in Richtung Demokratisierung. (PK)

Eine Rezension zu Marc Thörners Buch finden Sie in dieser NRhZ

Online-Flyer Nr. 243  vom 31.03.2010

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE