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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 19
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Er nutzte die Gelegenheit, die ihn drängende Frage nach einer Fotografie von seinem Vater auszusprechen. Seine Mutter schüttelte traurig den Kopf: Das Bild auf dem Fernseher ist das einzige Armin.
Auf dem Fernseher? Da steht nur meins und die Kinder.
Ja mein Junge. Ich schau es an und sage: Das ist er. Das war er. Nur zehn Jahre jünger. Sie seufzte. Du siehst ihm sehr ähnlich. Wenn du wissen willst, wie der Mann aussah, der mir dich geschenkt hat, musst du dein Foto ansehn. Wir hatten keine Fotoapparate. Und wenn wir einen gehabt hätten - es war ja alles heimlich, niemand durfte etwas erfahren! Verstehst du das? Es tut mir so in der Seele leid, dass ich dir nichts weiter von deiner Herkunft, deinem Vater erzählen kann. Dein einziger Trost kann sein, dass viele Kriegskinder ihre Väter nie gesehn haben.
Elender Trost, Mutter.
Da hast du recht Junge. Ich habe meine Liebe verlorn noch eh ich richtig wusste was es war. Da denkt einer doch nicht an Erinnerungen, wenn alles lichterloh brennt. Viel erzählt hat der Hein. Wenn wir uns getroffen haben nach seiner Schicht an der Schleuse, in einem Heuschober, da wo wir - na du weißt schon, und hinterher hat er erzählt von all den Schiffen, mit denen er gefahren ist, kreuz und quer durch Deutschland, als Schiffsjunge vorn in der Kajüte am Bug, war für mich wie Märchen, ein Vagabundenleben hat er geführt, auf dem Wasser eben.
Und warum ist er dann Schleusenknecht geworden? fragte Kolenda, begierig nach weiteren Einzelheiten.
Ich glaube er wollte einfach an Land. Er hat gesagt, er wollte noch was Richtiges lernen. Später hab ich gedacht, vielleicht wars auch weil als Schiffsjunge, immer unterwegs, in dieser winzigen Koje, da konnte er sicher nie ein Mädchen finden und hat das gesucht und deshalb war das so heiß und so - so - bedenkenlos. Wie dus geschrieben hast in deinem Brief von der Salli, wo du alles vergessen hast, da hab ich weinen müssen Armin, als ich das gelesen hab von dir - jetzt brauch ich doch ein Taschentuch - es steckt in der Schürze -
Armin stand auf, ging um den Tisch zu ihr, gab ihr seins, legte den Arm um ihre Schultern, küsste sie auf ihren Scheitel, selbst wieder im Kampf mit seinen Tränendrüsen, aber eher von Freude als von Mitgefühl und dem eignen Schmerz, sagte was ihm einfiel: Vielleicht hast du deshalb diese schöne Erinnerung behalten Mutter. Weil du nur euer Glück mit ihm erlebt hast.
Ja, nickte sie, so wird es sein. Und dich mein Sohn.
Weißt du was Mutter, sagte er ernst, ich werde dich jetzt viel öfter besuchen. Und wir werden zusammen nach Henrichenburg fahren und spazieren gehn und vielleicht finden wir noch die Orte, wo ihr euch getroffen habt und es wird dir noch andres einfallen, was du mir erzählen kannst von meinem Vater, und du besuchst mich auch mal in Neuss oder, warum eigentlich nicht? ich nehm ein paar Tage Urlaub und zeig dir das schöne Land am Kaiserstuhl - du hast doch so wenig von der Welt gesehn!
Glaubst du das kann ich noch? fragte sie ungläubig, noch schnüffelnd, aber mit einem kleinen hoffnungsvollen Lächeln um die Augen.
Natürlich kannst du das. Wir nehmen zwei Zimmer in der Fischerinsel, wo ich gewohnt hab bei Balthasar und Cilia, ganz billig, am Rand der Rheinauen, der Balthasar ist Fischer -
Ach wär das schön mein Junge, seufzte sie, einmal richtig verreisen. Auf meine alten Tage.
Das machen wir Mutter, lachte er, selbst beglückt von seiner Idee, und darauf noch ein Stück von deinem leckeren Apfelstreußel!
Während er aß und trank, musste sie ihm noch ein Stück Vergangenheit erzählen, von dem sie in ihrem Brief nicht gesprochen hatte, weil sie das zum Schreiben zu schwierig fand. Es betraf den Wilhelm Kolenda, den sie immer in dem Glauben gelassen hatte, er sei Armins Vater. Nach seinem Tod musste sie die Papiere durchsehn, die er hinterlassen hatte, zwei Schubladen voll, zeitlebens verschlossen gehalten. Viel unwichtiges Zeugs, sein Unteroffizierspatent aus dem ersten Weltkrieg, die Ernennung zum Fahrsteiger, mit dem Naziadler, ihre Heiratsurkunde und das Urteil der Spruchkammer, seine Entnazifizierung, als Minderbelasteter. Und dann war da noch ein Blatt, eine Bescheinigung, vom Gesundheitsamt, auch aus der Nazizeit, das Datum war Januar vierundvierzig, in dem wurde dem Herrn Steiger Wilhelm Kolenda das Untersuchungsergebnis seiner Spermaprobe mitgeteilt. Da stand schwarz auf weiß, dass er zeugungsunfähig war! Aufgrund einer mangelhaften Beweglichkeit seiner Samenzellen!
Ist das die Wahrheit?! Das glaub ich nicht. Wirklich! Das ist ja verrückt Mutter. Dann hat der Alte die ganzen Jahre gewusst, dass ich nicht sein Sohn sein kann?
Und hat nie ein Sterbenswörtchen davon rausgelassen! Nie mir einen Vorwurf gemacht, nie mich nach deinem Erzeuger gefragt. Nichts. Schlecht behandelt hat er uns, aber nicht schlechter als andre Männer ihre Frauen und Kinder, wenn sie Streß haben oder einen Schnapskopp.
Sagenhaft. Aber warum? Jeder normale Ehemann hätte doch ein Heidenteater gemacht!
Ich denk inzwischen, weil er mir hätte gestehn müssen, dass er keine Kinder machen konnte und ich hätts weitergetragen vielleicht und ihn blamiert dadurch in der Kolonie, dass ich mir einen außerehelichen Sohn holen musste, weil mein Mann nicht konnte.
Kolenda nickte, das ist gut vorstellbar. Trotzdem merkwürdig, dieses absolute Stillschweigen. Nach zwanzig Jahren, als ich weg war von Waltrop, hätts ihm doch egal sein können, oder? Also die Möglichkeit, dass er dir dein Geheimnis lassen wollte, die ist wohl nur teoretisch gegeben, solche Feinfühligkeit ist bei dem Typ Mann ausgeschlossen. Aber vielleicht hat er gehofft, dass du ihm eines Tages die Wahrheit über mich von selbst erzählst?
Da schüttelte sie aber ihr graues Haupt sehr energisch: Nein nein mein Junge, niemals!
Er merkte, dass sie an diesem Punkt nicht weiterdenken wollte, schob das letzte Stück Kuchen in den Mund, kaute ausführlich, suchte nach einem andern Tema. Sie fragte, ob er zum Abendbrot bliebe, er könnte auch schlafen in seiner alten Kammer.

Erasmus Schöfers
"Die Kinder des Sisyfos",
Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung",
Bd.2 "Zwielicht" und
Bd. 3 "Sonnenflucht",
Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
www.dittrich-verlag.de
Online-Flyer Nr. 40 vom 18.04.2006
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Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 19
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Er nutzte die Gelegenheit, die ihn drängende Frage nach einer Fotografie von seinem Vater auszusprechen. Seine Mutter schüttelte traurig den Kopf: Das Bild auf dem Fernseher ist das einzige Armin.
Auf dem Fernseher? Da steht nur meins und die Kinder.
Ja mein Junge. Ich schau es an und sage: Das ist er. Das war er. Nur zehn Jahre jünger. Sie seufzte. Du siehst ihm sehr ähnlich. Wenn du wissen willst, wie der Mann aussah, der mir dich geschenkt hat, musst du dein Foto ansehn. Wir hatten keine Fotoapparate. Und wenn wir einen gehabt hätten - es war ja alles heimlich, niemand durfte etwas erfahren! Verstehst du das? Es tut mir so in der Seele leid, dass ich dir nichts weiter von deiner Herkunft, deinem Vater erzählen kann. Dein einziger Trost kann sein, dass viele Kriegskinder ihre Väter nie gesehn haben.
Elender Trost, Mutter.
Da hast du recht Junge. Ich habe meine Liebe verlorn noch eh ich richtig wusste was es war. Da denkt einer doch nicht an Erinnerungen, wenn alles lichterloh brennt. Viel erzählt hat der Hein. Wenn wir uns getroffen haben nach seiner Schicht an der Schleuse, in einem Heuschober, da wo wir - na du weißt schon, und hinterher hat er erzählt von all den Schiffen, mit denen er gefahren ist, kreuz und quer durch Deutschland, als Schiffsjunge vorn in der Kajüte am Bug, war für mich wie Märchen, ein Vagabundenleben hat er geführt, auf dem Wasser eben.
Und warum ist er dann Schleusenknecht geworden? fragte Kolenda, begierig nach weiteren Einzelheiten.
Ich glaube er wollte einfach an Land. Er hat gesagt, er wollte noch was Richtiges lernen. Später hab ich gedacht, vielleicht wars auch weil als Schiffsjunge, immer unterwegs, in dieser winzigen Koje, da konnte er sicher nie ein Mädchen finden und hat das gesucht und deshalb war das so heiß und so - so - bedenkenlos. Wie dus geschrieben hast in deinem Brief von der Salli, wo du alles vergessen hast, da hab ich weinen müssen Armin, als ich das gelesen hab von dir - jetzt brauch ich doch ein Taschentuch - es steckt in der Schürze -
Armin stand auf, ging um den Tisch zu ihr, gab ihr seins, legte den Arm um ihre Schultern, küsste sie auf ihren Scheitel, selbst wieder im Kampf mit seinen Tränendrüsen, aber eher von Freude als von Mitgefühl und dem eignen Schmerz, sagte was ihm einfiel: Vielleicht hast du deshalb diese schöne Erinnerung behalten Mutter. Weil du nur euer Glück mit ihm erlebt hast.
Ja, nickte sie, so wird es sein. Und dich mein Sohn.
Weißt du was Mutter, sagte er ernst, ich werde dich jetzt viel öfter besuchen. Und wir werden zusammen nach Henrichenburg fahren und spazieren gehn und vielleicht finden wir noch die Orte, wo ihr euch getroffen habt und es wird dir noch andres einfallen, was du mir erzählen kannst von meinem Vater, und du besuchst mich auch mal in Neuss oder, warum eigentlich nicht? ich nehm ein paar Tage Urlaub und zeig dir das schöne Land am Kaiserstuhl - du hast doch so wenig von der Welt gesehn!
Glaubst du das kann ich noch? fragte sie ungläubig, noch schnüffelnd, aber mit einem kleinen hoffnungsvollen Lächeln um die Augen.
Natürlich kannst du das. Wir nehmen zwei Zimmer in der Fischerinsel, wo ich gewohnt hab bei Balthasar und Cilia, ganz billig, am Rand der Rheinauen, der Balthasar ist Fischer -
Ach wär das schön mein Junge, seufzte sie, einmal richtig verreisen. Auf meine alten Tage.
Das machen wir Mutter, lachte er, selbst beglückt von seiner Idee, und darauf noch ein Stück von deinem leckeren Apfelstreußel!
Während er aß und trank, musste sie ihm noch ein Stück Vergangenheit erzählen, von dem sie in ihrem Brief nicht gesprochen hatte, weil sie das zum Schreiben zu schwierig fand. Es betraf den Wilhelm Kolenda, den sie immer in dem Glauben gelassen hatte, er sei Armins Vater. Nach seinem Tod musste sie die Papiere durchsehn, die er hinterlassen hatte, zwei Schubladen voll, zeitlebens verschlossen gehalten. Viel unwichtiges Zeugs, sein Unteroffizierspatent aus dem ersten Weltkrieg, die Ernennung zum Fahrsteiger, mit dem Naziadler, ihre Heiratsurkunde und das Urteil der Spruchkammer, seine Entnazifizierung, als Minderbelasteter. Und dann war da noch ein Blatt, eine Bescheinigung, vom Gesundheitsamt, auch aus der Nazizeit, das Datum war Januar vierundvierzig, in dem wurde dem Herrn Steiger Wilhelm Kolenda das Untersuchungsergebnis seiner Spermaprobe mitgeteilt. Da stand schwarz auf weiß, dass er zeugungsunfähig war! Aufgrund einer mangelhaften Beweglichkeit seiner Samenzellen!
Ist das die Wahrheit?! Das glaub ich nicht. Wirklich! Das ist ja verrückt Mutter. Dann hat der Alte die ganzen Jahre gewusst, dass ich nicht sein Sohn sein kann?
Und hat nie ein Sterbenswörtchen davon rausgelassen! Nie mir einen Vorwurf gemacht, nie mich nach deinem Erzeuger gefragt. Nichts. Schlecht behandelt hat er uns, aber nicht schlechter als andre Männer ihre Frauen und Kinder, wenn sie Streß haben oder einen Schnapskopp.
Sagenhaft. Aber warum? Jeder normale Ehemann hätte doch ein Heidenteater gemacht!
Ich denk inzwischen, weil er mir hätte gestehn müssen, dass er keine Kinder machen konnte und ich hätts weitergetragen vielleicht und ihn blamiert dadurch in der Kolonie, dass ich mir einen außerehelichen Sohn holen musste, weil mein Mann nicht konnte.
Kolenda nickte, das ist gut vorstellbar. Trotzdem merkwürdig, dieses absolute Stillschweigen. Nach zwanzig Jahren, als ich weg war von Waltrop, hätts ihm doch egal sein können, oder? Also die Möglichkeit, dass er dir dein Geheimnis lassen wollte, die ist wohl nur teoretisch gegeben, solche Feinfühligkeit ist bei dem Typ Mann ausgeschlossen. Aber vielleicht hat er gehofft, dass du ihm eines Tages die Wahrheit über mich von selbst erzählst?
Da schüttelte sie aber ihr graues Haupt sehr energisch: Nein nein mein Junge, niemals!
Er merkte, dass sie an diesem Punkt nicht weiterdenken wollte, schob das letzte Stück Kuchen in den Mund, kaute ausführlich, suchte nach einem andern Tema. Sie fragte, ob er zum Abendbrot bliebe, er könnte auch schlafen in seiner alten Kammer.

Erasmus Schöfers
"Die Kinder des Sisyfos",
Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung",
Bd.2 "Zwielicht" und
Bd. 3 "Sonnenflucht",
Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
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