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Lokales
Zur Präsentation der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2009 in den Kölner Medien
Die Wut auf die Jugend gelenkt
Von Klaus Jünschke

Am 3. März 2010 hat der Kölner Polizeipräsident Steffenhagen die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) der Stadt für 2009 vorgestellt. Am Ende seiner Rede bedankte er sich bei den Kölner Medien: „Der ständige Informationsfluss und der faire Umgang miteinander führte dazu, dass sowohl auf polizeilicher Seite als auf Ihrer Seite professionelles Arbeiten im Vordergrund stand, ohne die Bedürfnisse des jeweils anderen zu beschränken.“ Was am folgenden Tag in der Kölnischen Rundschau (KR) und dem Kölner Stadt-Anzeiger (KStA) zu lesen war, hat einmal mehr bekräftigt, dass Polizei und Medien in Köln eine Symbiose zur gegenseitigen Bedürfnisbefriedigung eingegangen sind.


Das sogenannte "Abziehen" unter Jugendlichen nimmt laut Kripo weiter zu. (Bild: dpa) - Foto und Bildunterschrift Kölnische Rundschau vom 3. März

Die Kölnische Rundschau titelte „Mehr Straßenraub, mehr Einbrüche“ und bebilderte den halbseitigen Beitrag mit einem riesigen Foto, auf dem ein Jugendlicher zu sehen ist, der einen anderen Jugendlichen in die Ecke drängt und würgt. Der Kölner Stadt-Anzeiger verzichtet auf ein Foto und spricht direkt aus, was die Hauptbotschaft der PKS für 2009 sein soll: „Straßenräuber sind oft minderjährig.“ Neben der jedes Jahr wiederkehrenden Botschaft, dass in Köln die Hauptgefahr von Jugendlichen auf der Straße ausgeht, erfahren die Leser immerhin: „Insgesamt ist die Kriminalität in Köln jedoch zurückgegangen“ (KR) und „Weniger Straftaten 2009“ (KStA).

Blind abgeschrieben

Gerade weil die Kriminalberichterstattung in den Kölner Medien einen extrem hohen Anteil der Lokalberichterstattung ausmacht, ist es tatsächlich skandalös zu nennen, dass die Jahresbilanz von einem Polizeipräsidenten vorgetragen wird, der die eigenen Zahlen nicht interpretieren kann und seine Rede wiederum von Journalisten blind abgeschrieben wird, die sich nicht mal die Mühe machen, für drei Sekunden nachzudenken oder das Inhaltsverzeichnis der PKS für 2009 zu überfliegen. Die unterschiedliche Gewichtung von Deliktbereichen bildet nämlich eine Reihe von Fragezeichen, die in den Vortrag von Polizeipräsident Steffenhagen gehören sollten.

Um zu bekräftigen, dass die Straßen die unsichersten Orte in Köln sind, erklärte der Polizeipräsident: „Nichts ist Angst einflößender als der Gedanke, unvermittelt auf der Straße in eine körperliche Auseinandersetzung zu geraten.“ Die Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung werden mit der Zahl von 3.607 angegeben. In der PKS 2009 ist aber auf Seite 36 zu lesen, dass es 2009 über 3.783 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt gab. In der Rede von Herrn Steffenhagen und in den Berichten der Lokalpresse kommt dieses Delikt gar nicht vor. Dabei ist durch die Dunkelfeldforschung belegt, dass es nicht die Straßen sind, die die unsichersten Orte in unserer Gesellschaft sind, sondern die sogenannten eigenen vier Wände. Da kriminologische Forschungsergebnisse darüber hinaus immer wieder darauf hinweisen, dass zwar nicht jedes misshandelte Kind zum Gewalttäter wird, aber bei allen inhaftierten Gewalttätern zu 100 Prozent schwerste Misshandlungen in der Kindheit vorlagen, ist es doppelt unverständlich, warum es nicht die häusliche Gewalt ist, mit der sich die jährliche Präsentation von Gewaltdelikten an erster Stelle und mit viel mehr Raum befasst.

„Rauschgiftkriminalität“

Der unprofessionelle Umgang mit den eigenen Erkenntnissen wird bei der jährlichen Präsentation der PKS auch immer wieder im Deliktbereich Drogen erkennbar, der nach wie vor unter dem desinformierenden Begriff „Rauschgiftkriminalität“ abgehandelt wird. Zwar werden in Nordrhein-Westfalen keine 10 Prozent der Verurteilten wegen Delikten nach dem Betäubungsmittelrecht in die Gefängnisse geschickt. Aber durch die Sozialarbeiter und die Ärzte in den Gefängnissen ist bekannt, dass z.B. im Jugendbereich 50 Prozent aller Insassen als drogensüchtig gelten und bei den inhaftierten Frauen über 70 Prozent. Seit Jahrzehnten gilt als sicher, was diese Zahlen Jahr für Jahr mitteilen: eine Abkehr von der repressiven Drogenpolitik hin zu einem an Leidverminderung orientierten Umgang mit den Drogenkranken würde eine drastischen Rückgang von Delikten in fast allen Bereichen bewirken.

Nachdem auch in der Bundesrepublik nach über fünf Jahre andauernden Modellversuchen in mehreren Großstädten bewiesen wurde, dass die Abgabe von Heroin zu einer Stabilisierung der Gesundheit der Drogenkranken und zu einem Rückgang der Straffälligkeit führt, hat auch der Deutsche Bundestag im Sommer 2009 endlich die Zulassung von Heroin als Medikament erlaubt. Dies geschah aber mit so vielen Einschränkungen, dass auch in Köln im Jahr 2009 wieder 43 Drogentote gezählt werden mussten. Wieso wird nicht untersucht, warum diese sieben Frauen und sechsunddreißig  Männer im Alter von 20 bis weit über 50 Jahren in keinem Heroinprogramm waren? Wer ist für ihren Tod verantwortlich? Da auch das Kölner Heroinprogramm mit seinen bald 50 mit künstlichem Heroin behandelten Süchtigen keinen einzigen Drogentoten hatte, müssen die Drogentoten dieselbe Aufmerksamkeit finden wie die Opfer der Tötungsdelikte von Mord und Totschlag. Die Drogenfahnder lernen die Kids kennen, die zum Teil schon als Kinder und  Jugendliche angefixt worden sind. Wieso müssen diese jungen Leute erst ein Jahrzehnt auf den Strich gehen oder stehlen und einbrechen, um sich die Sucht zu finanzieren?

Ganze sieben Zeilen zur Wirtschaftskriminalität

Als die erste CD mit Daten von Steuerhinterziehern auftauchte, haben alle Medien Diskussionen über die Legalität und Legimität des Ankaufs dieser Daten geführt. Über zwei Drittel der Bevölkerung sprachen sich für den Ankauf aus. In der Präsentation der Polizeilichen Kriminalstatistik in den Kölner Medien spielt die Wirtschaftskriminalität keine Rolle. In der 38seitigen Zusammenfassung der PKS für 2009, wie sie am 3.3.2010 im Polizeipräsidium vorgestellt wurde, finden sich unter der Überschrift „Wirtschaftskriminalität“ auf Seite 35 ganze sieben Zeilen. Wieso gibt es keine Journalisten in den Kölner Medien, die dem Polizeipräsidium mitteilen, dass sie nicht länger bereit sind, sich irgendetwas zum Thema Jugendkriminalität anzuhören, wenn das Thema Wirtschaftskriminalität auf sieben Zeilen abgehandelt wird.

Die Stadt Köln versinkt in Schulden und die Kölner Polizei spielt Fangen mit Kindern und Jugendlichen statt das Geld beizubringen und in der Stadt zu halten, das auf illegalen Wegen in den Steueroasen landet. Die Kölner Polizei etikettiert Kinder und Jugendliche mit dramatischen Namen wie „Intensivtäter“ bleibt aber höflich und zurückhaltend, wenn es um die Reichen und Mächtigen geht. Die Intensivtäter zu nennen, hat sich noch kein Polizeipräsident getraut. (PK)

Klaus Jünschke hat zusammen mit Christiane Ensslin und Jörg Hauenstein das Buch „Pop Shop – Gespräche mit Jugendlichen in Haft“ herausgegeben, das im konkret-Verlag erschien: 240 Seiten, gebunden mit zahlreichen Fotos, 20 Euro, ISBN 978-3-89458-254-8. Siehe auch: www.jugendliche-in-haft.de

Online-Flyer Nr. 240  vom 10.03.2010

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