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Kultur und Wissen
Wider den Trend, den politischen Poeten in Watte zu packen – Bremer Lesung
Heinrich Heine – immer noch gefährlich?
Von Hans Metzler

„Man kann meine Bücher verbrennen, meine Worte ausmerzen – ich bin überall angeeckt und ausgestoßen, aber – eines kann man mir nicht nehmen: die Vernunft, die in diesem Jahrhundert und in diesem Lande eine Rarität ist“, schrieb Heinrich Heine an Georg Cotta. In Bremen und Hamburg sind offenbar auch heute noch einige der Meinung, dass der Dichter gefährlich ist. Dazu dieser Beitrag und ein Hinweis auf eine Bremer Lesung mit Rolf Becker am 6. März in der Friedenskirche. – Die Redaktion


Heinrich Heine - gemalt 1831 von Moritz
Daniel Oppenheim
Quelle der Bilder: Donat-Verlag
8. Mai 2008. Anlässlich des 75. Jahrestages der Bücherverbrennung in Deutschland hat der Arbeitskreis „Bücherverbrennung – nie wieder!“ in Hamburg verschiedene Veranstaltungen organisiert. Auf dem Rathausmarkt liest der bekannte TV- und Theaterschauspieler Rolf Becker – direkt neben dem Heinrich Heine-Denkmal – Texte des von den Nazis verbotenen Dichters. Genau in dem Moment, als Becker aus einem Brief Heines an seinen Verleger Georg Cotta die Passage zitiert – „Man kann meine Bücher verbrennen, meine Worte ausmerzen, aber eines kann man mir nicht nehmen: die Vernunft, die in diesem Jahrhundert und in diesem Lande eine Rarität ist“ – prügelt der „große, kräftige“ Wilhelm Rahlfs, 1970-1974 für die FDP in der Hamburgischen Bürgerschaft und 1987-1991 Hamburgs Wirtschaftssenator, mit seinem Gehstock von hinten auf den Heine-Rezitator ein. Becker ist geschockt, muss die Lesung unterbrechen und erstattet später Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung. Obwohl ihm der Ungeist des Schlägers ein Gräuel ist, will er sich einer friedlichen Einigung nicht verschließen. Rahlf zahlt als Geldauflage im Rahmen der Einstellung des Strafverfahrens an die Staatskasse 5.000 Euro und weitere 5.000 Euro an Becker, der den Betrag dem Auschwitz-Komitee zur Verfügung stellt. Der Arbeitskreis „Bücherverbrennung – nie wieder“ kommentiert: „Der deutsche Dichter Heinrich Heine provoziert auch im Jahre 2008 noch zu Prügelattacken!“


Rolf Becker - Schauspieler und Heine-
Rezitator
21. Juni 2008. Der Bremer Verleger Helmut Donat stellt die Mittsommernacht in seinem Stadtteil Borgfeld ganz in das Zeichen Heinrich Heines. Rolf Becker hat sich als Rezitator zur Verfügung gestellt, muss aber absagen. Horst Breiter übernimmt kurzfristig den Part von Becker und trägt dessen ausgewählte Texte vor. In ihrem Grußwort schildert die 96-jährige Schwedin Sonja Sonnenfeld, 1914-1938 in Berlin lebend, ihre besondere Beziehung zu Heine. Donat selbst spricht – wie auf dem Plakat angekündigt – über „Heinrich Heine: Borgfeld, ein Sommermärchen?“ und erinnert u.a. daran, mit welch fadenscheinigen Argumenten und autoritären Mitteln politische Amtsträger Borgfelds es Ende 1992 ablehnten, politisch Verfolgten Asyl zu gewähren. Schon nach wenigen Minuten scharren einige mit den Füßen, machen ihrem Unmut Luft und verlassen mit mehr oder minder lautstarken Zwischenrufen das Gelände. „Wir wollen Heine!“ – geben sie vor und sind enttäuscht, nicht sogleich den Liebeslyriker vorgeführt zu bekommen. Von Asyl, politischer Verfolgung sowie der Kritik des Dichters an provinziellen bzw. spießbürgerlichen  Haltungen wollen sie nichts wissen. Der Spiegel, den Heine dem deutschen Bürger des 19. Jahrhunderts vorgehalten hat, erweist sich offenbar auch im 21. Jahrhunderts nicht als blind.

Jochen Mangelsen, einst Pressesprecher von Radio Bremen, bringt den Konflikt auf den Punkt: „Die Heine-Rezeption in Deutschland ist ja sehr zwiespältig: Mehr und mehr gilt Heinrich Heine heute den deutschen Lyrik-Freunden als Romantiker, sie packen den politischen Poeten in Watte und machen ihn damit allseits kompatibel. In diese Heine-Falle ist [die Borgfelder] Veranstaltung nicht getappt ... Die Textauswahl der Heine-Gedichte wie der friedensbewegten Gedichte der Autoren des Donat Verlages haben mir einen Heine wieder nahe gebracht, wie ich ihn in meinen Sturm-und-Drang-Zeiten lieben gelernt hatte. Es wundert mich nicht, wenn etliche Zuhörer gegangen sind: Sie werden sich erschrocken haben über einen ziemlich unziemlichen deutschen Dichter ... Aber wer heute einen ehrlichen Heine-Abend veranstaltet, muss wohl mit solchen Reaktionen rechnen.“


Heinrich Heine-Denkmal in Bremen

Oktober 2009. In Bremen gibt es Streit um den Standort für ein von Waldemar Grzimek geschaffenes, dreieinhalb Meter hohes Heine-Denkmal. Die Stifter – unter ihnen Ehrenbürger Uwe Hollweg und der Bauunternehmer Klaus Hübotter –, Bürgerschaftspräsident Christian Weber und Landesdenkmalpfleger Georg Skalecki sind sich einig: Heine gebührt ein Platz vor der Bürgerschaft. Doch das lehnt der Landesbeirat für Kunst im öffentlichen Raum und Künstlerförderung ab, wie der Weser-Kurier am 23.10.2009 berichtet. Denkmal ja, aber nicht an diesem Ort – und verhält sich wie hundert Jahre zuvor, als man dem Dichter nach reichlichem Hin- und Hergezerre schließlich eine Bank im Bürgerpark widmete.

Die Grünen setzen mit ihrer kulturpolitischen Sprecherin Karin Krusche noch eins drauf und sprechen von einer Unvereinbarkeit des Heine-Denkmals mit dem Weltkultur-Ensemble von Roland und Rathaus. Offenbar ist weder Krusche noch den Bremer Grünen die wirkliche Bedeutung Heines klar, über den der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki urteilt: „Ihm ist geglückt, was Europa den Deutschen kaum mehr zutraute: ein Stück Weltliteratur in deutscher Sprache.“ Es fällt schwer, über das alles keine Satire oder kein Spottgedicht zu schreiben.

Eine Chance vertan

Noch bevor sich der Streit ausweitet, einigt man sich darauf, das Denkmal in den Wall-Anlagen, zwischen der Kunsthalle und der Kreuzung vor der Stadtbibliothek, aufzustellen. Dort fahren viele Autos vorbei, Menschen sieht man in diesem Teil der Wall-Anlagen eher selten. Statt den Politikern im Bremer Parlament auf die Finger zu schauen, darf Heine nun seinen Blick gelangweilt auf den Verkehr richten. Unheil kann er da wohl nicht mehr stiften. Und schon sind alle wieder zufrieden. Die Chance, mit dem Denkmal ein Zeichen zu setzen und damit an herausragender Stelle ein Gegengewicht zu dem Blut- und Eisenpolitiker Bismarck neben dem Dom zu etablieren, ist vertan worden.

Doch der unrühmliche Umgang mit dem Dichter ist nichts Neues. Erinnert sei an die Ächtung der Schriften Heines während des Faschismus in Deutschland, an das langjährige Weigern der SPD in Nordrhein-Westfalen, die Düsseldorfer Universität nach dem bedeutendsten Sohn der Stadt zu benennen, oder – wie in Bayern noch bis Anfang der 1970er Jahre geschehen – Gedichte von Heine wie die „Loreley“ mit Verfasserangaben „Unbekannter Dichter“ oder „Aus dem Volksmund“ zu versehen. Und längst ist es heute – wie schon Anfang des letzten und vorletzten Jahrhunderts – wieder üblich, den Heine der „Gartenlaube“ auf sogenannten Heine-Events darzubieten, wie etwa vor wenigen Jahren im Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

Gegen diesen Trend wendet sich am 6. März um 19.30 Uhr die Veranstaltung "Und Deutschland? Ich weiß nicht…“ Rolf Becker liest Heinrich Heine in der Friedenskirche (Humboldtstraße 175). Mit der Textfolge "Dichter unbekannt“ soll vor allem der unterschlagene, politische  Heine vorgestellt werden. Veranstalter sind die Ev. Friedensgemeinde, die Buchhandlung Leuwer und der Donat Verlag.
Eintritt: 10 € (Ermäßigt: 8 €) – Kartenvorverkauf in der Friedensgemeinde (Tel.: 74242), Humboldtstr. 175, der Buchhandlung Leuwer, Am Wall 175 (Tel.: 321828) und dem Donat Verlag, Borgfelder Heerstr. 29 (Tel.: 1733107) (PK)

Online-Flyer Nr. 238  vom 24.02.2010

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