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Lokales
SPD will ihr Scheitern in der „Arbeitsmarktpolitik“ als Erfolg verkaufen
Das „Kölner Modell“
Von Hans-Dieter Hey

„Schwarz-Gelb zerschlägt die wirksamen Strukturen des ‚Kölner Modells‘, das bundesweit einmal beispielgebend war“. Mit diesem Satz hat die Kölner SPD am 4. Februar Gäste zum Gespräch „Arbeit für Köln“ geladen. Dabei vertraut sie offenbar auf die Vergesslichkeit ihrer Wähler und hat vorsichtshalber auch keine Kritiker eingeladen. Denn das „Kölner Modell“ war alles andere als erfolgreich für die Betroffenen, sondern leitete das größte sozialpolitische Desaster nach dem Zweiten Weltkrieg ein.
 
Schleifen des Sozialstaats
 
Nach einigen anklagenden Sätzen zur „Arbeitsmarktpolitik“ der schwarz-gelben Regierung lässt in der bunten Einladung Peter Welters, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Köln, über den fröhlichen Gesichtern der Kölner SPD-Ratsmitglieder Jochen Ott und Martin Börschel dann aber doch die Hosen runter: „In Köln ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen deutlich höher als in anderen Regionen.“ Da fragt man sich: War das schon mal anders? Und man fragt sich, was an dem „Kölner Modell“ so modellhaft sein soll.
 
Zur Aufklärung muss man einige Jahre zurückgehen. Mit dem Start des Projektes „Kölner Modell“ im Jahre 1999 ging es nur angeblich um das Ziel, gegen die wachsende Jugendarbeitslosigkeit vorzugehen. Hintergrund war – als Pilotprojekt für ganz Deutschland – Jugendlichen während kontinuierlich

Einladung "SPD im Gespräch"
Quelle: SPD Köln
  wachsender Arbeitslosenzahlen ihre bisher grundgesetzlich verbrieften und sozialen Rechte zu beschneiden, um sie genügend unter Druck zu setzen. Das Ziel: Die Stadt Köln wollte Geld sparen. Bis zum Jahr 2002 sparte die Stadt dann auch 20 Prozent der „Hilfe zum Lebensunterhalt“ ein. Während im Grundgesetz festgelegt ist, dass niemand zu einer bestimmten Art von Arbeit oder Beruf gezwungen werden darf, sollte in Köln durch „Menschenversuche“ an Jugendlichen – wie der ehemalige Leiter des Kölner Arbeitslosenzentrums KALZ, Prof. Dr. Thomas Münch, dies einmal nannte – damit begonnen werden, einige sozialstaatlichen Prinzipien zu schleifen.

Was Jahrzehnte als Vorwurf gegen den real existierenden Sozialismus ins Feld geführt wurde, sollte plötzlich in Köln möglich werden: die Einschränkung der Arbeitsplatz-, Berufs- und Ortswahl bzw. des Aufenthaltsortes. Man wollte genügend Druck auf Jugendliche aufbauen, damit sie jede Arbeit, Ausbildung oder Praktika zu allen möglichen Bedingungen akzeptierten. Die freie Arbeitsplatzwahl wurde von den beiden „Theoretikern“ und Grünen-Politikern Manfred Neugroda und Martin Schmitz als reines „Mittelschichtsprivileg“ bezeichnet, das Sozialhilfeempfänger selbstverständlich nicht hätten - so das Forum Sozialhilfe im StadtBlatt 14/01. Neugroda und Schmitz unterstützten gar den „Zwangscharakter“ des „Kölner Modells“ zur Aushebelung von Grundrechten, der für sie die „Erfolgsbedingung für das Projekt“ war (np-Berichte 4/2004). Wozu aber Zwangsmaßnahmen bis zur vollständigen Kürzung der Leistungen, wenn ohnehin nicht ausreichend Arbeits- und Ausbildungsplätze zur Verfügung standen? Jedenfalls freute sich die SPD über die „moralische Unterstützung“ der Grünen.
 
Aus den Augen aus dem Sinn
 
Zu Tausenden wurden Jugendliche in Praktikanten-Projekte wie „Sprungbrett“ oder „JobBörse junges Köln“ gesteckt. Fragwürdige „Arbeitsangebote“ und Praktikantenstellen wurden als „Hilfe zur Selbsthilfe“ deklariert, hatten aber letztlich nichts anderes zum Ziel als „sozialrechtliche Anspruchsvernichtung“, erklärte Prof. Dr. Helga Spindler von der Universität Duisburg-Essen dazu. Schnell wurde das ganze Desaster des Kölner Vorzeige-Modells deutlich: Die Stadt konnte im Jahr 2003 von ihren Projekten nicht einmal sagen, wie viele Jugendliche in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt worden waren.
 
Aber es kam noch schlimmer: Das Kölner Arbeits- und Sozialamt stellte lapidar fest: „Unklar bleibt, womit sie ihren Lebensunterhalt nach dem Ausscheiden sichern.“ Dabei ging es um ein Drittel der Jugendlichen, die plötzlich in der Kölner „Spezialstatistik“ nicht mehr auftauchten. Es fehlte komplett die wissenschaftliche Evaluierung. „Etwa 40 Prozent der Jugendlichen wurden aus dem Sozialhilfesystem gekippt, ohne dass jemals ihr Rechtsanspruch auf Sozialhilfe geprüft werden konnte oder dass sie Gelegenheit zu Widerspruch oder Klage gegen den Entzug von Sozialhilfe gehabt hätten“, so das Erwerbslosenforum Deutschland am 17.1.2008.
 
Wie Helfer helfen
 
Unterstützer bei diesem Paradigmen-Wechsel in der Kölner Sozialarbeit waren dabei auch Träger der Wohlfahrtspflege, insbesondere auch kirchliche Einrichtungen wie Diakonie und Caritas. Während sie früher als „politische Feuerwehr der Schäden, die durch die Übergriffe des Kapitalismus hinterlassen werden“ (trend 5/07) glätten durften, scheinen sie heute deutlich zu Handlangern des Kapitals und einer gnadenlosen Sozialpolitik zu werden. Der Wandel dieses Berufsethos sozialer Arbeit wird heute beschönigend als „neosoziale Programmierung Sozialer Arbeit“ bezeichnet (np-Berichte 4/2004). Seit dem ist wohl „Die emanzipatorische Seite der Helferberufe (ist) nicht mehr gefragt“, so Helga Spindler in Soziale Psychiatrie 3/2008.
 
Allmählich wurde das ganze System als eine massive Verletzung bisheriger sozialstaatlicher Fürsorgeverantwortung und -verpflichtung für die heranwachsenden Menschen deutlich. Gleichzeitig war es eine Vorschau auf das, was noch kommen sollte: Hartz IV mit der völligen Unterwerfung aller Erwerbslosen unter den neoliberalen Marktradikalismus. Noch am 26. August 2004 schwadronierte der damalige Kölner Sozialamtsdezernent Arnd Schwendy, maßgeblich an der Umsetzung der Kölner Projekte beteiligt: "Wir Sozialdemokraten in Köln brauchen wegen Hartz IV nicht in Sack und Asche zu gehen, denn wir haben gezeigt, wie das positiv umzusetzen ist." Wohl auch dafür erhielt er im November 2008 den Rheinischen Ehrenpreis für Soziales Engagement von Dr. Jürgen Wilhelm, dem Vorsitzenden der LVR-Landschaftsversammlung, überreicht.


Rief  "bahnbrechende Modelle" der "Umstrukturierung der Sozialhilfe" ins
Leben: Arnd Schwendy | Foto: Martina Krause, LVR

Was dann kam, war alles andere als positiv, wie in den letzten Jahren häufig zumindest in kritischen Medien berichtet wurde. Mit dem Sozialdemokraten Schröder wurde der autoritäre bismarcksche Fürsorge- und Suppenküchenstaat wieder etabliert. Steigende Zahlen öffentlicher Suppenküchen, Sozialkaufhäuser und Kleiderkammern – vor allem kirchlicher Einrichtungen – liefern auch in Köln Zeugnis dafür. Erwerbslose werden längst ohne Scham von den Mitarbeitern der Arbeitsagentur darauf verwiesen. Schröders SPD-Grünen-Koalition hatte mit Hartz IV und Agenda 2010 massiv sozial- und rechtsstaatliche Prinzipien geschleift, die Gewerkschaften an den Rand ihrer Existenz gebracht und das Hungerlohnprinzip in Deutschland eingeführt.

Am 28. Januar 2005, auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos, erklärte Gerhard Schröder stolz: „Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“ Inzwischen haben ca. 25 Prozent der Beschäftigten in Deutschland Niedrig- und Niedrigstlöhne, und es existieren 1,3 Millionen sogenannte „Aufstocker“, die so wenig verdienen, dass sie Hartz-IV bekommen müssen. Das allein kostet den Steuerzahler rund 9 Milliarden Euro im Jahr, die so als verdeckte Subventionen in die Taschen der Unternehmer fließen. Natürlich verursacht all das darüber hinaus einen unglaublichen Druck auf die „Normalverdiener“.
 
Merkwürdige „Erfolge“
 
Diese „Arbeitsmarktreformen“ haben außer Senkung staatlicher Fürsorgeleistungen, prekärer Beschäftigung und verlogenen Arbeitsmarktstatistiken den Menschen nichts Positives gebracht. Sie wurden mit Hilfe eines perfiden Druck- und Überwachungssystems durch den sozialdemokratischen Basta-Kanzler Schröder mit Hilfe von CDU/CSU und Grünen durchgesetzt, wobei man Erwerbslose existenziell bis zur Obdachlosigkeit unter Druck setzt und die Gesellschaft tief gespalten hat. Man scheute sich nicht einmal, Maßnahmen wie 1-Euro-Jobs oder dem Arbeitsdienst ähnliche Tätigkeiten mit Zwangsarbeitscharakter aus der Zeit nach der Weimarer Republik und zu Beginn des Faschismus einzuführen. Teilweise ist Hartz IV nun auch offiziell verfassungswidrig und muss demnächst korrigiert werden, was die Festlegung der Regelsatzhöhe und die Organisation der JobCenter angeht.
 
Seit die SPD ihre neoliberale Sozialpolitik mit kräftiger Unterstützung von Lobbyisten wie der Bertelsmannstiftung und Arbeitgebern ausschließlich zu Gunsten des Kapitals erledigt hat, gilt sie wieder als Partei der Arbeiterverräter. Deshalb hat sie seit 1998 bundesweit die Hälfte ihrer Mitglieder eingebüßt und bei Wahlen rund 10 Millionen Stimmen verloren.
 
Das alles soll offenbar in Köln nun auch noch weiter gehen. Aus gut unterrichteter Quelle wurde jetzt bekannt, dass Erwerbslose, deren Wohnungskosten höher sind, als die gesetzlich festgelegten, ihre Wohnungen verlassen sollen. Durch „ausgelagerte“ ehemalige Beschäftigte der Kölner Arbeitsagentur nach Köln-Kalk will man – so unsere Quelle – genügend Druck auf Bewohner aufbauen, um sie beispielsweise zum Umzug nach Köln-Höhenhaus „zu überreden“. Da solche „Umzüge“ nicht ganz freiwillig stattfinden dürften, soll eine perfide Methode zum Tragen kommen: Der Lohn der ehemaligen ARGE-Beschäftigten soll ihrem „Erfolg“ entsprechen. Und die Messlatte kann nur sein, wie viele Erwerbslose mehr oder weniger freundlich aus ihren Wohnungen gedrängt werden.

Dieser Druck zur „Verbringung“ beispielsweise in einen Ortsteil wie Höhenhaus wird die Sozialproblematik dort weiter erhöhen und die Ghettoisierung vorantreiben. Bis zum Jahr 2011 will man diese Aktion beendet haben. Das Ganze klingt gefährlich nach Deportation. Folgt man dem Wörterbuch wikipedia, fallen unter den Begriff Deportation Teil- oder Totalverluste der gesetzlichen Rechte „von Personen, die zwar keine Straftaten begangen haben, deren Verbleib vor Ort jedoch nicht erwünscht ist.“ Deportation ist allerdings völkerrechtswidrig, aber vielleicht fallen ja auch hier die Hemmungen irgendwann.
 
Besucher der Veranstaltung am Donnerstag können wirklich gespannt darauf sein, wie Jochen Ott und Martin Börschel das „Kölner Modell“ positiv verkaufen wollen, das ein Vorbild für die seit Jahren anhaltenden sozialstaatlichen Verwerfungen war. In der Einladung wird übrigens auch der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD, Martin Schulz, zitiert: „Kölner Sozial- und Arbeitsmarktpolitik muss in Köln entwickelt werden“. So, wie Sozialpolitik in der Vergangenheit in Köln inszeniert wurde, könnte man das als Warnung oder – je nach dem, wer gemeint ist – als Drohung auffassen. (PK)

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Weiterführende Informationen:

- Zu den "Menschenversuchen siehe auch: "Roland Berger soll ausziehen!", NRhZ v. 17.10.06:

- Jendrick Scholz in "Neue Praxis", np-Bericht 4/2004

- Prof. Dr. jur. Helga Spindler u.a.:

Rechtsverweigerung, Ausgrenzung und fragwürdige Erfolge in vielen hundert Fällen - Die Ergebnisse aktivierender Beschäftigungsförderung durch die JobBörse Junges Köln und die beauftragten Sprungbrett- Träger, 2003   
 
Arm trotz Arbeit, Vortrag zum landesweiten Aktionstag „Armut bedroht alle“ der Liga der freien Wohlfahrtspflege Baden-Württemberg am 15. Oktober 2009 in Waiblingen und in Backnang

Kleine Schritte verändern den Sozialstaat. In: Wolfgang Gern / Franz Segbers (Hrsg.) Als Kunde bezeichnet, als Bettler behandelt. Erfahrungen aus der Hartz IV-Welt, VSA Hamburg, 2009, S.107-117

sowie:

Fördern und Fordern- Perspektivenwechsel im sozialstaatlichen Handeln : 
Aus: Forum Jugendsozialarbeit, Bestandsaufnahme und Perspektiven für Niedersachsen, Andrea Grimm (Hrg.) , Loccumer Protokolle 24/02 , Rehburg – Loccum 2003, S. 121- 134


Online-Flyer Nr. 235  vom 03.02.2010

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