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Aktueller Online-Flyer vom 05. Mai 2024  

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Kultur und Wissen
"Geh doch mal hin!"
Armenier in der Türkei vor 100 Jahren
Von Elen

Köln, Sa., 8.4. 06

Lieber Freund, stell Dir vor, Du gehst in eine Ausstellung und stellst fest, vor 100 Jahren haben in Deiner unmittelbaren Nachbarschaft Sumerer oder meinetwegen Chinesen gewohnt.


Auf den Bildern siehst Du Kirchen, Schulen,
Werkstätten und Menschen, die das Stadtbild von
damals prägten und von denen Du heute keine Spur
mehr findest. Dabei nahmen sie ganz
offensichtlich am gesellschaftlichen Leben rege
teil, ja, in so manchem Handelszweig oder
Handwerk hatten sie die Nase vorn.

Ausstellungseröffnung Köln-Lindenthal
Ausstellungseröffnung Köln-Lindenthal
Copyright: Kulturforum TR/D
Foto: Rolfjörg Hoffmann


So oder ähnlich muß es den Istanbulern gegangen sein, als
sie im vergangenen Jahr in der Fußgängerzone
Istanbuls in die Ausstellung Sireli Jeghpajrs ("Lieber Bruder") des
Kurators Osman Köker gingen. 600 Besucher sollen
in der ersten Woche in die Ausstellung geströmt
sein, ein Gedränge wie auf dem Jahrmarkt. 
Kein Wunder, angesichts der ausgestellten Postkarten,
die das Leben der osmanischen Armenier
darstellen, fragt man sich, wo sind sie
geblieben, die mehr als eine Million Armenier in der
Türkei (heute leben noch ungefähr 65000 dort) -
in den türkischen Geschichtsbüchern findet man
darüber wenig.

Dafür wird man in deutschen Archiven fündig. Botschafter Wolf-Metternich
berichtete an den deutschen Reichskanzler
Bethmann Hollweg von der Vertreibung und
Ermordung der Armenier durch die türkische
Regierung. Die Aufrechterhaltung des Bündnisses
zur Türkei während des WK I. war jedoch
wichtiger als das Leben der Armenier in
Anatolien. In der Bundestagsdebatte am 21. April
2005 beschäftigte sich erstmals die deutsche
Politik auch mit der deutschen Verantwortung im
Zusammenhang mit dem Völkermord an den Armeniern 1915/16.

Das KulturForum TürkeiDeutschland
(http://www.das-kulturforum.de) und die
Deutsche-Armenische Gesellschaft haben die
Ausstellung jetzt nach Köln geholt, in die
Kunsthalle Lindenthal - nun ja, man muß sich an
den Ausstellungsraum gewöhnen. Die Bezirkschefin
sagt selbst, sie hätten den Raum, der als Kantine
vorgesehen war, besetzt, um ihn mit Kultur zu
füllen. Dem entsprechend bescheiden ist die
Ausstattung und ich kann Dir nur empfehlen, in
der Dämmerung hinzugehen, damit Du bei der
spärlichen Beleuchtung auch was siehst -
allerdings, wenn sich Deine Augen eingewöhnt
haben, wirst Du reich belohnt. Die Postkarten sind
nach geographischen Regionen geordnet, und
liebevoll werden die jeweiligen Besonderheiten
der einzelnen Regionen beschrieben, so daß am
Ende ein recht detailliertes Bild des armenischen
Lebens in Anatolien entsteht.

Armenische Schule in Adana
Armenische Schule in Adana
Quelle: www.ntvmsnbc.com


Unterstützt wurden die Ausstellungsmacher
u.a. von Heide Rühle und Cem Özdemir, der in
seiner Rede zur Eröffnung von den grausigen
Ereignissen nur in der dritten Person sprach: 
"Eines Tages wird man vor dem türkischen Parlament
davon sprechen, was ... 1915 geschehen ist", und
er zählte all die Repressalien gegen
nichttürkische Minderheiten in der türkischen
Vergangenheit auf, die der Türkei nicht zum Ruhm
gereichen, 1977, 1964, 1955 und eben auch 1915.

Armenisches Viertel in Izmi
Armenisches Viertel in Izmi
Quelle: www.yapi.com.tr


Der Verleger und Kurator Osman Köker, der
seine Landsleute vor allem darauf aufmerksam
machen will, daß die Armenier und auch andere
Völker, einen wesentlichen Beitrag zur Gründung
und Entwicklung der Städte beigetragen haben,
schlägt mit der Ausstellung eine Brücke zwischen
der multi-religiösen und vielsprachigen
Gesellschaft von vor hundert Jahren und der
Gegenwart. Er hat einen wunderbaren Katalog zu
der Ausstellung herausgebracht; ich habe ihn dort
nur in türkischer Sprache gesehen, es soll ihn
aber auch in englischer und deutscher Übersetzung
geben; leider sprengt er mein derzeitiges Budget.
Man kann nicht alles haben. Wenn ich Dich
neugierig genug gemacht habe - ich komme gern
noch einmal mit, wenn Du Dir die Ausstellung
ansiehst.
Beste Grüße
Elen

"Sireli Jeghpajrs - Lieber Bruder" - Armenier in der Türkei vor 100 Jahren - Ausstellung mit Postkarten des Sammlers Orlando Carlo Calumeno

Der Flyer zur Ausstellung kann hier abgerufen werden.

Kunsthalle Lindenthal (Aachener Str. 220, 50931 Köln) noch bis zum 25. April 2006, täglich von 10-18h, Sa + So 14-18h geöffnet.

Ausstellungseröffnung Köln-Lindenthal, Copyright: Kulturforum TR/D, Fotograf: Rolfjörg Hoffmann

Armenische Schule in Adana, Quelle: www.ntvmsnbc.com
Armenisches Viertel in Izmit, Quelle 
www.yapi.com.tr
Für Menschen, die der türkischen Sprache mächtig sind, siehe auch:
http://www.radikal.com.tr/haber.php?haberno=179023
http://www.yapi.com.tr/turkce/haber_detay.asp?NewsID=22236

Die "Stimme Armeniens" (staatlicher Rundfunk)
sendet auf Deutsch: täglich 20.50 h (MESZ) auf
Kurzwelle 4810 kHz und 9660 kHz, auf zweiter
Frequenz gut zu empfangen.

Literatur:
Franz Werfel "Die vierzig Tage des Musa Dagh",
Johannes Lepsius "Der Todesgang des Armenischen Volkes", Tempel-Verlag, Potsdam 1927,
Wolfgang Gust "Der Völkermord an den Armeniern 1915/16", Dokumente aus dem Politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amts, zu Klampen Verlag 2005, ISBN 3-934920-59-4

Geschichte: http://de.wikipedia.org/wiki/Armenien#Geschichte


Online-Flyer Nr. 39  vom 12.04.2006

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