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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Inland
Nicht alle Gate Gourmet-ArbeiterInnen zufrieden mit dem Tarifabschluß
Nach dem Streik ist vor dem Streik
Von Anna Blume

Am Freitag stimmen 61,4 Prozent der Streikenden bei Gate Gourmet, wie gemeldet, für einen Tarifkompromiss. Der sechs Monate dauernde Arbeitskampf - einer der längsten in der Geschichte der Bundesrepublik - soll am 18. April beendet werden.

Gate Gourmet ist mit weltweit 22.000 Mitarbeitenden an 109 Standorten einer der führenden Airline-Caterer der Welt. Das Unternehmen gehört dem amerikanischen Finanzinvestor Texas Pacific Group (TPG). In den Tarifverhandlungen am 3.4. hatten sich die Tarifkommission der Gewerkschaft NGG und die Firmenleitung auf neue Mantel- und Entgelttarifverträge mit dreijähriger Laufzeit geeinigt, die auf einer Streikversammlung diskutiert wurden. In der Urabstimmung stimmten 61,4 Prozent für den Kompromiss, 38,6 Prozent dagegen.

Stimmen aus der Belegschaft

Stimmen aus der Belegschaft am Düsseldorfer Flughafen: "Ich bin mit dem Ergebnis nicht einverstanden. Dafür haben wir nicht ein halbes Jahr hier draußen gestanden. Ich habe mit Nein gestimmt, das können alle wissen." - "Wenn sie es auch in der beginnenden Urlaubssaison geschafft hätten, den Betrieb mit Streikbrechern aufrechtzuerhalten, dann hätten sie uns noch mehr weggenommen. Mehr war einfach nicht drin, und viele hätten den Streik nicht länger durchgehalten." -  "Ich werde da nicht mehr reingehen, ich nehme die Abfindung. Ich will mich da drin nicht versklaven lassen." -  "Wir gehen da jetzt anders rein, als wir raus gegangen sind. Das halbe Jahr Streik hat uns stärker gemacht, wir werden uns da nicht mehr alles gefallen lassen." - Diese wenigen Zitate aus einigen Gesprächen am Streikzelt nach der Urabstimmung zeigen, wie gemischt die Stimmung ist.

Vor der GATE GOURMET-Zentrale in Frankfurt
Vor der GATE GOURMET-Zentrale in Frankfurt
Foto: Arbeiterfotografie



Gewerkschaft: Kein Sieg - keine Niederlage 

Auch die Gewerkschaft NGG versucht nicht, das Ergebnis als einen Erfolg zu verkaufen. Dazu ist die Diskrepanz zwischen Streikziel (4,5 Prozent mehr Lohn) und Ergebnis (etwa 7 Prozent Einsparung bei den Personalkosten) zu deutlich. "Kein Sieg - keine Niederlage" schreibt sie, und: "Klar ist: Ohne Streikbrecher wäre ein anderes Ergebnis möglich gewesen. Aber: Das Tarifdiktat wurde durchbrochen." Statt der von Gate Gourmet und der Texas Pacific Group geforderten zehnprozentigen Kürzung jetzt nur sieben Prozent - der Unmut einiger KollegInnen und die "Bauchschmerzen" der Tarifkommission selber sind verständlich. Denn eigentlich war niemand in den Streik getreten, um dann nur um die Höhe der Verschlechterungen zu streiten. Neben den reinen Zahlen (die wir im Detail noch nicht kennen) ist es vielleicht wichtiger, dass die extreme Flexibilisierung wieder eingeschränkt und z.B. der Anspruch auf freie Wochenenden festgeschrieben werden konnte. Und: Der Betriebsrat konnte mit fünf von acht Sitzen von den Streikenden erorbert werden - auch wenn dieses Ergebnis von GATE GOURMET gerichtlich angefochten wird; es zeigte sich, dass sogar StreikbrecherInnen für die Streikdenden stimmten. 

Ratlosigkeit gegenüber Streikbruch

Das eigentliche Problem liegt in der gewerkschaftlichen Ratlosigkeit gegenüber dem massiven Streikbruch und dem Verhalten der modernen Kapitalisten in Gestalt der Texas Pacific Group. Die NGG hatte sich gründlich verkalkuliert, als sie im Oktober letzten Jahres meinte, mit ein paar Tagen Streik den Multi Gate Gourmet zum Einlenken zu bringen. Der großen ver.di war das von Anfang an klar, und obwohl sie die meisten Gate-Gourmet-Betriebe in Deutschland vertritt und sich selber seit drei Jahren in einem tariflosen Zustand befindet, hielt sie sich mit praktischer Solidarität zurück. Da man befürchte, dass Verhandlungen nur zu einer Verschlechterung führen könnten, vermeide man lieber neue Tarifverhandlungen und wolle erst einmal abwarten, was da in Düsseldorf herauskomme - so der für Gate Gourmet zuständige ver.di-Vertreter am Frankfurter Flughafen. Geholfen hat ihnen diese Zurückhaltung nicht. Denn nun wird Gate Gourmet darauf verweisen, dass sie trotz des halbjährigen Streik noch deutliche Einsparungen durchsetzen konnten, und von ver.di die sofortige Kapitulation verlangen.

Der halbjährige Streik am Düsseldorfer Flughafen hat aber auch gezeigt, dass kollektive Antworten auf die neue Diktatur des Kapitals möglich sind. In diesem langen Streik entwickelte sich eine neue Solidarität unter den KollegInnen, und er war von einem hohen Maß an eigener Aktivität der Streikenden getragen. Immer wieder bestimmten sie selber, wie es weitergehen solle und taten sehr viel dafür, ihren Streik auf Veranstaltungen, durch Teilnahme an Demonstrationen, den Besuch anderer Streikender und den Kontakt zu Unterstützerkreisen bekannt und wirksamer zu machen. Einige hatten die Hoffnung, dass erneute Blockadeaktionen gegen die Streikbrecher zu Beginn der Osterferien noch einmal Wirkung zeigen könnten - dem ist der Tarifabschluss nun zuvor gekommen. Aber nach der Annahme des Ergebnisses war die Firmenleitung noch so besorgt, dass sie ab halb sechs in hektischer Eile LKWs vorbeladen ließ und aufs Rollfeld brachte. Auch die angeheuerte Security soll in den nächsten Tagen weiter das Firmengelände bewachen.

Solidaritätsbesuch: DGB-Chef Sommer
Solidaritätsbesuch: DGB-Chef Somme
Foto:NGG



Der Kampf geht weiter

Als dem neuen Betriebsleiter das Ergebnis der Urabstimmung verkündet wurde, rechnete er schnell nach: wenn 61,4 Prozent zugestimmt haben, dann bedeutet das doch, dass fast 30 Leute mit dem Ergebnis NICHT einverstanden sind. (Insgesamt beteiligten sich 70 Streikende an der Abstimmung, 43 mit ja, 27 mit nein.) Er weiß, was das für ihn bedeutet, um die Leute wieder zur Arbeit zu motivieren - ganz abgesehen davon, wie schwierig es für ihn werden wird, die Risse zwischen Streikenden und Streikbrechern, die demnächst wieder zusammenarbeiten sollen, zu kitten. Die bisher Streikenden werden erst nach Ostern, am 18. April, gemeinsam wieder zur Arbeit zu erscheinen. Als erstes wird auf Vorschlag der Geschäftsleitung eine Betriebsversammlung stattfinden. Der ebenfalls ausgehandelte Sozialtarifvertrag räumt allen bis zum 12. Mai die Möglichkeit ein, den Laden mit einer - nicht sonderlich hohen - Abfindung zu verlassen (pro Beschäftigungsjahr etwa ein halber Monatslohn, bei sofortiger Freistellung). Danach gibt es einen Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis zum 31.3.2009.

Für diejenigen, die am 18. April die Arbeit wieder aufnehmen, wird der Kampf weitergehen. Der Kampf um die Fragen, die zu der geballten Wut auf die Firma geführt haben, die während des ganzen Streiks präsent war. Fragen, die sich in keinem Tarifvertrag regeln lassen: der Kampf um die eigene Würde, der Konflikt um die alltägliche Abpressung der Arbeit und Leistungsverdichtung, um die Zerstörung des sozialen Lebens durch die Ansprüche des Unternehmens. An dieser Front werden sich die Erfahrungen der sechs Monate Streik auszahlen, denn sie haben auch die Menschen verändert. Während früher Missgunst und Konkurrenz unter den KollegInnen es dem Unternehmer und seinen McKinsey-Beratern leicht machten, mehr Arbeit und Flexibilität zu erzwingen, werden sie nun auf eine Gruppe von ArbeiterInnen stoßen, die gelernt haben, welche Kraft aus dem Zusammenhalt entstehen kann.

Auf diesen Kampf wird es nun ankommen. Für die KollegInnen, aber auch für andere Menschen, die den Streik bei Gate Gourmet unterstützt haben, weil sie sich darin mit ihren eigenen Hoffnungen auf kollektive Gegenwehr wieder gefunden haben. Klassenkampf ist nicht nur das große, spektakuläre Ereignis wie ein Streik. Er ist vor allem das alltägliche und oft viel zu verborgene Ringen um das eigene Überleben im Konflikt mit dem Kapital.

Quelle: www.gg-streik.net, weitere Infos: www.ngg.net oder www.iuf.org.


Online-Flyer Nr. 39  vom 12.04.2006

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