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Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

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Arbeit und Soziales
Kaum zu glauben: Deutsche sind fähig zum
„Aufstand“
Von Hans-Dieter Hey

Wer hätte das gedacht! Die Deutschen – ein aufständisches Volk! Die Stiefellecker, Obrigkeitsdiener, willfährigen Ja-Sager und Biedermänner mit der Zipfelmütze, wie sie häufig bezeichnet werden? Der Historiker Alain Felkel aus Köln hat in unserer zweitausendjährigen Geschichte gekramt und gesammelt, was es dazu gibt. Erstaunlicherweise ist er fündig geworden. Mit seinem spannenden, populär-wissenschaftlichen Buch könnten sich viele vom täglichen Fernsehgedusel und der bürgerlichen Geschichtsschönfälschung befreien und dabei Wissen ansammeln. Vielleicht ist das in Zeiten von Agenda 2010 und Hartz IV und seinen Folgen auch sinnvoll. Prädikat deshalb: Lesenswert!

Bürgerliche Geschichtsschreibung

Deutsche Geschichte kommt bei Alain Felkel ganz anders als gewohnt daher. Weniger von Kaiserkrönungen, Feudalhochzeiten oder sonstigen Heldengesängen im Tenor „Uns ist in alten Maeren wunders vil geseit“ ist die Rede, sondern von der Unterdrückung der Menschen und ihrer Fähigkeit, sich mutig gegen die Unterwerfung zu wehren. Ganz anders als Geschichte von Fernseh-Historikern wie Guido Knopp, dessen belangloses Histotainment der bekannte Schauspieler Bruno Ganz kürzlich kritisierte: „In seinen Filmen kommen die Sachverhalte sehr einfach daher und werden auch noch so brav eingesülzt, damit man es auch wirklich gut aufnehmen kann.“

Die Geschichte des Deutschen Volkes ist nämlich – auch wenn die bürgerliche Geschichtsschreibung immer wieder andere Themen in die Köpfe eintrichtert – vor allem eine Geschichte aus Blut und Tränen der unterjochten und gedemütigten Mehrheit und ihrer Verzweiflung. Und wer spricht schon aus, dass gerade wir eine lange „Tradition“ in besonders brutaler Unterdrückung von Völkern haben, inklusive desjenigen im eigenen Land. Wir waren immer ein recht kriegerisches Volk – offenbar bis heute, wie es scheint. Doch lassen wir den Widerstand der germanischen Stämme unter dem Cherusker Hermann gegen die Römer kurz nach Beginn unserer Zeitrechnung, mit denen das Buch „Aufstand“ beginnt, einmal weg. Vergessen wir auch den Widerstand der Sachsen gegen die Christianisierung im 8. Jahrhundert und das furchtbare gegenseitige Abschlachten damals, die Alain Felkel thematisiert.

Der Bauernkrieg

Interessant wird es mit dem Deutschen Bauernkrieg ab dem 15. Jahrhundert. Historisch wohl die erste, wirklich große Aufstand unterdrückter Massen

DDR-Briefmarke: Tübke-Ausschnitt
mit Thomas Münzer
Quelle: Wikipedia
  gegen ihre Peiniger. Im thüringischen Frankenhausen findet man das ausdrucksstarke und größte Panoramabild der Welt: „Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ – 123 Meter lang und 14 Meter hoch. Noch zu DDR-Zeiten wurde es als „Sitten- und Schlachtengemälde“ dem Kunstmaler Prof. Werner Tübke in Auftrag gegeben. Nach der „Wende“ wollten ehemalige DDR-Bürger in ihrer Geschichtsvergessenheit das Gebäude samt Gemälde abreißen lassen. Was war damals los? Gegen Ende des 15. Jahrhunderts traten zunehmend Widersprüche auf zwischen dem verkündeten Humanismus des Christentums und der Lebensrealität der Menschen in Ausbeutung durch Kirche, Papsttum und die Feudalwirtschaft der Fürsten. Hinzu kam der Wechsel von der Naturalwirtschaft zu den Anfängen des Kapitalismus mit seiner Form der Geldwirtschaft. Mit der Macht der Hansen und Syndikate wuchs die Ausbeutung der Menschen, denn die Verherrlichung von Geld und Gold hatte Wucher und Raffgier zur Folge. All das verschlechterte die Lebensbedingungen dramatisch. Wer möchte, mag durchaus Parallelen zur Finanzkrise heute ziehen.

In diese Zeit fiel auch der Abfall vom Papsttum. Die Reformationsbewegung hatte allerdings nicht die Aufhebung der feudalen Verhältnisse zum Ziel, sondern lediglich Veränderungen in der katholischen Kirche. Der Reformator Martin Luther – ein Gegner Thomas Münzers – wollte nicht an der „göttlichen Obrigkeit“ rütteln und forderte die brutale Niederwerfung des Bauernaufstandes: „Darum soll hier zuschlagen, hauen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer nur kann...“ Was dann auch geschah. Ende 1524 wurde Erzherzog Ferdinand von Habsburg vom Kaiser damit beauftragt, den Bauernaufstand endgültig niederzuschlagen.

Heute zeigen sich Nachfahren des Hauses Habsburg gern in Fernsehsendungen wie „Ich trage einen großen Namen“. Friedrich Engels bewertete den Bauernaufstand 1850 so: „Die Zähigkeit und Ausdauer, mit der die Bauern von 1493 an dreißig Jahre lang konspirierten, mit der sie alle aus ihrer ländlich-zerstreuten Lebensweise hervorbringenden Hindernisse einer größeren, zentralisierten Verbindung überwanden und nach unzähligen Sprengungen, Niederlagen, Hinrichtungen der Führer immer von neuem konspirierten, bis endlich die Gelegenheit zum Aufstand in Masse kam – diese Hartnäckigkeit ist wirklich bewundernswert.“  Genutzt hat das Durchhaltevermögen wenig.

Der „Fettmilch-Aufstand“

Interessant auch die weitgehend unbekannte Geschichte des „Fettmilch-Aufstandes“, der Mitte des Jahres 1612 seinen Anfang nahm. Bedeutsam ist dieser Aufstand deshalb, weil er eine Verfassungsreform zum Ziel hatte. Seine Ursache lag in der zunehmenden Machtfülle und in deren Folge ausufernden Korruption, Misswirtschaft und dem Preisdiktat über Getreidespekulation der Patrizierhäuser in der „freien Stadt“ Frankfurt. Die Bürgerinnen und Bürger sowie die Zünfte fühlten sich machtlos den Willkürhandlungen des Frankfurter Rates ausgesetzt und forderten mehr Kontrolle und Mitbestimmung. Verschärfend kam die weitere Entwicklung des Frühkapitalismus durch veränderte Produktionsbedingungen hinzu, die die Zünfte unter Druck setzte. In den neuen Produktionsstätten wurden Frauen eingesetzt, die für die Hälfte arbeiteten. Die Krise folgte auf dem Fuße. Löhne sanken, die Preise stiegen und die Verschuldung der Stadt Frankfurt ebenfalls. Gnadenlos trieb die Stadt Steuerschulden auch bei den Ärmsten ein, und die Lage verschärfte sich zusehends. Die Mittelschicht erodierte.

1610 hatte die Armut derart zugenommen, dass die Stadt für Bettler und das „Lumpenproletariat“ einen Zwinger und ein Arbeitshaus baute. Bittschriften

Zeitgenössische Darstellung:
Fettmilch, Gerngroß, Schopp
Quelle: Wikipedia
  und Proteste eines neu gegründeten Bürgerausschusses nützten nichts und auch Vereinbarungen mit dem Rat und mit Kommissaren des Kaisers wurden immer wieder hintergangen. Seit 1613 radikalisierte sich die Situation. Mehrfach wurde der Frankfurter Römer besetzt, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Schließlich kam es zu einem neuen Bürgervertrag, der allerdings in allen Punkten vom Rat und von Vertretern des Kaisers wieder ausgehebelt wurde. Am 13. Mai 1614 knallte es dann: die Frankfurter Revolution begann. Vinzenz Fettmilch wurde ihr Anführer, nebst den Revolutionären Conrad Gerngroß und Conrad Schopp.

Teil dieser sozialen Revolution war leider auch die Vertreibung der Juden aus der Judengasse in Frankfurt. Sie hatte man fälschlicherweise mit für die Situation verantwortlich gemacht. Juden war es zum Beispiel nicht erlaubt, ein Handwerk auszuüben. Sie durften sich nur als Bettler, Lumpensammler, Trödler oder Geldverleiher betätigen. Weil der Kreditbedarf in der Krise stieg, musste man sich bei ihnen verschulden. Zwar hatten nichtjüdische Geldverleiher die gleichen Zinssätze, doch machte man Juden zum Sündenbock und jagte sie aus der Stadt. Die antijüdischen Ausschreitungen waren ein willkommener Anlass für den Kaiser, die Revolution 1614 brutal niederzuschlagen. Denn Juden standen unter dem Schutz des Deutschen Kaisers. Vielen Revolutionären, unter ihnen Vinzenz Fettmilch, wurde der Kopf abgeschlagen. Kaiser Leopold I, auch er wieder aus dem Hause mit dem „berühmten“ Namen Habsburg, bestimmte nicht nur seinen Tod, sondern auch die Zerstörung seines Familienanwesens. Für die Frankfurter war die Niederschlagung ein Desaster, denn nun blieb alles beim Alten.

Die 48er Revolution

Im Jahre 1893 fiel der Dichter Gerhart Hauptmann beim Deutschen Kaiser Wilhelm II – diesmal mit dem „berühmten Namen“ des Hauses Hohenzollern – in Ungnade. Er hatte es gewagt, die sozialen Missstände um 1840 herum in seinem Sozialdrama „Die Weber“ aufzuführen. Es wurde zu einem großen Erfolg – bis heute. In vielen Einzelheiten beschreibt Alain Felkel die Not der schlesischen Weber, die durch die modernen Produktions- und Handelsmethoden zu den niedrigsten Löhnen Europas gezwungen wurden. Einem gewissen Graf Yorck von Wartenburg machte folgende Äußerung damals keine Probleme: „Lasst einige 50 bis 60.000 verhungern, hier ist nicht anders zu helfen, die übrigen werden dann Arbeit haben im Gebirge, oder sie müssen in Gegenden verpflanzt werden, wo wir noch Hände brauchen.“ Damals wurde das Kampflied „Blutgericht“ gesungen, in dem es unter anderem hieß:

                         Ihr Schurken all, ihr Satansbrut,
                         ihr höllischen Dämone,
                         ihr fresst der Armen Hab und Gut,
                         und Fluch wird euch zum Lohne.

Karl Marx sah in den Weberaufständen als Folge des Frühkapitalismus Vorboten der kommenden Revolution und Friedrich Engels äußerte in Erinnerung an den Bauernaufstand: Drei Jahrhunderte sind seitdem verflossen, und manches hat sich geändert; und doch steht der Bauernkrieg unsern heutigen Kämpfen so überaus fern nicht, und die zu bekämpfenden Gegner sind großenteils noch dieselben. Die Klassen und Klassenfraktionen, die 1848 und 49 überall verraten haben, werden wir schon 1525, wenn auch auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe, als Verräter vorfinden.“ .

Als die Steuern für Grundnahrungsmittel stiegen, die Pressezensur eingeführt wurde und die staatliche Überwachungspolitik überhand nahm, wuchsen die Proteste, die sich zur Revolution ausweiteten und 1849 ihren Höhepunkt hatten. In der Niederschlagung dieser Revolution taten sich vor allem die preußischen Truppen aus Sachsen in ihrer ganzen Brutalität hervor, die in einem wahren Blutrausch nicht einmal vor Leichenschändungen halt machten.

Am 1. Juli 1848 beschwerte sich die ‚Neue Rheinische Zeitung‘ über die Berichterstattung von Jusepp Dumonts ‚Kölnische Zeitung‘ (Vorgängerin des ‚Kölner Stadtanzeiger‘): „Dieses merkwürdige Blatt verwandelt den Kampf zwischen zwei Klassen in den Kampf zwischen den Honetten und den Spitzbuben! Braves Blatt! ...Es ist dasselbe Blatt, das zuerst bei dem Gerücht des Aufstandes seine gänzliche Unwissenheit über den Charakter des Aufstandes gestand, dann sich von Paris aus schreiben lassen musste, es handle sich um eine wichtige soziale Revolution, und schließlich...in dem Aufstand nichts anderes sieht als den Kampf  ‚der unermesslichen Majorität‘ gegen eine ‚wilde Rotte‘ von ‚Kannibalen, Räubern und Mördern‘“.

Im Zuge der Revolution wurde am 9. November auch der Kölner Robert Blum ermordet. Über ihn berichtete die ‚Kölnische Zeitung‘ am 22. November 1848: „Robert Blum hat in Wien keine Lorbeeren geerntet ... Er sprach nämlich auf

Hinrichtung des Kölner
Revolutionärs Robert Blum
Quelle: Wikipedia
der Aula von dem innern Feinde der Zaghaftigkeit, des Mangels an Mut und Ausdauer; sollte es aber außer diesem innern Feinde auch andre geben – er hoffe, es gebe deren nicht – oder sollten noch Leute in der Stadt existieren, die den Sieg des Militärs lieber wollten als den Sieg der Freiheit, so müsse sich der Vernichtungskampf gegen die Scharen vor der Stadt mit scharfer Waffe auch gegen sie kehren ...Hat Herr Blum diese Worte gesprochen, dann hat er, wir sagen es unumwunden – sich entehrt.“

Damals rächte sich jedenfalls bitter, dass das angepasste Bürgertum der Revolution in den Rücken fiel. Dies führte nämlich zur Blockbildung zwischen Bourgeoisie und Junkertum und ebnete damit den Weg zu Bismarck und der Reichsgründung auf der Basis preußischer Bajonette. Am Ende dieses Weges stand 1933 die blinde deutsche Unterstützung von Terror und den Raubkriegen des Hitler-Faschismus.

Die Revolution 1918/19

Zuvor, zwischen 1914 und 1918, wurden die Menschen noch zur Führung des Ersten Weltkriegs missbraucht. In dieser Zeit wurde das „Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst“ erlassen, der sie zum Arbeitsdienst als erste moderne Zwangsarbeit verpflichtete, während die Großindustrie vom Kaiser großzügige Unterstützung erhielt. Auch hier wieder ein Bogen zur Gegenwart. Schnell breiteten sich Hungersnot, Krankheiten und Epidemien aus, die Alain Felkel ausführlich beschreibt. Der Hass auf die bürgerlichen

Denkmal in Berlin: Revolutionärer
Matrose der Novemberrevolution
Foto: Vattkoppa/Wikipedia
Schichten stieg, als diese ihre Wertgegenstände gegen Nahrungsmittel eintauschten, während die Arbeiter ihren beißenden Hunger nicht stillen konnten. Weitere Freiheiten der Bürger wurden eingeschränkt, so dass die revolutionäre Stimmung wuchs. Mit zahlreichen Protesten, mit Plakaten wie „Frieden!“, „Brot“ oder „Freiheit“ wurde die Abdankung des Kaisers verlangt. Überall im Lande hingen schon die roten Fahnen, und Anfang November 1918 nahmen die Aufstände von Matrosen in Kiel und Wilhelmshaven revolutionäre Ausmaße an mit der Folge, dass der Kaiser vom Reichskanzler Max von Baden schlichtweg abgedankt wurde. Wenig später wurde durch den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann eigenmächtig die Republik ausgerufen, ohne dass er hierzu legitimiert war. Selbst Friedrich Ebert (SPD) – mitverantwortlich für die spätere Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknecht – erboste das.

Scheidemann zog sich damit vor allem den Zorn der Linken mit Karl Liebknecht an der Spitze zu, der eine sozialistische Republik gründen wollte. Eine von ihm einberufene Rätekonferenz versuchte Ebert mit Hilfe des kaiserlichen Militärs zu verhindern. Damit war der Weg verbaut, die Deutschen über ihre Entwicklung entscheiden zu lassen. Es begann der Kampf, ob Deutschland eine basisdemokratische Räterepublik oder eine parlamentarische Demokratie wurde. Auf der „Opferliste“ der Revolution – so Alain Felkel – stand der Sozialismus mit den ermordeten Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Kurt Eisner oder Hugo Hasse durch die ultrareaktionären Freikorps, „die im Sold von Großkapital, preußischem Junkertum und der parlamentarischen Demokratie standen“. Felkel kritisiert mit Recht, dass die für Deutschland so wichtige Novemberrevolution von 1918 aus der Diskussion verdrängt wurde, während die sogenannte „Reichskristallnacht“ vom November 1938, die Proteste der 68er Revolten und der Mauerfall vom November 1989 im Gedächtnis blieben. Aber gerade die Novemberrevolution von 1918/19 habe „die deutsche Gesellschaft am nachhaltigsten verändert“, weil man sich von Kaiser- und Junkertum befreite.

Trotzdem werde daran aber nur „kläglich“ mit einigen Denkmälern erinnert, im Gegensatz dazu die zahlreichen Standbilder von Bismarck. Alain Felkel: „Gegen diese ungebrochene Verherrlichung konservativer oder gar reaktionärer Politiker und Monarchen hat der Umgang mit den unbekannten Helden der Novemberrevolution fast etwas Verschämtes.“

Der Aufstand vom 17. Juni


Felkel schließt sein Buch mit den Aufständen des 17. Juni und der Wende 1989 in der DDR. Anfang der 1950er Jahre machte sich in der damaligen

Sowjetische Panzer 1953
Quelle: Bundesarchiv
DDR Lebensmittelknappheit breit, weil staatliche Gelder für die Entwicklung von Wohnungen und der Industrie, die nach dem Krieg von Russland fast völlig abgebaut wurde, zur Verfügung gestellt werden mussten. Zudem mussten an Russland über viele Jahre höchste Reparationen geleistet werden. Es gab auch keinen Marshall-Plan für den Aufbau wie im Westen, der zudem äußerst expansiv in seinen Militärausgaben war. Auch hier waren von der DDR Anpassungen notwendig. Die Abwanderung vieler Arbeiter und Angestellten in den Westen stellte die DDR zusätzlich vor große Entwicklungsprobleme. Im Grunde handelte es sich weitgehend um Kriegsfolgen, die von der DDR allein „wieder gut gemacht“ werden mussten. Doch verzweifelte Hilferufe Walter Ulbrichts an Russland um finanzielle Unterstützung blieben ungehört. Die Stimmung verschlechterte sich, in deren Folge auch die staatlichen Repressionen zunahmen.

Mit einer Erhöhung der Produktivität unter anderem durch Erhöhung der Arbeitsnormen wollte die damalige Regierung den Problemen begegnen. Am 14. Juni 1953 erschien in „Neues Deutschland“ der vielbeachtete Artikel: „Es ist Zeit, den Holzhammer beiseite zu legen“, der die Normenerhöhung kritisch beleuchtete. Die Demonstrierenden verlangten die Auszahlung der Löhne nach den alten Normen, die Senkung der Lebenshaltungskosten, freie und geheime Wahlen und den Abstand von Maßregelungen der Streikenden. Am Morgen des 17. Juni brachen im gesamten Gebiet der DDR Aufstände gegen die Normenerhöhung aus, die jedoch schnell durch die sowjetischen Truppen mit 20.000 Soldaten und 8.000 Angehörigen der kasernierten Polizei und des MfS unter Kontrolle gebracht wurden. Insgesamt wurden 6.000 Menschen verhaftet. Der Aufstand erreichte allerdings, dass die Streikenden ihre Minimalforderungen durchsetzen konnten.

Die Wende


1989 kam dann der nächste Volksaufstand in der ehemaligen DDR. Es fehlte den Ostblockstaaten zunehmend an Mitteln, das militärische „Gleichgewicht des Schreckens“ aufrecht zu erhalten, in dem der Westblock durchaus erfolgreicher war. Hinzu kam die ständige Verteuerung von Rohstoffen, die wirtschaftliche Teilisolierung des Ostens und die rückständige Wirtschaftsentwicklung, die mit der „Globalisierung“ nicht mehr standhalten konnte. Die Folge war der ökonomische Ruin, der nur durch eine Anpassung an die ökonomischen Verhältnisse des Westens möglich schien. Während Gorbatschow sich nach Westen orientierte, zeigte sich Erich Honecker noch lange stur. Das konnte niemandem im Lande mehr verborgen bleiben. Die Stimmung gegen das Regime wuchs, es begannen erste Proteste.

Die Fälschung der Kommunalwahlen 1989 machte allen schnell klar, dass mit Verbesserungen hinsichtlich Reisefreiheit, Lebenssituation und Demokratisierung nicht zu rechnen war. Es folgten teils schwere Unruhen, an deren Ende das Ende der DDR stand. Doch Revolution ist auch, wenn „die

Protestveranstaltung in Plauen
1989 | Quelle: Bundesarchiv
da oben nicht mehr können“. Und die konnten seit längerem Dahinsiechen wohl auch nicht mehr, um zum Schluss noch gewaltsamer gegen den Volksaufstand vorzugehen. Und Revolution entsteht, wenn „die da unten nicht mehr wollen“. Das war inzwischen auch der Sowjetunion klar geworden. Alain Felkel hat recht, wenn er schreibt, dass das Ergebnis des Volksaufstandes nicht der weitgehenden Gewaltlosigkeit der Proteste zu verdanken ist, sondern vor allem der Haltung der Sowjetunion gegenüber den Veränderungen in der DDR.

Angesichts der neuen zunehmenden sozialen Verwerfungen im heutigen Deutschland sind Volksaufstände nicht mehr auszuschließen. Stichworte sind Agenda 2010 und Hartz IV, von den gesteuerten Medien heruntergespielte gesellschaftliche Verarmungsprogramme. Auch heute spielen in deren Zusammenhang die gesellschaftliche Totalüberwachung und der geplante Einsatz der Bundeswehr bei Revolten im Inneren eine Rolle. Warnungen gibt es bereits viele von vielen Seiten und seit langem. Noch interessiert das wenige. Und als ob sich die Geschichte wiederholt, werden die Warnungen von den Inhabern der Macht wieder nicht ernst genommen, was eben durchaus revolutionäre Folgen haben könnte. Hier hätte Alain Felkel durchaus einen Ausblick wagen können. Zu Beginn seines Buches zitiert er den ehemaligen US-Präsidenten Thomas Jefferson: „Welches Land kann sich seine Freiheit erhalten, wenn die Herrscher nicht von Zeit zu Zeit gewarnt werden, dass ihr Volk sich den Widerstandsgeist bewahrt hat?“ Wir sehen, dass das Buch der revolutionären Geschichte nie geschlossen wird, und vielleicht muss Alain Felkel irgendwann eine Neuauflage schreiben. (PK)












Alain Felkel
"Aufstand" - Requiem der Rebellionen
Luebbe Verlagsgruppe Nürnberg
608 Seiten, November 2009
ISBN-10: 3785723873     
ISBN-13: 978-3785723876

EUR  22,99
Preis inkl. gesetzl. MwSt. und
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Online-Flyer Nr. 232  vom 13.01.2010

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