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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Globales
"Gaza Freedom March" erfolgreich in Kairo - durfte aber nicht nach Gaza
Deutsche Presse berichtet lieber über Iran
Von Peter Kleinert

Der "Gaza Freedom March" zum ersten Jahrestag des Überfalls Israels auf Gaza endete trotz Repressalien der ägyptischen Behörden mit zwei Erfolgen. Am Samstag gelang etwa 450 TeilnehmerInnen eine Demonstration vor dem israelischen Konsulat in Kairo. Am Montag öffnete Ägypten den Grenzposten Rafah zum Gazastreifen für drei Tage. Kranke konnten ausreisen, um medizinisch versorgt zu werden, und der internationale Hilfskonvoi "Viva Palästina", der seit Anfang Dezember unterwegs war, bekam immerhin eine befristete Möglichkeit, Lebensmittel und andere lebensnotwendige Güter in den von Israel und Ägypten bis dahin abgesperrten Gazastreifen zu bringen. Am Mittwoch machte Kairo die Grenze wieder dicht und provozierte wütende Proteste, die sogar in den offiziellen Medien erwähnt wurden.  



Gaza-Friedensmarsch Richtung Ägyptisches Museum
Foto: Edith Lutz
 
„Getarnt als gewöhnliche Touristen“ hatten sich rund 450 TeilnehmerInnen, in  der Nähe des Konsulats in kleinen Gruppen getroffen um sich dann um 13 Uhr mit Bannern und Fahnen auf der Straße vor dem Konsulat zu versammeln und in Sprechchören „Free Gaza!” und „Boykott Israel!” zu skandieren Ute Lampe, eine Sprecherin der Deutschen Delegation: „Dieser Protest war ein bedeutendes abschließendes Zeichen gegen Israel, das die völkerrechtswidrige Blockade des Gaza-Steifens zu verantworten hat und durchführt.”

Die Polizei war von dieser Demonstration offenbar völlig überrascht worden. Anders als am Vortag vergingen mindestens 15 Minuten bis zivil gekleidete und uniformierte Polizisten eintrafen und alle DemonstrantInnen auf den Gehweg gedrängt hatten. Es gab keine größeren Konflikte, obwohl diese Kundgebung ebenso “illegal“ war, wie die Proteste an verschiedenen Plätzen der Stadt während der Tage zuvor. Viele Polizisten und PassantInnen hätten Sympathien mit dem Anliegen der Demonstranten gezeigt, was vielleicht ein Grund für die relative Zurückhaltung der Behörden gewesen sein könnte, berichteten TeilnehmerInnen. Allerdings hätten sich deutsche Medien nicht besonders um eine angemessene Berichterstattung bemüht, so die Freiburgerin Dr. Gabriele Weber enttäuscht.
 
Pressekodex unbekannt?
 
Während der Pressekodex des Deutschen Presserats Verleger, Herausgeber und Journalisten auffordere, „sich bei ihrer Arbeit der Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und ihrer Verpflichtung für das Ansehen der Presse bewusst (zu) sein und „ihre publizistische Aufgabe fair, nach bestem Wissen und Gewissen, unbeeinflusst von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen“ wahrzunehmen, so die Friedensaktivistin, werfe das Verhalten vieler deutscher Medien „bei mir zum wiederholten Male in den vergangenen zwölf Monaten Fragen auf, für die es sicher Antworten gibt, die aber nicht zufrieden stellen oder gar beruhigen können“.
 
Doppelstandards bezüglich Wahrheit
 
Gabriele Weber: „Wo liegt der Unterschied zwischen den Protesten für mehr Demokratie und Gerechtigkeit im Iran und den Protesten in Palästina (z. B. Bilin) und jetzt in Kairo? Warum findet das Thema bzw. die Katastrophe "Gaza" so wenig Aufmerksamkeit in unseren Medien? Wie können wir diese Doppelstandards bezüglich Wahrheit, wer ist gut, wer gehört zu den Schurken, welche Menschenrechtsverletzungen verdienen es, erwähnt zu werden und welche lassen wir einfach dauerhaft unter den Tisch fallen, hinnehmen? Wo bleibt die Verantwortung, Frieden anstatt Hass, Toleranz anstatt Vorurteilen und Wahrheit anstatt Lügen zu verbreiten?“


Polizeieinsatz gegen FriedensaktivistInnen am Lotus-Hotel
Foto: Edith Lutz
 
In den üblichen Medien wurde – wenn überhaupt – völlig anders als über die Kundgebungen im Iran über den Gaza Freedom March berichtet. Kaum jemand in Deutschland erfuhr, dass am 31. Dezember in Kairo etwa 430 DemonstrantInnen von den 1.300 TeilnehmerInnen in Sichtweite des ägyptischen Museums in Kairo von der Sicherheitspolizei eingekesselt wurden. Die Polizeikräfte hatten einen engen Ring um sie gezogen und jeden Zu- und Ausgang verhindert. Nur wenige Personen durften einzeln nach mehr als zwei Stunden den Kessel verlassen, mussten aber zuvor versprechen, „sich als Tourist von der Demonstration fern zu halten“. Bei der Einkesslung sei die Polizei „extrem ruppig und auch brutal“ vorgegangen: „DemonstrantInnen wurden blutig geschlagen, einem Teilnehmer wurde ein Zahn ausgeschlagen. Um weitere Demonstrationen von TeilnehmerInnen im Umfeld zu vermeiden, hatte die Polzei wiederholt in Verfolgungsjagden TeilnehmerInnen einzufangen versucht, um sie in den Kessel zu zerren.“
 
Erst Hoteleingang blockiert – dann Polizeikessel
 
Um die angekündigte Demonstration im letzten Moment doch noch zu verhindern, hatte die Polizei am frühen Morgen den Eingang zum Hotel Lotus blockiert, in dem die meisten OrganisatorInnen des Gaza Freedom March ihre Quartiere hatten. Da die ägyptischen Behörden eine Einreise aller internationalen TeinehmerInnen vom Gaza Freedom March nach Gaza selbst verweigerten, hatten sich die meisten Delegierten entschlossen, die Demonstration zur Beendigung der Blockade von Gaza am 31.12.09 in Kairo durchzuführen, was aber auch nicht genehmigt wurde. Trotzdem konnte durch das Bilden unauffälliger Kleingruppen ein Treffen in Sichtweite des ägyptischen Museums und der pünktliche Beginn des Marsches mit Transparenten und Bannern und dem Sprechchor "Free Gaza" um 10 Uhr organisiert werden, der dann allerdings im Polizeikessel endete.
 
Im Kessel erklärte Stefan Ziefle für die deutschen TeilnehmerInnen: „1989 sind wir die Mauer in Deutschland losgeworden. Jetzt kämpfen wir dafür, dass auch die Mauer um Gaza fällt.“ Als Sprecher der Schweizer sagte Mikael Erikssen: „Die Schweiz muss als Depositarstaat der Genfer Konventionen ihre Verantwortung wahrnehmen, das Unrecht in Gaza verurteilen und für Gerechtigkeit sorgen!" Insgesamt waren zwischen Weihnachten und Neujahr etwa 1.400 Delegierte aus 43 Ländern nach Kairo gereist – ursprünglich mit dem Ziel am Freedom March in Gaza selbst teilzunehmen. 
 

Hedy Epstein
Quelle: NRhZ-Archiv

Hedy Epstein, die bekannte 85-jährige Holocaust-Überlebende und Friedensaktivistin (siehe http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14166), hatte am 28.Dezember einen Hungerstreik als Reaktion auf die Haltung der ägyptischen Regierung zugunsten Israels  begonnen. Begleitet von anderen Hungerstreikenden verbrachte sie den ersten Tag vor dem UN-Gebäude am World Trade Center in Kairo. Ihre Begründung: „Es ist wichtig, die Menschen im belagerten Gazastreifen wissen zu lassen, dass sie nicht alleine sind. Ich will den Leuten die ich in Gaza treffe, sagen, dass ich viele Menschen aus meiner Stadt und anderen Orten in den USA vertrete, die über das empört sind, was die USA, Israel und die europäischen Regierungen den Palästinensern antun und dass unsere Zahl wächst."
 
Im Jahr 1939, als Hedy Epstein gerade 14 Jahre alt war, fanden ihre Eltern für sie einen Weg, der Verfolgung durch die Nazis zu entgehen und schickten sie auf den Kindertransport nach England. Epstein sah ihre Eltern nie wieder, sie kamen 1942 in Auschwitz um. Nach dem zweiten Weltkrieg arbeitete sie als Research Analyst bei den Nürnberger Prozessen der Nazi-Ärzte, die medizinische Experimente an KZ-Häftlingen durchgeführt hatten. Nach dem Umzug in die USA wurde Epstein eine Aktivistin für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Anders als die meisten Überlebenden des Holocaust, hat sie sich für das palästinensische Volk eingesetzt. Sie reiste ins Westjordanland, sammelte materielle Hilfe und hoffte nun vergeblich auch in den Gaza-Streifen gehen zu können. (PK)



Online-Flyer Nr. 231  vom 06.01.2010

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