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Aktueller Online-Flyer vom 27. April 2024  

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Inland
Machtmissbrauch von Politikern statt Rundfunkfreiheit
CDU gegen Nikolaus Brender
Von Franz Kersjes

Roland Koch und Konsorten haben im Verwaltungsrat des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) die Wiederwahl von Chefredakteur Nikolaus Brender verhindert. Trotz zahlreicher Appelle und Ermahnungen haben die beteiligten Politiker der CDU die von unserer Verfassung aufgegebene
Staatsfreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks missachtet. Brenders Vertrag endet nun im März 2010. Staatsrechtler kritisieren die Entscheidung scharf.


Soll seinen Job durch Verstoß der CDU gegen 
die Verfassung verlieren – Nikolaus Brender
Quelle: Medienforum NRW
Bernd Holznagel von der Universität Münster sagte, die Nichtverlängerung des Vertrages mit schlechten Einschaltquoten zu begründen, sei „rechtswidrig“. „Der Verwaltungsrat darf nur im Rahmen seiner Aufgaben entscheiden, und zu seinen Aufgaben zählen in erster Linie die Haushaltsführung und die Untersuchung rechtswidriger Vorgänge. Die Programm- gestaltung und Personalfragen sind Sachen des Intendanten. Nach dem Grundsatz der Organtreue, die in solchen Anstalten gilt, müssen die einzelnen Organe die jeweiligen Zuständigkeiten respektieren. Kurz: Der Verwaltungsrat darf dem Intendanten seine Kompeten- zen nicht wegnehmen“.
 
35 Staatsrechtslehrer warnten
 
Noch vor der Entscheidung hatten 35 deutsche Staatsrechtslehrer in einem Offenen Brief vor einem Verfassungsbruch gewarnt. Darin heißt es: „Art. 5 Abs. 1 GG garantiert die Staatsfreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auch wenn das gebührenfinanzierte ZDF formal dem Bereich öffentlicher Institutionen zuzurechnen ist, bedeutet Staatsfreiheit, dass der Staat inhaltlich auf seine Arbeit keinen beherrschenden Einfluss ausüben darf. Was geschieht, wenn es die Garantie der Staatsfreiheit nicht gibt, wird uns derzeit am Beispiel anderer europäischer Staaten vor Augen geführt. Zur Garantie der Staatsfreiheit gehört auch eine Begrenzung der Stimmanteile der staatlichen Vertreter in den Aufsichtsgremien, also auch im Verwaltungsrat.
 
Nun diskutieren Rundfunkrechtler schon lange darüber, ob die im ZDF-Staatsvertrag vorgesehene Machtverteilung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Vertretern mit Art. 5 Abs.1 GG vereinbar ist. Insbesondere geht es um die Zuordnung der Parteienvertreter und der von den Ministerpräsidenten ausgewählten Vertreter zur staatlichen Ebene. Sollte sich herausstellen, dass letztlich ein Ministerpräsident als Meinungsführer stark genug ist, um einen bestimmten Chefredakteur zu verhindern, so würde dies einen praktischen Beleg dafür liefern, dass die zum Teil geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber der Zusammensetzung des Gremiums nicht unbegründet sind. Der Eindruck läge nahe, dass über die Instrumente von staatlicher Einflussnahme und Parteizugehörigkeit politische Mehrheiten in den Aufsichtsgremien organisiert werden“.
 
ZDF- Staatsvertrag widerspricht dem Grundgesetz!
 
Das erste Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichtes schaffte 1961 die Grundlage für eine von den Bundesländern gemeinsam getragene Fernsehanstalt. Es bestätigte den Ländern deren alleinige Zuständigkeit für Organisations- und Programmfragen auf dem Gebiet des Rundfunks. Ein Staatsvertrag über die Errichtung der Anstalt des öffentlichen Rechts „Zweites Deutsches Fernsehen“ wurde am 6. Juni 1961 von den Ministerpräsidenten der Bundesländer unterzeichnet. Damit sicherten sie sich unter anderem Macht und Einfluss auf die Auswahl der Entscheidungsträger in der neuen Einrichtung. Der Staatsvertrag des ZDF widerspricht deshalb dem Grundgesetz! Die bestehenden Regelungen sind unglaublich und wahrscheinlich deshalb wenig bekannt. Wer in den Gremien des ZDF wesentliche Personalentscheidungen über Intendanten und Direktoren trifft, bestimmen maßgeblich die sechzehn Ministerpräsidenten. Der ZDF-Fernsehrat besteht aus 77 Mitgliedern. Drei Vertreter schicken die Bundesregierung und zwölf die Vorstände der im Bundestag vertretenen Parteien. 57 Mitglieder – das sind 74 Prozent – werden von den Ministerpräsidenten bestimmt.
 
Und das geht so: Die im Gesetz genannten Verbände und Organisationen haben lediglich ein Vorschlagsrecht für die ihnen zugeordneten Mandate. Sie dürfen jeweils drei Namen benennen, unter denen dann die Ministerpräsidenten die ihnen genehmen Kandidaten aussuchen. Sechzehn
weitere Vertreter/innen aus den Bereichen des Erziehungs- und Bildungswesens, der Wissenschaft, der Kunst und Kultur, der Filmwirtschaft, der freien Berufe, der Familienarbeit, des Kinderschutzes, der Jugendarbeit und des Verbraucherschutzes sowie des Tierschutzes werden von den Ministerpräsidenten gleich selbst bestimmt. Nur insgesamt fünf Mitglieder des ZDF-Fernsehrates werden von evangelischer und katholischer Kirche sowie dem Zentralrat der Juden in Deutschland unmittelbar entsandt. Auch im ZDF-Verwaltungsrat, der über die Besetzung von Spitzenpositionen wie die Bestellung eines Chefredakteurs auf Vorschlag des Intendanten entscheidet, haben Politiker einen bestimmenden Einfluss. Von den 14 Mitgliedern kommen fünf aus den Bundesländern, einer vom Bund und acht aus dem Fernsehrat.
 
Warum noch keine Verfassungsbeschwerde?

Es ist naheliegend zu fragen, warum gegen diese Praxis bislang nicht beim Bundesverfassungsgericht geklagt wurde. Mit der Behauptung, der ZDF-Staatsvertrag sei im Hinblick auf die Gremienbesetzung verfassungswidrig, könnten die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des Bundestages das Bundesverfassungsgericht anrufen. Derzeit hat die Opposition deutlich mehr als ein Drittel aller Mandate des Parlaments.Aber es geschieht nichts! Ist niemand mehr der Rundfunkfreiheit verpflichtet?
 
Die Versuche von Politikern und Parteien, politischen Einfluss auf wichtige Personalentscheidungen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu nehmen, sind so alt wie der Rundfunk in Deutschland selbst. Zur Erinnerung ein bezeichnendes Beispiel: Mitte der 1970er Jahren stand beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) die Vertragsverlängerung des Chefredakteurs Peter Merseburger an. Im Verwaltungsrat des NDR saßen jeweils vier hochrangige Vertreter von CDU und SPD. Als der Intendant Martin Neuffer seinen Vorschlag zur Vertragsverlängerung von Merseburger vorlegte, verhinderten die vier Vertreter der CDU mehrfach die Beschlussfähigkeit des Verwaltungsrates entweder durch Auszug aus der Sitzung beim Aufrufen des Tagesordnungspunktes oder durch Nichterscheinen. Vor allem hatten sie sich wohl über Präsentation und Berichterstattung des politischen Fernsehmagazins Panorama durch Peter Merseburger oft schwarz geärgert.
 
Klage beim NDR hat geholfen
 
Trotzdem unterzeichnete der Intendant die Vertragsverlängerung für Merseburger. Daraufhin erhob das von der CDU regierte Land Schleswig-Holstein Klage beim Bundesverwaltungsgericht. In seinem nachlesenswerten Urteil vom 6. März 1977 (Az. VII A 3.75) begründete das Gericht eingehend, warum die Unterzeichnung des Vertrages mit Merseburger durch den Intendanten rechtmäßig war, das Verhalten der CDU-Vertreter hingegen objektiv pflichtwidrig. Nach heftigen Debatten in den Parteien und in der Öffentlichkeit hat der NDR seit 1980 eine andere Rechtsgrundlage. Regierungsvertreter haben in keinen Gremien mehr ein Stimmrecht. Politische Parteien sind zwar vertreten, aber die anderen gesellschaftlich relevanten Gruppen sind deutlich in der Mehrheit.
 
Die Bundesländer regeln durch Landesrundfunkgesetze und Staatsverträge Aufbau und Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie die Rolle und Funktion von Aufsichtsgremien der Landesrundfunkanstalten. Das Bundesverfassungsgericht definiert die in Art. 5 Absatz 1 GG gewährleistete Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk als „dienende Freiheit“.
 
“Freundeskreise“
 
Die Vertreter des Staates in den Gremien dürfen nicht entscheiden, wer über den Staat was oder wie berichtet. Dennoch ist ihr direkter oder indirekter Einfluss groß. Über “Freundeskreise“ unter den Mitgliedern in Rundfunkräten werden beispielsweise parteipolitische Entscheidungen transportiert. Und wenn das nicht reicht, werden die Gremien erweitert. So hat die nordrhein-westfälische Landesregierung aus CDU und FDP jüngst den WDR-Rundfunkrat um vier Sitze erweitert. Sie ergänzt das 45-köpfige Gremium durch Vertreter der Industrie- und Handelskammern, der Verbände der Internetwirtschaft, der Freien Berufe und der Wirtschaftsjunioren bzw. Familienunternehmer. Durch diese Aufstockung von eher CDU-nahen
Interessenvertretern können die Mehrheitsverhältnisse im Rundfunkrat geändert werden.
 
Für die Demokratie eine Katastrophe
 
Wenn Politiker und Parteien Personalentscheidungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beeinflussen können, kann von Staatsferne keine Rede sein. Für die Demokratie ist das eine Katastrophe. Deshalb ist eine grundsätzliche Neuordnung – vor allem für das ZDF – dringend erforderlich. Die Macht der Ministerpräsidenten muss beseitigt werden! Die Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen künftig frei sein vom Einfluss der Parteien und Regierungen. Als Vorbild sollte der britische öffentlich-rechtliche Rundfunk BBC dienen, staatsfrei und frei von wirtschaftlichen Interessen. (PK)

Online-Flyer Nr. 228  vom 16.12.2009

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