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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 18
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Nur einmal hab ich weinen müssen Mutter, in all den Jahren. Das war in Köln, wegen dem Mädchen, was ich dir geschrieben hab, als wir unser Kind, bei dem Arzt, da war alles aus, ach scheiße, jetzt geht das schon wieder los, hast du ein Bier Mutter?
Ich hab dir deinen Apfelstreußel gebacken, willst du nicht den probieren? Mit einer Tasse Kaffee?
Das ist lieb von dir, aber ich bräucht jetzt ein Bier wenn du hast.
Sie nickte, stand auf, etwas mühsam der füllige Körper, holte ein Dortmunder aus dem Kühlschrank, ein Glas und den Öffner aus dem Geschirrschrank, zeigte ihm ihre kranken Finger, als sie ihm die Flasche und den Öffner reichte - die Gicht ist das.
Er schenkte sich ein, trank hastig ein paar Schlucke, seufzte tief, plötzlich rülpste ihm die Kohlensäure brutal aus der Kehle, erschrocken schlug er die Hand vor den Mund, aber sie lachte gutmütig: Das war die Natur Armin. Da lachte er auch.
Ich glaub jetzt gehts mir besser. Er zog sich eine Zigarette aus dem Päckchen in der Brusttasche, zündete sie an, legte Feuerzeug und Packung achtlos auf den Tisch. Seine Mutter holte sie zu sich - Ich darf doch? - und nestelte sich eine Zigarette heraus.
Du rauchst?
Nur mal zur Gesellschaft, sagte sie unschuldig, hielt die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, als er ihr Feuer reichte, paffte dann große Wolken mit aufgeblähten Backen.
Armin dachte nach: Die Fahrt hierher war schon so anders als früher. Ich bin immer nur notgedrungen zurückgekommen, so lange Wilhelm lebte sowieso. Nach Hause war das nie. Die Enge hier, der Filz. Niemand will freiwillig zurück in ein Gefängnis. Aber diesmal, ich weiß nicht, bin wie ein rohes Ei, ganz dünne Schale. Sicher dein Brief, was du mir geschrieben hast über Wilhelm und meinen wirklichen Vater, und dieser elende Knatsch mit den Freunden vom Werkkreis in Düsseldorf - wie geht es denn dir Mutter? Dein Brief klang so nach Abschied, hat mich sehr traurig gemacht, obwohl auch froh gleichzeitig, aber traurig über mich, dass ich dich nie gefragt hab nach früher. Eigentlich wollt ich gleich losfahren zu dir und nun sinds doch Wochen geworden, viel Arbeit, ja, das auch, der Streik im Stahlwerk - hast dus gelesen meinen Bericht? Ich hatte einfach Scheu in meine Vergangenheit zu fahrn. Jetzt weiß ich nicht mehr warum, weil ich froh bin, noch mal mit dir an diesem Tisch zu sitzen. Trinkst du auch Bier?
Sie schmunzelte. Nur abends manchmal, zur Entspannung, vorm Schlafen. Oder bei den SPD Frauen, wenn unser AK sich trifft. Da wird ganz schön geschluckt. Also an Abschied denk ich eigentlich nur, wenn wieder jemand von den Alten in der Kolonie gestorben ist. Passiert immer öfter. Aber dein Brief mein Junge, der hat mir eine schwere Last von der Seele genommen. Das sollst du gleich wissen. Es musste wohl alles so sein wie es gekommen ist. Dass du in die Welt raus bist und bist was geworden schließlich. Die Sache mit dem toten Kind von dir und deiner Salli die war schlimm. Früher haben viele Arbeiterfrauen abtreiben müssen, weil die Familien schon so groß waren und die Kinder hungerten. Bei einer jungen Frau und dem ersten Kind ist das gewiss anders. Als deine Mutter denk ich vor allem daran, dass sie deshalb mit dir gebrochen hat. Da hat sie dich wohl doch nicht so geliebt wie du sie.
Nein Mutter, unterbrach Kolenda sie brüsk, das darfst du nicht denken! Salli war unerfahren! Jung! Abhängig von ihren katolischen Eltern! Ich hätte das alles wissen und sie besser schützen müssen!
Sie legte ihm wieder ihre Hand auf den Arm. Ist gut mein Junge. Sicher hast du recht. Aber zerquäl dich nicht zu lange deswegen. Sonst siehst du die Welt nicht mehr.
Von der seh ich mehr als genug! Lies doch die Zeitung. Er klappte die flache Rechte auf die DZ.
Hast du sie noch mal wiedergesehn, was aus ihr geworden ist?
Sie hat mich versprechen lassen, ihr nicht nachzuforschen. Sie ist zu einer andern Universität gezogen.
Du Armer. Dann ist es wohl besser, du schlägst sie dir aus dem Kopf. Hast du ein Bild von ihr?
Er zog das knittrige Foto aus der Brieftasche, sie setzte ihre Brille auf. Die mit der roten Kappe ist es. Bei unsrer Teateraufführung in Kiechlinsbergen. Ein Reporter hat es aufgenommen.
Keckes Mädel, wie?
Sie konnte wirklich Trecker fahrn! Obwohl sie unheimlich klug war. Schön sowieso.
Sieht man, Armin. Ein Jammer dass du sie verloren hast.
Er wusste keine Antwort als ein Kopfnicken.
Sie schlug vor, nun doch einen Kaffee zu kochen, sie brauchte den jetzt, da wollte er inzwischen seine Tasche aus dem Wagen holen.
Merkwürdiges Abenteuer, diese Heimfahrt. Seiltanz ins Unbekannte. Das Unbekannte: ich selbst. Bin ich denn verändert? Leb ich mein Leben besinnungslos, die ständige Hektik in der Zeitung, von Redaktionsschluss zu Redaktionsschluss, und hier entdeck ich das schwarze Loch das ich bin?
Kolenda setzte sich wieder an den Küchentisch, der jetzt gedeckt war mit einem gestickten Tischtuch, mit Tassen, Tellern, dem aufgeschnittenen Kuchen, Milchkännchen, die Zuckerdose stammte aus dem alten Blumenservice seiner Jahre, alles andre war neu, Zwiebelmuster. Während sie am Herd den Kaffee aus der Maschine in die Kanne umgoss, legte er seine Packung Pralinen von Most, mit einem Kölner Dom verziert, auf ihren Teller. Als sie sich umdrehte mit der Kanne erschrak sie vor Überraschung und Freude: Nein Armin!
Ist nachträglich Mutter, zu deinem Geburtstag.
Sie band ihre Schürze ab, strich sich zwei graue Haarsträhnen hinter die Ohren, nahm die Schachtel in die Hände wie eine Kostbarkeit.
So was Schönes für eine alte Frau! Warn die nicht schrecklich teuer?
Ich hoffe, du magst Pralinen.
Sehr mein Junge. Verdienst du denn so gut bei deiner Zeitung?
Na ja, reich werd ich da nicht. So etwa ein Facharbeitergehalt. Ich schick auch den Jungen jeden Monat was auf ihre Sparbücher.
Das fand sie schön. Stellte die Schachtel auf den Fernseher zu den zwei gerahmten Fotos, Aufnahmen von seiner Abschiedsreise mit Martin und Klaus in den Kaiserstuhl. Kein Bild von Wilhelm Kolenda, sah er befriedigt. Er erzählte beim Kaffee das wenige Neue was er wusste, von Sonjas Ehe mit dem Ministerialrat und dass es den Jungs offenbar gut ging, auch mit dem norddeutschen Vater, der sie mitnahm zum Segeln auf die Kieler Förde.
Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung", Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
Externe Links:
www.dittrich-verlag.de
Online-Flyer Nr. 38 vom 04.04.2006
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Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 18
"Zwielicht"
von Erasmus Schöfer
Nur einmal hab ich weinen müssen Mutter, in all den Jahren. Das war in Köln, wegen dem Mädchen, was ich dir geschrieben hab, als wir unser Kind, bei dem Arzt, da war alles aus, ach scheiße, jetzt geht das schon wieder los, hast du ein Bier Mutter?
Ich hab dir deinen Apfelstreußel gebacken, willst du nicht den probieren? Mit einer Tasse Kaffee?
Das ist lieb von dir, aber ich bräucht jetzt ein Bier wenn du hast.
Sie nickte, stand auf, etwas mühsam der füllige Körper, holte ein Dortmunder aus dem Kühlschrank, ein Glas und den Öffner aus dem Geschirrschrank, zeigte ihm ihre kranken Finger, als sie ihm die Flasche und den Öffner reichte - die Gicht ist das.
Er schenkte sich ein, trank hastig ein paar Schlucke, seufzte tief, plötzlich rülpste ihm die Kohlensäure brutal aus der Kehle, erschrocken schlug er die Hand vor den Mund, aber sie lachte gutmütig: Das war die Natur Armin. Da lachte er auch.
Ich glaub jetzt gehts mir besser. Er zog sich eine Zigarette aus dem Päckchen in der Brusttasche, zündete sie an, legte Feuerzeug und Packung achtlos auf den Tisch. Seine Mutter holte sie zu sich - Ich darf doch? - und nestelte sich eine Zigarette heraus.
Du rauchst?
Nur mal zur Gesellschaft, sagte sie unschuldig, hielt die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, als er ihr Feuer reichte, paffte dann große Wolken mit aufgeblähten Backen.
Armin dachte nach: Die Fahrt hierher war schon so anders als früher. Ich bin immer nur notgedrungen zurückgekommen, so lange Wilhelm lebte sowieso. Nach Hause war das nie. Die Enge hier, der Filz. Niemand will freiwillig zurück in ein Gefängnis. Aber diesmal, ich weiß nicht, bin wie ein rohes Ei, ganz dünne Schale. Sicher dein Brief, was du mir geschrieben hast über Wilhelm und meinen wirklichen Vater, und dieser elende Knatsch mit den Freunden vom Werkkreis in Düsseldorf - wie geht es denn dir Mutter? Dein Brief klang so nach Abschied, hat mich sehr traurig gemacht, obwohl auch froh gleichzeitig, aber traurig über mich, dass ich dich nie gefragt hab nach früher. Eigentlich wollt ich gleich losfahren zu dir und nun sinds doch Wochen geworden, viel Arbeit, ja, das auch, der Streik im Stahlwerk - hast dus gelesen meinen Bericht? Ich hatte einfach Scheu in meine Vergangenheit zu fahrn. Jetzt weiß ich nicht mehr warum, weil ich froh bin, noch mal mit dir an diesem Tisch zu sitzen. Trinkst du auch Bier?

Nein Mutter, unterbrach Kolenda sie brüsk, das darfst du nicht denken! Salli war unerfahren! Jung! Abhängig von ihren katolischen Eltern! Ich hätte das alles wissen und sie besser schützen müssen!
Sie legte ihm wieder ihre Hand auf den Arm. Ist gut mein Junge. Sicher hast du recht. Aber zerquäl dich nicht zu lange deswegen. Sonst siehst du die Welt nicht mehr.
Von der seh ich mehr als genug! Lies doch die Zeitung. Er klappte die flache Rechte auf die DZ.
Hast du sie noch mal wiedergesehn, was aus ihr geworden ist?
Sie hat mich versprechen lassen, ihr nicht nachzuforschen. Sie ist zu einer andern Universität gezogen.
Du Armer. Dann ist es wohl besser, du schlägst sie dir aus dem Kopf. Hast du ein Bild von ihr?
Er zog das knittrige Foto aus der Brieftasche, sie setzte ihre Brille auf. Die mit der roten Kappe ist es. Bei unsrer Teateraufführung in Kiechlinsbergen. Ein Reporter hat es aufgenommen.
Keckes Mädel, wie?
Sie konnte wirklich Trecker fahrn! Obwohl sie unheimlich klug war. Schön sowieso.
Sieht man, Armin. Ein Jammer dass du sie verloren hast.
Er wusste keine Antwort als ein Kopfnicken.
Sie schlug vor, nun doch einen Kaffee zu kochen, sie brauchte den jetzt, da wollte er inzwischen seine Tasche aus dem Wagen holen.
Merkwürdiges Abenteuer, diese Heimfahrt. Seiltanz ins Unbekannte. Das Unbekannte: ich selbst. Bin ich denn verändert? Leb ich mein Leben besinnungslos, die ständige Hektik in der Zeitung, von Redaktionsschluss zu Redaktionsschluss, und hier entdeck ich das schwarze Loch das ich bin?
Kolenda setzte sich wieder an den Küchentisch, der jetzt gedeckt war mit einem gestickten Tischtuch, mit Tassen, Tellern, dem aufgeschnittenen Kuchen, Milchkännchen, die Zuckerdose stammte aus dem alten Blumenservice seiner Jahre, alles andre war neu, Zwiebelmuster. Während sie am Herd den Kaffee aus der Maschine in die Kanne umgoss, legte er seine Packung Pralinen von Most, mit einem Kölner Dom verziert, auf ihren Teller. Als sie sich umdrehte mit der Kanne erschrak sie vor Überraschung und Freude: Nein Armin!
Ist nachträglich Mutter, zu deinem Geburtstag.
Sie band ihre Schürze ab, strich sich zwei graue Haarsträhnen hinter die Ohren, nahm die Schachtel in die Hände wie eine Kostbarkeit.
So was Schönes für eine alte Frau! Warn die nicht schrecklich teuer?
Ich hoffe, du magst Pralinen.
Sehr mein Junge. Verdienst du denn so gut bei deiner Zeitung?
Na ja, reich werd ich da nicht. So etwa ein Facharbeitergehalt. Ich schick auch den Jungen jeden Monat was auf ihre Sparbücher.
Das fand sie schön. Stellte die Schachtel auf den Fernseher zu den zwei gerahmten Fotos, Aufnahmen von seiner Abschiedsreise mit Martin und Klaus in den Kaiserstuhl. Kein Bild von Wilhelm Kolenda, sah er befriedigt. Er erzählte beim Kaffee das wenige Neue was er wusste, von Sonjas Ehe mit dem Ministerialrat und dass es den Jungs offenbar gut ging, auch mit dem norddeutschen Vater, der sie mitnahm zum Segeln auf die Kieler Förde.
Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung", Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9
Externe Links:
www.dittrich-verlag.de
Online-Flyer Nr. 38 vom 04.04.2006
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