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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Inland
Interview mit Konstantin Wecker
"Freiheit heißt, keine Angst zu haben"
Von Emma Weiß

Auf seiner Antifa-Tour durch Ostdeutschland durfte Konstantin Wecker wegen einer Drohung der NPD nicht im Gymnasium von Halberstadt auftreten. NRhZ berichtete über den Skandal. Aus diesem Anlaß ein Telefon-Interview mit dem Liedermacher.

Emma Weiß: Hallo Konstantin Wecker
Wecker: Hallo

E: Ich fand es schön, dass wir uns gestern bei Deinem Konzert in Ratingen kurz begegnet sind und würde gerne mit Dir über Deine Antifa-Tour durch Sachsen-Anhalt und Thüringen reden.
W: mhm, mhm.

E: Weniger Deine Auftritte, sondern Dein Nicht-Auftritt in Halberstadt am 8. März hat ja für Aufregung in Presse und Politik gesorgt. Wie kam es dazu?
W: Naja, das ist schnell erklärt. Wir wollten diese Antifa-Tour machen, und in Halberstadt war ursprünglich die Aula des Gymnasiums von Zora (www.zora.de; die Redaktion)gebucht, das ist der örtliche Antifa-Verein. Dann wurde uns das Gymnasium als Auftrittsort verweigert, mit dem Argument, dass sich die NPD mit juristischen Mitteln dagegen verwahren würde. Ein sehr eigenartiges Argument: wenn ich dort spielen würde, dann hätte auch ein NPD-Künstler das Recht dort zu spielen. Oder Horst Mahler dürfte dann dort eine Rede halten. Was ich für einen absoluten Blödsinn halte. Fairerweise muss ich sagen, dass der Direktor in Halberstadt mich spielen lassen wollte. Es lag definitiv an Landrat Hans-Dieter Sturm, der das Ganze abgesagt hat. In Jena haben wir auch in einem Gymnasium gespielt, und der Direktor dort sagte, dass er entscheide, wen er in seinem Gymnasium spielen lässt.

E: Die Bandbreite Deiner Lieder reicht von häuslicher Gewalt über Unterdrückung auch von Frauen, Freiheit, Frieden bis zu Liebesliedern. Warum habt Ihr Euch auf der Tour für die Engführung auf das Thema "Nazis raus aus dieser Stadt" entschieden?
W: Das war ein Vorschlag von einem jungen Kollegen, von Heinz Ratz (www.heinzratz.de, tritt am 28. April in Wuppertal mit "Strom und Wasser" auf; die Redaktion), der mich angemailt hatte. Er schrieb, er würde öfter in dieser Gegend auftreten und hätte immer wieder Ärger und das wollte ich mir doch mal anschauen. Das gibt´s ja auch im Westen, das ist kein reines Ostphänomen. Übrigens in den Medien hieß es auch: wo sollen die Nazis denn hin? Ich würde sagen, wir lassen sie so lange wandern bis sie zur Vernunft gekommen sind.
Wir wollten für den Eintritt nur 10 Euro nehmen, damit auch Menschen in das Konzert kommen konnten, die es sich sonst nicht leisten können. Deshalb haben nur in Schulen oder Jugendzentren und ähnlichem gespielt. Es war also eine non-profit-Tour; wir haben dabei nichts verdient. Ich wollte das aber für mich mal ausprobieren und wir wollten auch das Publikum von Heinz Ratz und mir zusammenbringen. Weil die Veranstalter die örtlichen Antifa-Gruppen waren, kam der Name Antifa-Tour zustande. Ich habe mein normales Programm gespielt - wie auch gestern in Ratingen. Außer bei dem Stück "  Sage Nein", da habe ich die ältere Version gegen Rechts benutzt. Ich brauche kein extra Antifa-Programm.

'Es geht ums Tun und nicht ums Siegen'
"Es geht ums Tun und nicht ums Siegen"
Foto: Thomas Karsten



E: Ja, das ist immer schon Thema bei Dir. Ich fand es auch schön, dass Du gestern mein Lieblingslied "Die Weiße Rose" gespielt hast.
W: Das ist der Grund, warum ich das mache: "Es geht ums Tun und nicht ums Siegen" (aus dem Refrain des Liedes; die Redaktion). Die Geschwister Scholl und die anderen von der Weißen Rose haben gegen Hitler zwar nichts erreicht und doch sind sie so wichtig. Sie wirken eigentlich bis heute, denn ohne die Widerständler könnten wir unsere Geschichte gar nicht annehmen. Es gab auch viel mehr Widerständler aus Arbeiterkreisen als heute bekannt ist. Sie wurden aber durch den Antikommunismus totgeschwiegen.

E: Oder in der DDR instrumentalisiert. Die Kirchen haben ihre Widerständler ja jetzt ausgegraben...
W: Trotzdem war der Nationalsozialismus eine Zeit, für die die Kirchen sich schämen müssten. Aber das war eigentlich nicht das Thema dieses Interviews.

E: Kommen wir noch mal nach Sachsen-Anhalt zurück. Welche Orte lagen noch auf Eurer Tour und wie kam es zu der Auswahl?
W: Wir waren auch in Schwerin und Bad Freienwalde. In Hoyerswerda wollten wir auch spielen, der Antifa-Verein dort ist sehr aktiv, aber das hat auch nicht geklappt. Auch Konzerte im Westen ließen sich so kurzfristig nicht organisieren. Heinz Ratz kannte sich in den Orten aus. Wie gesagt, hatte er bei Konzerten schon öfter Ärger gehabt. Da haben Nazis Krawall gemacht und es waren nur zwei Polizisten anwesend.
Was an der ganzen Sache eigentlich das Spannendste ist, ist, dass bei mir jetzt immer wieder Mails von anderen Künstlern eingehen, die von ähnlichen Vorkommnissen auch im Westen berichten. Die NPD hat mittlerweile sehr gute Anwälte, die mit Rechtsverdrehungen und der subtilen Androhung von Gewalt Druck ausüben - wie in meinem Fall: Sie wollten die Karten aufkaufen und " aktiv am Konzert teilnehmen".

E: Ihr plant jetzt für den Sommer ein Openair-Konzert in Halberstadt. Die Gewerkschaften und andere Organisationen haben ihre Unterstützung zugesagt. Trotzdem gibt es ein Bedrohungspotential - wie man gesehen hat. Wie wollt Ihr damit umgehen?
W: Man darf sich nicht einschüchtern lassen. Wir leben in einer Demokratie. Ich denke, es wird genug Polizei da sein, um für den ungestörten Ablauf des Konzerts sorgen zu können. Man sollte sich nicht im Vorfeld schon Angst machen. Nicht dass Du mich falsch verstehst. Ich will keine Helden. Helden  sind schon zu viele auf dem "Felde der Ehre" gestorben.  Ich kann jeden verstehen, der in einer konkreten Situation Angst hat, aber bitte keine vorauseilende Feigheit. Angst - Mut, das ist auch das Thema von meinem bekanntesten Lied "Willi". Ich bin da beide Seiten. Auf der einen Seite bin ich Willi, der vorprescht und sich nicht einschüchtern lässt und auf der andern Seite bin ich der Wecker, der sagt: komm, lass uns gehen, ehe es zu spät ist!

November im Kölner 'Senftöpfchen'
November im Kölner "Senftöpfchen"
Foto: Thomas Karsten



E: Ja und "Freiheit heißt, keine Angst zu haben vor nichts und niemand" (Zitat aus dem Lied "Willi"; die Redaktion). Die DVU hat es trotz Verschleierungstaktik und falscher Machenschaften nicht in den Landtag in Sachsen-Anhalt geschafft. Auch ein kleiner Erfolg Deiner Tour? (Grins)
W: (Lacht) Eher nicht, dass ziehe ich mir nicht an; das wäre zu schön. Ich denke, die Politik zieht es eher mehr in die Mitte, d.h., dass die große Koalition mit ihrer Politik die Wähler am rechten Rand schon bedient. Es ist ja bekannt, dass die CSU in Bayern rechtsextreme Wähler auffängt und somit am rechten Rand neben ihr kaum Raum bleibt. Ob das gut ist oder nicht, ist die Frage.

E: In Deutschland führt Unzufriedenheit mit der Politik zu erschreckend geringer Wahlbeteiligung - in Frankreich bringt das die Massen auf die Straßen. Warum?
W: Ja, in der TAZ stand kürzlich, man müsste diese Franzosen erfinden, wenn es sie nicht gäbe. Das gefällt mir sehr gut, was da in Frankreich passiert. Wir haben eine ganz andere Geschichte, deshalb läuft es in Deutschland anders. Georg Büchner hat mal über das deutsche Volk gesagt, es sei nicht zur Revolution bereit. Das scheint zu stimmen; wir können das nicht.
Die Politikverdrossenheit liegt, glaube ich, daran, dass die Menschen gemerkt haben, dass die Vertreter, die sie wählen, gar nicht die entscheidenden sind. Wir werden nicht von Politikern regiert, sondern von Konzernen. Solange man den Chef der Deutschen Bank nicht wählen kann, bleibt es verlogen. In Wirklichkeit sorgen doch die Reichen dafür, dass sie immer reicher werden. Guck doch mal das Theater an, das jetzt veranstaltet wird, weil die Aufsichtsratsposten der Politiker offen gelegt werden müssen, und mit welchen Tricks das verhindert wird. Ein Abgeordneter, der bei großen Firmen gut bezahlte Aufsichtsratsposten innehat, dem stehen im Konfliktfall die Interessen seiner Firmen doch näher als Arbeiter auf der Straße. Ich will nicht von Korruption sprechen, aber das ist Lobbyismus. Unsere Demokratie wird bestimmt von Großkonzernen. Man muss sich bloß mal die Unternehmenssteuerpolitik der letzten zehn Jahre ansehen. Jede Fusion raubt Massen von Arbeitsplätzen. Die Konzerne sind keine demokratischen Gebilde, sondern werden streng hierarchisch von Großfürsten regiert.

E: Ende März müssten die Nebeneinkünfte der Abgeordneten vom Bundestagspräsidenten veröffentlicht werden. Da Herr Merz und 5 weitere Abgeordnete gegen dieses Gesetz geklagt haben, will der Bundestagspräsident sämtliche Informationen unter Verschluss halten. Das ist widerrechtlich. Lobbycontrol und campact haben eine Kampagne gegen dieses Vorgehen gestartet (www.lobbycontrol.dewww.campact.de; die Redaktion.)
W: Ja der Merz hat ja wohl hundert Aufsichtsratsplätze.

E: Damit sind wir schon richtig im Thema Politik. Auch die Absage aus Halberstadt hatte politische Konsequenzen. Der deutsche Bundestag hat sich in einer aktuellen Stunde am 15. März mit dem Thema "Kein Zurückweichen vor Rechtsextremismus - Bundespolitische Konsequenzen vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse in Sachsen-Anhalt und Brandenburg" beschäftigt.
W: Ich muss sagen, ich fand das sehr gut von der Claudia Roth (Grüne) und von SPD und LinksPartei. Es war eine ganz wichtige Runde, weil da wieder Themen ins Gedächtnis gebracht wurden, die klammheimlich verschwunden sind. Es gab unter Schröder diesen berühmten "Aufstand der Anständigen". Da wurden Gelder bereitgestellt, und jetzt sind diese Gelder plötzlich verschwunden. Denn Frau von der Leyen ist ja der Meinung, dass man diese Gelder in die Familie stecken muss. Das ist die Angst vor Linken und davor dass die Antifa-Gruppen links sein könnten und dann würde man Linke unterstützen gegen Rechte. Aber so ist es nun mal: die Linken sind halt die fleißigsten Widerständler gegen Rechtsradikale.

E: Der Topf, der für die Opferhilfe von rechtsradikaler Gewalt Betroffener da sein sollte, wurde erweitert auf Opfer von Terrorismus und Linker Gewalt. De facto wurden damit die Mittel für den ursprünglichen Zweck gekürzt oder gestrichen. Die CDU hat recht problematisch in der Debatte dargestellt, dass nicht Rechtsextremismus das Hauptproblem sei, sondern Extremismus von beiden Seiten. Wie stehst Du dazu?
W: Jaja, jaja, alles Quatsch! Das stimmt einfach nicht.

E: Die Statistik zeigt ja auch, dass von 14.000 "extremistischen Straftaten" 12.000 von Rechtsextremisten begangen wurden.
W: So ist es.

E: Wie bewertest Du in diesem Zusammenhang die Debatte um die Zuwanderungs- bzw. Einbürgerungstests?
W: Es ging um Wahlkampf - und wie der Name schon sagt, geht es dabei ausschließlich um die Wählerstimmen und nicht um Inhalte. Das ist kein Zuwanderungstest, sondern ein Hinderungstest, erdacht vor allem im Hinblick auf die Wähler. Mit solchen Debatten werden Gefühle geschürt - und Herr Koch hat das ja vor Jahren schon in Hessen gezeigt - da werden Gefühle geschürt, die die Rechtsextremen dann wunderbar aufnehmen können. Da wird Ausländerfeindlichkeit gemacht. Natürlich auch mit diesem ganzen Kampf gegen den Terrorismus. Ich denke, dass es gut ist, wenn man in einem fremden Land wohnt, dass man die Sprache spricht, aber das kann man anders gewährleisten als durch so unverschämte Tests. Das ist keine Integration, sondern es wird die Angst vor dem Fremden erzeugt. Völlig irrationale Ängste entstehen auf einmal im Zuge der Terrorbekämpfung. Ein  befreundeter Musiker aus Afghanistan, ein Moslem, der seit 15 Jahren in Deutschland lebt, wurde auf einmal von langjährigen Freunden gefragt, ob er seine Frau schlage oder Waffen versteckt hätte.

E: Du hattest es eben schon mal angesprochen, dass Rechtsextremismus kein Problem des Ostens sei. Trotzdem wird es in westdeutschen Medien gerne so dargestellt.
W: Nein, es ist kein ostdeutsches Problem allein, aber der Rechtsextremismus tritt in Ostdeutschland verstärkt auf. Die Statistik zeigt das ganz deutlich. Diese ausländerfeindlichen Gebiete, von den Nazis "national-befreite Zonen" genannt, gibt es hauptsächlich im Osten. Aber er ist ein gesamtdeutsches Problem und nicht nur ein Problem in Deutschland. Auch in Polen, in den USA oder in Schweden finden wir diese Idioten.

E: Da Du meine vorletzte Frage schon selbst beantwortet hast, sind wir ans Ende gekommen. Wann können wir Dich wieder in der Rheinschiene treffen?
W: Im November werde ich an zwei Abenden im Kölner Senftöpchen-Theater spielen, aber die Karten sind immer sehr schnell ausverkauft. Ich mache das nur für Alexandra Kassen in alter Freundschaft.

E: Dann wünsche ich Dir alles Gute auch für Halberstadt im Sommer und vielen Dank für das Gespräch.
W: Ja, danke auch, Tschüss Emma.



Online-Flyer Nr. 38  vom 04.04.2006

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