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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Inland
Protest gegen Wagners “Lohengrin“-Vorspiel am 9. November in Berlin
Reichspogromnacht vergessen?
Von Gottfried Wagner

Gottfried Wagner, Musikhistoriker und Richard Wagners Urenkel, protestiert dagegen, daß auf dem „Berliner Fest der Freiheit“ am 9. November unter Leitung von Daniel Barenboim neben Schönbergs „Ein Überlebender von Warschau“ auch das Vorspiel zum 3. Akt von “Lohengrin“ erklingen soll. Mit der Entscheidung, diese chauvinistische Kriegsaufputschmusik des militanten Antisemiten Wagner ins Programm zu nehmen, werde die historische Bedeutung des 9. November verkannt und verhöhnt. Der 9. November sei nicht nur das Datum des Mauerfalls, sondern auch der Zerstörung des Leipziger Mendelssohn-Denkmals durch die Nazis (1936) und der Reichspogromnacht (1938). - Die Redaktion

In der Ankündigung zum „Fest der Freiheit“ am 9. November 2009 am Brandenburger Tor heißt es: „Der Fall der Berliner Mauer vor zwei Jahrzehnten war ein Ereignis von welthistorischer Dimension. Viele Musiker der Staatskapelle Berlin und des Staatsopernchores haben diesen Augenblick unmittelbar miterlebt. … Zwanzig Jahre danach widmen sich Dirigent, Staatskapelle und Staatsopernchor musikalischen Werken, die exemplarisch entscheidende Zäsuren der deutschen Geschichte beleuchten.”
 
Dass in diesem Programm Richard Wagners "Lohengrin"-Vorspiel zum 3. Akt (1848) mit Arnold Schoenbergs "A Survivor from Warsaw" (Ein Überlebender aus Warschau) op. 46 (1947) kombiniert wird, erfüllt mich mit größtem Unbehagen. Bereits der Ankündigungstext unterschlägt die inhaltliche Problematik des Vorspiels zum 3. Akt des „Lohengrin“. Dieses Vorspiel ist ganz eindeutig die musikalische Einstimmung auf die höchst chauvinistische 3. Szene, in der es um die kriegerische Vision eines deutschen Nationalstaats geht: „Für deutsches Land das deutsche Schwert! So sei des Reiches Kraft bewährt!”
 
Das Wunder des 9. November 1989 besteht eben genau darin, dass dieser Tag friedlich, ohne das „deutsche Schwert“, über die Bühne gegangen ist! Aus diesem Grund ist die Lohengrin-Musik absolut unpassend. Auch das dortige „Grals-Gedusel“ ruft Blut- und Boden-Reminiszenzen hervor, an die man direkt vor der Aufführung von Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“ lieber nicht rühren sollte.
 
Das Lohengrin-Vorspiel sollte ersetzt werden durch zwei Sätze aus Mendelssohns Symphonie-Kantate „Lobgesang“ op. 52. Dieses Jahr haben wir den 200. Geburtstag eines Komponisten gefeiert, den Wagner in seinem antisemitischen Pamphlet „Das Judentum in der Musik” auf die niederträchtigste Weise als Nicht-Deutschen und „Juden“ gebrandmarkt hatte, der zu wahrer schöpferischer Leistung unfähig sei. Doch was den 9. November 1989 angeht, so ist Mendelssohn vielleicht der bessere „Deutsche“ gewesen - dazu noch mit prophetischen Gaben: Denn Musik und Text der Nummer 9 aus dem „Lobgesang“ beschreiben viel genauer, was 1989 passiert ist: „Die Nacht ist vergangen.“ (PK)
 
 
Gottfried Wagner, Jahrgang 1947, befasst sich seit seiner Jugend mit der Aufarbeitung der Geschichte seiner Familie in Bayreuth. Seine Großmutter Winifred war eine glühende Anhängerin Hitlers, sein Onkel Wieland arbeitete als stellvertretender ziviler Leiter in einem KZ. Wegen seiner Kritik wurde er zum schwarzen Schaf der Familie erklärt. Zusammen mit Abraham Peck hat er das Buch “Unsere Stunde Null - Deutsche und Juden nach 1945 - Familiengeschichte, Holocaust und Neubeginn. Historische Memorien“ geschrieben. Es erschien im Böhlau Verlag, Wien Köln Weimar 2006.

Wagners Memoiren "Wer nicht mit dem Wolf heult" ("Onkel Wolf" war gleichzeitig der Familienkosename für Adolf Hitler, der bei den Wagners ständiger Gast war) sind vor einigen Jahren bei Kiwi neu erschienen und kommen im nächsten Jahr bei einem anderen Verlag neu heraus.
Mehr Informationen unter www.gottfriedwagner.com


 
 
 



Online-Flyer Nr. 222  vom 06.11.2009

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