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Aktueller Online-Flyer vom 03. Mai 2024  

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Lokales
Lieber fünf Millionen Verlust als 1,4 Millionen Einnahmen jährlich
Große Abriss-Koalition in Köln
Von Hildegard Miensopust

Einig mit dem lokalen Pressemonopol waren sich CDU-, SPD- und Grünen-Fraktion, dass der Antrag der LINKS-Fraktion, die Forderung in einem Bürgerantrag und des Kölner Studentenwerks auf vorläufigen Erhalt der 280 Wohnungen im Barmer Viertel in der Ratssitzung am heutigen Dienstag abzulehnen sei. Auch hundert Abriss-Gegner auf der Zuschauertribüne konnten das nicht verhindern.

Mindestens 5 Millionen Verlust jährlich durch Messeforum
Mindestens 5 Millionen Verlust jährlich durch Messeforum
Foto: Heinz Weinhausen, ina



"Höchste Zeit also für den Abriss", hieß das Kommando aus der Redaktion der Kölnischen Rundschau ein paar Tage vor der Sitzung. Denn, so assistierte der Kölner Stadt-Anzeiger: "Wunschträume, wie den, dort Studentenwohnungen einzurichten, kann keiner bezahlen". Und danach richteten sich die Stadtväter und -Mütter. Lediglich Grünen-Chefin Barbara Moritz plädierte für ein Abriss-Moratorium bis zum 12. Mai.
 
Der Behauptung aus dem Hause M.DuMont Schauberg, Studentenwohnungen im Barmer Viertel könne "keiner bezahlen" widerspricht eindeutig ein Gutachten des Architektenbüros "WohnRat - ökoplan · planen + beraten" zur Bausubstanz, das die Initiative Barmer Viertel in Auftrag gegeben hatte, und aus dem Claus Ludwig für die LINKS-Fraktion in seiner Antragsbegründung unter Beifall der Zuschauer zitierte.

Architekt Konrad R. Müller kam darin im Gegensatz zu den unbewiesenen Behauptungen des Stadtkämmerers Soénius, des Beigeordneten für Stadtentwicklung, Planen und Bauen, Streitberger und der Fraktionsspitzen von CDU, SPD und Grünen zu dem Ergebnis: Instandsetzungskosten von geschätzten 965.000 Euro stehen für die Stadt Köln jährliche Mieteinnahmen von 1.440.000 Euro bei einer geringen Miete von 4,80 Euro/qm gegenüber.

Sollte, so das Gutachten, "die Messegesellschaft eine repräsentative Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr wünschen, könnte sie die Grundstücke Barmer Straße 26 und einen Teil des Grundstücks dahinter an der Osthallenstraße erwerben. Nach Abbruch des Wohngebäudes (etwa 36 Wohnungen) ergäbe der Verkauf (ca. 3.000 qm) nach Abzug der Abbruchkosten wenigstens 2.100.000 EUR. Der Barmer Platz würde als urbaner Platz gestaltet und die Erdgeschoßzone der angrenzenden Gebäude nach Bedarf zu Gewerbeflächen umgebaut. Eine glasgedeckte Passage ermöglichte die regensichere Verbindung von Messehallen zum Bahnhof Deutz. Anschließend an die Hallen könnte zusätzlich noch ein vielleicht gestaffeltes bis zu neungeschossiges Gebäude mit ca. 20.000 qm Bruttogeschoßfläche errichtet werden." Und dieses bei Erhalt von  240 der 280 vom Abriss bedrohten Wohnungen.

Die werden inzwischen seit gut drei Wochen von etwa hundert Besetzern vor dem Abriß geschützt. Seit einer Woche hat die "Grüne Jugend" eine Wohnung besetzt und die Jusos haben ihr Partei-Büro in eins der Häuser verlegt, um so ihre Solidarität mit den Hausbesetzern zu zeigen und gegen den Abriss des Barmer Viertels demonstrieren. Gleichzeitig forderten beide ihre Fraktionen auf, "für den Erhalt des Barmer Viertels zu kämpfen". Dokumentiert wurde die Aktion von SPIEGEL TV. Juso Sebastian am Sonntagabend auf dem Bildschirm: Freiwillig würden sie ihr neues Büro nicht aufgeben. Sollte abgerissen werden, müsse die Polizei sie schon raustragen.

"Als Vertreter von 80.000 Studierenden in Köln" setzten sich Studentenorganisationen und AStA in einem Offenen Brief an den Stadtrat "für den Erhalt der Barmer Siedlung und für eine Teilnutzung durch das Studentenwerk" ein. "Wir unterstützen ausdrücklich auch das Anliegen des Sozialen Zentrums Deutz, einen Teil der Wohnungen für alternatives Wohnen zu nutzen und meinen, dass sich dies gut mit einer Teilnutzung durch das Studentenwerk vereinbaren lässt", heißt es im Appell der Studentenorganisationen.

1,4 Millionen Einnahmen jährlich, wenn nicht abgerissen wird
1,4 Millionen Einnahmen jährlich, wenn nicht abgerissen wird
Foto: Heinz Weinhausen, ina



Dass sie damit ebenso auf taube Ohren stoßen würden wie die Jusos bei ihrer SPD und eine Delegiertenkonferenz der Grünen bei ihrer Fraktionsspitze, geht aus einem Offenen Brief von Rainer Kippe vom SSM an Fraktionsgeschäftsführer Jörg Frank hervor: "Wir haben Dich und Deinen Kollegen schließlich gefragt, wie Ihr mit dem Antrag der Linken auf Aussetzung des Abrisses in der Ratssitzung am 4.4. umgehen wollt, und ob Ihr ihm zustimmt. Ihr habt uns dann versichert, das stünde noch nicht fest. Als ich fragte, wann darüber beschlossen würde, habt Ihr beide treuherzig versichert, es fände dazu vor der Ratssitzung noch eine Fraktionssitzung statt. Das hat uns sehr gewundert, aber wir haben es Euch geglaubt und sind dann abgezogen. Umso erstaunter waren wir, als wir am nächsten Morgen in der Kölnischen Rundschau lesen durften, dass Ihr an diesem Abend beschlossen habt, den Antrag auf Aussetzung des Abrisses abzulehnen."

Warum die Große Abriß-Koalition im Kölner Stadtrat einen Tag vor der Ratssitzung so sicher stand, wusste der Kölner Stadt-Anzeiger schon am vergangenen Donnerstag: Unter der Überschrift "Nichts zu verschenken" klärte der seine Leser ganz im Sinne von Köln-Messe und Investoren wie folgt auf: "Seit Jahren drückt sich die Politik um die Entscheidung, ob sich Köln ein subventioniertes Kongresszentrum leisten will und kann. Jetzt muss die Entscheidung fallen(...) Wer Wirtschaft fördern will, muss in Strukturen und neue Angebote investieren(...) Unterm Strich ist mit Kosten von rund fünf Millionen Euro pro Jahr zu rechnen, die irgendwie trotz Haushaltsnot finanziert werden müssten."

Die durch die jährlich fünf Millionen (oder mehr?) aus dem leeren Stadtsäckel zu fördernde "Wirtschaft" dürfte wie bei dem bekannten 20 Jahre dauernden Millionen-Verlustgeschäft KölnArena auch diesmal wieder die Oppenheim-Esch-Holding sein - mit ihren in Köln bekannten Kommanditisten Joachim Aymanns, Irma und Josef Esch, Ilona und Matthias von Krockow, Dieter Murmann, Alfred Neven-DuMont, Christian Schütte-DuMont, Dieter Schütte, Christopher und Nicolaus von Oppenheim, Karl-Otto Pöhl, Anton, Johanna und Maria Werhan, Otto Wolff von Amerongen und Hans Zanders sein. (s. Werner Rügemer, "Colonia Corrupta").

Dafür werden dann StudentInnen anstatt 4,80 Euro/qm für ihre Wohnung das Doppelte zahlen müssen, Kindergärten geschlossen oder teurer, Löhne von Müllmännern gekürzt, Arbeitszeiten in der Stadtverwaltung verlängert und Arbeitsplätze "abgebaut". Denn auf die im oben genannten Gutachten möglichen jährlichen Einnahmen von 1,4 Millionen Euro aus dem Erhalt des Barmer Viertels wollen die Stadtväter und -Mütter ja lieber verzichten. Wenn sie nicht dazu gezwungen werden - durch die Bewohner und Unterstützer des kleinen gallischen Dorfes, das sich in Köln-Deutz in den vergangenen Wochen entwickelt hat.



Online-Flyer Nr. 38  vom 04.04.2006

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