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Globales
Nicht in den Himmel oder in die Hölle, sondern ins Fegefeuer
Die türkische Republik
Von Filiz Çakmak
Gründer der türkischen Republik – Kemal
Atatürk | NRhZ-Archiv
Daraufhin habe ich mich mal selbst gefragt: Wenn ein kemalistischer Journalist so über Frauen geschrieben hätte, die Kemal Atatürks Gedankengut vertreten – wie dies z.B. der ADD (der Verein zur Förderung des Gedankenguts Atatürks) tut – würden die sich dann selbst auch als Hüterinnen des Laizismus bezeichnen? Würden sie auch so scharf dementieren oder würden sie eher sagen: “Zu Befehl Herr Kommandant”? Der ADD-Präsident, ein ehemaliger Offizier, befindet sich nämlich zurzeit wegen Mitgliedschaft in der Terrorbande Ergenekon in Untersuchungshaft. Ich habe meine Zweifel, dass sie eine solche Kritik üben würden.
Das ist alles nicht so einfach. Wenn die Bürger über Freiheit und Demokratie reden, denken sie überhaupt nicht mehr an Laizismus wie es die Leute vom Verein ADD, die von der Partei CHP oder andere Kemalisten tun, denn Laizismus bedeutet nicht mehr unbedingt Demokratie und Freiheit.
Die Demos zu den Wahlen 2007
Vor zwei Jahren und zwei Monaten, also vor den letzten Wahlen, machten die einst regierende CHP, dazu auch ein paar kleinere Parteien, Vereine, Kemalisten und ein paar so genannte Linke gemeinsam Cumhuriyet-Demos, also Demos für die Republik, nicht Demos, die mehr Demokratie forderten. Während der Demo in Istanbul passierte dann etwas bisher nie Erlebtes. Die fröhlichen Demonstranten wurden von der Bühne aus von einer Musikband begleitet. Plötzlich hörte man die Gebetsrufe des nahen Muezzin. Einer der Demo-Organisatoren sorgte sofort dafür, dass die Musik leise gemacht wurde und schrie: “Das ist auch unser Gott!” und darauf wurde die Demo noch fünfmal fröhlicher als vorher.
Türkan Seylan: “Nein zum Putsch!”
Quelle: www. habervaktim.com
In Izmir sollte Türkan Saylan, die Vorsitzende des Vereins für ein zivilisiertes Leben und offizielle Organisatorin der Demo dort, eine Rede halten. Als die Veranstalter aber vorher in ihrem Manuskript gelesen hatten, dass sie über das Thema “Nein zum Putsch!” reden wollte, wurde sie abgelehnt und zunächst nicht mal auf die Bühne gelassen. Weil aber so viele Menschen auf dem Demo-Platz Druck machten, durfte sie doch ganz schnell “im Namen der Demokratie” in etwas abgeänderter Form das Wort ergreifen.
Die Teilnehmer all dieser Demos haben riesige türkische Fahnen über ihren Köpfen getragen, wie es die in den 70er Jahren zum Tode verurteilten linken 68er Studenten Yusuf Arslan, Deniz Gezmis und Huseyin Inan gemacht hatten. Sie wollten damit wie damals die Studenten demonstrieren: Wir sind frei und unabhängig und wollen frei und unabhängig bleiben. Wir und nicht die AKP sind die Türkei. Spätestens nach der Wahl haben sie aber begreifen müssen, dass keineswegs die ganze Türkei auf ihrer Seite stand, sondern dass im Gegenteil die AKP von 550 Sitzen im Parlament 340, die CHP nur 112 und die MHP 71 gewonnen hatten. Von den übrigen 27 Sitzen der kleinen Parteien erhielten die meisten kurdische Kandidaten und einen ein unabhängiger Linker. Die verschiedenen linken Gruppen waren mit unabhängigen Kandidaten in die Wahl gegangen. Das war zwar nicht erfolgreich, aber dafür haben sie bewiesen, dass sie mit den etablierten Parteien nichts zu tun haben wollten, was meiner Meinung nach ein beachtlicher Erfolg war. Istanbul – Demonstration vor der Wahl 2007
Istanbul 2007
NRhZ-Archiv
Die politische Realität in der Türkei ist für Menschen, die die Türkei nicht kennen, ausserordentlich schwer zu verstehen. Ich habe versucht, hier einen Einblick zu geben, und hoffe, das ist mir einigermassen gelungen..Wie die SPD in Deutschland ist die CHP eine sogenannten Linke, und daneben gibt es wahre Linke, die sich in kleinen unabhängigen Gruppen und Initiativen organisiert haben.
„Kein logisches Denken mehr“
Der Journalist Baskın Oran in der Zeitung Radikal hat im Zusammenhang mit den Wahlen 2007 geschrieben: “Das logische Denken in der Türkei hat aufgehört. Die Gründe für diese Entwicklung kurz zu beschreiben ist nicht möglich.”
Wer ist verantwortlich für diese Entwicklung? Was ist der wichtigste Grund dafür? Ist das Angst? Man hat in diesem Land jahrelang Angst vor dem Kommunismus geschürt, aber der Kommunismus kam nicht. Dann hielt man uns die Spaltung der Sowjetunion als warnendes Beispiel vor Augen und schürte die Angst vor einer Spaltung auch unseres Landes. Es geschah aber nichts dergleichen. Und seit sieben Jahren macht man uns Angst vor dem Scheriat (1). Hoffentlich wird das der letzte Versuch sein, uns Angst zu machen.
Wenn Ihnen jemand sagen würde, dass demnächst vielleicht bei Ihnen eingebrochen wird, würden Sie wohl antworten: Das kann jedem passieren. Das wäre eine logische Art zu antworten. Jemandem, der aus Angst nicht so antworten würde, würde man sagen: Du kannst nicht logisch denken. Wenn aber die türkische Bevölkerung wieder anfangen würde, logisch zu reagieren, würde die CHP sie mit Angstszenarien zu beeinflussen versuchen und ihr gleichzeitig zu sagen: Ihr braucht aber keine Angst zu haben, denn wir stehen ja hinter Euch. Irgendwann hat diese Gesellschaft aber wirklich keine Angst mehr. Wenn man dann die Masse regieren will - was bleibt dann ausser Gewalt?
Angst vor dem Scheriat
Menschen, die heute vor der Scheriat Angst haben, schauen mıt Bettelblicken zur Armee auf und fordern: Bitte, bitte macht einen Putsch und beseitigt diese Gefahr! Und von der wurde in meinem Leben die Türkei schon mehrmals “bereinigt”, wie das einst Jean-Jacques Rousseau genannt hat.
Manche meinen, Demonkratie und Republik seien das selbe. Aber wie man weiß, gibt es in Republiken Putsche und in der Demokratie nicht. Warum haben die, die immer “Gott ist unser!” schreien, überhaupt solche Angst vor dem Scheriat? Ist das zu verstehen? So viel Angst, dass sie deshalb sogar die Demokratie aufgeben wollen! Wie ist es zu verstehen, dass Menschen, die an republikanischen Demos teilnehmen, so genante Linke aus der CHP, ständig gegen die AKP polemisieren? Wie soll man die verstehen, die ständig sagen: “Wir wollen nichts anderes ausser unserer Republik!”?
Unsere Republik umarmen
Ich denke, wer vor dem Scheriat Angst hat, hat doch einen Gott. Aus diesem Grund sollten wir alle unsere Republik umarmen, denn diese Republik wird uns weder in den Himmel noch in die Hölle schicken. Sie wird uns im Araf lassen, wie im Koran der zwischen Himmel und Hölle liegende Raum genannt wird, eine Art Fegefeuer, das zwischen dem eigentlichen Paradies und der eigentlichen Hölle liegt; wenigstens kommen keine Sünder dort hinein, sondern nur diejenigen, die für ihr Unglück nicht verantwortlich sind.
Wir wollen im Araf bleiben. Und unsere Republik garantiert uns das, weil sie so religiös ist, daß wir nicht in die Hölle kommen, aber auch nicht so religiös, daß wir nicht in den Himmel kommen. (PK)
Online-Flyer Nr. 220 vom 21.10.2009
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Nicht in den Himmel oder in die Hölle, sondern ins Fegefeuer
Die türkische Republik
Von Filiz Çakmak
Gründer der türkischen Republik – Kemal
Atatürk | NRhZ-Archiv
Das ist alles nicht so einfach. Wenn die Bürger über Freiheit und Demokratie reden, denken sie überhaupt nicht mehr an Laizismus wie es die Leute vom Verein ADD, die von der Partei CHP oder andere Kemalisten tun, denn Laizismus bedeutet nicht mehr unbedingt Demokratie und Freiheit.
Die Demos zu den Wahlen 2007
Vor zwei Jahren und zwei Monaten, also vor den letzten Wahlen, machten die einst regierende CHP, dazu auch ein paar kleinere Parteien, Vereine, Kemalisten und ein paar so genannte Linke gemeinsam Cumhuriyet-Demos, also Demos für die Republik, nicht Demos, die mehr Demokratie forderten. Während der Demo in Istanbul passierte dann etwas bisher nie Erlebtes. Die fröhlichen Demonstranten wurden von der Bühne aus von einer Musikband begleitet. Plötzlich hörte man die Gebetsrufe des nahen Muezzin. Einer der Demo-Organisatoren sorgte sofort dafür, dass die Musik leise gemacht wurde und schrie: “Das ist auch unser Gott!” und darauf wurde die Demo noch fünfmal fröhlicher als vorher.
Türkan Seylan: “Nein zum Putsch!”
Quelle: www. habervaktim.com
Die Teilnehmer all dieser Demos haben riesige türkische Fahnen über ihren Köpfen getragen, wie es die in den 70er Jahren zum Tode verurteilten linken 68er Studenten Yusuf Arslan, Deniz Gezmis und Huseyin Inan gemacht hatten. Sie wollten damit wie damals die Studenten demonstrieren: Wir sind frei und unabhängig und wollen frei und unabhängig bleiben. Wir und nicht die AKP sind die Türkei. Spätestens nach der Wahl haben sie aber begreifen müssen, dass keineswegs die ganze Türkei auf ihrer Seite stand, sondern dass im Gegenteil die AKP von 550 Sitzen im Parlament 340, die CHP nur 112 und die MHP 71 gewonnen hatten. Von den übrigen 27 Sitzen der kleinen Parteien erhielten die meisten kurdische Kandidaten und einen ein unabhängiger Linker. Die verschiedenen linken Gruppen waren mit unabhängigen Kandidaten in die Wahl gegangen. Das war zwar nicht erfolgreich, aber dafür haben sie bewiesen, dass sie mit den etablierten Parteien nichts zu tun haben wollten, was meiner Meinung nach ein beachtlicher Erfolg war. Istanbul – Demonstration vor der Wahl 2007
Istanbul 2007
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„Kein logisches Denken mehr“
Der Journalist Baskın Oran in der Zeitung Radikal hat im Zusammenhang mit den Wahlen 2007 geschrieben: “Das logische Denken in der Türkei hat aufgehört. Die Gründe für diese Entwicklung kurz zu beschreiben ist nicht möglich.”
Wer ist verantwortlich für diese Entwicklung? Was ist der wichtigste Grund dafür? Ist das Angst? Man hat in diesem Land jahrelang Angst vor dem Kommunismus geschürt, aber der Kommunismus kam nicht. Dann hielt man uns die Spaltung der Sowjetunion als warnendes Beispiel vor Augen und schürte die Angst vor einer Spaltung auch unseres Landes. Es geschah aber nichts dergleichen. Und seit sieben Jahren macht man uns Angst vor dem Scheriat (1). Hoffentlich wird das der letzte Versuch sein, uns Angst zu machen.
Wenn Ihnen jemand sagen würde, dass demnächst vielleicht bei Ihnen eingebrochen wird, würden Sie wohl antworten: Das kann jedem passieren. Das wäre eine logische Art zu antworten. Jemandem, der aus Angst nicht so antworten würde, würde man sagen: Du kannst nicht logisch denken. Wenn aber die türkische Bevölkerung wieder anfangen würde, logisch zu reagieren, würde die CHP sie mit Angstszenarien zu beeinflussen versuchen und ihr gleichzeitig zu sagen: Ihr braucht aber keine Angst zu haben, denn wir stehen ja hinter Euch. Irgendwann hat diese Gesellschaft aber wirklich keine Angst mehr. Wenn man dann die Masse regieren will - was bleibt dann ausser Gewalt?
Angst vor dem Scheriat
Menschen, die heute vor der Scheriat Angst haben, schauen mıt Bettelblicken zur Armee auf und fordern: Bitte, bitte macht einen Putsch und beseitigt diese Gefahr! Und von der wurde in meinem Leben die Türkei schon mehrmals “bereinigt”, wie das einst Jean-Jacques Rousseau genannt hat.
Manche meinen, Demonkratie und Republik seien das selbe. Aber wie man weiß, gibt es in Republiken Putsche und in der Demokratie nicht. Warum haben die, die immer “Gott ist unser!” schreien, überhaupt solche Angst vor dem Scheriat? Ist das zu verstehen? So viel Angst, dass sie deshalb sogar die Demokratie aufgeben wollen! Wie ist es zu verstehen, dass Menschen, die an republikanischen Demos teilnehmen, so genante Linke aus der CHP, ständig gegen die AKP polemisieren? Wie soll man die verstehen, die ständig sagen: “Wir wollen nichts anderes ausser unserer Republik!”?
Unsere Republik umarmen
Ich denke, wer vor dem Scheriat Angst hat, hat doch einen Gott. Aus diesem Grund sollten wir alle unsere Republik umarmen, denn diese Republik wird uns weder in den Himmel noch in die Hölle schicken. Sie wird uns im Araf lassen, wie im Koran der zwischen Himmel und Hölle liegende Raum genannt wird, eine Art Fegefeuer, das zwischen dem eigentlichen Paradies und der eigentlichen Hölle liegt; wenigstens kommen keine Sünder dort hinein, sondern nur diejenigen, die für ihr Unglück nicht verantwortlich sind.
Wir wollen im Araf bleiben. Und unsere Republik garantiert uns das, weil sie so religiös ist, daß wir nicht in die Hölle kommen, aber auch nicht so religiös, daß wir nicht in den Himmel kommen. (PK)
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